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Papstansprache vor Diplomaten am 9.1.2012 in Auszügen

Exzellenzen! Sehr geehrte Damen und Herren!
Es ist mir immer eine besondere Freude Sie, verehrte Mitglieder des beim Heiligen Stuhl akkreditierten Diplomatischen Korps, in diesem prachtvollen Rahmen der Sala Regia empfangen zu können, um Ihnen persönlich meine herzlichen Wünsche zum Beginn des neuen Jahres auszusprechen. (…)
Meine Damen und Herren Botschafter, die heutige Begegnung findet traditionell im Anschluss an die weihnachtlichen Festtage statt, an denen die Kirche das Kommen des Erlösers feiert. Er kommt in das Dunkel der Nacht, und doch ist seine Gegenwart unmittelbar Quelle des Lichtes und der Freude (vgl. Lk 2,9-10).
Die Welt ist wahrlich finster, wo sie nicht vom göttlichen Licht erleuchtet wird!
Die Welt ist wahrlich dunkel dort, wo der Mensch das Band zu seinem Schöpfer nicht mehr erkennt und somit auch seine Beziehungen zu den anderen Geschöpfen und zur Schöpfung selbst in Gefahr bringt.
Die gegenwärtige Zeit ist leider von einem tiefen Unbehagen gekennzeichnet, und die verschiedenen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Krisen sind dessen dramatischer Ausdruck. (…)
Ich möchte nochmals darauf zurückkommen, dass die Auswirkungen der derzeitigen unsicheren Lage vor allem die jungen Menschen treffen. Ihrer Notlage entsprangen die Unruhen, die in den letzten Monaten verschiedene Regionen teilweise hart getroffen haben.
Ich beziehe mich vor allem auf Nordafrika und den Nahen Osten, wo die Jugendlichen, die unter anderem unter Armut und Arbeitslosigkeit leiden und das Fehlen von sicheren Perspektiven fürchten, etwas in Gang gebracht haben, das zu einer breiten Bewegung geworden ist, die Reformen fordert sowie eine aktivere Teilhabe am politischen und gesellschaftlichen Leben.
Gegenwärtig ist es schwierig, eine endgültige Bilanz der jüngsten Ereignisse zu ziehen und deren Folgen für das Gleichgewicht in der Region ganz zu verstehen. Der anfängliche Optimismus ist jedoch der Erkenntnis der Schwierigkeiten dieser Zeit des Übergangs und des Wandels gewichen, und es scheint mir offensichtlich zu sein, dass die angemessene Weise, den begonnenen Weg fortzusetzen, über die Anerkennung der unveräußerlichen Würde jeder menschlichen Person und ihrer Grundrechte führt.
Die Achtung der menschlichen Person muss im Mittelpunkt der Institutionen und Gesetze stehen, sie muss zur Beendigung jeglicher Gewalt führen und der Gefahr vorbeugen, dass sich die den Forderungen der Bürger geschuldete Aufmerksamkeit und die notwendige gesellschaftliche Solidarität in bloße Instrumente des Machterhalts oder der Machtergreifung verwandeln.
Ich lade die internationale Gemeinschaft ein, mit den Beteiligten des derzeitigen Prozesses einen Dialog zu führen – unter Respekt vor den Völkern und im Bewusstsein, dass der Aufbau von stabilen und versöhnten Gesellschaften, die sich jeder ungerechten Diskriminierung vor allem religiöser Natur entgegenstellen, eine größere und weiterreichende Perspektive darstellt als der Blick auf Wahltermine.(…)
 Die Jugendlichen spornen uns also dazu an, ihre Forderungen nach Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Daher habe ich ihnen die jährliche Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages gewidmet, die den Titel trägt: Die jungen Menschen zur Gerechtigkeit und zum Frieden erziehen.
Die Erziehung ist ein Schlüsselthema für alle Generationen, denn von ihr hängt sowohl die gesunde Entwicklung jeder Person ab als auch die Zukunft der ganzen Gesellschaft. Deshalb stellt sie in einer schwierigen und heiklen Zeit eine Aufgabe von höchster Wichtigkeit dar. Außer einem klaren Ziel wie dem, die Jugendlichen zu einer vollen Kenntnis der Realität und damit der Wahrheit zu führen, braucht die Erziehung auch Räume.
Unter diesen steht die auf die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau gegründete Familie an erster Stelle. Es handelt sich dabei nicht um eine bloße gesellschaftliche Konvention, sondern um die Grundzelle der ganzen Gesellschaft. Folglich bedroht eine Politik, welche die Familie gefährdet, die Würde des Menschen und die Zukunft der Menschheit selbst.
Der familiäre Rahmen ist grundlegend auf dem Erziehungsweg und für die Entwicklung der Individuen und der Staaten; demnach ist eine Politik notwendig, die den Wert der Familie betont und den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den Dialog unterstützt.
Die Familie ist der Ort, an dem man sich der Welt und dem Leben öffnet, und, wie ich anlässlich meiner Reise nach Kroatien gesagt habe, „das Offensein für das Leben ist ein Zeichen für das Offensein gegenüber der Zukunft“.
In diesem Zusammenhang des Offenseins für das Leben nehme ich mit Genugtuung das kürzlich erfolgte Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union zur Kenntnis, das die Patentierung von Verfahren verbietet, bei denen menschliche embryonale Stammzellen verwendet werden, wie auch den Beschluss der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, der die pränatale Selektion aufgrund des Geschlechts verurteilt.
Generell bin ich, vor allem mit Blick auf die westliche Welt, davon überzeugt, dass Gesetzesmaßnahmen, welche die Abtreibung aus persönlichen Motiven der Nützlichkeit oder aus zweifelhaften medizinischen Gründen nicht nur erlauben, sondern zuweilen sogar fördern, der Erziehung der Jugendlichen und damit der Zukunft der Menschheit entgegenstehen. (…)
Aus dieser Sicht ist sehr gut verständlich, dass eine wirksame Erziehungsarbeit ebenso die Achtung der Religionsfreiheit erfordert. Diese kennzeichnet eine individuelle wie auch eine gemeinschaftliche und institutionelle Dimension. Es handelt sich um das erste Menschenrecht, weil sie Ausdruck der grundlegendsten Wirklichkeit des Menschen ist. Allzu häufig wird dieses Recht aus verschiedenen Gründen weiterhin eingeschränkt oder verhöhnt.
Ich kann dieses Thema nicht ansprechen, ohne zunächst des pakistanischen Ministers Shahbaz Bhatti zu gedenken, dessen unermüdlicher Kampf für die Rechte der Minderheiten durch seinen tragischen Tod ein Ende gefunden hat. Es handelt sich hier leider nicht um einen Einzelfall.
In zahlreichen Ländern werden die Christen ihrer Grundrechte beraubt und aus dem öffentlichen Leben ausgegrenzt; in anderen Ländern erleiden sie gewaltsame Angriffe auf ihre Kirchen und Wohnungen. Manchmal sind sie aufgrund der anhaltenden Spannungen und einer Politik, die sie häufig in die Rolle von untergeordneten Zuschauern des nationalen Lebens verbannt, gezwungen, die Länder zu verlassen, zu deren Aufbau sie beigetragen haben.
In anderen Teilen der Welt ist eine Politik anzutreffen, die darauf abzielt, die Rolle der Religion im gesellschaftlichen Leben an den Rand zu drängen, als wäre sie Ursache der Intoleranz und nicht vielmehr ein schätzenswerter Beitrag für die Erziehung zur Achtung der Menschenwürde, zur Gerechtigkeit und zum Frieden.
Der religiös motivierte Terrorismus hat auch im vergangenen Jahr zahlreiche Opfer hinweggerafft, vor allem in Asien und Afrika, und daher müssen die religiösen Verantwortungsträger, wie ich in Assisi in Erinnerung gerufen habe, mit Nachdruck und Entschiedenheit wiederholen: „Dies ist nicht das wahre Wesen der Religion. Es ist ihre Entstellung und trägt zu ihrer Zerstörung bei.“  Religion darf nicht als Vorwand benutzt werden, um die Normen der Gerechtigkeit und des Rechts um des angestrebten „Gutes“ willen beiseite zu schieben.
In dieser Hinsicht erinnere ich mit Stolz daran, wie ich es in meinem Heimatland getan habe, dass für die Väter des deutschen Grundgesetzes das christliche Menschenbild die wahre Inspirationsquelle war, wie es das im übrigen auch für die Gründerväter des geeinten Europas war. Ich möchte auch einige ermutigende Zeichen im Bereich der Religionsfreiheit erwähnen. Ich beziehe mich auf die Gesetzesänderung, durch welche die öffentliche Rechtspersönlichkeit der religiösen Minderheiten in Georgien anerkannt wurde; ich denke auch an das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zugunsten der Anbringung von Kreuzen in italienischen Schulzimmern. (…)
Es ist von grundlegender Wichtigkeit, dass auf dem afrikanischen Kontinent, den ich kürzlich anläßlich meiner Reise nach Benin erneut besucht habe, die Zusammenarbeit zwischen den christlichen Gemeinschaften und den Regierungen dazu beiträgt, einen Weg der Gerechtigkeit, des Friedens und der Versöhnung zu beschreiten, wo die Mitglieder aller Ethnien und Religionen geachtet werden. Es ist schmerzlich festzustellen, dass in verschiedenen Ländern dieses Kontinents dieses Ziel noch in weiter Ferne liegt.
Ich denke insbesondere an das Wiederausbrechen der Gewalt in Nigeria, woran die Anschläge auf mehrere Kirchen in der Weihnachtszeit erinnert haben, an die Folgen des Bürgerkrieges in der Elfenbeinküste, an die anhaltende Instabilität in der Region der großen Seen und an die humanitäre Notlage in den Ländern am Horn von Afrika. Einmal mehr fordere ich die internationale Gemeinschaft dazu auf, rasch zu helfen, eine Lösung für die Krise zu finden, die seit Jahren schon in Somalia andauert.
Exzellenzen, sehr geehrte Damen und Herren!
Die Geburt des Friedensfürsten lehrt uns, dass das Leben nicht im Nichts endet, dass seine Bestimmung nicht die Verweslichkeit ist, sondern die Unsterblichkeit. Christus ist gekommen, damit die Menschen das Leben haben und es in Fülle haben (vgl. Joh 10,10).  (…)
In diesem Sinn bringe ich Ihnen, Ihren Familienangehörigen und Ihren Mitarbeitern erneut meine herzlichsten Wünsche für das neue Jahr zum Ausdruck.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
 

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