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Die jüdischen Wurzeln des Vaterunser-Gebets

Von Felizitas Küble

Der hl. Apostel Paulus warnte die ersten Christen schon vor zweitausend Jahren, daß sie sich nicht über ihre Glaubensverwandten, die Juden, erheben sollen. Immerhin, so schärfte der Völkerapostel der römischen Gemeinde ein, gelte hier das Prinzip: „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.“ (Röm 11,18)
Dieses Leitwort, daß nämlich das Christentum auf dem Bund beruht, den der ewige Gott mit seinem erwählten Volk geschlossen hat, ist in der Kirchengeschichte oft in Vergessenheit geraten oder gar mit Füßen getreten worden.

Dies soll jetzt aber nicht unser Thema sein; vielmehr geht es um den alttestamentlichen und jüdischen Inhalt des wichtigsten Gebetes der Christenheit: Das Vaterunser.
Es ist deshalb so bedeutsam, weil es von Christus selber stammt – und zudem eine Antwort auf die Apostelfrage „Wie sollen wir beten?“ darstellt.
Damit ist dann klar: SO sollen wir beten!

Geprägt vom Gebetsleben der Israeliten

Wenig überraschend, daß dieses bekannteste Gebet der Weltgeschichte ganz von der Gebetskultur der Israeliten geprägt ist. Immerhin war Jesus selber Jude, ebenso die Apostel und natürlich auch Maria, die Mutter Christi. Wie stark gerade ihr Beten von den Psalmen und Hymnen des Alten Testaments durchdrungen war, zeigt anschaulich ihr Lobgesang, das sog. Magnificat, das uns im Lukas-Evangelium überliefert wird.

Nun hören wir oft in Predigten und frommen Büchern, daß Jesus ein Jude „war“  – das ist aber ungenau formuliert, denn gerade nach christlichem Glauben ist ER dies nach wie vor, denn ER lebt im Himmel nicht als abstraktes Geistwesen, sondern durch seine Auferstehung auch mit einem verklärten Leib, ist also Mensch geblieben  – und hat nicht etwa sein Menschsein bei der Himmelfahrt „abgelegt“.

Daß viele der Predigten und Weisheitslehren Jesu von der Hebräischen Bibel geprägt sind, zeigt sich allein schon anhand der zahlreichen Zitate aus dem AT, die im NT aufgelistet sind  –  ganz zu schweigen von den unübersehbaren indirekten Hinweisen und Anklängen.
Zurück zum Vaterunser-Gebet, dem TOP-Renner unter allen Gebeten der Christenheit – auch im liturgischen Hochgebet der katholischen Kirche ist es stets vertreten, in der „alten“ ebenso wie in der „neuen“ Messe; außerdem ist es fester Bestandteil des Rosenkranzes und des Stundengebetes der Mönche.

Juden und Christen sprechen GOTT als ihren „Vater“ an

Manchmal hört man in christlichen Kreisen die Ansicht, es sei etwas spezifisch Christliches, Gott als „Vater“ anzureden. Dies trifft aber nicht zu. Als Jesus das Vaterunser-Gebet verkündete, befand er sich in bester jüdischer Tradition mit der Einleitung: „Vater unser…“
Es ist zwar wohl so, daß Juden den Schöpfergott sehr häufig als „Ewiger“, „Erhabener“ oder als „König der Welt“ bezeichnen, aber manchmal eben auch als „Vater“. Dies gilt sowohl für die einstigen Israeliten wie auch für die heutigen Juden. Im AT wird Gott zB. in Jer 31,9 als „Vater“ bezeichnet oder mit „Unser Vater“ angesprochen (Jes 63,16 und 64,7). Aber auch Gott spricht von Israel als seinem „Sohn“ (etwa in Ex 4,22 oder Hos 11,1.3).
Das höchste jüdische Fest ist zweifellos Jom Kippur, der sog. „Große Versöhnungstag“, eine Art Buß- und Bettag  – früher, als es den Tempel in Jerusalem noch gab, vertrat der Hohepriester, der das Allerheiligste betreten durfte, das israelitische Volk.

Bei diesem Fest, an dem strikt gefastet wird, geht es also um Sündenbekenntnis, Umkehr und Bitte um Sündenvergebung, aber auch um die Versöhnung mit dem Nächsten, daher wohl auch der Name „Versöhnungstag“.

BILD: Kruzifix in der St.-Bernhard-Kirche von Münster: der gekreuzigte Christus mit einem jüdischen Gebetsschal      

Eines der wichtigsten liturgischen Gebete an diesem Feiertag ist das Avinu Malkeinu  – auf deutsch: Unser Vater, unser König!
Darin heißt es gleich eingangs: „Unser Vater, unser König, wir haben gesündigt vor dir.“  – Dann wird Gottes Huld erbeten „um seines Namens willen“.  Am Schluß heißt es: „Unser Vater, unser König, aus Gnade erhöre uns, denn wir haben keine verdienstvollen Handlungen, erweise und Milde und Huld und hilf uns!“

Damit ist also der Beginn des VATER-unsers ebenso als jüdisch aufgezeigt wie jene Bitte um Vergebung und Erlösung („Vergib uns unsere Schuld….und erlöse uns von dem Bösen“).

Jüdisches Kaddisch-Gebet: „Geheiligt werde sein großer Name“

Erinnern wir uns aber auch an das bekannte jüdische Kaddisch-Gebet. Es wird oft als eine Art Totengebet angesehen, was nicht falsch, aber unzureichend ist, denn es wird zwar im Gedenken an Verstorbene gesprochen (gleichsam stellvertretend für diese), ist aber an sich ein allgemeines liturgisches Gemeindegebet in den Synagogen.

Das im Judentum grundlegende Kaddisch-Gebet beginnt mit den Worten:

„Erhoben und geheiligt werde sein großer Name auf der Welt, die nach seinem Willen von Ihm erschaffen wurde – sein Reich soll in eurem Leben in den eurigen Tagen und im Leben des ganzen Hauses Israel schnell und in nächster Zeit erstehen.Und wir sprechen: Amen!….“
Damit sind die ersten Bitten des Gebetes Jesu ebenfalls von ihrer jüdischen Grundlage her beleuchtet:
„Geheiligt werde dein Name  – dein  Reich komme –  dein Wille geschehe!“
Kardinal Walter Kasper hatte demnach ganz recht, als er am 11.3.2007 bei seiner Ansprache zur „Woche der Brüderlichkeit“ in München erklärte, dass das Vaterunser  „jüdischen Geist atmet“ und von einer „jüdischen, d.h. hebräisch-aramäischen Sprachgestalt“ geprägt sei.   – Zudem sagte er, daß Juden und Christen heilsgeschichtlich in einem „einzigartigen Verhältnis“ zueinander stehen, was „religionsgeschichtlich einmalig“ sei.
Bedenken wir zukünftig bei jedem Vaterunser-Gebet die jüdischen Wurzeln unseres christlichen Glaubens!

Felizitas Küble leitet den KOMM-MIT-Verlag und das Christoferuswerk in Münster, das dieses CHRISTLICHE FORUM betreibt

Kommentare

Eine Antwort

  1. Paulus warnte nicht nur den überheblichen Heidenchristen davor, dass Gott ihn wegen seiner Überheblichkeit gegenüber den Juden am Ende wieder verwerfen könnte, sondern er sprach im Zusammenhang mit dem jüdischen „Verstocktsein“ gegenüber dem Christus von einem Geheimnis, das beinhaltet, dass am Ende sich „ganz Israel“ bekehren würde. Israels Blindheit für Christus nennt er als Notwendigkeit, damit die Heiden überhaupt gerettet werden können. In seiner Argumentation heißt es, es seien Zweige aus dem edlen Stamm ausgebrochen worden, um die Heiden einzupfropfen.
    Die verblendeten Juden sind somit eine Art Stellvertretung. Sie nehmen zeitweise die Verblendung der Heiden an, um Platz zu machen für die Heiden. Man kann ahnen, dass sie insofern einen Anteil haben am Kreuzesopfer durch ein eigenes Geopfertsein, das sie einerseits (zumindest initial) selbst verschulden und andererseits bis zum Ende der Zeiten in ihren Nachkommen zu tragen haben.
    Das heißt: Die Heiden hatten nun 2000 Jahre lang „ihre Chance“.
    Am Ende aber werden all jene, die die Juden, die stellvertretend für sie „ausgebrochen“ wurden aus dem edlen Stamm (deshalb aber nicht aufhörten, von diesem edlen Stamm direkt abzustammen!), verachtet hatten, entlarvt als solche, die Christus in Wahrheit veachtet haben.
    Der für Christus blinde Jude repräsentiert bis ans Ende der Zeiten denjenigen, der unter dem Gesetz der Sünde steht. Könnten die Heiden nicht sehen, dass das Gesetz für sie gilt, könnten sie sich auch nicht zu Christus bekehren. Wäre die alte Gesetzesreligion mit dem Neuen Bund einfach verschwunden, hätten die Heiden keine Erkenntnis mehr über ihren Zustand erhalten können, der ihnen im Juden, der noch unter dem Gesetz steht, vor Augen gehalten wird.
    Frau Küble, Sie deuten es selbst an: ein großer Teil unserer Geschichte und Theologie beinhaltet aber Antijudaismus oder zumindest eine erschreckende Arroganz und Überheblichkeit gegen die Juden. Eine christliche Verblendung darüber, dass es ein Christsein auch hier und jetzt ohne das noch blinde Judentum nicht gibt, denn es ist doch noch Zeit der Saat, nicht der Ernte.
    Die Juden sind Unterpfand dafür, dass immer noch Heiden gerufen werden.
    Wenn Israel sich bekehren wird, ist die Gnaden-Zeit der Heiden beendet.
    Ich glaube inzwischen nicht mehr, dass Gott über alles hinwegsieht, weil wir „halt eine Kirche der Sünder sind“, wie viele zwar – drückten sie damit Demut aus – zu Recht, da sie es aber zur Selbstrechtfertigung vortragen, zu Unrecht sagen.
    Die sichtbare Kirche hat einen Fluch auf sich geladen, weil sie die Juden so behandelt und sich von den eigenen Wurzeln abgeschnitten hat. Alles, was Kirchenmänner den Juden angetan haben, trifft nun die Christen selbst.
    Und was mich am meisten erschüttert, wie man an Wolffsohn sieht: sie rechnen es uns nicht zu. Sie stehen mehr zu uns als wir selbst.
    Welch eine Blamage, aber auch: Welch eine heilsame Desillusionierung!
    Man kann den völlig entgleisten Papstwahn, den daran geknüpften wundersüchtig-kitschigen Marianismus, den daraus folgenden Integralismus UND den Progressismus und eben auch den Verlust der rechtgläubigen Gebete, die seit mindestens 100 Jahren gnadenlos durch neue, teils angeblich „offenbarte“, teils dreist frisch zusammengebastelte Fantasiegebete ersetzt werden, die die ganze neurotische Entwicklung in der katholischen Kirche offenbaren.
    Man liest heute stets: jeder könne seinen eigenen Rosenkranz erfinden.
    Und so erfindet jeder, was ihm passt.
    Im AT spricht Gott oft zu Israel: er verstopfe sich die Ohren vor dem Geplärr ihrer Scheingebete.
    Wir sollten wachsam sein: Ob Gott all die „Gebete“ annimmt, die „jeder selber erfunden“ hat?
    Was die Juden wissen, haben die Christen aus den Augen verloren: Gott ist heilig und kein Vater, wie man sie leider häufig beim Menschen kennt, oft rückgratlos, lieber abwesend und nicht selten sogar verantwortungslos. Nein: Alle wahre Vaterschaft auf Erden leitet sich von ihm ab, und sie bedeutet, dass Liebe Erbarmen und zugleich den Wunsch nach unbedingter Erhebung des Gefallenen bedeutet.
    Ist das Vaterunser, das tatsächlich ein jüdisches Gebet IST, nicht ein Soll bei Jesus?
    Ist nicht der erste Satz nach der Anrufung die Bestätigung der Heiligkeit Gottes seitens des Menschen?

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