„Jesus ist keine ferne Gestalt aus der Geschichte“

Der katholische Jurist und Autor Lothar C. Rilinger führte ein Interview mit Kardinal Gerhard Müller, das am 24. April 2025 auf dem Nachrichtenportal „kath.net“ veröffentlicht wurde: https://www.kath.net/news/87346

Der frühere Präfekt der Glaubenskongregation hat bei der drei-tägigen traditionellen Wallfahrt von Paris nach Chartres voriges Jahr gepredigt und die feierliche Abschlußmesse zelebriert. Auch für dieses Jahr wurde Kardinal Müller dazu wieder eingeladen. Über 18.000 Pilger, überwiegend junge Gläubige und viele Pfadfinder, waren in 2024 über 100 km zu Fuß unterwegs.

Auf die Frage Rilingers, ob diese Wallfahrt als „Versuch der Neuevangelisierung“ verstanden werden könne, bejaht Müller dies:

„Dieser auch beschwerliche Weg bei Wind und Wetter ist eine symbolische Kontraktion des ganzen Lebenswegs in der Nachfolge Christi.

Im Singen und Beten, im Austausch miteinander in der Katechese und im geistlichen Gespräch, aber auch in der Feier des Bußsakraments (mit persönlicher Beichte und Lossprechung) und den großen Messfeiern mit tausenden Gläubigen erfahren sie, dass Jesus nicht eine ferne Gestalt in der Historie ist, an die wir uns nur erinnern und die wir zu einem moralischen Vorbild nehmen können, sondern dass der auferstandene Christus real gegenwärtig in den Herzen der einzelnen Gläubigen ist, aber auch sakramental uns so nahe ist, wie er einst leiblich sichtbar bei den Jüngern war – sowohl vor Ostern als auch nach Ostern.“

Rilinger möchte sodann wissen, ob die Wallfahrer auch danach die Kraft aufbringen, öffentlich zu ihrem Glauben zu stehen und ihn weiterzutragen.

Kardinal Müller meint dazu:

„Ja, die Teilnehmer müssen einiges aushalten von Seiten der liberalen und marxistischen Presse, die in jeder öffentlichen Bekundung des Glaubens an Gott als Ursprung, Inhalt und Ziel der menschlichen Suche nach Wahrheit und unverlierbarem Glück einen Rückfall hinter die Aufklärung (à la Voltaire) in das von ihnen so genannte „Mittelalter“ halten.“

Doch auch von kirchlicher Seite gäbe es „Misstrauen“, so Müller weiter, zumal dort die überlieferte Liturgie (sog. „alte Messe“) gefeiert wird. Er verweist darauf, daß es in der Kirche „legitim über 20 verschiedene Riten derselben katholischen Messe“ gäbe“  – teils ostkirchlich, teils im „lateinischen Westen“.

Der Kardinal stellt fest, es sei „auf jeden Fall der Mut zu bewundern, sich als Jugendlicher öffentlich vor seinen Alterskameraden und vor einem nachchristlichen Zeitgeist, der sich seiner intellektuellen und moralischen Überlegenheit über die Religion rühmt, zu Jesus Christus und seiner Kirche zu bekennen.“

Rilinger fragt nach den Möglichkeiten der Laien, dem Missionsauftrag Christi gerecht zu werden.

Kardinal Müller verweist auf das Apostolat aller Gläubigen mitten in der Welt:

„Nicht nur die Apostel und ihre Nachfolger im Bischofs- und Priesteramt haben von Christus den Auftrag und die Mission erhalten, den Glauben mit ihren Worten und Taten zu bezeugen.
Jeder Getaufte lebt nicht nur für sich vor Gott und in Gott und auf ihn hin, sondern er bezeugt auch für die anderen seinen Glauben und verbreitet die Hoffnung auf Gott in die Welt hinaus und bestätigt so, dass die Gottes- und Nächstenliebe die Zusammenfassung aller Gebote und die Triebkraft unseres geistigen und moralischen Lebens ist.“