Deutschland sollte verfolgte Christen aus dem Mittleren Osten bevorzugt als Flüchtlinge aufnehmen. Dafür haben sich Experten aus Politik, Kirche, Wissenschaft und Nicht-Regierungsorganisationen bei einer Fachtagung der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung am 29. Juli in München ausgesprochen.
Der frühere bayerische Ministerpräsident und langjährige Innenminister Günther Beckstein sagte vor den rund 30 Teilnehmern, er halte es für falsch, dass Deutschland Muslime ebenso bereitwillig aufnehme wie Christen.
Die Fachleute wiesen auf die besonders verzweifelte Lage der von der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) aus dem Nordirak und Syrien vertriebenen Christen hin. Im Unterschied zu jenen Muslimen, die ebenfalls fliehen mussten, fänden sie weder in Syrien noch in der Türkei eine sichere Zuflucht. Denn auch in den dortigen Lagern gäben oft radikale Muslime den Ton an.
Beckstein schätzt die Lage der Christen als katastrophal ein. Der Westen müsse ihnen entschlossen helfen. Allerdings könnten sie auch auf die Macht des Gebets vertrauen, so der kirchlich engagierte Beckstein. Er war von 2009 bis Anfang Mai 2015 Vizepräses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
EKD: Kein Vorrang für Christen
Die EKD lehnt eine bevorzugte Aufnahme von christlichen Flüchtlingen ab. Auslandsbischöfin Petra Bosse-Huber sagte der Evangelischen Nachrichtenagentur IDEA, maßgebend sei der Status der internationalen Schutzbedürftigkeit und der besonderen Verletzlichkeit.
Ein einseitiges Engagement hält sie für problematisch: Es würde zum einen den Auszug christlicher Minderheiten befördern und zum anderen die Vorbehalte gegenüber christlichen Minderheiten vor Ort noch wachsen lassen.
Wie Philipp W. Hildmann von der Hanns-Seidel-Stiftung idea mitteilte, erläuterte der frühere bayerische Landesbischof Johannes Friedrich bei der Tagung die Haltung der EKD, appellierte aber gleichzeitig an den deutschen Staat, verfolgte Minderheiten besonders zu schützen; zu ihnen gehörten Christen und Jesiden.
Kritik an EKD und Diakonie
Der evangelische Theologe und Islamwissenschaftler Prof. Wolfgang Schwaigert (Blaubeuren) kritisierte die Haltung der EKD und ihres Diakonischen Werkes. Sie hielten an der „schädlichen Gleichrangigkeit“ von muslimischen und christlichen Flüchtlingen fest. Wie der Bayernkurier weiter berichtet, bezeichnete Schwaigert es als unverständlich, dass sich die Kirche die „falsche Position“ des Staates zu eigen mache.
Mehrere Tagungsteilnehmer schilderten die Lage der Christen in der Krisenregion. Der Ökumenereferent im bayerischen Landeskirchenamt, Kirchenrat Thomas Prieto Peral, der das Gebiet Mitte Juli bereiste, bezeichnete die Situation als deprimierend.
Christen wollten nur noch weg. Etwa 90 Prozent der frühere 1,6 Millionen Christen seien bereits geflohen. Im Nordirak gebe es für sie derzeit keinen Schutz mehr. So hätten sich die sunnitischen Bewohner der vom IS eroberten Stadt Mossul mit den Terroristen gegen die Christen verbündet. Das Vertrauen sei so sehr zerstört, dass sich kein Christ ein Zusammenleben mit den früheren Nachbarn vorstellen könne.
Der Tübinger Geowissenschaftler Prof. Rainer Rothfuß hält eine komplette Umsiedlung der nahöstlichen Christen für nötig.
IS ist in Flüchtlingslagern aktiv
Viele sind in die Türkei geflohen, doch dort ist die humanitäre Lage außerhalb der Flüchtlingslager katastrophal, berichtete die Irak-Beauftragte des Zentralverbandes der Assyrer, Janet Abraham (München). Kein Christ gehe in ein türkisches Aufnahmelager, weil dort Islamisten aktiv seien.
Sogar beim UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR würden Christen abgewiesen. Hunderttausende müssten sich mit Betteln oder Schwarzarbeit durchschlagen. Auch nach Angaben von Abdulmesih Bar-Abraham von der assyrischen Yoken-Bar-Yoken-Stiftung werden Christen in den Flüchtlingslagern stark bedrängt.
Sogar der IS rekrutiere dort Nachwuchskämpfer. In der ganzen Region gebe es nur ein Aufnahmelager für Christen auf dem Gelände eines Klosters im Nordirak.
Quelle: www.idea.de
2 Antworten
Natürlich sollen alles bedrängten Christen aus Dem Nahen Osten (also praktisch alle) aufgenommen werden, wenn sie hier Hilfe suchen. Allerdings bin ich dagegen, diese Hilfe auf Christen zu beschränken. Denn erstens ist nicht nur der mein Nächster, der die gleiche Religion hat wie ich. Und zweitens ist es kaum mit den Grundsätzen eines westlichen Rechtsstaats und Demokratie vereinbar, eine Religionsgruppe explizit zu bevorzugen.
Irgendwelche „strategische“ Überlegungen sollten bei der Frage nach der Aufnahme keine Rolle spielen. Aber wenn der Text schon solche Gesichtspunkte erwähnt, dann muss gesagt werden: Der gegenwärtige Hass auf Christen in Nahost rührt teilweise daher, dass „christliche“ Truppen (so wird es dort oft wahrgenommen!) ganze Länder grundlos überfallen und zerstört haben. Das hat oft das gute Verhältnis zwischen Christen und Muslimen zerstört. Wenn nun diese „christlichen“ Länder die heimischen Christen bevorzugt aufnehmen, ist das nur ein Beweis mehr, dass diese mit jenen unter einer Decke stecken.
Wie gesagt, solche Überlegungen sollten m.E. keine Rolle spielen; sie wären aber noch zusätzlich ein unerwünschter Nebeneffekt.
Herr Rothfuß hat Recht, dafür solte man aber erst Platz schaffen.