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Die Wertschätzung des Kindes

Das Ja zum Kind entstammt der jüdisch-christlichen Religionskultur

In der teilweise unsachlich verlaufenen Mißbrauchs-Debatte, die mitunter wieder aufflammt, wird vielfach etwas Wesentliches übersehen: Daß es gerade die oft als „reaktionär“ und „engstirnig“ kritisierte katholische Sexualmoral ist, die den Kindesmißbrauch objektiv als „Todsünde“ verurteilt und damit den Täter aus der sakramentalen Gemeinschaft der Kirche ausschließt: er darf nicht zum „Tisch des Herrn“ gehen.

Die kath. Kirche hat das Verbrechen des Kindesmißbrauchs darüber hinaus von Anfang an als „in sich schlecht“, als „nie und unter keinen Umständen erlaubt“ bezeichnet und Kinderschändung als besonders verwerfliches Laster gebrandmarkt  –  durchaus im Unterschied etwa zur griechischen Antike mit ihrem weitverbreiteten Päderastentum, also der sog. „Knabenliebe“ (Männersex mit Jugendlichen).

Sowohl das Judentum wie das antike Christentum wandten sich entschieden gegen die Geringschätzung und  sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen, wie sie in der antiken Welt nicht selten war.

Auch das römische Heidentum zeigte sich vielfach alles andere als kinderfreundlich. Allein der römische „Hausvater“ entschied über Leben und Tod seiner Kinder. Seine Sklaven, sogar seine Frau und die gemeinsamen Kinder besaßen keinen eigenen Rechtsstatus, sondern waren gewissermaßen sein „Eigentum“.

Ein Baby erhielt durch seine Geburt (soweit es nicht schon vorher abgetrieben wurde) keineswegs automatisch einen Platz in der Familie. Allein der „pater familias“, das Oberhaupt der römischen Familie, hatte darüber zu befinden, ob das Neugeborene ein Mitglied der Familie werden darf oder nicht. Entschied sich der Hausvater gegen das Baby, gab es dazu drei Möglichkeiten: Tötung, Verkauf oder Aussetzung des Kindes  –  am häufigsten geschah die Aussetzung.

Schon die erste christliche Gemeindeordnung   –  die Didache bzw. Zwölfapostel-Lehre  –  wandte sich gegen Abtreibung und verurteilte ausdrücklich auch die damals weitverbreitete Tötung neugeborener Kinder. Damit protestierte diese Kirchenordnung aus dem Ende des 1. Jahrhunderts solch kinderfeindliche Praktiken.

Im 1. Jahrhundert gab es noch keinen Kanon (Sammlung verbindlicher Schriften) des Neuen Testaments. Doch die frühen Christen lasen in ihren Gottesdiensten das Alte Testament: Hier wehte ihnen, was die Wertschätzung des Kindes betrifft, ein ganz anderer Geist entgegen als der Ungeist des antiken Heidentums. In der Bibel Israels werden Kinder als eine „Gabe des Herrn“ gewürdigt und gewissermaßen als Geschenk des Himmels willkommen geheißen.

Auch Kinder, sogar Kleinkinder, können Gott loben und preisen. So wird dies in den Psalmen verkündet, etwa wenn es heißt: „Besungen wird Dein Glanz am Himmel aus dem Mund der Kinder und Säuglinge“ (Ps 8,3)  –  und zwei Verse weiter: „Was ist der Mensch, daß Du seiner gedenkst, das Kind des Menschen, daß Du Dich seiner annimmst?“

Beachten wir zudem Folgendes:

Das ganze „Wesen“ der Israeliten wies  –  zwar nicht immer, aber in den guten Phasen der Heilsgeschichte  –  positiv-kindliche Züge auf, ein vertrauensvolles, gehorsames „Aufschauen zum Himmel“. So antworteten die Hebräer auf die Offenbarung vom Sinai (Zehn Gebote, Bundesschluß Gottes) mit den Worten: „Alles, was der Herr gesprochen hat, das wollen wir tun und hören.“ (Ex 24,7)

Erstaunlich ist hier nicht allein die wache Bereitschaft zum Gehorsam, sondern die Tatsache, daß die Israeliten Gottes Worte „tun und hören wollen“: erst kommt das Handeln  –  noch vor dem Hören. Bei „vernunftorientierten, kritischen“ Erwachsenen ist die Reihenfolge umgekehrt: erst kommt das Hören, dann kommt (wenn überhaupt) das Handeln.

Doch die israelitische Haltung entspricht der Denkweise guter Kinder, die ihren Eltern vertrauen und deshalb durch ihr Handeln „fraglos“ gehorchen, ohne erst alles „erklärt“ zu bekommen, ohne vorher zahllose Fragen zu stellen, geschweige die Anordnungen der Eltern in Frage zu stellen.

Von der Wertschätzung zur Hochschätzung des Kindes

Die jüdische Wertschätzung des Kindes, die sich bereits positiv vom damaligen Heidentum abhebt, wurde durch Christus in geradezu „provokativer“ Weise gesteigert  –  provozierend bis auf den heutigen Tag für all jene, die sich in Hochmut und Selbstgefälligkeit verfangen.

Selbst die damaligen Jünger Jesu, die ihm und seinem Denken doch nahestanden, fühlten sich gewiß geschmeichelt, als ihnen der HERR ausgerechnet ein Kind, das er gerade von der Straße herbeiholte, als Vorbild präsentierte. So hatten sie sich das nicht vorgestellt, als sie kurz vorher darüber diskutierten, wer unter ihnen „der Größte im Himmelreich“ sein werde.

Auf diese allzu menschliche Geltungssucht reagierte Christus sehr handfest und anschaulich: nicht nur mit Worten, auch mit seinem Handeln, indem er ein Kind „herbeirief“(!), es „mitten unter sie stellte“ und erklärte:

„Wahrlich, ich sage euch, wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so könnt ihr nicht ins Himmelreich eingehen. Wer sich so kleinmacht wie dieses Kind, der ist der Größte im Himmelreich.“ (Mt.18,1 f.)

Das war eine klare Lektion in puncto Demut für die Jünger, die so sehr mit ihrer eigenen Ehre und künftigen Stellung beschäftigt waren und daher ständige Vergleiche mit ihren „Nebenmenschen“ anstellten, die sie natürlich übertreffen wollten. Ein kleines Kind jedoch schaut nicht auf andere „herab“, es schaut naturgemäß zu ihnen „hinauf“  –  und das nicht nur, weil es kleinwüchsig ist, sondern seiner Grundhaltung entsprechend.

Diesen Befund aus der biblischen Geisteswelt, nämlich die Wertschätzung, ja Hochschätzung des Kindes, wird FAZ-Autor Georg Paul Hefty vor Augen gehabt haben, als er sich im Vorjahr prinzipiell zur Mißbrauchsdebatte äußerte und dabei neue Akzente setzte. Er schrieb in der „Frankfurter Allgemeinen“ vom 6. April 2010 unter dem Titel „Auch die Kirche ist ein Opfer“ Folgendes hierzu:

„Der Missbrauch durch Pädophile, Päderasten, Pädosexuelle – oder wie die Umschreibungen lauten mögen – kennt nicht nur Menschen als Opfer. Auch die Institution katholische Kirche ist von den Tätern missbraucht worden. Schon in den Evangelien steht, dass die Kinder im Namen Jesu zu schützen sind; und von den Verführern heißt es, ihnen würde besser ein Mühlstein um den Hals gehängt. Darin unterscheidet sich die christliche Lehre von vermeintlich besonders freisinnigen Ideologien der Moderne.“

Hefty verdeutlicht zugleich, daß es gerade die christliche Sexualethik ist, die Übergriffe an Kindern verbietet:

„Die Sexualmoral ist eine der Säulen der christlich geprägten Gesellschafts-ordnung, und auch jene, die an dieser Strenge ansonsten Anstoß nehmen, wollen nun mit Recht die Kirchen an deren eigenen Maßstäben messen.“

Außerdem erkennt Hefty klarsichtig, daß die Kirche sich in einem Dilemma befindet zwischen notwendigen Härte in der Sache einerseits und Milde gegenüber einem reumütigen Sünder andererseits:

„Ausgerechnet eine Institution wie die Kirche kann jedoch wegen ihres verzeihenden Wesens zum Unterschlupf für Personen werden, die nach Gelegenheiten suchen, ihre sexuellen Neigungen an Kindern auszuleben…

Zudem ist die Kirche an das Gebot gebunden, dem „Bruder siebenmal am Tag zu verzeihen, wenn er schuldig wird und um Verzeihung bittet“  –  was freilich Strafauflagen nicht ausschließt. Der Staat verhält sich ebenso, wenn er Strafen zur Bewährung aussetzt  –  und es war der Gesetzgeber, der den Missbrauch zum Teil nur als Vergehen klassifizierte.“

Das Schlußwort des FAZ-Kommentars bringt die Gesamtlage treffend auf den Punkt:

„Es besteht also kein Grund, in erster Linie die katholische Kirche anzu-prangern. Wer selbst schon vor Jahren offensiv gegen den Missbrauch gekämpft und niemals Forderungen erhoben oder geduldet hat, den sexuellen Umgang mit immer jüngeren Menschen zu legalisieren, der werfe den ersten Stein. Wer hingegen etwas grundsätzlich verbessern will, der muss sich den moralischen Normen der Kirche wieder annähern.

Felizitas Küble, Leiterin des Christoferuswerks in Münster

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