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Christi Versuchung in der Wüste – und die politische Macht als Anfechtung der Kirche damals und heute

Frank Schäffler und Norbert F. Tofall: Plädoyer für eine christlich-liberale Verständigung

Papst Benedikts Wort von der „Entweltlichung“ der Kirche ist mehr als ein Stichwort für Diskussionen aller Art, es ist vor allem ein Leitwort für die Kirche aller Epochen.

Dabei bedeutet dieses Motto keineswegs, sich gleichsam ins eigene Ghetto zurückzuziehen und aus öffentlichen Angelegenheiten herauszuhalten, zumal die göttlichen Gebote nicht nur das Privatleben der Menschen betreffen. Apollinaris-DSC_0408-2-4 - Kopie

Wesentliche sittliche Prinzipien des Christentums sind wichtig, ja wesentlich auch für Staat und Gesellschaft, für Kultur und Wirtschaftsleben. Nicht von ungefähr beruft sich unser Grundgesetz in seiner Präambel auf die „Verantwortung vor Gott und den Menschen“.

Für die Kirche besteht seit jeher eine zweifache Versuchung: einerseits jenes passives „Sakristei-Christentum“, das sich einigelt und weltabgewandt verhält   –  andererseits die Versuchung politischer Macht, wozu letztlich auch die Vision eines „Reiches Gottes auf Erden“ gehört.

Allerdings hat Christus hat vor dem römischen Statthalter Pilatus eindeutig erklärt: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“

Zudem ist in diesem Zusammenhang auch der biblische Bericht von der Versuchung unseres HERRN in der Wüste aufschlußreich, womit sich der folgende Beitrag eingehend befaßt, der zuerst in der April-Ausgabe des kath. Magazins „Die neue Ordnung“ erschien.

Die beiden Autoren dieses Grundsatzartikels sind Frank Schäffler (FDP-Bundestagsabgeordneter, Mitglied im FDP-Bundesvorstand) sowie Norbert F. Tofall, sein wissenschaftlicher Mitarbeiter und Leiter des Politikkreises der Hayek-Gesellschaft. 

Die beiden Liberalen treten kirchenfeindlichen Bestrebungen innerhalb ihrer eigenen Partei entgegen und plädieren für eine Verständigung zwischen Christentum und klassischem Liberalismus.

Hier folgt der vollständige Beitrag von Norbert F. Tofall und dem FDP-Politiker Frank Schäffler (siehe Foto):  0000001313_3

CHRISTUS widersteht der Versuchung weltlicher Macht

Seit Menschengedenken existiert eine Geisteskrankheit, die so teuflisch ist, dass sie an zentraler Stelle unserer kulturellen Überlieferung thematisiert wird. Im Neuen Testament lesen wir, dass der Teufel den Gründer des Christentums auf einen hohen Berg führt, ihm alle Reiche dieser Erde zeigt und ihm das Weltkönigtum, also die irdische Herrschaft über alle Menschen anbietet.

Doch der Menschensohn widersteht dieser Versuchung, widersteht dieser menschlichen Geisteskrankheit, die auch Herrschsucht genannt wird. Zum einen ist Gottes Reich nicht von dieser Welt. Und Jesus Christus wäre nicht Gottes Sohn, wenn er Gottes Reich und Gebote wegen irdischer Reiche verraten würde.

Zum anderen  –  und das führt uns zu unserem Thema  –  sollen und können die Menschen freiwillig und ohne Zwang und ohne Angst vor Gewalt dem Guten folgen. Zudem sollen und können die Menschen den Glauben nur freiwillig annehmen.

In dieser Forderung, die theologisch die Religions- und Gewissensfreiheit begründet, verschränken sich die innere Freiheit und die äußere Freiheit. Die Versuchung der Herrschaft von Menschen über Menschen  –  die Geisteskrankheit der Herrschsucht  –  zielt immer auf die Vernichtung beider Freiheiten. Trotzdem dürfen beide nicht verwechselt werden.

Die innere Freiheit kann dem Menschen durch keine noch so große irdische Gewaltandrohung genommen werden. „Und sperrt man mich ein in finstere Kerker / Das alles sind rein vergebliche Werke / Denn meine Gedanken zerreißen die Schranken und Mauern entzwei / Die Gedanken sind frei!“

Die innere Freiheit besitzt jeder Mensch und das heißt erstens, dass jeder Mensch der Versuchung der Herrschaft über andere Menschen und der Herrschsucht prinzipiell widerstehen kann. Und zweitens behält der Mensch selbst an Orten des abgründigsten Bösen seine innere Freiheit, kann er sich der Logik des Bösen, der Logik von Gewalt und Verbrechen innerlich entziehen. „Der Herr ist der Geist. Und wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.“

Pater Maximilian Kolbe und viele andere haben dies bezeugt. An einem Ort des abgründigsten Bösen hat Maximilian Kolbe sein Zeugnis von der inneren Freiheit des Menschen abgelegt. Die innere Freiheit existiert zum Verdruß aller Herrschsüchtigen dieser Welt selbst dann noch, wenn die äußere Freiheit schon längst vernichtet wurde.

Die äußere Freiheit wird in der politischen Philosophie auch als die individuelle Freiheit bezeichnet und kennzeichnet eine äußere Beziehung zwischen Menschen. Die Menschen sollen unabhängig von der nötigenden Willkür durch andere Menschen leben können.

Die individuelle Freiheit für alle Bürger eines Gemeinwesens kann nur durch die Herrschaft des Gesetzes (rule of law) geschützt werden. Durch allgemeine und abstrakte Regeln soll sichergestellt werden, dass jeder Mensch  –  sei er Arbeiter oder Unternehmer, adliger, bürgerlicher oder proletarischer Herkunft, reich oder arm  –  frei leben kann.

Der Staat ist deshalb eine Vereinigung von Bürgern unter Rechtsgesetze, durch die die gleiche Freiheit für alle hergestellt und gesichert wird. Das Recht ist mit der Befugnis zur Anwendung von Zwang verbunden, und nur der Staat hat das Recht zur Ausübung von Zwang. Aber er hat es auch nur, um eine Verfassung von der größten Freiheit zwischen Menschen zu errichten und zu sichern, nicht von der größten Glückseligkeit und Wohlfahrt.

Der Staat darf keine Zwangsbeglückung durchführen

Der Staat darf keine Glücks- und Wohlfahrtsvorstellungen per Gesetz  –  und das heißt per Zwang  –  durchsetzen oder fördern. Der Staat hat lediglich dafür zu sorgen, dass die Glücks- und Wohlfahrtsvorstellungen der Menschen nebeneinander bestehen können. Glücks- und Wohlfahrtsvorstellungen sind ausschließlich individuelle Lebensführungsprogramme.

Kein Mensch, keine Gruppe, keine Religionsgemeinschaft, keine noch so demokratisch gewählte Mehrheit und auch kein Staat haben deshalb das Recht, Menschen zu zwingen, auf eine bestimmte Art und Weise glücklich zu sein.

Zur individuellen Freiheit gehört natürlich auch, dass Menschen das Recht haben, unabhängig von der Willkür anderer Menschen die eigene Religionszugehörigkeit zu wählen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Papst Benedikt XVI. nicht nur die Religionsfreiheit verteidigt, sondern 2007 im 1. Band seines Jesus-Buches sogar das christliche Kaisertum kritisiert und verurteilt: 75743_14122011

„Aber kehren wir zurück zur Versuchung. Ihr wahrer Gehalt wird sichtbar, wenn wir sehen, wie sie die Geschichte hindurch immer neue Gestalt annimmt. Das christliche Kaisertum versuchte alsbald, den Glauben zum politischen Faktor der Reichseinheit zu machen. Das Reich Christi soll nun doch die Gestalt eines politischen Reiches und seines Glanzes erhalten. Der Ohnmacht des Glaubens, der irdischen Ohnmacht Jesu Christi soll durch politische und militärische Macht aufgeholfen werden.

In allen Jahrhunderten ist in vielfältigen Formen diese Versuchung immer neu aufgestanden, den Glauben durch Macht sicherzustellen, und immer wieder drohte er gerade in den Umarmungen der Macht erstickt zu werden. Der Kampf um die Freiheit der Kirche, der Kampf darum, dass Jesu Reich mit keinem politischen Gebilde identisch sein kann, muss alle Jahrhunderte geführt werden. Denn der Preis der Verschmelzung von Glauben und politischer Macht besteht zuletzt immer darin, dass der Glaube in den Dienst der Macht tritt und sich ihren Maßstäben beugen muß“ (S. 68 – 69).

Der christliche Glaube darf nach Ansicht von Papst Benedikt XVI. deshalb nicht durch Zwang und Gewalt durchgesetzt werden, sondern muß vom einzelnen Menschen in freier Entscheidung angenommen und gelebt werden.

Diese Einsicht bildet auch den Ursprung des Liberalismus. Dessen Kampf beginnt im 16. und 17. Jahrhundert nicht zufällig mit dem Kampf um die Religions- und Gewissensfreiheit. Gerade weil den Menschen Religion und Gott wichtig waren (bzw. heute auch noch sind), war (bzw. ist) die Entstaatlichung der Religion, die leider oft mit dem mißverständlichen Begriff Privatisierung der Religion beschrieben wird, für die weitere Entwicklung der europäischen Zivilisation und Europas überlebenswichtig.

Toleranz bedeutet keineswegs Relativismus

Die Toleranzforderung des Liberalismus darf deshalb nicht mit Beliebigkeit oder gar Relativismus verwechselt werden, wie dieses heute häufig und leider auch in sich liberal nennenden Kreisen geschieht.

Während die römisch-katholische Kirche heute erkannt hat, dass sie in langen Phasen ihrer Geschichte der Versuchung der irdischen Herrschaft erlegen war, sind weite Schichten und Kreise der heutigen westlichen Gesellschaften dieser Versuchung in einem Ausmaß verfallen, die allen Beteuerungen von Aufgeklärtheit und Modernität Hohn sprechen.

Man mag gegen das interne Kirchenregiment von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. eingestellt sein wie man möchte. Der große Liberale John Locke zählt in seinem „Brief über Toleranz“ derartige Organisationsformen zu den legitimen internen Regeln, die sich jede Religionsgemeinschaft geben darf und in die sich der Staat und andere Externe nicht einzumischen haben. Da mag Hans Küng in Tübingen noch so toben und gegen Rom wettern und zuhause am Neckar sein Weltethos anbeten.

Zwei Päpste als Verfechter christlicher Aufgeklärtheit

Während Johannes Paul II. und Benedikt XVI. dem Glauben gerade nicht durch politische und staatliche Macht fördern wollen, sich der staatlichen Macht sogar unbequem entgegenstellen, aus diesem Grund die marxistisch geprägte „Theologie der Befreiung“ verurteilen und sie sich gerade dadurch als Päpste der Moderne erweisen, fallen unsere westlichen Gesellschaften in die Vormoderne zurück.  pc_pi

Die sich zur Sucht steigernde Versuchung, anderen Menschen mittels staatlichem Zwang auf einen bestimmten Lebensstil zu verpflichten, die Versuchung, anderen Menschen vorzuschreiben, was sie zu denken haben oder was sie öffentlich äußern dürfen (political correctness), die Versuchung, freie öffentliche Diskussionen zu verhindern („Mit Klimawandelleugnern diskutieren wir nicht“), die heutige Sucht, Menschen mittels staatlichem Zwang vorzuschreiben, wie sie zu wirtschaften haben und welche ökologischen und ethischen Standards sie dabei berücksichtigen müssen, sind allgegenwärtig und übermächtig.

Die Sucht, staatlichen Zwang immer und überall und zur Durchsetzung fast jeden beliebigen Zwecks anzuwenden, hat Ausmaße angenommen, die Recht und Freiheit in Europa ernsthaft gefährden.

In dieser kulturellen Lage verwundert es auch nicht, dass der alte liberale Begriff Zivilgesellschaft durch die wirkungsmächtige Frankfurter Schule in das genaue Gegenteil verkehrt worden ist.

Politisches Ziel dieser Begriffsumwertung war die von Wolfgang Abendroth in den 1950er Jahren geforderte „Transformation des liberalen Rechtsstaats in den Sozialstaat“, an der wir heute alle leiden.

Irrtümer der 68er „Frankfurter Schule“

In der liberalen Tradition von Adam Ferguson, Adam Smith, Immanuel Kant, Alexis de Tocqueville, Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek wird die individuelle Freiheit jedes Menschen durch Institutionen wie Privateigentum, Vertragsfreiheit, Kapitalverkehrsfreiheit und Gewerbefreiheit, aber auch durch die Autonomie der Familie sowie Religions- und Gewissensfreiheit vor der Herrschaft durch andere Menschen geschützt.

In der Sichtweise der Frankfurter Schule sind jedoch gerade diese Institutionen nicht legitimierte Herrschaftsformen der spätkapitalistischen bürgerlichen Gesellschaft, die auf elaborierte Art und Weise kommunikativ verflüssigt werden müssen. Doch die Kurzform lautet: Eigentum ist Diebstahl, Familie ist ein Unterdrückungsapparat und Religion ist Opium fürs Volk.

Das Kollektiv mit Decknamen Zivilgesellschaft weist den einzelnen Individuen nicht nur Freiräume und Eigentumsrechte zu. Das Kollektivsubjekt entscheidet nach öffentlicher Beratschlagung im sog.  „herrschaftsfreien Diskurs“ sogar über die künftige Entwicklung aller Individuen einer Gesellschaft, was dann als die Umsetzung emanzipatorischer gesellschaftlicher Projekte und als kollektiver Selbstbefreiungsprozess gefeiert wird.

Neomarxistische Tarnkappen: „Demokratisierung“  und „herrschaftsfreier Diskurs“

Unter der Tarnkappe „Demokratisierung aller Lebensbereiche“ werden so die institutionellen Grundsäulen einer freien und offenen Gesellschaft angegriffen.

Auf diese Weise wird der Staat, der als Vereinigung von Menschen unter Rechtsgesetzen (Kant) eigentlich die Aufgabe hat, die Bedingungen zu schützen, unter denen die Willkür des einen Individuums mit der Willkür des anderen Individuums nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen bestehen kann, für gesellschaftspolitische Projekte sogenannter Träger der Zivilgesellschaft mißbraucht.

Die neue Zivilgesellschaft der Frankfurter Schule führt daher zu nichts anderem als zu einem neo-marxistischen Kollektivismus im strahlend weißen Gewand unbegrenzter demokratischer Legitimation.

Der demokratische Staat verliert so den Anspruch, freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat zu sein. Recht und Freiheit werden kampflos aufgegeben, weil sich die Geisteskrankheit der Herrschsucht erfolgreich hinter der Chimäre des sog. „herrschaftsfreien Diskurses“ verstecken kann.

Politisch besonders tragisch ist, dass in Deutschland die einzige Partei, die den Anspruch an sich stellt, den politisch organisierten Liberalismus zu verkörpern, sich diesen Entwicklungen nicht konsequent entgegenstellt.

Die FDP hat sich seit den 1970er Jahren in weiten Teilen und besonders in ihren Führungsstrukturen diesen Prozessen mit einer pseudoweltoffenen Rhetorik fast enthusiastisch hingegeben. Man will modern im Sinne von aktuell sein, fördert aber durch diese Gefallsucht, durch die man Herrschaft erlangen will, Entwicklungen zurück zur Vormoderne.

Die FDP in der Falle der Gefallsucht

Die Folge ist, dass bei nüchterner Betrachtung vermeintlich konservative Kirchenführer wie Johannes Paul II. und Benedikt XVI. ein moderneres Verständnis von den Aufgaben und Grenzen des Staates vertreten als die einzige liberale Partei in Deutschland. Das muß sich ändern.

Aus römisch-katholischer Perspektive ist es aber noch viel tragischer, dass der deutsche Gremienkatholizismus und die römisch-katholischen Bischöfe in Deutschland, von wenigen Ausnahmen abgesehen, bis heute nicht erkannt haben, dass Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Päpste der Moderne sind.

Deshalb wird in diesen Kreisen die Verurteilung der marxistisch geprägten Theologie der Befreiung bis heute nur sehr selten verstanden, ganz zu schweigen von Benedikts Freiburger Rede im September 2011 und seiner Forderung nach Entweltlichung der Kirche.

Beachtet werden sollte, dass Joseph Ratzinger bereits 1986 in seinem Vortrag „Politik und Erlösung. Zum Verhältnis von Glaube, Rationalität und Irrationalem in der sog. Theologie der Befreiung“ schrieb, dass die römisch-katholische Lehre „keine exklusiven politisch-ökonomischen Projekte anbieten (kann); sie kann keine kompakten und mit Notwendigkeit eintretenden Verheißungen geben; sie kann vor allem keine Endgültigkeit politischer Heilszustände versprechen. Denn wenn die Politik immer auf der Freiheit und immer auf der sittlichen Verantwortung des Menschen ruht, dann gibt es den endgültigen und endgültig zwingenden Fortschritt in ihr nicht“ (S. 22)

„Die Werke rechtfertigen nicht, d.h. die Politik erlöst nicht  –  und wenn sie diesen Anspruch erhebt, wird sie zur Sklaverei“ (S. 24).

Das ist die Stimme eines wahren Liberalen.

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