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„Evangelische Geschwisterschaft“ hat Missbrauchstaten des Gründers aufgearbeitet

Von Felizitas Küble

Die „Evangelische Geschwisterschaft e.V.“ ist eine 1977 gegründete Kommunität von Männern, Frauen und Familien, die der missionarisch aktive Klaus Vollmer ursprünglich unter dem Namen „Kleine Brüder vom Kreuz“ in der Lüneburger Heide ins Leben gerufen hatte.

In vielen geistlichen Gemeinschaften – auch im katholischen Milieu  –  haben die Gründer, die meist bis zuletzt auch als Leiter fungieren, neben ihrer charismatischen Ausstrahlung, guten Werken und faszinierenden Talenten auch ihre Schattenseiten. Nicht selten wird dies aber erst nach dem Tod der „Lichtfigur“ erkennbar, denn während seines Lebens stand er noch im Mittelpunkt allseitiger Verehrung seiner Gruppe.

Nun traf es die „Evangelische Geschwisterschaft“ ebenfalls hammerhart, denn ihr im Jahre 2011 verstorbener Gründer Klaus Vollmer erwies sich in geistlicher und sexueller Hinsicht über Jahrzehnte hinweg als übergriffig.

Der Verheiratete betrieb dauerhaften Ehebruch  – und zwar mit Männern: er pflegte etliche homosexuelle Beziehungen, wenngleich mit Personen über 18 Jahren, aber aus seiner eigenen Bruderschaft.  Zudem wird ihm geistlicher Missbrauch vorgeworfen.

BILD: Informatives Buch über geistlichen Missbrauch: „Zerbrochene Flügel“

Tatsächlich gehen beide Missbrauchsformen recht häufig ineinander über, weil die Abhängigkeitsverhältnisse in stark auf den Leiter fixierten Gemeinschaften ein solches Verhalten ermöglichen oder sogar begünstigen. Es fehlt in diesen Strukturen meist eine wirksame Kontrollinstanz, zumal der Gründer gleichsam der Ast ist, auf dem die Gruppe sitzt.

Am 18. Februar 2022 wurde auf der Webseite der „Evangelischen Geschwisterschaft“ ein weit über 100 Seiten starker Bericht veröffentlicht, der Vollmers Leben nach allen Regeln der (Gutacher-)Kunst beleuchtet, wobei die Sprache wohltuend sachlich bleibt.

Es würde unseren Rahmen sprengen, hier Details aus diesem Report der Aufarbeitungskomission zu schildern – jeder Interessierte kann ihn  selber nachlesen: HIER 

Unser dem Stichwort „Unsere Geschichte“ schrieb die erwähnte Initiative bereits im Herbst 2021 einiges in Kurzform zur Causa Vollmer. 

„Das besondere Charisma Klaus Vollmers sowie verbindliche und durchaus elitäre Strukturen verliehen der Bruderschaft in den Anfangsjahren für viele eine große Dynamik und Anziehungskraft. Viele richteten ihre Berufs- und Lebenspläne danach aus, der Idee einer engen Glaubens- und Lebensgemeinschaft folgend.

Heute werfen wir auf diese Zeit auch einen kritischen Blick: Es kam in diesen Jahren zu einem übersteigerten Verständnis von Berufung, von Verpflichtung und von persönlicher Bindung zum Leiter. Unzulässige Übergriffe in einzelne Biographien, unzureichender Abstand zwischen Seelsorge und Beeinflussung sowie die Abwertung von Frauen in Rede und Umgang sind zu beklagen.“

Genau diese „Karriere“ ist typisch für das Gründercharisma in spirituellen Gemeinschaften, die sich auf ihre Leitfigur fixieren, weil es sich um eine starke Persönlichkeit mit viel Schwung und neuen Ideen handelt. Dabei werden vor lauter Begeisterung und der Annahme, er sei besonders von Gott geführt, die ungünstigen Seiten der umschwärmten Person ausgeblendet.

Weiter heißt es auf der erwähnten Homepage:

„Im Frühjahr 2017 erfuhren alle Geschwister, dass es in früheren engen Vertrauensverhältnissen mit Meister-Jünger-Charakter neben Abhängigkeiten auch sexuelle Übergriffe sowie längerfristige sexuelle Beziehungen gab. Das betrifft die Anfangszeit bis zum Beginn der 1990er Jahre… 

Der Bericht der Kommission … dokumentiert Machtmissbrauch auf seelsorglicher, geistlicher und sexueller Ebene, der die Lebensführung und Lebensentscheidungen Einzelner nicht unerheblich beeinflusste.

Wir sehen klar, dass es neben einer Segensgeschichte auch eine Machtmissbrauchs- und eine jahrzehntelange Schweigegeschichte gegeben hat.“

Gemälde: Evita Gründler

Kommentare

4 Antworten

  1. Es ist offenbar auch im christlichen Milieu schwer, auf Schwarzweißmalerei zu verzichten und sich mit unterschiedlich starken Grautönen abzufinden. Das eigentlich „Skandalöse“ in diesem Fall ist die Tatsache, daß Klaus Vollmer ein wahrhaft guter Prediger gewesen ist, dessen Vorträge, Seminare und Bibelarbeiten Tausende zum Glauben geführt haben. Ich bin durch Klaus Vollmer zum Glauben gekommen. Ich bin ihm hinterhergepilgert, nach Lutterloh, auf den Hesselberg, zu den Christusbrüdern, wo immer ich seine neutestamentlichen Textauslegungen einsaugen konnte: gute lutherische bzw. paulinische Theologie, und das mit kombiniert mit Witz, Bildung und einer Weltzugewandtheit, die mir sonst in kirchlichen und evangelikalen Kreisen nicht begegnet ist. Als junger Mann (und ziemlich süßer Fratz!) habe ich ihn sogar mehrfach um Hilfe gebeten (mit Nöten, wie sie ein junger Mann so hat: sexuelle natürlich…), und er hat mir im seelsorgerlichen Gepräch sehr einfühlsam geholfen – und mich nicht angefaßt. Was immer ihn per Triebleben zu beuteln vermochte – er ließ es sich nicht anmerken.

    Was mir bei ihm auffiel, war eine ausgeprägte Ich-Stärke, verbunden mit einer gewisse Selbstverliebtheit. Ich dachte mir, das ist wohl die „déformation professionelle“ eines Evangelisators im Dauereinsatz… Worauf ich hinauswill: Vielleicht hingen auch bei KV die guten mit den düsteren Anteilen seiner Person so unmittelbar zusammen, daß das eine sich aus dem anderen speiste: Er hat die Gefühlslage junger Menschen so gut verstanden, weil ihn Männer dieser Altergruppe besonders anzogen, und um die Gefährdung und Gefährlichkeit des Menschen zu verstehen und die Tatsache, als Mensch auf Gottes Vergebungsbreitschaft angewiesen zu sein, dazu reichte ihm ein kurzer Blick in sein Innenleben.

    Um das übliche Empörungsgeschrei abzuwehren: All das festzustellen, impliziert keine Billigung seiner Missetaten. Das scheint für viele nur schwer aushaltbar zu sein: gelingendes Werk von mißlingendem Privatleben zu unterscheiden. Adolf Loos‘ Häuser haben unter der Pädophilie des Architekten nicht gelitten. Die kompositorische Qualität eines Michael-Jackson-Songs (zwar nicht meine Lieblingsmusik, aber ein gutes Beispiel…) ist auch nicht gesunken. Klaus Vollmer predigte in göttlicher Vollmacht und war menschlich zugleich ein Wrack – offenbar und aller Wahrscheinlichkeit nach. Vielleicht hat Gott bei KV genau diese Melange gebraucht wie beim Apostel Paulus die antichristliche, rabbinische, saulinische Vergangenheit.

    All das gibt uns – den reinen Durchschnittssündern (Bin ich das überhaupt? „Jeder Mensch ist ein Abgrund“, Büchner, Woyzeck…) – keine Vollmacht, über KV zu richten, sein Lebenswerk in Zweifel zu ziehen oder gar zu dämonisieren. Auch hier, behaupte ich, geht die Entfernung des Brettes vor dem eigenen Auge der Splitter-Behandlung eines (in diesem Fall auch noch verstorbenen!) Mitgäubigen voraus. Nochmal: All das degradiert die Opfer des Geschehenen nicht zu „Splittern“. Es rückt nur die Proportionen zu recht: Keiner von uns hat das Recht, sich höher zu dünken als ein anderer, egal welcher Missetaten der andere gerade überführt wird. Was uns gut ansteht: für Täter und Opfer zu beten.

    1. Guten Tag,
      vielen Dank für Ihren differenzierten Beitrag, zumal aus eigener Erfahrung. Ja, das Gute und das Schlechte liegt im Menschen manchmal haarscharf nebeneinander oder geht gleichsam ineinander über. Mit der Unterscheidung von Werk und (Privat-)Mensch haben Sie grundsätzlich recht, wenngleich man beides nicht ganz trennen kann. So hat z.B. Goethe auch schöne Gedichte und vieles Richtige etwa im „Faust“ geschrieben, obwohl sein persönliches Leben zu wünschen übrig ließ (seine „Frauengeschichten“, langjähriges Konkubinat mit Christiane Vulpius, Mitgliedschaft in einer freimaurerischen Loge etc).
      Freundlichen Gruß
      Felizitas Küble

  2. Nun stellen die Veröffentlichungen der „Evangelische Geschwisterschaft e.V.“ aber keine Beweise im juristischen Sinne dar. Denn es gibt nach diesen Veröffentlichungen keinerlei rechtsstaatlich relevanten Zeugenaussagen! Es ist schon sehr erstaunlich, wie auch von Christen mit einem Menschen nach seinem Tode umgegangen wird!

    Ich habe mich in den vergangenen Monaten sehr darum bemüht, ehemalige Weggefährten, Verwandte und Freunde von Vollmer zu befragen. Näheres darüber können Sie hier nachlesen:

    Weitere Infos hier: https://www.semaja.de/forum/index.php?thread/3363-vorwurf-der-sexualisierten-gewalt-gegen-den-verstorbenen-pastor-klaus-vollmer-pr/&postID=18367#post18367

  3. War das – soweit nachgewiesen- im üblichen Sinn des Wortes „Mißbrauch“, worunter ich Kinderschänderei verstehe? Es war mit Sicherheit außerehelicher, homosexueller Verkehr, also schwer sündhaft . Ich gehöre zum betont evangelisch-bibelkonservativen „Legalismus“: Geistliche Gemeinschaften mit den Risiken, die oben geschildert werden, lehnen wir als unbiblisch ab. Geistliche Gemeinschaft nach der Bibel ist für uns nur die Gemeinde. Als „unsere größte Sorge“ gilt manchem Beobachter, daß sich in der Gemeinde einer über den anderen erhebt: DENN: Einer ist Meister, ihr alle seid Brüder! Mißbrauch und ähnlich schreckliche Sünden kommen überall vor. Aber Strukturen der Machtkontrolle, weitestmögliche Machtvermeidung und eine Mentalität und eine Lehre der grundsätzlichen Gleichheit der Sünder, die wir alle sind, was unterschiedliche Gaben nicht ausschließt, sind nicht nur biblisch geboten, sondern auch ein Mittel zur Minderung von Machtmißbrauch, meine ich.

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