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„Hirntod“: der neue Tod bei lebendigem Leib

Mathias von Gersdorff

Auch existentielle Themen werden erst Gegenstand der öffentlichen Debatte, wenn Interessierte sie publik machen. Sie tun das, indem sie sich organisieren, Bürgeraktionen, Publikationen oder Parteien gründen. Bleibt der Kreis an Interessierten zu gering, kann es passieren, daß äußerst wichtige Themen nicht genügend wahrgenommen werden.

Zu diesen Themen gehört sicherlich das heutzutage in der Transplantationsmedizin angewendete Hirntodkriterium.

M. von Gersdorff
M. von Gersdorff

Diejenigen, die sich rund um dieses Thema organisieren und in der Öffentlichkeit auftreten, sind im wesentlichen betroffene Angehörige  –  die meisten Organe stammen von minderjährigen Spendern, und die Einwilligung wird von den Eltern oder nahen Verwandte eingeholt – oder Krankenhauspersonal, das bei Explantationen mitgewirkt und mit eigenen Augen gesehen hat, daß die Menschen, von denen die Organe entnommen wurden, nicht tot waren.

So sind es nicht viele, die in organisierter Weise versuchen zu zeigen, daß ein hirntoter Mensch gar nicht tot ist. Gleichzeitig wird massiv Werbung für eine Organspende gemacht, die das Hirntodkriterium als Handlungsgrundlage hat.

Einer dieser Vereine ist „KAO – Kritische Aufklärung über Organtransplantation“; er organisierte am 19. Oktober in Frankfurt am Main eine Tagung mit dem Namen „Hirntod – der neue Tod bei lebendigem Leib“.

Desinformation durch Werbekampagnen

Der Vortrag von Dr. Mona Motakef (wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Soziologie der Universität Duisburg-Essen) schilderte, wie die Menschen regelrecht durch die Werbekampagnen desinformiert werden. Das Hirntodkriterium sei schlicht und ergreifend eine Meinungsmanipulation zum Zwecke des erleichterten Zuganges zu menschlichen Organen.

Diese Kampagnen werden durchgeführt, weil die Deutschen die Organspende zwar als etwas grundsätzlich Gutes ansehen, dennoch wenig geneigt sind, tatsächlich zu spenden. Nach den jüngsten Skandalen ist die Bereitschaft noch weiter gesunken.

Um ihre These zu erläutern, analysierte Motakef die Werbekampagnen des Deutschen Herzzentrums in Berlin, das größte Transplantationszentrum für Herzen in Deutschland. In riesigen Plakaten werden Superhelden gezeigt, die Superman, Batman, Wonder Women usw. ähneln.

Die Botschaft ist immer dieselbe: Wenn man seine Organe spendet, rettet man das Leben eines anderen. Dadurch wird man ein Superheld. Die Figuren haben große Muskeln, sind dynamisch, Männlichkeit oder Weiblichkeit werden übersteigert dargestellt. So wird die Organspende heroisiert und ein Imperativ aufgebaut: gut sei, zu spenden, schlecht sei, den anderen sterben zu lassen.

Diese Werbekampagnen zeigen eine idealisierte Organtransplantation. Irgendwelche Bedenken oder Kritik am Hirntodkriterium werden ganz ausgeblendet. Von Aufklärung darüber, was wirklich geschieht, kann nicht die Rede sein. Diese fordert allerdings das Transplantationsgesetz.

Transplantation wird idealisiert dargestellt

Den zweiten Vortrag hielt Dr. Paolo Bavastro, Facharzt für Innere Medizin, Internist, Kardiologe und Ethiker. Auch Bavastro wies daraufhin, daß die Transplantation in der Öffentlichkeit idealisiert dargestellt wird. Die Gefahr der Abstoßung, der Infekte, der leichter entstehenden Tumore, der hohen Selbstmordrate und der psychiatrischen Probleme der Organempfänger aufgrund der notwendig gewordenen Medikamente würde kaum oder gar nicht thematisiert.

Foto: HMK
Foto: HMK

Überhaupt sei die öffentliche Diskussion um die Transplantation verzerrt. So würde immer wieder darauf hingewiesen, daß täglich drei Menschen am „Mangel an Organen“ sterben würden (aber eigentlich sterben sie, weil sie krank sind), über die 383 täglichen Toten aufgrund des Rauchens würde kaum geredet.

Abgesehen davon habe sich die Schere zwischen Angebot und Nachfrage in den letzten Jahren nicht verändert. Gleichwohl sollte diese Diskrepanz steigen, denn es gäbe immer weniger Hirntote aufgrund der sinkenden Zahl von Verkehrsunfällen mit schweren Verletzungen. Gleichzeitig verbessert sich laufend die Transplantationstechnik, wodurch die Nachfrage nach Organen erhöht wird.

Dr. Bavastro zeigte, wie die Einführung des Transplantationsgesetzes im Jahr 1997 nicht zu einer höheren Spendenbereitschaft geführt hat. 2012 folgte die Einführung der sog. Erklärungslösung (der Spender muß ausdrücklich die Organentnahme bewilligt haben). Eben um die Bereitschaft zu erhöhen, werden die großen Werbekampagnen durchgeführt. Allein die „Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung – BzGA“ gab im Jahr 2012 4,5 Millionen Euro dafür aus, so Bavastro.

Hirntote“ können Kinder zur Welt bringen

Den Hauptteil der Zeit widmete Bavastro der Erläuterung des Hirntodkriteriums. Ein Hirntoter ist ziemlich lebendig: Er produziert Hormone und Antikörper, sein Kreislauf funktioniert, er bildet Urin und kann Durchfall haben, er zeigt den sogenannten Lazarus-Effekt (Versuch einer Umarmung) und anderes mehr.

Eine schwangere hirntote Frau kann ein Kind zur Welt bringen. (Ein solcher Fall führte dazu, daß sich Bavastro zu den Kritikern des Hirntodkriteriums schlug.) Bei der Organentnahme steigen rasant die Streßhormone und der Blutdruck – in ähnlicher Weise, wie das bei einem Eingriff bei einem normalen Menschen geschehen würde.

Hirntote, dessen Organe man entnehmen möchte, müssen medizinisch wie Lebende behandelt werden, das heißt, die intensivmedizinischen Maßnahmen dürfen nicht beendet werden. Insbesondere müssen die Vitalfunktionen aufrechterhalten werden. Dies müßte zu erheblichen rechtlichen Schwierigkeiten führen, denn die Behandlung geschieht zum Nutzen eines Dritten , des Organempfängers, was eine Verdinglichung des Spenders ist und damit ein Verstoß gegen Paragraph 1 Grundgesetz darstellt.

Schmerzverzerrte Gesichter nach Organentnahme

Das Fazit von Dr. Paolo Bavastro: Das Hirntodkriterium ist eine utilitaristische Setzung und baue zudem auf zwei Lügen auf: Es gehe von einer sicheren Diagnostik und von einem unwiederbringlichen Ausfall von Groß-, Klein- und Stammhirn aus. Beides stimme aber nicht, so Bavastro.

Der letzte Teil der Tagung wurde Zeugnissen von Angehörigen von Organspendern gewidmet. Dieser Teil war natürlich besonders bewegend. Eine Mutter beschrieb, daß sie das Gesicht ihres Sohnes nach der Organentnahme gar nicht wiedererkennen konnte, dermaßen stark hatte es sich durch die während der Organentnahme verspürten Schmerzen verzerrt. 24 Stunden vor der Organentnahme muß die Zufuhr von Schmerzmitteln eingestellt werden. Der Organismus des Hirntoten nimmt die Organentnahme durchaus wahr.

Nach dem Besuch dieser Tagung fragt man sich, wie sich diese Debatte entwickeln wird. In den Vereinigten Staaten plädieren schon etliche Ärzte und Ethiker dafür, ehrlich zu den Menschen zu sein und offen zu sagen, daß ein hirntoter Mensch eigentlich kein Toter ist. Statt dessen sollte man ein „gerechtfertigtes Töten“  zugrunde legen.

Motto in USA: „Gerechtfertigtes Töten“

Wenn man sich die Debatte um die „Sterbehilfe“ in etlichen Ländern anschaut, hat dieses „gerechtfertigte Töten“ durchaus Chancen, eingeführt zu werden. In Wahrheit ist das Töten durch Organentnahme eine aktive Sterbehilfe, die man durch die eventuelle Verlängerung des Lebens eines anderen rechtfertigt.

Ein Hirntod tritt typischerweise bei schweren Unfällen ein. Auch wenn der Betroffene wieder „richtig“ ins Leben kommt, muß er mit schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen rechnen. Unter diesen Umständen wären manche an sich zu einer Euthanasie bereit.

Auch in Deutschland gibt es Überlegungen, wie man vom Hirntodkriterium wegkommt. Dr. Jürgen in der Schmitten vom Institut für Allgemeinmedizin der Universität Düsseldorf sagte am 19. September 2013 gegenüber dem „Deutschlandfunk“: „Der Vorschlag ist, zu erlauben, daß bei Patienten, bei denen der Hirntod festgestellt wurde, die aber nicht deshalb für tot erklärt worden sind, Organe entnommen werden, mit der Folge, daß der Tod im Operationssaal eintritt.“

Eigentlich wäre eine solche Lösung nicht völlig neu, denn schon heute gilt für Abtreibungen, daß sie „rechtswidrig, aber straffrei“ sind.

Mathias von Gersdorff ist katholischer Publizist aus Frankfurt und Leiter der Aktion „Kinder in Gefahr“

Erstveröffentlichung des Beitrags in der Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT

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