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Aserbaidschan: Buchverbrennungen und Morddrohungen wegen Tabubruch zum Armenienkonflikt

Ein Jahr nach dem Eurovision Song Contest in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku wird der bedeutendste Gegenwartsdichter des Landes, Akram Aylishi, mit dem Tode bedroht. Wie die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) mitteilte, hatte der 76-jährige Aylishi es gewagt, in seinem neuesten autobiographischen Roman „Steinerne Träume“ Greueltaten seiner überwiegend islamischen Landsleute an Armeniern zu beschreiben und diese mit dem Völkmord der Türkei an Armeniern in Verbindung zu bringen. IGFM_Logo_blau_R32 G90 B165

Aserbaidschans autoritär herrschender Präsident Ilham Alijew hatte Akram Aylishi darauf am 7. Februar 2013 seine Ehrentitel als „großer aserbaidschanischer Volksdichter“ und für besondere Verdienste um die aserische Literatur sowie seine Rechte auf eine staatliche Rente entzogen. Seiner Frau und seinem Sohn wurde die Arbeit gekündigt. Exemplare seiner Bücher wurden öffentlich verbrannt. Vor seinem Haus hat sich ein Mob aufgebrachter Landsleute versammelt, die ihm und seiner Familie nach dem Leben trachtet.

Karl Hafen, geschäftsführender Vorsitzender der IGFM, erklärte zu den Ereignissen in Baku: „Die Aufbruchstimmung des letzten Jahres ist vorüber, die in strahlendem Licht dargestellte Öffnung des Landes entpuppt sich als Spektakel für gutgläubige Europäer. Tatsächlich gibt es keine wirkliche Presse- und Meinungsfreiheit. Bürgerrechtler klagen über Bedrohung und Nachstellung. Die Manipulation der Bevölkerung anlässlich der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im Oktober ist bereits in vollem Gang.“

Die IGFM appelliert an jene Künstler und Manager der Musikindustrie sowie des Fernsehens, die Baku als Austragungsort für den Eurovision Song Contest durchgesetzt hatten, jetzt für Akram Aylisli und die Meinungsfreiheit in Aserbaidschan einzutreten.

Weitere Infos zur Menschenrechtslage in Aserbaidschan:
http://www.igfm.de/Russland-und-andere-GUS-Staaten.525.0.html

Hintergrund:

Anhaltende Hysterie als Antwort auf den Tabu-Bruch
Die Darstellung seiner Landsleute als Täter und der Armenier als Opfer war und ist für die meisten Aserbaidschaner unvorstellbar. Aylisli hingegen sagt, dass er keinesfalls seine Landsleute verunglimpfen wollte, er habe nur seine eigenen Erlebnisse in dem Roman verarbeitet. Er sieht sich nicht als Nationalist, sondern als Internationalist. Im Gegenteil, er habe Türen für eine  Diskussion, für eine friedliche Zukunft öffnen wollen. Der Roman sei kein politisches Traktat, sondern literarische Kunst. Er habe seinen Landsleuten mehr Toleranz bei der Beurteilung des armenisch-aserbaidschanischen Konflikts zugetraut. Aylisli sagt, so etwas habe es in der aserbaidschanischen Gesellschaft seit 100 Jahren nicht gegeben. Für ihn ein Zeichen von Intoleranz der herrschenden Kreise gegenüber freier Meinungsäußerung, gegenüber der Freiheit des Wortes.

Die Reaktion der Aserbaidschaner zeigt nun deutlich, wie tief die Wunden eingebrannt sind. Im Parlament Aserbaidschans wurde provokativ vorgeschlagen, Aylisli einem Gen-Test zu unterziehen, um zu prüfen, ob es sich hier nicht doch um einen Armenier handele. Die Präsidialverwaltung hatte den Schriftsteller eingeladen, um ihm öffentlich seine Verachtung auszudrücken: „Der Mann hat keine Nationalität, kein Recht über menschliche Gefühle zu sprechen…“. Der aserische Schriftstellerverband, in dem Aylisli 20 Jahre tätig war und von dem er sich professionelle Solidarität erhoffte, hat den Roman offiziell als künstlerisch sehr schwach degradiert.

Zur Person:
Akram Aylisli ist der wohl bekannteste aserische Schriftsteller, Übersetzer, Dramatiker. Er wurde am 1. Dezember 1937 in Yukhari-Aylis in Nachitschewan (Aserbaidschan) geboren. Er studierte Weltliteratur am Moskauer Gorki-Institut. In den 70er Jahren war er Chefredakteur des Komitees für Kinematographie in Aserbaidschan, von 1988-89 Sekretär des Schriftstellerverbandes Aserbaidschans. 2005 wurde er ins Parlament gewählt. Aylisli ist Autor mehrerer Romane, Essays und Kurzgeschichten. Er hat Werke von Turgenjew, Márquez oder Aitmatow ins Aserbaidschanische übersetzt. 2002 wurde er für seine Verdienste um die heimische Literatur mit den höchsten Orden Aserbaidschans „Unabhängigkeit“ und „Ruhm“ ausgezeichnet.

Die Novelle  „Steinerne Träume“  schrieb er schon 2006, sie schildert die Ereignisse in Baku Ende 1989, Anfang 1990. Zur Zeit der kriegerischen Eskalationen zwischen Armeniern und Aserbaidschanern um das Gebiet Nagorny Karabach kam es nachweislich auch seitens der Aserbaidschaner zu Pogromen und Massakern gegen die Armenier. Es ist der zweite Teil einer Trilogie. Sie wurde allerdings erstmals im Dezember 2012 in Russisch in dem Journal „Freundschaft der Völker“ veröffentlicht. In diesem Roman verarbeitet Aylisli seine Erlebnisse in dem seit Jahrzehnten andauernden Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien um die Region Berg Nagorny Karabach, die von beiden Staaten beansprucht wird. Ethnische, kulturelle und religiöse Unterschiede führten immer wieder zu Auseinandersetzungen mit Zehntausenden von Todesopfern, Kriegsversehrten und -traumatisierten sowie zu insgesamt einer Million Flüchtlingen. Das Gebiet umfasst ca. 10 qkm und hat heute gerade noch 135.000 fast ausschließlich armenische Einwohner. Völkerrechtlich gehört das Gebiet zu Aserbaidschan.

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