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Afghanistan: Menschenrechte von Frauen werden durch Scharia und Stammes(un)recht mit Füßen getreten

Zwar sind Männer und Frauen in Afghanistan laut Verfassung gleichberechtigt, aber Männer noch etwas gleichberechtigter, wie der 150 köpfige Gelehrtenrat, das höchste religiöse Gremium Afghanistans, verkündete:  Männer haben eine grundlegende Position, Frauen sind zweitrangig.
Vorsitzender des Gelehrtenrates ist der –  den Taliban eng verbundene  –  Qyamuddin Kashaf.
Präsident Karzai veröffentlichte den betreffenden Text auf seiner Webseite und hob ausdrücklich seine Zustimmung zu den Verlautbarungen hervor, da sie lediglich das in Afghanistan ohnehin gültige islamische Recht widerspiegelten.

Beispiele für die rechtliche Benachteiligung von Frauen:

Frauen sollen sich demnach in Zukunft mit Männern nicht mehr gemeinsam an einem Ort aufhalten, sei es in Bildungseinrichtungen, auf dem Markt, in öffentlichen Ämtern oder auf Reisen.
Müssen sie unbedingt das Haus verlassen, dann nur in Begleitung eines engen männlichen Verwandten.
Frauen sollen Scheidungsanträge verboten werden und sie sollen nur noch auf die Hälfte eines männlichen Erbteils Anspruch erheben können. Damit würden Frauen weitgehend aus der Öffentlichkeit verbannt und ihnen grundlegende Menschenrechte vorenthalten.

Weiter besagt der Text: Frauen sollen ihr Gesicht verschleiern, die Polygamie und die islamische Form der Scheidung respektieren (d.h., die traditionelle Verstoßung der Frau durch den Mann ohne Beteiligung einer Rechtsinstanz und ohne Begründung).
Das Ärgern, Schlagen und Quälen der Frauen sei verboten, so das Gelehrtengremium, soweit die Scharia es nicht erlaube: d.h., dass Frauen von ihrem Ehemann gezüchtigt werden dürfen, aber nur in den Fällen, in denen es das Schariarecht vorsieht, also vor allem wegen fehlendem Gehorsam (die klassischen Texte erwähnen ausdrücklich die Verpflichtung der Frau zum sexuellen Gehorsam).
Schon jetzt geben 87% der afghanischen Frauen an, dass sie in Familie und Gesellschaft unterschiedliche Formen der Gewalt erlitten oder sich einer Zwangsehe nicht erwehren konnten.

Ähnliche (Un-)Sitten wie zu Zeiten der Taliban

Ein Aufschrei ging durch die westliche Staatengemeinschaft, nachdem die Taliban 2001 in Afghanistan die Macht übernommen und Frauen praktisch zu Rechtlosen erklärt hatten.
Auch damals durften Frauen nicht mehr ohne männliche Begleitung das Haus verlassen, außer Haus arbeiten, zur Schule gehen, studieren oder sich an öffentlichen Orten aufhalten. Ohne Mann waren sie nicht rechtsfähig und wurden zur moralischen Gefahr für die Gesellschaft erklärt.
Bilder öffentlich vollzogener Steinigungen vermeintlicher Ehebrecherinnen im Sportstadion von Kabul nach dem Freitagsgebet erschütterten die Weltgemeinschaft.
Frauen waren öffentlich vollzogenen Prügelstrafen, willkürlichen Verhaftungen und jeder Form von Gewalt ausgesetzt; Berichte vom Raub junger Mädchen durch die Taliban warfen einen Blick auf die Doppelmoral der neuen Herren im Land.
Eine Beseitigung dieses Unrechts, eine Befriedung Afghanistans und die Aufrichtung von Menschen- und Frauenrechten waren einstmals erklärte Ziele des westlichen Militäreinsatzes.

Und heute?

Längst hat die westliche Staatengemeinschaft ihre mehr als begrenzten Möglichkeiten erkannt, die Verhältnisse in Afghanistan zum Guten zu verändern. Ein dauerhaft politisch instabiler Nachbar Pakistan, der sich wie der Iran in Afghanistan einmischt, Fehleinschätzungen der Lage, Fehlverhalten, anfangs nur zögerlich betriebener nation-building-Prozess, ungebrochen intensiver Drogenanbau, ethnische Zersplitterung und Machtansprüche lokaler Warlords sowie die endemische Korruption und Rechtsunsicherheit – Afghanistan scheint zumindest von außen derzeit nicht nachhaltig stabilisierbar zu sein.
So hat sich bei den westlichen Regierungen längst Ernüchterung breitgemacht, was die politische Zukunft Afghanistans betrifft.
Schon lange sitzen die Taliban mit am Verhandlungstisch über Afghanistans Zukunft und werden auch nach dem Abzug der rund 130.000 Soldaten bis 2014 weiterhin eine, wenn nicht die bestimmende politische Kraft des Landes sein.
Leidtragende dieser Entwicklung sind besonders die Frauen.
Gerade in der jüngsten Vergangenheit hat sich die Lage für Frauen verschlechtert, so dass die errungenen Fortschritte immer mehr dahinzuschmelzen scheinen: Frauen, die aus einer Zwangsehe, vor einem gewalttätigen Ehemann oder ihren Schwiegereltern flüchten, landen wie unter den Taliban wegen moralischer Vergehen oft für Jahre hinter Gittern.
Das gleiche Schicksal trifft Frauen, die des Ehebruchs beschuldigt oder Opfer von Vergewaltigungen werden: Das mildeste Urteil, das sie treffen kann, lautet, ihren Vergewaltiger zu heiraten.
Säureattentate gegen ungehorsame Schwiegertöchter oder der Verkauf junger Mädchen aus armen Familien an ältere Männer (ebenso aber auch der Missbrauch von Jungen durch lokale Machthaber) sind an der Tagesordnung.

Das islamische Religionsgesetz der Scharia geht vor Menschenrechten

Allerdings kommen diese Entwicklungen nicht völlig überraschend. Schon 2004, als die afghanische Verfassung auf dem Petersberg in Bonn formuliert wurde, war diese Entwicklung vorgegeben, bekannte sich die Verfassung doch ohne Einschränkungen zur Scharia als einziger Quelle aller Gesetzgebung.
Zwar könnte eine solche Formulierung theoretisch nicht mehr Bedeutung haben als etwa im vorrevolutionären Ägypten: Dort definierte die Verfassung seit 1980 ebenfalls die Scharia als einzige Quelle der Gesetzgebung, ohne dass Steinigungen oder Auspeitschungen die Folge waren, denn die Scharia galt dort nicht für das Strafrecht.
Der entscheidende Unterschied zwischen Afghanistan und Ägypten liegt darin, dass Afghanistan niemals unter Kolonialverwaltung stand. In Ägypten entwickelte sich im Zuge der britischen Kolonialherrschaft eine weitgehende Säkularisierung des Rechts und eine Zurückdrängung des Schariarechts auf den Bereich des Zivilrechts.
Das war in Afghanistan niemals der Fall, so dass dort das Bekenntnis zum Schariarecht nicht nur das Zivilrecht, sondern auch das Strafrecht meint. 
Selbst wenn also die Befriedung Afghanistans durch das westliche Militärbündnis erfolgreicher gewesen wäre, würde das generelle Bekenntnis zur Scharia  in der afghanischen Verfassung in jedem Fall zur Benachteiligung von Frauen führen.
Es würde nur dann in seiner Reichweite auf das (Frauen immer noch stark benachteiligende) Zivilrecht beschränkt bleiben, wenn sich gleichzeitig ein säkular geprägtes Rechtswesen etabliert hätte. Das aber wäre wiederum nur mit der Schaffung einer starken Zentralgewalt und der breiten Akzeptanz eines säkularen Rechts in der Bevölkerung denkbar gewesen .

Das Stammes(un)recht der Paschtunen

Aber nicht nur das: In Afghanistan ist die Scharia nicht das einzige Gesetzesrecht, das Gültigkeit besitzt  –  und es ist nicht das Recht, das die Frauenrechte am stärksten einschränkt.
In Afghanistan gilt gleichzeitig auch das Gewohnheits- und Stammesrecht, das beides in der Praxis viel mehr Bedeutung hat als das klassische Schariarecht, in dem viele Richter nicht oder nur unzureichend ausgebildet sind.
Insbesondere das Paschtunen-Recht des größten Stammes Afghanistans, das Paschtunwali, betrachtet Frauen quasi als Gegenstände, die bei Konflikten wegen Landbesitz, Schulden oder Ehrverletzungen wie eine Ware von Sippe zu Sippe verschenkt, getauscht oder verkauft werden können.
Das Paschtunwali sieht Blutrache, Geiselhaft und Strafaktionen wie die Gruppenvergewaltigung einer Frau vor, um ihre Familie zu demütigen, ermöglicht Kinderheiraten, wenn damit den Interessen der Familie gedient wird und erlaubt Frauen keinerlei Mitsprache bei den Stammesversammlungen, den jirgas, die über ihr Schicksal entscheiden.
Ehrenmord ist ein legitimes Mittel der Vergeltung unmoralischer Handlungen. Erlittenes Unrecht bei Polizei und Gericht anzuzeigen, bedeutet für Frauen besonders große Schande und wird in den meisten Fällen ihr Todesurteil besiegeln.
Zusätzlich verschärft wird die Problematik durch die weitverbreitete Armut, den Mangel an medizinischer Versorgung, die endemische Korruption, den Machtmissbrauch und die Rechtsunsicherheit sowie die immer noch dramatische Bildungssituation.
Vor wenigen Jahren galten die wenigen Frauen, die es in Afghanistan zur Richterin, Sportlerin, Unternehmerin, Journalistin, Polizistin, Professorin oder Fernsehsprecherin gebracht hatten, als Hoffnungsträgerinnen für ein modernes und möglicherweise gemäßigt-islamisches Afghanistan. Ist nun zu befürchten, dass auch sie bald verschwunden sein werden?
Quelle: Institut für Islamfragen der Evangelischen Allianz

Kommentare

2 Antworten

  1. Diese Mißachtung des göttlichen Gesetzes wird zum „ewigen Tod“ führen, zum Aussterben.
    Die Ursachen für solches Denken und Verhalten liegen aber nicht in der erst vor 1400 Jahren gegründeten Religion, sondern in der Entfremdung / Abtrennung, die ihre Wurzel viele tausend Jahre früher hat, in der Kollektiven Neurose der zivilisierten Gesellschaft.
    Unter deren Einwirkung kam es zur Entwicklung der vielen „Hochkulturen“ der letzten ca. 10.000 Jahre und, wie Oswald Spengler darlegt, zum Untergang ALLER dieser Hochkulturen.
    Und jetzt sind WIR dran…
    Es sei denn, wir nutzen die gegebene Möglichkeit der natürlichen, grundlegenden, nachhaltigen, HEILUNG.

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