Besprechung von Cordula Mohr
Gabriele Stangl, die Autorin des Buches „Herzenskinder“ aus dem Adeo-Verlag, ist evangelische Pastorin und Krankenhaus-Seelsorgerin; sie hat im Berliner Hospital „Waldfriede“ bereits im Jahre 2000 die weltweit erste Klinik-Babyklappe ins Leben gerufen. 

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Das berührende und vielfach erschütternde Werk berichtet von den Schicksalen der Säuglinge, die von ihren Müttern in der Babytüre abgegeben wurden und die sie trotz „Amtsschimmel“ und Widerständen in den Behörden in Obhut geben und begleiten konnte.
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Die Pfarrerin erlebte bis zur Einführung der Babyklappe auf ihrem Arbeitsplatz die Zurückweisung von Schwangeren, die anonym entbinden wollten, durch die Klinikleitung, weil es damals noch verboten war, ohne Personenangabe in einem Krankenhaus aufgenommen zu werden.
Es war eine bedrückende Situation, weil sie und auch Hebammen sowie Ärzte mitansehen mussten, wie die hilfesuchenden Frauen weggeschickt und ihrem Schicksal überlassen wurden.
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Was werden sie nun tun? – Immer wieder liest man, dass ein Neugeborenes im Wald oder gar im Müll gefunden wurde und erfährt von ähnlich grauenvollen Taten.
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Die Pastorin erinnerte sich daran, wie die Frauenklöster früher ganz unkompliziert und anonym die Neugeborenen aufnahmen, die bedrängte Wöchnerinnen an der Pforte oder einem Babyfenster niederlegten.
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Ihre Mitarbeiter waren von dem Vorschlag begeistert, ein Bettchen einzurichten, in das die Säuglinge abgelegt werden können. Es kam freilich auch Kritik auf, man würde es damit diesen Frauen zu einfach machen, sich ihres Kindes zu entledigen. 

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Allerdings stellt sich bei der Lektüre des herzergreifendes Buches heraus, dass kaum eine Mutter sich diese Entscheidung leicht gemacht hat. Oft lagen Kleidung, Deckchen oder ein paar rührende Zeilen der Mutter mit im Bettchen. So schrieb eine Mutter sinngemäss einen Brief folgenden Inhalts:
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Liebes Kind, ich kann dich leider nicht grossziehen. Mögest du liebevolle Eltern bekommen. Aber ich werde an jedem Geburtstag von dir am Berliner Funkturm sein und dort den ganzen Tag auf dich warten.
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Dieses Kind wurde an Adoptiv-Eltern vermittelt, die sich sehnlichst ein Kind wünschten.
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Adoptiv-Eltern zu finden war für die Klinik, die mit den Behörden – auch mit der Polizei – zusammenarbeitete, kein Problem.
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Die Polizei musste in einem Falle ermitteln, als ein neugeborenes Baby durch Stichverletzungen gestorben und in die Babyklappe abgelegt worden.
Man kann annehmen, dass die anonyme Mutter auf Strafermittlungen durch die Polizei hoffte, damit der Täter gefunden wird, den sie wahrscheinlich kannte; ihre Vorgehensweise war von Angst vor dem Täter erfüllt.
Die Polizei stellte später die Ermittlungen ein. Es wurde nur bekannt, dass man eine Frau zu dem Zeitpunkt der Abgabe am Babyfenster gesehen hat. Das Klinikpersonal gab dem verstorbenen Jungen den Namen Daniel Simson und er wurde würdevoll bestattet. 

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Gabriele Stangl versuchte bei anonymen Geburten, die Frauen zu beraten, damit sie das Leben mit dem Baby meistern, was ihr oftmals gelang. Allerdings gab es auch Schwangere, die sich nicht in der Lage sahen, dass Kind grosszuziehen; so gaben sie es in liebevolle Hände einer Adoptivfamilie.
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Der Leser ist teilweise entsetzt, unter welchen Umständen einige Schwangere ihre Kinder gebaren. Es werden zwei Fällen berichtet, wo die Frau zu Hause alleine entbindet.
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Ein Ehepaar mit Kindern wartete so lange mit der Geburt, bis diese sich einstellte. Der Vater fuhr mit den anderen Kindern in der Nacht spazieren und die Frau gebar ganz alleine das Baby.
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Nach der Geburt fuhren die Eheleute zur Klinik Waldfriede, wo das Kind ins Wärmebettchen gelegt wurde. Man fand eine Adoptivfamilie und nach ein paar Tagen kam das Paar in die Klinik und erzählte von ihrer Not um dieses Kind, das sie aus finanziellen Gründen nicht grossziehen können. 

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Es wurde vereinbart, dass sie als biologische Eltern den Jungen sehen dürfen, wie er in der Adoptivfamilie aufwächst. Der Kleine erhielt den Namen Nikolas, da er um Weihnachten herum abgegeben wurde. Die Adoptiv-Eltern hatten ohne Absprache mit der Klinik genau denselben Namen für dieses Kind ausgesucht.
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Der zweite geschilderte Fall einer einsamen Geburt zuhause handelt von Christina, die nach einem Seitensprung die komplette Schwangerschaft vor der Gesellschaft und sogar vor ihren drei Kindern verbergen konnte. Ihr Mann arbeitete wochenlang ausserhalb und auch sie hat nachts zuhause entbunden. Die Klinik Waldfriede war jedoch informiert, da die Mutter auf den letzten Drücker versucht hatte, dort eine anonyme Geburt zu organisieren.
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Die Nabelschnur wurde von der Mutter mit einer Schere durchgetrennt und mit einer Gefrierklammer abgeklemmt. Christina fuhr, nachem sie ihre Kinder versorgt hatte, mit dem in der Wohnung versteckten Baby zur Waldfriede-Klinik, denn das Neugeborene musste medizinisch versorgt werden.
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Am nächsten Tag hatte sie im Krankenhaus noch ein paar Stunden für sich und das Kind, bevor es in die Hände von liebevollen Adoptiveltern kam. Diese Stunden geniessen die Mütter mit Liebkosungen und Streicheln der Babys.
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Noch etliche andere bedrängende Lebenssituationen werden in dem Buch beschrieben. Es sind Frauen aus allen Gesellschaftsschichten, die zu dieser Möglichkeit greifen, nicht selten aus Scham nach Vergewaltigung, aus purer Angst oder wegen Inzest. 

Die Autorin Gabriele Stangl schreibt dazu, besonders bedrückend seien jene Schicksale voller Einsamkeit und geprägt von der Verzweifelung, niemanden zu haben, mit dem man sein Leid teilen könnte. Diese Mütter wollen aber, dass ihr Baby l e b t und in gute Händen kommt.
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Alle Adoptiv-Eltern freuen sich so sehr, endlich ein Kind zu bekommen, so dass der Kontakt mit der Klinik teilweise noch lange besteht und Fotos von der Entwicklung der Kinder regelmässig bei der Pastorin ankommen.
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Obwohl immer wieder gegen die Einrichtung der Babyklappe argumentiert wurde, besonders nachdem der beschriebene Todesfall auftrat, wurde mehr als 250 Frauen seit der Einrichtung im Jahre 2000 ermöglicht, anonym zu entbinden oder den Säugling einfach in das Wärmebettchen zu legen. 

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Die Pastorin schreibt sehr einfühlsam und anteilnehmend; sie schaute in Augen voller Traurigkeit, Schmerz, aber auch Erleichterung und Dankbarkeit, wenn die Adoption für die „Bauchmama“ (so nennt die Klinik diese Mütter) überstanden war.
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Ein sehr interessantes Buch, das die Chancen für Mütter in Not aufzeigt und lebensnah schildert, dass es einen Ausweg aus scheinbar ausweglosen Situationen gibt.
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Viele Krankenhäuser in ganz Deutschland und weltweit folgten diesem lebensrettenden Beispiel aus der Waldfriede-Klinik. Meine Hochachtung gilt dem ganzen Klinikteam.
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Buch-Daten: Gabriele Stangl. Herzenskinder. Adeo-Verlag. Erscheinungsjahr 2023. Gebunden. 256 Seiten. ISBN 9783863343729
Bestellmöglichkeit hier:https://www.adeo-verlag.de/herzenskinder.html#Artikelbeschreibung
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Unsere Autorin Cordula Mohr ist ALfA-Vorsitzende des Münsterlandes und Vize-Vorsitzende der CDL (Christdemokraten für das Leben) in NRW
3 Antworten
“ Es kam freilich auch Kritik auf, man würde es damit diesen Frauen zu einfach machen, sich ihres Kindes zu entledigen.“
Man sollte es den Frauen so einfach wie möglich machen ihr Kind n i c h t zu töten!
Das ist sicher ein sehr lesenswertes Buch und eine sehr lobenswerte Aktion von Fr. Stangl. Vielleicht schenke ich es mir selbst zu Weihnachten. Natürlich wäre es schöner und besser, wenn die Kinder bei ihren Müttern und Vätern bleiben könnten, aber manchmal ist das der einzig gute Ausweg und er erfordert eine große Liebe zum Kind. Es zu propagieren wäre wichtig, denn viele denken bei einer ungeplanten Schwangerschaft als erstes an Abtreibung. Andererseits kenne ich auch Mädchen, die ihre Sexualität recht unverantwortlich leben mit dem Hintergedanken: „Wenn ich es nicht schaffe, dann gebe ich es halt in eine Babyklappe“. Man muss schon wissen, dass eine starke Bindung von Mutter und Kind da ist und jede frühe Trennung sehr schmerzlich für beide Seiten. Ich kannte eine Frau, die als Pensionistin noch geweint hat, wenn sie darüber sprach, dass sie von ihrer Mutter gleich nach der Geburt weggegeben wurde. Kein Vogel würde seine Eier in ein schlechtes und untaugliches Nest legen. Nur wir Menschen handeln oft so unvernünftig. Deshalb ist es wichtig, sich immer wieder bewußt zu machen, dass „Leidenschaft“, so wie der Name sagt, oft zu langen Leiden führt.
Leider wird das den jungen Menschen nicht oft genug gelehrt.
Aber das Buch und die Aktion sind sicher sehr lobenswert. Danke für den Artikel!
Was für ein segensreicher Einsatz!!!