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Echterdingen: Eindrucksvolle Ausstellung mit Werken von Gerhard Tagwerker

Von Stefan P. Teppert

Am 2. April 2022 hatte die Ackermann-Gemeinde auf Initiative von Dr. Rainer Bendel ins Stadtmuseum Echterdingen eingeladen, wo anlässlich des 90. Geburtstags des Künstlers Gerhard Tagwerker (siehe Foto oben) auf zwei Etagen eine Retrospektive seiner Werke zu sehen ist  – und dies noch bis zum 15. Mai.

Umgeben von Interessierten aus dem Sudetenland  – seiner Herkunft mütterlicherseits –  erzählte der Greis mit einer guten Portion jugendlicher Verve aus seinem langen und erfolgreichen Leben; anschließend gab er bei einem Rundgang eine Einführung in sein Schaffen und Denken. Die Gäste konnten Fragen stellen und eigene Erfahrungen beisteuern.

Gerhard Tagwerker wurde am 19. Februar 1932 in Klagenfurt geboren. Nach der Trennung der Eltern zog die Mutter mit ihrem zweijährigen Sohn zurück ins nordböhmische Erzgebirge. Wohlbehütet wuchs Gerhard im Beamtenhaushalt der Großeltern in Teplitz-Schönau auf. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen wurde er als österreichischer Staatsbürger zusammen mit der Mutter evakuiert, kam jedoch zurück und blieb bis Kriegsende. Dem kommunistischen tschechischen Exekutionskommando entkam er nur knapp. In einem Berg von Leichen hatten sie ihn ohnmächtig liegen gelassen.

Die große Not lehrte ihn das Beten

Die Erlebnisse der Rettung aus der Verfolgung, des Massensterbens und der zerstörten deutschen Städte prägen ihn tief und lehren den aus humanistischem Haus stammenden, aber bis dahin nicht gläubigen Jungen beten.

Bei Eisenach findet er eine erste Wohnung, macht das Notabitur, geht dann mit der Mutter und der Halbschwester in die amerikanische Zone nach Bamberg und lässt sich dort zum Bildhauer und Stukkateur ausbilden. Er kann im Dom, in fränkischen und württembergischen Wallfahrtskirchen und Schlössern als Restaurator arbeiten und legt die Meisterprüfung als Steinbildhauer ab.

Vom Jazzmusiker zum Bildhauer

Die Begegnung mit einem amerikanischen Offizier weckt in ihm die Liebe zum Jazz. In Würzburg studiert er Musik, lernt Posaune, Bass und Schlagzeug und ist sowohl in der Klassik als auch im Jazz zuhause. Zuerst verdient er in Oberschwaben seinen Lebensunterhalt als beliebter Tanzmusiker, später bei einem Stuttgarter Symphonieorchester, schließlich gründet er seine eigene Band „Starliners“.

Als Fachmann für Gotik ist er Anfang der 1950er Jahre beim Aufbau der Stiftskirche in Stuttgart, wo er seine Frau Katharina kennen lernt, mit der er seit 65 Jahren glücklich verheiratet ist und 1958 in Echterdingen ansässig wird. Sie und der Bildhauerei-Student Otto Herbert Hajek ermuntern ihn zum Kunststudium.

An der Freien Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart wird Tagwerker Schüler der Professoren Heim und Hoflehner. Sein Studium finanziert er durch Auftritte als Jazzmusiker, etwa im Südfunk-Mitternachtsprogramm.

BILD: Tagwerkers Denkmal zeigt Edith Stein, die katholische Märtyrerin jüdischer Herkunft, mit Kreuz und Menorah (siebenarmiger Leuchter)

Von 1963 an ist Tagwerker als freischaffender Künstler tätig. Seine Palette reicht von der Kunst am Bau über geometrische Objekte bis zu religiös inspirierten Arbeiten. Seine Werke sind in Kirchen und Schlössern, auf Friedhöfen, städtischen Plätzen und in Parks zu sehen.

Vor allem seine liturgischen Objekte bestimmen als dienende Kunst fortan sein Leben. Mit der Ausgestaltung von modernen Kirchen erwirbt er sich einen besonderen Ruf, entwirft Gesamtkonzepte von der plastischen und malerischen Wandgestaltung bis hin zu Einzelobjekten wie Altären, Ambonen, Tabernakeln, Taufsteinen, Kreuzen und Portalen. Daneben entstehen Großplastiken, Reliefs, Brunnen und Skulpturen.

So hat er weit über 100 Kirchen in Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hessen und Bayern ein „Innengesicht“ mit seiner modernen Handschrift verliehen. Als er 1977 für die Bundesgartenschau in Stuttgart arbeitet, fällt er Oberbürgermeister Manfred Rommel (CDU) auf, der ihn im gleichen Jahr zum verantwortlichen Grabstättengestalter beruft.

Seine beiden künstlerischen Begabungen verhelfen Tagwerker 1972 zu seiner nebenberuflichen Lehrtätigkeit am Eduard-Spranger-Gymnasium in Filderstadt, wo er 26 Jahre lang Kunst und Musik unterrichtet sowie eine Jazz-AG ins Leben ruft und leitet. Mit einigen seiner damaligen Schüler swingt er noch heute am Schlagzeug.

Der Papst würdigte sein Werk

Seit 1962 gab es zahlreiche Ausstellung mit Tagwerkers Opera im In- und Ausland. Am 19. November 1980 wurde sein Werk mit einer Audienz bei Papst Johannes Paul II. gewürdigt, der zum Abschluss eines Deutschlandbesuchs in der Münchner Residenz drei Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben einlud.

Die derzeitige Echterdinger Ausstellung zeigt große Reliefs, Vorarbeiten für bekannte Skulpturen wie die Madonna „Nikopoia“ für Ulm-Tannenplatz, die Ackermann-Gruppe für Stuttgart-Rot, das Bischof-Moser-Denkmal für das gleichnamige Haus in Stuttgart, das Relief „Christus trägt uns als sein Kreuz“ am Bischofshaus in Rottenburg oder das Edith-Stein-Denkmal für den Innenhof des Geistlichen Zentrums der Erzdiözese Freiburg in St. Peter.

Auch Porträtarbeiten und Kleinplastiken mit teils ironisch-sarkastischer Färbung sind in den Vitrinen zu bewundern.

Im ersten Stock des Museums sind neben Fotos zu Auftragsarbeiten im öffentlichen Raum freie künstlerische Arbeiten aus Holz, Metall und Keramik in unterschiedlicher, teils abstrakter Formensprache zu sehen, etwa pflanzliche Objekte nach vegetativen Vorbildern, wobei auch Tagwerkers kritische Sicht zur Entwicklung des computergesteuerten Menschen und zur Ausbeutung der Natur deutlich wird.

Prof. Dr. Rainer Bendel (siehe Foto) bedankte sich zuletzt für die Gastfreundschaft des offenen Hauses, für die beeindruckenden Werke und die gelungene Führung, die den Betrachter und Zuhörer in die Zeit- und Kunstgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts hineingeführt hat.

Fotos: Stefan P. Teppert

 

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