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72. Wallfahrt der Heimatvertriebenen auf den Schönenberg am 22. Mai 2022

Von Stefan P. Teppert

Nach zweijähriger, durch die Coronakrise verursachter Pause pilgerten Flüchtlinge und Heimatvertriebene des Zweiten Weltkriegs am 22. Mai zum 72. Mal zur Wallfahrtskirche auf den Schönenberg bei Ellwangen, eine erste und fortwährende Stätte ihres Widersehens nach Entwurzelung und Zerstreuung.

Veranstalter war wieder die Arbeitsgemeinschaft Katholischer Vertriebenenorganisationen (AKVO) im Bistum Rottenburg-Stuttgart mit ihrem Geschäftsführer Prof. Dr. Rainer Bendel (siehe Foto).

Am Portal der beliebten Wallfahrtskirche „Unsere Liebe Frau“, einem Juwel barocker Baukunst, überbrachte der Ellwanger Oberbürgermeisterf Michael Dambacher die Grüße des Gemeinderats und hieß die Gäste, darunter Trachten- und Fahnenträger aus dem Sudetenland, willkommen.

Wie schützenswert die Güter der Freiheit und der Heimat sind, beweise wieder einmal der Krieg Putins gegen die Ukraine. Fast sechs Millionen Menschen seien mittlerweile von dort geflohen, um in westlichen Ländern Schutz zu suchen. Deshalb müssten wir bereit sein, für ein starkes und stabiles Europa einzutreten.

Dambacher dankte den Redemptoristen, die seit über 100 Jahren die Wallfahrten auf den Schönenberg betreuen und jährlich über 200.000 Besucher zählen; der Musikkapelle aus Rattstatt (siehe Foto), die im Freien aufspielte; dem Chor und Orchester des Cyril-und-Method-Gymnasiums Brünn; ebenso postum dem Volksmissionar Philipp Jeningen, der vor mehr als 300 Jahren lebte, Impulsgeber der herrlichen Wallfahrtskirche war und am 16. Juni 2022 in Ellwangen seliggesprochen werden soll. Papst Franziskus habe die Wunder des Jesuitenpaters anerkannt. Die Freude in der Stadt Ellwangen sei groß.

Hauptzelebrant war der Augsburger Bischof Dr. Bertram Meier (siehe Foto), dessen heute 91-jährige Mutter aus Freiwaldau im Altvatergebirge stammt.

In seiner Predigt widmete er zunächst dem Wallfahren eine Betrachtung. Man müsse es mit allen Sinnen betreiben, um das Unterwegssein zu spüren. Körper und Seele sollen sich öffnen, Herz, Fuß und Hirn in den richtigen Rhythmus kommen. 

Der Bischof zitierte Gerhard Tersteegens (1697 – 1769) Gedicht „Ermunterung der Pilger“ und bezog sich beim Pilgerweg des Lebens vorrangig auf die Flüchtlinge und Vertriebenen mit ihren dramatischen Erfahrungen einer ungewissen Zukunft. Er würdigte ihre Glaubenstreue und ihr hoffnungserfülltes Durchhalten.

Meier berichtete von Begegnungen mit Vertretern der Kirche aus Tschechien, der Slowakei und Polen, bei denen manche Irritation habe ausgeräumt werden können. Der Geist der Versöhnung sei auch bei der jungen Generation gegenwärtig. Hinsichtlich der Ukraine wünschte er sich Solidarität, welche Konsequenzen der Krieg immer haben mag. Alle Finsternis entstehe im Kopf: Klischees und Gleichgültigkeit, Weltuntergangsszenarien, Panikstimmung und Fanatismus.

Aber der Friede sei immer ein Geschenk durch Christus, eine Gabe, die unserer Generation offenbar abhanden gekommen sei.

Am Ende seiner Besinnung richtete der Oberhirte seinen Blick auf die ewig alte und zugleich immer neue Heimat. Es gelte, Gott dankbar zu loben, dass ER uns den langen Weg hierher geführt hat – und darauf zu vertrauen, dass wir das Ziel der Pilgerschaft erreichen: die Heimat im Himmel.

Zum Gedenken an die Opfer von Gewalt, Flucht und Vertreibung und an alle, die auch heute verfolgt sind und Heimat suchen, wurden von Frauen in Tracht brennende Kerzen zum Altar getragen: für die Ackermann-Gemeinde (Katholiken aus Böhmen, Mähren und österr. Schlesien), für den Hilfsbund der karpatendeutschen Katholiken (Pressburg, Zips, Hauerland), für die Eichendorff-Gilde (Schlesien), für die Ermland-Familie (Ostpreußen), für das St. Gerhardswerk (Südosteuropa) und schließlich für das Bistum Rottenburg-Stuttgart.

Die Deutschlehrerin Dagmar Peňasová gab anschließend einen geschichtlichen Rückblick auf die Entwicklung des 1930 gegründeten Cyril-Method-Gymnasiums in Brünn, seine christlichen pädagogischen Ziele, seine Auftritte und Kontakte ins Ausland.

Der Schülerchor „Cantate“ (siehe Foto) sei 1998 gegründet worden und habe sich im Lauf der Jahre immer wieder neu formiert, wobei Chor und Orchester sich gegenseitig ergänzen und motivieren. Seit 2017 habe Patrik Buchta die musikalische Leitung übernommen. Bereits zum dritten Mal gastiere der Brünner Chor auf dem Schönenberg.

In der folgenden Glaubenskundgebung sprach Dr. Rainer Bendel über Maximilian Kaller (1880 – 1947), Bischof von Ermland in Ostpreußen, der in seinen Predigten und Hirtenbriefen tiefes Verständnis für die desolate Situation der Vertriebenen in den ersten Monaten nach ihrer Flucht bewies und sie als Bewährungsprobe verstand.

Alles komme nach Bischof Kaller darauf an, das persönliche wie gesellschaftliche Leben nach dem Gesetz Gottes neu zu ordnen. Gerade die Vertriebenen könnten dabei durch ihre Verluste und ihre sehnsuchtsvolle Offenheit bevorzugte Gefäße des Heiligen Geistes sein. Ihre „radikale“ Aufgabe bestehe darin, das an der Wurzel vergiftete Verhältnis der Menschen zueinander zu heilen und das Ebenbild Gottes im Menschen wieder herzustellen, so Bendel über Kallers Deutung.

Bei der Marienandacht am Nachmittag stellte Dekan Matthias Koschar aus Tuttlingen in seiner Ansprache die Frage, wie das sinkende Schiff des traditionellen Christentums gerettet werden kann: durch strukturelle Reformen oder die Neuentdeckung des Glaubens? – Gerade durch seinen Schmelzkern – die Liebe Gottes, das anziehende Grundvertrauen mit der Zusage an den Menschen, dass er nicht allein sei – habe das Christentum Zukunft, müsse aber immer neu gesucht werden.

Fotos: Stefan P. Teppert

Kommentare

Eine Antwort

  1. Danke für den Bericht. Bei mir nahebei ist das „Haus Schlesien“ im Siebengebirge gegenüber Bonn. Ein sehr schönes historisches Gebäude mit großem Innenhof. Dieses dient als Ort der Begegnung für Heimatvertriebene und aus Schlesien kommende bzw. damit verbundene Menschen.
    2019 war ich dort bei einem Schlesiertreffen, inklusive Trachtentanzgruppen. Es hat mir sehr gefallen. (Mein erster Freund wohnte übrigens in Lübeck Siems im Schlesienring, fällt mir gerade ein!)
    Es waren Menschen von weither, z.B. aus dem Ruhrgebiet, angereist zu dem Treffen.
    Als 1968 geborene Lübeckerin, direkt am Metallgitterzaun in Lübeck-Schlutup aufgewachsen, mit 1958 aus der DDR gekommenem Vater, Heimatstadt Magdeburg, versuche ich immer wieder, nicht Pommern, West-, Ostpreußen, Oberschlesien, usw. durcheinander zu bekommen.
    Wobei die Entfernungen und Unterschiede natürlich gewaltig sind. Wenn man keine Verbindung hat, prägt sich das nur nicht so ein.
    In meinem Ehrenamt in Altenheim und Tagespflege hatte ich immer wieder mit Senioren zu tun, die von ihrer Flucht berichteten. „Die Katze hat so gemaunzt – und wir mussten sie da lassen!“
    Oder der Bericht von der Vorbeifahrt im kleinen Kahn, wofür das letzte Leberwurstbrot gegeben worden war, an der gesunkenen Gustloff! Das ist mir bei zwei älteren Damen, damals ca. 6 Jahre alt, begegnet. Unfassbar.
    Vor genau 80 Jahren kämpfte sich die deutsche Wehrmacht durch die Ukraine. In einer Kirche in der Eifel sah ich letztens einen Bilderrahmen mit Fotos Gefallener: Einer in Lemberg, einer Charkiv, einer Stalingrad, die Anderen ohne Ortsnennung.
    Krieg ist grausam. Man sollte es doch schaffen, sich gütlich zu einigen. Meint man.
    Und erlebt dann die heutige Zeit. Wo leider immer nur die halbe „Wahrheit“ berichtet wird – und hier wie dort „Propaganda“ betrieben wird, bzw. man sich „im Recht“ fühlt. ….
    Ich leide gedanklich mit Euch Älteren mit – und fürchte, manches traumatische Erlebnis wird gerade jetzt wieder an die Oberfläche geraten. Nicht einfach. Da kann Miteinander und Gespräch zu Verarbeitung und auch „Vergebung“ helfen. Gerade, wenn es schwerfallen mag.
    Mir war das Zuhören immer großes Anliegen. Nur so, indem man darüber redet, aktiv „verarbeitet“, kann man sich halbwegs mit dem Gewesenen auseinandersetzen und „versöhnen“.
    Es wird zur Lebensaufgabe. In GOTTES Händen geborgen. Auch wenn man es nicht „erklären“ kann.
    HERR, erbarme Dich!

    Bei uns war übrigens zu Himmelfahrt eine sehr schöne Open-Air-Messe am Wachtbergdenkmal. 1921 eingeweiht.
    https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-245949
    Es wurde nur von Gott und Jesus gesprochen und gepredigt. Das tat gut.
    Danach Kranzniederlegung und Tiersegnung. Das LEBEN geht weiter! Es waren auch kleine Kinder dabei!

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