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Hirntod-Debatte: Eindrücke von einer Veranstaltung des Ethikrats

Von Barbara Koch-Mäckler

Am Abend des 21. März 2012 füllte sich ein großer Saal in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften mit einigen hundert Zuhörern für die Veranstaltung des Deutschen Ethikrats zum Thema „Hirntod und Organentnahme. Gibt es neue Erkenntnisse zum Ende des menschlichen Lebens?“
Es mußte ein weiterer Raum für das Publikum geöffnet werden, obwohl schon Tage vorher auf der Webseite des Deutschen Ethikrats zu lesen war, dass die Anmeldeliste für die Veranstaltung wegen Überfüllung vorzeitig geschlossen werden mußte.
Als Gegnerin des Hirntod-Konzepts hatte ich meine Hoffnungen an diesem Abend auf Professor Alan Shewmon gesetzt, aber auch auf Professor Ralf Stoecker von der Universität Potsdam, von dem ich den Aufsatz aus dem Jahr 2009 „Ein Plädoyer für die Reanimation der Hirntoddebatte in Deutschland“ kannte, in dem die klare Aussage zu finden ist:
„Für aussichtslos halte ich alle Versuche, doch noch irgendwie festzustellen, dass die hirntoten Spender und die Spender mit Herzstillstand in Wirklichkeit tot sind“ (S. 56).
Wenn nun Stoecker in seinem Vortrag auch die Hirntod-Konzeption „fadenscheinig“ nannte, so wollte er sich deswegen doch nicht gegen die Möglichkeit der Organentnahme von „Hirntoten“ aussprechen. Er sprach von den „unklaren Rändern“ die unsere Sprache beim Reden über Leben und Tod hat. Er zählte die Hirntoten „in personaler Hinsicht“ (also mit einem „Innenleben“) zu den Toten, in biologischer Hinsicht zu den Lebenden. Sie befänden sich in einem Zwischenstadium zwischen Leben und Tod, wobei er allerdings den Ausdruck „Sterbende“ ablehnte. Die Diskussion über diesen Ausdruck nannte er überholt.
Die entscheidende Wendung  –  oder Windung  –  in Stoeckers Argumentation war folgende: „… weil man ihnen kein Leid mehr antun, sie keiner Zukunft mehr berauben kann und weil auf der anderen Seite die Organempfänger erheblich von der Transplantation profitieren, darf man ihnen Organe entnehmen, und das, obwohl es dazu führt, dass sie ihren Zustand zwischen Leben und Tod beenden und aus den hintoten tote Menschen werden“.
Ich war schockiert, dass – wenn man von der „Einbettung“ absieht – Stoecker bei der rein pragmatischen Begründung dafür endete, dass man Menschen, die nach einem für ihn „fadenscheinigen“ Konzept für tot erkärt wurden, endgültig um eines anderen Menschen willen töten dürfe. Denn die „Hirntoten“ „werden“ ja nicht zu Toten, wie er es formulierte, sondern sie werden von jemandem dazu gemacht.
Viel weniger überraschend waren für mich die Ausführungen von Frau Dr. Förderreuther von der Maximilians-Universität München. Sie vertrat beschwörend die Hirntod-Diagnostik und damit aus ihrer Sicht auch gleichzeitig die Hirntod-Konzeption. Da zwei Ärzte unabhängig voneinander den Hirntod diagnostizieren müßten, da es dabei ein streng festgelegtes Protokoll gäbe, gäbe es bei korrekter Durchführung keine Fehldiagnosen. Dramatisierend nannte sie den Hirntod eine „innere Enthauptung“ und das Fazit ihres Vortrags war, dass der hirntote Mensch als körperlich-geistige Einheit nicht mehr existiere und daher tot wäre.
Professor Alan Shewmon hielt einen anspruchsvollen wissenschaftlichen Vortrag. Mir vermittelte er den Eindruck eines Gelehrten, der hohe Ansprüche an die Überzeugungskraft und Belastbarkeit seiner Argumente stellte. Da aber außer mir wahrscheinlich auch ein großer Teil des Publikums medizinische Laien waren, hatten wir mit dem Verständnis des in englischer Sprache gehaltenen und simultan übersetzten Vortrags unsere Probleme.
Prof. Shewmon sprach leise und schnell, da war wenig, was sozusagen von der Präsentation her mitreissen konnte. Prof. Shewmon hat die Berichte über mehr als 170 Menschen, die als hirntot diagnostiziert waren und dann noch eine Woche bis zu 14 Jahren gelebt haben, in seine Studie einbzogen.
Zwei Argumentationsstränge seines Vortrags waren für mich wichtig. Einerseits führte er an, wie viele Zeichen von Leben noch in einem als hirntot erklärten Organismus vorhanden sind, und nannte unter anderem die physiologische und chemische Homöostase, die Aufrechterhaltung des Flüssigkeits- und Elektrolyt-Haushalts, das Aufrechterhalten der Temperatur, die Verdauung von Nahrung, die Heilung von Wunden und die Bekämpfung von Infektionen, das Wachstum von hirntoten Kindern, die Entwicklung von Föten in hirntoten Schwangeren.
Zum anderen wies Prof. Shewmon die von Hirntod-Befürwortern als überragend dargestellte Bedeutung des Gehirns für das Leben zurück. Er belegte, dass das Gehirn zuständig ist für „lebenserhaltende“ Vorgänge im Körper, während die „lebenskonstituierenden“ Vorgänge nicht vom Gehirn vermittelt werden, sondern von der Zusammenarbeit aller Organe des menschlichen Körpers, wobei er besonders auf das Rückenmark, das kardiovasculäre Nervensystem und das Nervensystem der Eingeweide hinwies. Seine zusammenfassenden Schlußfolgerungen lauteten: „Das Gehirn ist nicht das ausschlaggebende … Organ des Körpers. Der Körper hat keine solches ausschlaggebendes Organ.“ – Und: „Die lebenskonstituierende Integration des Körpers ist die … Zusammenarbeit zwischen allen seinen Teilen, vermittelt durch den Kreislauf“.
Der Theologe Professor Schockenhoff, ebenfalls Mitglied des Ethikrats, befürwortete ebenso wie Prof. Nagel das Hirntod-Konzept. Auch bei ihm deutete sich die Unterscheidung zwischen „Organismus“oder künstlich aufrecht erhaltenem „Leben“ und „Person“ an. Der Hirntod betrifft nach dieser Ansicht den Menschen als Person. Auch wenn da biologisch noch Leben wäre, existiert der Mensch als Person in diesem Zustand nicht mehr, die Belange des Hirntoten werden dem „großen medizinischen Nutzen, den wir für andere erzielen können“ gegenübergestellt und es wird für die Organentnahme plädiert.
Ich war von der Veranstaltung enttäuscht. Mir schien, bis auf Professor Shewmon waren die Hirntod- und Explantations-Befürworter unter sich. Als ich mich nach dem Ende der Veranstaltung bei Professor Shewmon für seinen Vortrag bedankte, sagte er enttäuscht: „Die anderen sind auf meine Argumente überhaupt nicht eingegangen“, womit er recht hatte.

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