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Das Judentum: Die Religion der Ehrfurcht

Von Felizitas Küble

Die Wurzel des Christentums ist das Alte Testament. Wo diese Grundlage des Glaubens verdrängt oder vernachlässigt wird, gerät das Gottesbild leicht in ein schiefes Licht: es wird allzu „sanft“, nimmt gar kitschige Züge an oder es verschwimmt im Gutmenschentum und sozialethischen Pathos. mutter-anna

Die Bibel Israelis –  das Alte Testament  –  betont sehr deutlich die Heiligkeit und Souveränität (Unabhängigkeit) Gottes; seine Liebe zu den Menschen wird ebenfalls gerühmt, aber nicht gegen die Gerechtigkeit des HERRN ausgespielt, wie dies leider bei christlichen Predigern immer wieder geschieht.

Wenn eine mißverstande Liebe bzw. Lieblichkeit aber die Heiligkeit und Gerechtigkeit des Ewigen an die Wand drückt, wird die Heilige Schrift mißverstanden, auch das Neue Testament, das auf der Hebräischen Bibel (AT) aufbaut – und dieses nicht verneint, sondern seine Verheißungen zur Vollendung führt.
Das Judentum ist eine ehrfurchtsgebietende Religion – es ist zugleich die Religion der Ehrfurcht vor dem Höchsten. Damit ist keine Ängstlichkeit vor Gott gemeint, sondern das dankbare und frohe Staunen über die Größe und Erhabenheit Gottes. Damit verbunden ist die Demut des Menschen. Demut kommt sprachlich von „Dienmut“, also „Mut zum Dienen“ – gefragt ist der Mut, dem Schöpfer zu dienen und ihm zu gehorchen.
Aus vertrauensvoller Liebe, aus dem Glaubensgehorsam heraus ergibt sich die so verstandene „Gottesfurcht“, die der Anfang der Weisheit ist, wie der Psalmist weiß (vgl. Ps. 111,10).
Daß diese Ehrfurcht beileibe keine steife oder kalte Angelegenheit ist, zeigt das AT an vielen Stellen, zB. dieser: „Die Sonne strahlt Wärme aus, schon wenn sie aufgeht – wie ehrfurchtsgebietend ist doch das Werk des HERRN“ (Sir 43,2).

Licht und Gerechtigkeit  –  HEILIG dem HERRN

Aus dieser Haltung heraus wurde auch der Gottesdienst Israels gestaltet. Der Hohepriester wurde mit feierlichen Gewändern, u.a. aus Gold und Purpur, bekleidet. Auf der Brust war sein Amtsschild angebracht  – es trug die Aufschrift „Licht und Gerechtigkeit„. Ebenso aufschlußreich ist die Inschrift auf der „Krone“ des Hohenpriesters: HEILIG dem HERRN. –  Diese drei Worte wurden auf das goldene Stirnblatt eingeprägt (vgl. Ex 28,30 und 28,36). cover
Das Christentum tut gut daran, sich verstärkt seiner alttestamentlichen Wurzeln zu besinnen.
Dazu empfiehlt sich auch die Lektüre des Klassikers von Leo Baeck „Das Wesen des Judentums“. Der bedeutende deutsch-jüdische Rabbiner legt in diesem Werk eine Gesamtschau des jüdischen Glaubens, Denkens und Fühlens vor. Wir haben hier bereits darüber berichtet, auch über Baecks positives Jesusbild: https://charismatismus.wordpress.com/2016/09/16/leo-baeck-europas-grosser-rabbiner-ueber-jesus-den-juedischen-bruder/

Viele seiner Aussagen über Eigenschaften Gottes oder die menschlich angemessene Haltung gegenüber dem Ewigen gelten für Juden und Christen gleichermaßen. Das zeigen auch die folgenden Aussagen des Autors über die göttliche Erhabenheit und die menschliche Ehrfurcht:

Religiöses Grunderlebnis: GOTT ist anders…

„Die prophetische Erkenntnis Gottes geht aus dem religiösen Grunderlebnis hervor, daß Gott anders ist als alles, anders als alle Welt und Natur, anders als alles Geschick und Verhängnis, anders als alles Geschaffene und Werdende, Irdische und Weltliche. ER ist von dem allen verschieden, über das alles erhaben – oder wie die Heilige Schrift es nennt: Er ist der Heilige.
Erst der Glaube an den einen Gott hat das Gefühle für das Erhabene, für das Hohe in seiner Einzigkeit, in seiner Reinheit, fast könnte man sagen: für das Hohe und Tiefe in seiner Einheit gewonnen. 100714052333-b1-

Alles Erhabene der Kunst hat seine Bedeutung darin, daß es Symbol und Gleichnis des Göttlichen sein will… Kein Wort, das den Ewigen nennen und vergleichen will, reicht an sein Wesen heran. Darum wird hier die Andacht schließlich zum Schweigen; die Tiefe des Stilleseins ist das Letzte und Stärkste, was den Menschen erfaßt, wenn das Unbegrenzte der Gottheit an sein Empfinden herantritt: „Sei stille vor IHM alle Welt.“
Das Gefühl, das den Menschen gegenüber dem erhabenen Gott erfaßt, ist die fromme Scheu der Ehrfurcht vor dem Ewigen. Ehrfurcht können wir nur vor dem empfinden, was höher ist als wir, aber doch uns verwandt oder verbunden.

Zur Ehrfurcht gesellt sich die Demut

Die Ehrfurcht vor Gott ist die eigentlichste Ehrfurcht. Gegenüber dem heiligen Gott, der uns erschaffen hat und vor dem das Größte auf Erden so klein ist wie alles Kleine, erfüllt uns die Demut. Erst wenn wir den erhabenen Gott als den gebietenden, gerechten, heiligen Herrn erleben, als den, der zum Menschen das DU SOLLST spricht, empfinden wir die Ehrfucht.

Es ist ein Adelszeichen der Seele, der Ehrfurcht fähig zu sein; das ist die vornehmste aller menschlichen Regungen; es ist die Empfindung des freien Menschen, der media-390606-2 - Kopieemporzuschauen vermag, der um die Größe des Sittlichen, um das Gebot der Freiheit und ihre Verantwortlichkeit weiß. Der knechtliche Sinn ist ehrfurchtslos…
Das Judentum ist eigentlich die Religion der Ehrfurcht; sie ist das religiöse Grundgefühl neben der Demut. Demut beinhaltetr das Bewußtsein der Abhängigkeit vom Schöpfer. Die Liebe zu Gott ist  e i n s  mit der Ehrfurcht vor ihm.

„Dem DU SOLLST ist die Bedeutung des Absoluten gegeben“

Wenn wir erleben, daß wir  G o t t  dienen, so empfinden wir die Ehrfurcht vor ihm. Wenn wir erleben, daß wir Gott  d i e n e n ,  dann empfinden wir die Liebe zu ihm; wir fühlen, daß wir uns mit Gott verbinden. Die Liebe zu Gott bleibt jedoch nie ein Empfinden allein; sie gehört zum sittlichen   H a n d e l n  des Menschen, sie umschließt eine klare   A u f g a b e  und ein bestimmtes Gebot: Es ist das DU SOLLST, das an sie ergeht….
Ehrfurcht und Liebe, Demut und Vertrauen: In dem Bewußtsein, Gottes Gebot zu vernehmen, tritt – wie bei der Demut – die Unendlichkeit in die Seele des Menschen ein… Das DU SOLLST ist ohne Ende, ewig wie der ewige Gott, aber es hat immer wieder einen Beginn in dem DU KANNST des Menschen…
Der Moral ist die Bedeutung des Absoluten gegeben: Wir sind zum Guten verpflichtet, „so wahr Gott lebt“. Der gebietende Gott spricht ein unbedingtes „Du sollst“ und „Du sollst nicht“; er gibt keine Ratschläge, sondern Gebote.“
Die Zitate aus dem Buch „Das Wesen des Judentums“ sind entnommen den Seiten 100, 108, 138 – 142
Erstveröffentlichung dieses Artikels vor über 22 Jahren in unserer KOMM-MIT-Jugendzeitschrift (Nr. 1 – 2/1994)
 

Kommentare

4 Antworten

  1. In dem Zusammenhang sollte man vielleicht bedenken, dass das Hebräische grammatisch kein „Sollen“ kennt, sondern nur ein „Tun werden“.
    Auch das ist aufschlussreich. Ein „Soll“ im Sinne eines Imperativs, der von einer Differenz zwischen dem Aufgeforderten und dem, wozu aufgefordert wird, ausgeht, die eine logisch „gleiche“ Alternative böte, kennt diese Sprache nicht im Sinne eines Konjunktivs. Wird kein grammatischer Imperativ benutzt, wird kein Soll deklariert, sondern das, was zu tun ist, als Tatsache, die nicht mehr zur Wahl steht, gemeint. Dies kann je anch Kontext auch eine negative tatsache aussprechen. In diesem Fall aber ist es eindeutig eine positive Tatsache:
    Es ist diese Gestalt:
    „Wenn du Gott TOTAL liebst und neben ihm keine anderen Götter hast, ihn, der dich aus Ägypten geführt hat, dann ehrst du deinen Vater und deine Mutter, heiligst den Schabbat, ermordest niemanden, brichst nicht die Ehe etc.“
    Man erfüllt kein „Soll“ aus einer Neutralität des Wollens heraus. Entweder liebt man Gott bewusst, und das ist immer unbedingt, oder man hasst ihn und wird zwangsläufig der Unsittlichkeit verfallen. Unsittlichkeit wäre in dieser jüdischen Perspektive auch dann gegeben, wenn man bewusst ohne Gottesfurcht gut sein wollte.
    Das christliche Missverständnis, man könne doch auch bewusst ohne Gott sittlich gut sein, ist jüdisch undenkbar.
    Allerdings geht das Judentum davon aus, dass einer, der vielleicht ungeschickt oder unbewusst nicht gottesfürchtig ist, dennoch das Gute wollen kann.
    In bewusster Abkehr von Gott aber eben nicht.
    In einem unbewussten Zustand kann man aber noch der Ansprache im „Schma Jisrael“ nicht mehr sein.
    Nur dem Goi, dem Heiden, kann man eine solche Unbewusstheit wohlwollend zusprechen.

    1. Guten Tag
      und vielen Dank für Ihre ergänzenden Hinweise, die natürlich aufschlußreich sind. Ich las vor langer Zeit etwas Ähnliches („Du wirst“ statt „Du sollst“), doch wußte ich nicht, ob es lediglich die persönliche Auslegung des Autors war. Nun betont gerade das Judentum die Willensfreiheit und den Gedanken, daß der Mensch zur Entscheidung aufgerufen ist. Wie es in Dtn heißt: „Den Himmel und die Erde rufe ich heute als Zeugen gegen euch an. Leben und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen.“ – Das ist Teil des Bundesgedankens Gottes und der Bundesverpflichtung Israel. Freilich geht dem Anspruch Gottes an den Menschen sein Zuspruch v o r a u s . Auch bei den Zehn Geboten ist dies erkennbar, wird aber im christlichen Kontext leider nicht immer beachtet. Der Dekalog beginnt nicht mit dem Ersten Gebot, sondern mit dem Hinweis: „Ich bin der HERR, Dein Gott, der Dich (aus der Knechtschaft in Ägypten) befreit hat.“
      Die Zusagen Gottes sind mit seinen „Ansagen“ verbunden, worüber der gute Teil des erwählten Volkes (die Gerechten des Alten Bundes) stets froh und dankbar war, ausdrücklich auch für die Gebote (nicht allein für wohlklingende Verheißungen). Deshalb gibt es keinen solch fröhlichen Tag in der Synagoge wie am Simchat Tora, dem Fest der Gesetzesfreude, wo getanzt und gehüpft wird vor Freude darüber, daß GOTT sein Volk mit seinen Weisungen, Geboten und Forderungen beschenkt (!) hat.
      Auch hier könnten Christen von Juden lernen, die göttlichen Gebote nicht als Zwangsjacke oder „notwendiges Übel“ oder bestenfalls als vernünftige Regeln anzusehen, sondern als Anlaß zur Freude und Dankbarkeit, weil Gott uns durch seine Gebote seinen heiligen Willen kundgetan hat, so daß der Mensch Klarheit besitzt und ihm der Weg zum Leben, auch zum ewigen, erleichtert wird.
      Freundlichen Gruß!
      Felizitas Küble

    2. Meine Bemühungen um das Hebräische liegen schon eine Weile zurück. Deshalb möge man mir kleinere Fehler nachsehen. Aber so viel ist sicher: Selbstverständlich gibt es im Hebräischen einen Imperativ. Zum Beispiel lautet die Aufforderung an einen Mann zu töten: „qtol“, „töte“ usw. Daß das Futur (im Hebräischen vom Imperfekt übernommen) und der Konjunktiv ähnliche oder sogar gleiche Formen hat, kennen wir auch von anderen Sprachen, so auch vom Lateinischen.

  2. Sehr passend charakterisiert ein alter Spruch die Bedeutung des AT und sein Verhältnis zum NT: Novum testamentum in vetere latet, vetus testamentum in novo patet – Das Neue Testament liegt verborgen im Alten vor, das Alte Testament wird offenbar im Neuen.

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