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Von Prof. Dr. Hubert Gindert

Josef Schuster ist der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland. In einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen Zeitung (AZ) vom 30.11.2024 drückt er deutlich aus, dass sich die Juden in Deutschland nicht mehr beheimatet fühlen: „Diese Entwicklung hätte ich mir im Albtraum nicht vorstellen können“. Er klagt dafür „allen voran die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender“ an. 

Auch andere Deutsche sehen sich in ihrem eigenen Land teilweise nicht mehr beheimatet.

Die Präambeln der Verfassungen von Bundesländern und des Grundgesetzes geben Aufschluss, was den Verfassungsgebern wichtig war. So beginnt die Verfassung des Freistaates Bayern vom 2. Dezember 1946: „Angesichts des Trümmerfeldes, zu dem eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen … geführt hat  …“.

Beide Präambeln betonen die Bedeutung des Gottesbezugs, weil die vorausgehende Naziherrschaft ohne ihn ein „Trümmerfeld“ hinterlassen hat. Die große Mehrheit der Deutschen, ob gläubig oder nicht, konnte sich damals mit dieser Verfassung identifizieren.

Das Jahr 1948 brachte die Einführung einer stabilen Währung und den wirtschaftlichen Aufschwung.

Als Giuseppe Roncalli Papst Johannes XXIII. geworden war, spürte er mit dem einfühlsamen Sinn des ehemaligen Pfarrers, dass die Sprache der Kirche nicht mehr von den Leuten verstanden wurde.

Johannes XXIII. berief ein Konzil ein. Er meinte, dass er damit den Kontakt und das Verständnis der Menschen mit der Kirche wieder herstellen könne. Das Konzil war mit seinem Tod noch nicht abgeschlossen. Sein Nachfolger Paul VI. setzte es fort und beendete es 1965.

Das 2. Vatikanum wurde von den Kommentatoren euphorisch begleitet. Es war von den vorhandenen Erwartungen erfüllt. Die Folge war jener Unterschied, den auch Joseph Ratzinger als Differenz zwischen den Konzilsbeschlüssen in der Synodenaula und den Kommentaren empfand.

Als die Erwartungen an das Konzil ausblieben, wurden die Konzilsbeschlüsse nicht umgesetzt.

Drei Jahre nach dem Konzil brach die weltweite Kulturrevolution von 1968 aus. Sie zielte besonders auf die Befreiung der Frauen von Küche, Kinder und Kirche. Die Geburtenrate ging seitdem zurück.

Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht, Paul Kirchhof, erkannte darin in einem Interview (Konradsblatt 24/2024) die Bedeutung für die Zukunftsfrage jeder Gesellschaft. Die Verbreitung der Anti-Baby-Pille war Voraussetzung für diese Negativ-Entwicklung.

Es bleibt ein Ruhmesblatt für Papst Paul VI., dass er dem Drängen, auch vom Innern der Kirche, standgehalten hat und die Pille nicht als Möglichkeit der Familienplanung ansah.

Die enttäuschten Erwartungen der Gläubigen schlugen sich im Kirchenbesuch nieder: Er lag 1970 bei 37,4%. Das war ein Rückgang verglichen mit 1950 um 13%.

In der Gesellschaft bestimmten Katholiken, was von der Lehre Jesu und der Kirche zunehmend für sie galt: Das Zusammenleben ohne Trauschein, Ehescheidung und die autonome Freizeitgestaltung nahmen zu.

Das Auseinanderklaffen der Realität und der katholischen Lehre führte zu immer weniger Beheimatung in der Kirche. Die Teilnahme an der sonntäglichen Eucharistiefeier und am Gemeindeleben ging ständig zurück: 1980 auf 29,1%, 1990 auf 21,9%, 2000 auf 16,5%.

Auf die geringer werdende Beheimatung in der Kirche hat der Philosoph Josef Pieper in seinen Klärungsversuchen hingewiesen. Pieper belegt die Entwicklung in der katholischen Kirche in Deutschland als Folge des Konzils.

Monika Born hat das „Gift der Entwicklung“ und den „tiefsten Grund“, den Pieper dargelegt hat, aufgezeigt. Es sind dies vor allem

–   Willkür in der Liturgie

–   Unverständnis gegenüber dem Weihepriestertum

–   Verlust des Glaubens an die Realpräsenz Christi in der Eucharistie

–   Verfremdung des Sakralcharakters von Kirchenbauten.

BILD: eine Frau im Minirock als Kommunionhelferin

„Pieper stellt“ –  laut Monika Born –  „nicht die Konzilsdekrete und die von Papst Paul VI. approbierte Liturgiereform in Frage“. Aber er erkennt, dass es „eine Grenze gibt“ und „dass Ehrfurcht nicht mehr [in heiligen Dingen] eingehalten wird“ … Heiliges wird nicht mehr als „sakral, heilig oder geweiht angesehen und aus dem alltäglichen herausgehalten“ (z.B. profane Konzerte in Kirchen).

Weil sich Gläubige bei diesen Fehlentwicklungen in der Kirche nicht mehr beheimatet fühlen, nehmen sie oft weite Wege auf sich, um guten Gottesdiensten beiwohnen zu können. 

Hinzu kommt, dass sich bei Fehlentwicklungen immer weniger Bischöfe finden, die ihre Stimmen dagegen erheben. Warum ist das so? Bischöfe legen bei ihrer Bischofsweihe neun Versprechen ab. An drei von ihnen soll hier erinnert werden:

„Bist du bereit, das Evangelium Christi treu und unermüdlich zu verkünden?

Bist du bereit, das von den Aposteln überlieferte Glaubensgut, das immer und überall in der Kirche bewahrt wurde, rein und unverkürzt weiterzugeben?

Bist du bereit, am Aufbau der Kirche, des Leibes Christi, mitzuwirken und zusammen mit dem Bischofskollegium unter dem Nachfolger des Hl. Petrus stets ihre Einheit zu wahren?“

Was hindert die Bischöfe, sich an ihre Zusagen zu erinnern und der Feigheit aus dem Weg zu gehen?

Es sind auch die vielen Organisationen, für die sie mitverantwortlich sind und die sie an die Welt binden. Papst Benedikt XVI. hat ihnen in seiner Rede am 25. September 2011 in Freiburg den Rettungsring zugeworfen. Dabei hat er ihnen gesagt:

„Um ihrem eigentlichen Auftrag zu genügen, muss die Kirche immer wieder die Anstrengung unternehmen, sich von dieser ihrer Verweltlichung zu lösen und wieder offen auf Gott hin zu werden … Die geschichtlichen Beispiele zeigen: Das missionarische Zeugnis der entweltlichten Kirche tritt klarer zutage.
Die von materiellen und politischen Lasten und Privilegien befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein.“

Die Bischöfe haben diesen Rettungsring nicht aufgegriffen. Sie haben vielmehr mit dem „Synodalen Weg“ eine Richtung eingeschlagen, die sie noch enger an die Trends dieser Welt bindet.

Die Christen, die an der Lehre Jesu und der Kirche festhalten wollen, fühlen sich immer weniger in einer solchen Kirche beheimatet. Die Zahl der Katholiken, die noch am pfarrlichen Leben teilnehmen, ist inzwischen auf etwa 6% gesunken.

Nun kommen auf Christen wegen der Woke-Ideologie neue Gefahren hinzu. Das bringt Folgen für die Meinungsfreiheit, denen sie sich ungeschützt ausgesetzt sehen.

Ein Beispiel mag das verdeutlichen: Der französische Privatsender CNEWS ist zu einer Strafe von 100.000 Euro verurteilt worden, weil er in einer Sendung am 25. Februar 2024 Abtreibung in einer Diskussionsrunde als „häufigste Todesursache weltweit“ beschrieben hat. Die Behörde „Arcom“ ging in ihrer Argumentation davon aus, dass „Abtreibung nicht als Todesursache dargestellt werden kann“.

Grundrechte, die in den Eingangs zitierten Verfassungen als unverrückbar galten, gelten nicht mehr. Das ist der eigentliche Grund, dass sich Menschen, ob gläubig oder nicht, in Woke-Gesellschaften nicht mehr beheimatet fühlen.

Der eigentliche Grund dafür ist, dass sich der Mensch an die Stelle Gottes gesetzt hat.

Fotos: Anton Leuter, Dr. Edith Breburda, Prior Michael Gebhart

 

Kommentare

7 Antworten

  1. Was ich, unter anderem, bei solchen Beiträgen nicht verstehe ist, dass man sich, um auf Kernwerte des Christentums aufmerksam zu machen, immer auf Joseph Ratzinger bzw. Papst Benedikt XVI. beruft. In dessen schwammige Aussagen lässt sich alles hineinlesen was man will, und auch die „Progressiven“ können sich auf ihn berufen. Mit seinen nach allen Seiten offenen Doppeldeutigkeiten hat er, wie es scheint, schon die Konzilstheologen begeistert. Die Jugendliche (Frech-?) Kühnheit hat allseits Bewunderung hervorgerufen. Ich bin mir noch nicht sicher in welchem Maß er sich dessen bewusst war, was er tat

  2. https://www.thecathwalk.de/2021/09/30/rezension-die-schrift-allein-21-gruende-gegen-das-protestantische-bibelverstaendnis/
    —————————————————
    Zurück zur Frage sola scriptura. Hier sei auf Grund 3 und 4 Bezug genommen. Grund 3 sagt: „Die Bibel bezeichnet die Kirche – und nicht die Bibel – als ‚Säule und Grundfeste der Wahrheit’“. Peters zeigt, dass die Kirche in 1. Tim 3,15 als „Säule und Grundfeste der Wahrheit“ beschrieben wird. In der Einheitsübersetzung heißt es: „Falls ich aber länger ausbleibe, sollst du wissen, wie man sich im Hauswesen Gottes verhalten muss, das heißt in der Kirche des lebendigen Gottes, die die Säule und das Fundament der Wahrheit ist.“ Hier spricht die Vulgata von „ecclesia Dei vivi“ und die Septuaginta von „ἐκκλησία θεοῦ ζῶντος“ – Kirche des lebenden Gottes. Klar bringt Peters dann auch den Klassiker Mt. 16, 18: „Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.“

    Weiteres macht Peters in Grund 4 deutlich: „Christus befiehlt, dass wir uns der Autorität der Kirche unterwerfen“. Als Schriftbeweis nennt Peters Mt. 18,17: Wenn ein Gläubiger „auf die Kirche nicht hört“ … sei er „wie der Heide oder der Zöllner“ anzusehen. Anzumerken ist hier, dass die Vulgata „Kirche“ als „Ecclesiæ“ wiedergibt, die Einheitsübersetzung spricht von „Gemeinde“. Im gríechischen Text heißt es ebenfalls wie in der Vulgata ἐκκλησίᾳ. Die Einheitsübersetzung hat hier vielleicht aus ökumenischer „Rücksichtnahme“ nur mit „Gemeinde“ übersetzt und damit bereits den Gedanken einer Lehrautorität der Kirche untergraben. Falls es sich hier aber nur um eine Teilkirche handeln sollte, wäre dennoch die Autorität der richtigen Deutung bei den Amtsträgern und damit letztlich beim Lehramt. Peters führt hier noch weitere Argumente an, die ebenfalls überzeugen.
    ——————————————-

  3. Ich schätze manches an dem Beitrag. Mein Verständnisproblem ist wohl durch mich verursacht: Wen meint der Herr Prof. immer so genau, wenn er – nur beispielsweise- etwa von „Wir“ spricht; Katholiken, gläubige Katholiken, konservativ gläubige Katholiken, aktive Katholiken, die gesamte Gesellschaft? Gibt es Zahlen für die verschiedenen Gruppen von Katholiken?
    Einen schwachen Trost habe ich: Im Protestantismus insgesamt ist die Gottesdienstbeteiligung auch schwach. Einen statistischen Hinweis noch: Prozentuale Beteiligung bezieht sich auf die jeweilige Mitgliederzahl: Man muß daher nicht nur Prozentzahlen im Kopf haben, sondern auch den Rückgang des Anteils von Kirchenangehörigen an der Gesamtbevölkerung (wobei allerdings dieser Rückgang auch durch Zuwanderung bedingt ist). Das Bistum Goerlitz, wo vergleichsweise kaum jemand katholisch ist, hat prozentual mehr Kirchgänger unter Katholiken denn Passau und Regensburg, wo aber ein überragend hoher Anteil der Katholiken ander Bevölkerung besteht…

  4. EINES muß auch ganz besonders den vermeintlichen Bischöfen noch in ihr Stammbuch geschrieben werden, nämlich die Frage, ob sie wissen, was M I E T – L I N G E sind !!!

  5. Nach schier endlosen Gesprächsversuchen, die schlichtweg gescheitert sind, habe ich solche Versuche endgültig aufgegeben.
    Der großartige Herr Pfr. Dr. Friedrich Oberkofler https://www.erzbistum-muenchen.de/pfarrei/pv-aying-helfendorf/pfarrverbandsteam/pfarrerfriedrichoberkofler hat mir vor einigen Jahren in einem mehr als zweistündigen Telefonat gesagt, dass Re-Evangelisierung nicht gewünscht ist.
    Es geht sinngemäß nur noch um gottlose, linke Politik; sonst nichts. https://de.catholicnewsagency.com/article/1945/die-synodale-abwendung-vom-zweiten-vatikanischen-konzil

    Man darf wirklich die Frage stellen, die wievielte Posaune gemäß der Offenbarung des Johannes mittlerweile erschallt ist, aber wen von den gottlosen Theologisierern interessiert das in ihrem WAHN: https://www.katholisch.de/artikel/40436-dogmatikerin-knop-synodaler-weg-ist-vordenker-fuer-weltkirche schon !!!

    Ein gewisser Hans Küng hat vor langer Zeit behauptet: „Der Religionsunterricht ist das wertvollste, was wir überhaupt haben.“
    Wenn diese un-reflektierte Aussage stimmen würde, dann wäre die aktuelle Situation eine andere !!!

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