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Clemens Brentano, der „Pilger“: Segen über diesen Ort!

Segen über diesen Ort!
Wo so treu der Weinberg wird gebauet,
Gott vergelt’s! sein letztes Wort,
Dr. Bernd F. Pelz

Wenn er nach dem Dom zurück noch schauet,
Der im Morgenlicht entbrannt,
Ein Altar voll früher Opferkerzen,
Mahnend oft genüber stand
Seinem müden Auge, lauen Herzen,
Und, von Blumen fromm umkniet,
Wo des Herren Bild am Ölberg ringet,
Mit ihm sang das Morgenlied,
Wenn der Blütengarten Weihrauch schwinget.
Dom! der in Gewitternacht
Bald der Arche gleicht umdroht von Wogen,
Bald in stiller Opferpracht
Sich erhebt, umspannt vom Friedensbogen,
Und, vom Sonnenblick geküßt
Und von weißer Tauben Flug umschwebet,
Jetzt gedenket, jetzt vergißt,
Wie sich Schweres leicht zu heben strebet.
Dom! der heut im jungen Tag
Über treuer Hirten Asche glühte,
Als der Pilger scheidend sprach:
Nachbar Dom! leb wohl, Gott dich behüte!
Sorgt ihr Freundesherzen nicht,
Wo ein müdes Haupt sich niederlege,
Beßre Herberg giebt es nicht,
Als beim Kreuze draußen an dem Wege.
Gastfrei ist der Herbergsmann,
Denn der Dorn, sein Knecht, hält an den Pfaden      imm028_26
Gern des Pilgers Mantel an,
Dringend ihn zur Einkehr einzuladen;
Und der Wirt ist auch nicht stolz,
Draußen, ganz von Wunden überhagelt,
Harrt er, am gekreuzten Holz
Fest mit Händ‘ und Füßen angenagelt.
Welcher Wirt hat so Geduld?
Wißt, er ist allein in diesen Qualen,
Aller armen Gäste Schuld,
Die zum Kreuze eingehn, zu bezahlen;
Und sein Haupt, gekrönt mit Dorn,
Grüßt den Gast, der bei ihm übernachtet,
Und sein Herz, ein blut’ger Born,
Labt den Gast, der dürstend nach ihm schmachtet,
Und sein Leib ist selbst das Haus,
Und die Pforten sind fünf offne Wunden,
Keinen treibt er je hinaus,
Der da einmal Ruhe hat gefunden,
Und sein Blut ist selbst der Trank,                                               

Bild: Evita Gründler
Bild: Evita Gründler
Und sein Fleisch ist wahrlich selbst die Speise,
Da wird alles heil, was krank,
Da ist Brot und Wein zur letzten Reise.
Hier ist Willkomm jeder Gast,
Wer mühselig ist und schwer beladen,
Findet Raum für seine Last,
Er hat alle selbst ja eingeladen.
Wahrlich er allein ist gut!
Er, der keinen Stein gehabt auf Erden,
Wo sein müdes Haupt geruht,
Wollte allen Haus und Speise werden;
Und wie er dies Haus gebaut
Und zuletzt den Strauß darauf gesetzet,
Hat betrachtet seine Braut,
Und für euch der Pilger aufgesetzet.
In der Hand den Wanderstab
Legt er scheidend nieder euch die Gabe
Zwischen zweier Hirten Grab,
Daß man seiner ein Gedenken habe.
Herr, bei dir allein ist Ruh‘,
Wie die Jünger einst zu dir auf Erden
Sagten, sprichst zum Pilger du:
Bleib bei mir, denn es will Abend werden!

Quelle: Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 528-530

1. Foto: Dr. Bernd F. Pelz

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