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Das Phänomen „Medjugorje“ und die Mariologie

Kurzstatement für die Buchvorstellung im Haus St. Ulrich, Augsburg, am 16.6.2011

Prof.  Dr.  Manfred Hauke

Zum Thema „Medjugorje“ ist der Beitrag der Mariologie unverzichtbar. Sie beschäftigt sich mit der Marienlehre in ihrem geschichtlichen Profil, in ihrer systematischen Ausprägung und ihrer Auswirkung für die Frömmigkeit. Innerhalb der gegenwärtigen Theologie sind die Abhandlungen zu den Marienerscheinungen vergleichsweise selten. Das hat verschiedene Gründe: dazu gehören rationalistische Vorurteile, die das Wirken Gottes in dieser Welt nicht ernst nehmen und darum alle übernatürlichen Offenbarungen von vornherein ablehnen; es gibt aber auch in vielen Fällen die objektive Schwierigkeit, menschliche Täuschung, dämonischen Einfluss und das Wirken Gottes voneinander zu unterscheiden. Auf der anderen Seite gibt es mitunter einen schwärmerischen Fanatismus, der nicht bereit ist, kritische Stimmen überhaupt wahrzunehmen. Da kann es passieren, dass die Einladung zum theologischen Nachdenken als „Sünde wider den Heiligen Geist“ und als „Gotteslästerung“ abgelehnt wird. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Marienerscheinungen ist ein schmaler Weg zwischen aufklärerischem Rationalismus und fanatischer Schwärmerei.

Eine erste Aufgabe der Mariologie ist die Sinnbestimmung der Marienerscheinungen. Echte Erscheinungen der Gottesmutter (wie etwa in Guadalupe, in Lourdes und Fatima) gehören zum Charisma der Prophetie. Nach Thomas von Aquin schenkt Gott die prophetischen Offenbarungen nach der apostolischen Zeit nicht dazu, eine neue Glaubenslehre zu verbreiten. Sie dienen vielmehr der Ausrichtung des menschlichen Handelns. Sie rufen uns zu Gebet und Umkehr. Sie helfen uns, die „Zeichen der Zeit“ zu erkennen. Wenn die Kirche eine Erscheinung als glaubwürdig anerkennt, meint dies keine Glaubenspflicht, sondern bescheinigt nur eine menschliche Glaubwürdigkeit. Wer die Bedeutung von Marienerscheinungen übertreibt, widerspricht der Mahnung Jesu: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“. Prophetische Offenbarungen sind nicht der Normalfall des christlichen Lebens, sondern eine Ausnahme.

Eine weitere Aufgabe der Mariologie ist die Diskussion der Kriterien für die Echtheit von Marienerscheinungen. Eine Erscheinung ist nur dann als übernatürlich zu bewerten, wenn natürliche Einflüsse oder das Einwirken des Teufels ausgeschlossen werden können. Für den Teufel ist es kein Problem, beispielsweise Statuen zum Weinen zu bringen, Ekstasen und Stigmata hervorzurufen, Fotoapparate zu manipulieren, in Zungen reden zu lassen und wunderbare Gerüche zu erzeugen. Ein klassisches Beispiel dafür ist die spanische Ordensfrau Magdalena vom Kreuz (eine Zeitgenossin des hl. Ignatius), die selbst die höchsten kirchlichen Würdenträger (bis hin zum Papst) über Jahrzehnte hinweg zum Narren gehalten hat. Ihre paranormalen Fähigkeiten schwanden dann mit dem Exorzismus.

Das entscheidende Kriterium für die Echtheit von Erscheinungen sind Wunder und Prophezeiungen. Das Wunder, für das die strengen Kriterien des Ärztebüros in Lourdes gelten sollten, muss eine eindeutige Verbindung mit der Erscheinung haben. Prophezeiungen müssen sich, um als übernatürlich zu gelten, auf zukünftige Ereignisse richten, die von der menschlichen Freiheit bzw. vom unverfügbaren Einwirken Gottes abhängen. Ein Beispiel dafür ist das Sonnenwunder vom 13. Oktober 1917 in Fatima, das einige Monate im voraus von der Gottesmutter angekündigt worden ist. Auf das in Medjugorje bereits vor 30 Jahren angekündigte „große Zeichen“ hingegen warten wir noch heute.

Für eine kritische Untersuchung sind zunächst einmal die Zeugnisse der Seher zu bedenken, ausgehend von den geschichtlichen Quellen. Für Medjugorje sind hier äußerst wichtig die Tonbänder, die von den Franziskanern während der ersten zehn Tage der sogenannten „Erscheinungen“ angefertigt wurden. Diese Quellentexte sind in Kanada publiziert worden (auf Englisch und Französisch). Von den Freunden Medjugorjes werden sie in aller Regel ignoriert. Bereits hier findet sich eine Reihe von Punkten, die zu kritischem Nachdenken einladen. Nach dem Tonbandprotokoll vom 30. Juni 1981 beispielsweise kündigen die Seher an, nach der Aussage der „Gospa“ sei in drei Tagen das Ende der Erscheinungen. Diese Aussage wird bestätigt von einer Sozialarbeiterin, die bezeugt, wie die Seher während der „Erscheinung“ selbst diese Information untereinander austauschten. Die „Erscheinungen“ gingen aber weiter.

Zu untersuchen sind auch die mit dem Phänomen verbundenen „Botschaften“. Wenn sich darin nur eine einzige Häresie findet oder Elemente, die den christlichen Glauben der Lächerlichkeit preisgeben, ist das gesamte Phänomen fragwürdig. Die beiden Bücher, die heute vorgestellt werden, gehen auf die „Botschaften“ ausführlicher ein. Den Autoren Rudo Franken, Mark Waterinckx und Donal Foley möchte ich aufrichtig danken für ihre gründliche Arbeit, die für die Mariologie höchst bedeutsam ist.

Das Hauptargument für die Verteidiger der Echtheit der „Marienerscheinungen“ in Medjugorje sind die guten Früchte, vor allem die zahlreichen Bekehrungen. Es gibt gute Früchte, denn wo aufrichtig gebetet und gebeichtet wird, kann die Gnade Gottes nicht fehlen. Allerdings gibt es auch giftige Früchte, die mit den angeblichen „Erscheinungen“ selbst verbunden sind. Dazu gehört etwa, unter Berufung auf wiederholte Aussagen der „Gospa“, die Verteidigung des Ungehorsams gegenüber dem rechtmäßigen Bischof, wenn es um die Versetzung von Priestern geht.

Wenn bei den angeblichen „Erscheinungen“ negative Elemente festzustellen sind, die eindeutig mit der „Erscheinung“ selbst verbunden sind (und nicht auf einen subjektiven Irrtum der Seher zurückgeführt werden können), dann stammt ein solches Phänomen nicht von Gott, sondern vom „Vater der Lüge“. Dann ist es nicht notwendig, jahrelang 40.000 „Erscheinungen“ in allen Einzelheiten zu studieren.

Aufgabe der Mariologie und der Spirituellen Theologie im allgemeinen ist es, vor Pseudo-Erscheinungen nachdrücklich zu warnen und auch eine eventuelle Entscheidung des Heiligen Stuhles geistig vorzubereiten. Wenn die Mariologie bei der Unterscheidung der Geister versagt, öffnet sie Tür und Tor für die bitteren Folgen der Enttäuschung, die mit „Erscheinungen“ verbunden sind, die nicht von Gott stammen. Die kritische Sondierung öffnet freilich auch die Augen für die wunderbaren Bekundungen der Gottesmutter in der Geschichte, die (wie beispielsweise in Lourdes) zu einer innigeren Beziehung zu Christus führt, zur Beichte und zum Allerheiligsten Sakrament der Eucharistie.

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