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Deutsch-russischer Bürgerrechtler Iwan Agrusow verstorben

Ein großer Idealist prägte das Wirken der IGFM über Jahrzehnte hinweg

Ein großer Kämpfer für die Menschenrechte und für die deutsch-russische Verständigung ist am 1.2.2012 im Alter von 87 Jahren in die Ewigkeit heimgekehrt: Iwan Agrusow, jahrzehntelanger Geschäftsführer der IGFM (Internationale Gesellschaft für Menschenrechte) in Frankfurt.
Bereits in den 70er Jahren lernte ich ihn als Schülerin persönlich kennen und schätzen, wenn ich mit Freunden  jährlich zur Hauptversammlung der IGFM von Oberschwaben nach Königstein fuhr. Durch den kath. Jugendverlag KOMM-MIT hatte ich bereits mit 14 Jahren viel Gutes über die IGFM erfahren und war von dieser großartigen Arbeit für die Menschenrechte in aller Welt überaus angetan.
Als ich dann 1979 zum KOMM-MIT-Verlag und Christoferuswerk nach Münster zog, sah ich erfreut, daß bereits eine sehr gute Zusammenarbeit mit der IGFM gepflegt wurde. In unserer KOMM-MIT-Zeitschrift veröffentlichten wir Artikel von Iwan Agrusow und berichteten häufig über IGFM-Aktionen.  Wir konnten viele junge Leser  für die IGFM begeistern und waren in den 8oer und 90er Jahren bei den IGFM-Jahresversammlungen in Königstein oder Frankfurt meist mit einem Infostand unseres Verlags vertreten.
Dabei erlebten wir auch immer wieder Angriffe und Störaktionen linksradikaler Gruppen gegen die IGFM  –  sowohl bei den Versammlungen wie auch auf Kirchentagen. Den Antifa-Randalierern war es ein Dorn im Auge, daß die IGFM sich nicht scheute, auch  über Menschenrechtsverletzungen in kommunistischen Ländern zu berichten.
Mit Iwan Agrusow waren wir auch nach seinem gesundheitsbedingten Ausscheiden als IGFM-Geschäftsführer im guten Kontakt.
Möge seine Seele von allen Mühen auf Erden nun ausruhen im Frieden Gottes!
Felizitas Küble, Leiterin des KOMM-MiT-Jugendverlags in Münster
 
Hier folgt nun der Nachruf der IGFM:
Iwan I. Agrusow wurde am 2. Oktober 1924 in Petschory, einer in Estland liegenden überwiegend von Russen bewohnten Grenzstadt, in einer bürgerlichen Familie geboren. Sein Vater war Metzger, seine Mutter Grundschullehrerin. Er hatte zwei Brüder Roman und Ilja. Aus einer gläubigen orthodoxen Familien stammend war er schon als Schüler kein Anhänger der Sowjets, die er eher als Zerstörer, denn als Erbauer wahrgenommen hatte.
Seine Jugend fiel dem Krieg zum Opfer. 1941 wurde er als erst 17jähriger Kriegsgefangener der Deutschen zwangsweise beim Umbau des breitspurigen sowjetischen Schienennetzes eingesetzt. Beim Rückzug der Deutschen wurde er als Zwangsarbeiter nach Bayern verschleppt, wo er in einem Zementwerk in der Nähe von Neumarkt Schwerstarbeit verrichten musste.
Nach Kriegsende befreiten ihn die Amerikaner, die ihn aber gegen seinen Willen in einer Nacht- und Nebelaktion zusammen mit einer Gruppe sowjetischer Soldaten nach Prag zu einem Stützpunkt der Sowjets – eine ehemalige Kaserne des Deutschen Reiches – verfrachteten. Ein sowjetischer Oberst erklärte an Ort und Stelle alle Zwangsarbeiter zu „Staatsfeinden“, die den GULag zu erwarten hätten; das wenige Eigentum, das sie hatten, wurde ihnen abgenommen; für eine demütigende Registrierung durch eine sowjetische Offizierin mussten sie sich nackt in Reih und Glied aufstellen, und schließlich wurde ihnen der Kopf glattrasiert.
Mit viel Glück gelang Agrusow die Flucht aus dem Lager. Er schlug sich zu Fuß nach Pilsen durch, wo sich ein erstes Flüchtlingslager der Vereinten Nationen befand. Dort freundete er sich mit einem ehemaligen jüdischen Gulag-Häftling an, der davon berichtete, dass sich eine Organisation in Israel für ihn eingesetzt, er dadurch Hafterleichterung erhalten hatte und ihm schließlich die Auswanderung nach Israel genehmigt worden sei. Agrusow, der in der Schule mehr schlecht als recht Deutsch gelernt hatte, entschied sich für ein Leben in Deutschland. Im Rahmen seines Flüchtlingsstatus erhielt er eine Kurzausbildung als Radio- und Fernsehtechniker.
Er schloss sich dem „Bund Russischer Solidaristen“ (NTS) an, einer Partei, die 1930 von jungen Exilrussen aus aller Welt gegründet, in der Sowjetunion demokratische Verhältnisse schaffen wollte. Im Dritten Reich stand der NTS in enger Verbindung zum deutschen militärischen Widerstand und wurde daher sowohl von den Nazis als auch von den Bolschewiken, später vom sowjetischen KGB-Geheimdienst, verfolgt. Hunderte der NTS-Mitglieder wurden erschossen oder überlebten die deutschen KZs und den sowjetischen Gulag nicht. Mit Beginn des Kalten Krieges erklärte die sowjetische Regierung alle, die Kontakt zu „abtrünnigen“ Sowjetbürgern hatten, zu Staatsfeinden. Agrusow ließ sich davon nicht beeindrucken und half weiter den nicht Deutsch sprechenden Russen, die sich aus Angst, im Gulag ermordet zu werden, entschlossen hatten, nicht in die Heimat zurückzukehren.
Als die Erste Hilfe für Sowjetflüchtlinge nicht mehr so dringlich war, trennte sich Agrusow vom NTS. Mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen ließ er sich in Frankfurt am Main nieder. Tief in der orthodoxen Kirche verwurzelt, engagierte er sich in der Russisch-Orthodoxen Kirche, der religiösen und geistigen Heimat vieler Sowjetexilierter und Flüchtlinge, wurde Mitglied des Kirchenvorstands.
Die Begegnung mit dem jüdischen Gulag-Häftling in Pilsen holte ihn wieder ein, und in ihm reifte der Gedanke, eine Organisation zu gründen, die sich für Menschenrechte einsetzen sollte. „Immer hatte ich gedacht, dass die besten Menschen die Juristen sein müssten, weil sie die Gesetze kennen. Und wenn diese verletzt werden, dann wissen sie das richtig zu formulieren, zu definieren. Aber es hatte sich als Trugschluss herausgestellt, dass sie sich die Juristen vorstellen könnten, für diese Rechte auf die Straße zu gehen, um sich dort für Menschenrechte einzusetzen, Politiker bei einer Rede durch gezielte Fragen zu stören, um eigene Vorstellungen durchzusetzen.“
Mit ein paar Freunden setze er sich am „Tag der Menschenrechte“ 1971 auf die Straße und demonstrierte für die Freiheit politischer Gefangener im sowjetischen Gulag. Diese spontane Aktion führte zur Gründung der Gesellschaft für Menschenrechte am 8. April 1972 in Frankfurt am Main.
Für Agrusow war Menschenrechtsarbeit immer ein Akt christlicher Nächstenliebe, eine Ehrensache, sich für die einzutreten, die sich nicht selbst helfen konnten. Er wurde beschimpft, diskriminiert, verleumdet und bespitzelt – die DDR-Staatssicherheit als langer Arm des KGB machte auch in Frankfurt davor nicht halt. Seine „Stasi-Akten“ umfassen Tausende von Seiten.
Nach zwei Schlaganfällen zog er sich 1995 aus dem aktiven Geschäft als IGFM-Geschäftsführer zurück, blieb aber Ratgeber ihres Vorstands bis zu seinem Tod. In der orthodoxen Kirche in Frankfurt gründete er einen Hilfsfonds für Tuberkulosekranke in Russland.
Fünfzig Jahre lang stand er auf der Feind-Liste des KGB, seit 1941 hatte er seine Eltern und Geschwister nicht mehr sehen dürfen. Lügen und gezielte Desinformation, er habe angeblich mit den Nazis kollaboriert und Juden ermordet, wurden vom KGB und dem DDR-Ministerium für Staatssicherheit verbreitet, bis er 1991 eine offizielle Einladung zum Besuch seiner Heimat erhielt, die er zusammen mit seiner Frau Franziska annahm. Eine späte Anerkennung für seinen richtigen Weg erhielt Agrusow im Dezember 1993, als er die russische Sektion der IGFM in der einstigen Höhle des Löwen – im Kreml – und wenige Tage später am „Tag der Menschenrechte“ in Kiew die ukrainische Sektion der IGFM im Parlamentsgebäude des ukrainischen Parlaments gründen konnte. 1982 wurden seine Verdienste für die Menschenrechte mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande im Römer in Frankfurt gewürdigt.
Tausende Mitglieder trauern weltweit in über 30 Sektionen und nationalen Gruppen der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte um Iwan I. Agrusow, dessen Leben ganz im Einsatz für die Menschenrechte stand.
Karl Hafen, Nachfolger von I.I. Agrusow im Amt des Geschäftsführenden Vorsitzenden:
„Iwan Iwanowitsch Agrusow war der Inbegriff von Mut und Demut, ein Vorbild für jeden Menschenrechtler. Ihm wurde im II. Weltkrieg seine Jugend gestohlen und während des Kalten Krieges viel Unrecht getan. Gott sei Dank hat er das nie zu nahe an sich herangelassen; er hatte Wichtigeres zu tun. Sein Leben stand ganz im Einsatz für die Menschenrechte. Für ihn ein Akt der christlichen Nächstenliebe, eine Ehrensache. So wird und muss es weitergehen: Eine Trauerpause hätte er nicht gewollt, es gibt Dringlicheres. Menschenrechtsverletzungen machen auch keine Pause.“

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