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Kardinal von Galen und die neubelebte Citypastoral der St.-Clemens-Kirche in Berlin

Von Lucia Tentrop

Dieser Artikel entstand auf Wunsch meiner Heimatgemeinde St. Cornelius und Cyprian in Lippetal-Lippborg, einem Stammsitz der Familie von Galen. Die in meinem Bericht beschriebene St.Clemens-Kirche in Berlin wurde von dem Kardinal Clemens August Graf von Galen gegründet. Diese Kirche erstand damals gegen eine gesellschaftliche Unterdrückung unseres Glaubens mit einem besonderen pastoralen Konzept und ist auch heute wieder dank eines besonderen Konzepts ein Zeichen der Hoffnung. 

  1. Gründung und Aufstieg

In Berlin gibt es eine Kirche, dessen Pfarrer immer aus dem Bistum Münster stammt. Das ist ist die St. Matthias-Kirche in Berlin-Schöneberg. Der westfälische Stifter dieser Kirche hat das um 1860 so bestimmt. Seinem Wunsch wird heute noch entsprochen. Einer der Geistlichen, die aufgrund dieser Regel nach Berlin versetzt wurden, war 1906 Clemens August Graf von Galen, der spätere Kardinal und „Löwe von Münster“,  der u.a. wegen seines mutigen Einsatzes gegen den Nationalsozialismus selig gesprochen worden ist.

Seinen Neffen Bernhard von Galen, der in meinem Heimatdorf Lippetal ansässig war, habe ich noch mit über 90 Jahren mit dem Auto durch unser Dorf kurven bzw. an der Lippborger Hauptstraße gefährlich wenden gesehen.

Die Versetzung des jungen Priesters Clemens August nach Berlin fiel in die Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs in der Gründerzeit. Infolge der Industrialisierung der Städte im 19. Jahrhundert  strömten zahlreiche Wandergesellen und Handwerker nach Berlin, um hier Arbeit und Brot zu finden. Das war ein armseliges Leben.

Es gab nicht den heutigen Arbeits- und Gesundheitsschutz. Auch waren die aus ländlichen deutschen Gegenden stammenden Fremdarbeiter in überfüllten Elendsquartieren menschenunwürdig untergebracht. Katholiken hatten es besonders schwer. Es gab  kein Recht auf freie Ausübung der Religion. Der sogenannte Kulturkampf und das staatliche Verbot des Jesuiten-Ordens 1872 hatten ihre Lage als unerwünschte Minderheit in Berlin verschärft.

Deshalb gibt es in unserer Hauptstadt so viele katholische Kirchen, die sich wie normale Häuser in die Straßenfassade einfügen oder als Hinterhofkirchen versteckt haben.

In dieser trostlosen Situation dürfte es kein Zufall gewesen sein, dass Clemens August neben seinem Amt als Priester der Leiter des Gesellenvereins für ganz Berlin wurde. Er war nämlich von Haus aus sozial „programmiert“. Seine Familie war für ihre großzügigen Stiftungen bekannt, und sein Großonkel, der Bischof Emanuel von Ketteler, war im 19. Jahrhundert als „Arbeiterbischof“ ein Wegbereiter der katholischen Sozialbewegung gewesen. 

Auch Clemens August nahm das Anliegen von Adolf Kolping, den Wandergesellen wirtschaftlich zu helfen und sie religiös zu begleiten, als christlichen Lebensauftrag ernst.

Welcher sozial denkende Mensch unserer heutigen Zeit würde sich wohl mit 30 Jahren sein Erbe  auszahlen lassen und sich fortan auf sein regelmäßiges Gehalt beschränken, um in seinem Umfeld die Armut zu bekämpfen?  

Eben das nämlich tat der junge Priester von Galen. Bereits 1 Jahr nach seiner Ankunft in Berlin erwarb er ein Grundstück am Anhalter Bahnhof, von wo täglich Einwanderer in die Hauptstadt strömten. Dort ließ er ein Kolping-Hospiz mit Wohnraum für bis zu 400 Menschen bauen und gründete die nach dem Stadtpatron von Wien benannte St. Clemens-Kirche.   

Schließlich finanzierte er für „seine“ neue Kirche auch noch die Stelle eines 2. Kaplans.  Der von ihm gegründete Gebäudekomplex mit Wohn- und Wirtschaftsgebäuden, die sich um die gut versteckte neue Hinterhof-Kirche herum gruppierten, entwickelte sich zu einer  architektonisch und funktional vorbildlichen kleinen Stadt in der Großstadt. Die Sorge um das seelische und soziale Leben der Handwerksgesellen wurde von der Kongregation der Grauen Schwestern unterstützt.

(Ein ähnliches Projekt für Frauen in Berlin, das den sozial kreativen Geist der katholischen Kirche um 1900 repräsentiert, ist das heutige Haus Helene Weber am Lietzensee, in dem ich lebe. Der 1903 gegründete Katholische Deutsche Frauenbund, dessen Hauptziel die damals noch unübliche Bildung der Frauen war,  schuf damit Wohnungen für 168  berufstätige Frauen jeder Konfession. Hier war für das religiöse und soziale Leben sowie für die Aus- und Fortbildung alleinstehender Frauen gesorgt. Schwestern der Caritas Socialis übernahmen die Betreuung. Heute ist es ein Mehrgenerationenhaus für Frauen. Wir haben eine Hauskapelle mit einem ehrenamtlichen  Hausgeistlichen, ein Bildungsprogramm sowie den sozialen Dienst einer inzwischen 90-jährigen Mieterin, einer Psychologin, die auf der Basis ihres christlichen Glaubens seit Jahrzehnten ihr Leben und ihr Vermögen der Hausgemeinschaft zur Verfügung stellt.)

So wurde die neo-romanische St. Clemens-Kirche mit ihrem Kolping-Hospiz das in Stein gehauene Idealbild der katholischen Sozialwegung in den Gründerjahren und nach jahrzehntelanger gesell- schaftlicher Verdrängung der katholischen Kirche in Berlin ein Zeugnis für die dem christlichen Glauben innewohnende Kraft zur Auferstehung. Sie gilt kunsthistorisch als Baudenkmal ersten Ranges. 1911 wurde sie eingeweiht.

Das riesige Altarbild ist ein anrührend lebendiges Mosaik des schlesischen Madonnenmalers Paul Plontke mit Jesus, dem Guten Hirten. Weil die Gegend am  Anhalter Bahnhof nicht nur ein Zentrum großstädtischen Vergnügens mit Tanzbars und Varietés, sondern auch der Regierungsbezirk war, beteten hier neben den Arbeitern und anderen Gläubigen auch Mitglieder des Reichstags  und der Regierungsbehörden miteinander.

Sogar der Apostolische Nuntius Eugenio Pacelli (siehe Briefmarken-Foto), der spätere Papst Pius XII., beichtete  regelmäßig bei dem Pfarrer Clemens August von Galen.

  1. Niedergang und Vernichtung

Nachdem 1917 das Jesuiten-Verbot aufgehoben worden war, übernahmen Jesuiten die St.-Clemens-Kirche. Ab 1941 wurden viele als Gegner des Nationalsozialismus (Kreisauer Kreis) erneut staatlich verfolgt. Sie wurden aus Deutschland ausgewiesen oder umgebracht.

Die Geheime Staatspolizei hatte keinen Sinn für die gemüthafte Bedeutung unserer Religion und nutzte die Kirche als Möbellager. Im letzten Kriegsjahr 1945 brannte die gesamte Umgebung von St. Clemens ab. Die Kirche selbst überstand den Brand, aber ihr Dach und die Orgel wurden bei Kämpfen um die Innenstadt zerstört.

Erst ab 1949 konnte wieder eine Heilige Messe darin gefeiert werden. Bis 1973 wurde sie dann erneut von  Jesuiten betreut und später von der kroatischen Mission übernommen.

Seit ca. 1970 erleben wir in Deutschland einen kulturellen Umbruch. In den letzten Jahrzehnten ging vieles an Kultur verloren, was ehemals sogar volkstümlich gepflegt worden war.

Als Sängerin und spätere Musiklehrerin habe ich den unter wissenschaftlichen und technischen Vorzeichen betriebenen Abbau unserer Kultur sehr bewusst miterlebt: Die von unserer Kultur emanzipierte und wissenschaftlich eigenständig gewordene Pädagogik übernahm die technisch gestützten Maßstäbe der internationalen Unterhaltungsmusik und brachte kaum noch Nachwuchs hervor, der den Ansprüchen unserer europäischen Musikkultur genügt.

Die vitale gesangliche Potenz der menschlichen Natur wurde durch technisch verstärkte Dekadenz übertönt. Unsere volksnahen Sänger und Musiker, ehemals die Brücke zur musikalischen Hochkultur, begannen auszusterben. Der Kirchengesang verlor seine körperlich-seelische Begeisterung, die den Glauben tragende Kraft des Gemüts. Die Kirchen  leerten sich. 

Unter der Herrschaft einer wissenschaftlich aufgewerteten öffentlichen  Meinung begann man, sich seiner Glaubenskräfte zu schämen. „Wenn die Götter sterben, nehmen sie ihre Lieder mit.“ –  Das gilt auch umgekehrt.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Wie wollen wir in unsere selbstvergessene Kultur den Zustrom von Einwanderern fremder Sprachen und Kulturen integrieren, der seit  Jahrzehnten in unser Land drängt? Haben Gesetze, Wohlstand und das verstaatlichte Sozial-Gefühl die Kraft, uns seelisch miteinander zu verbinden? Haben wir einen im Gemüt verankerten höchsten Wert, der die unterschiedlichen Wertvorstellungen der Kulturen übersteigt und uns zusammenhält?

Die gesellschaftliche Problematik unserer Zeit steht also den Problemen der Gründerzeit bzw. des Priesters Clemens August vor 100 Jahren keinesfalls nach. Im Gegenteil.

Damals kam die Unterdrückung des Glaubens nur von außen. Gerade die Zeit der wandernden Handwerker hat einen großen Beitrag zur Erweiterung unseres volkstümlichen Liedguts gebracht! In unserer christlichen Kultur waren Zeiten der äußeren Unterdrückung auch Zeiten gesteigerten Singtriebs (z.B. die Negro-Spirituals), denn Singen richtet auf. 

Angesichts unserer heutigen Religionsfreiheit kommt die Unterdrückung unserer Glaubenskräfte aber von innen. Unsere große Gefahr ist die Resignation. Diese Form der Selbstunterdrückung in einem freien Staat ist viel gefährlicher als ein äußerer Widerstand, denn einen inneren Rückzug der Kräfte erkennt man nicht so leicht. Die Zerstörung unseres kulturellen Potenzials von innen geschieht unbewusst. Das Kuschen vor der öffentlichen Meinung ist nur die äußere Folge unseres verblassenden kulturellen Selbstgefühls.

Die gesanglich gestimmte und erhobene Seele ist seit der griechischen Antike die Basis der abendländischen Geisteswelt.  Wie wäre es, wenn unsere Kirchengemeinden am Symptom des eingeschüchterten Singens ansetzen und in offenen Singgruppen die volksnahen melodischen Lieder unserer eigenen und der weltweiten christlichen  Kultur – z.B. der Zeit des Kardinals von Galen – singen würden?

Singen richtet auf und befreit. Wer singt, gibt sich nicht auf. Räume haben wir ja genug. Jeder kann mitmachen, egal, woher er kommt und wie er singt.  Wo instrumentale Begleitung fehlt, gibt es Musik-Aufnahmen zum allgemeinen Mitsingen.   

Unter der Selbstherrlichkeit von Wissenschaft und Technik leeren sich unsere Kirchen – und werden verkauft. 2007 musste man die St. Clemens-Kirche aufgeben. Sie wurde von einem moslemischen Investor übernommen. Das war für die mit dem Engagement eines großen Einzelnen geschaffene christlich-soziale Insel das endgültige Aus.

  1. Auferstehung zu neuem Leben

Aber im Gegensatz zu anderen sterbenden Kirchen erlebte die St.Clemens-Kirche als Einzige eine Auferstehung! Ganz unerwartet – und sofort nach ihrem Verkauf:

Da hatte sich nämlich ein Förder-Verein gegründet, der die Kirche retten wollte – und es kamen indische Vinzentiner-Patres nach Deutschland, die einen Wirkungskreis suchten. Also mietete man die St. Clemens-Kirche von ihrem Käufer zurück und übergab sie den Vinzentinern. Die legten sofort los.

Im Mai 2007 hatten sich bereits 7 Christen zusammengefunden, ein indischer und ein deutscher Priester, eine Rentnerin und eine Sekretärin, ein Archivar, ein Jurist und ein Lobbyist. Damit wurde St. Clemens vom Berliner Erzbischof Georg Kardinal Sterzinsky wieder eröffnet und erlebt seitdem nochmals einen Aufstieg wie unter ihrem Gründer Clemens-August von Galen:

Diesmal waren es nicht deutsche Handwerker, sondern Polen, Kroaten, Südamerikaner, Afrikaner, Koreaner und andere Einwanderer, die sich in Berlin fremd fühlten und hier zusammen mit uns unseren gemeinsamen Glauben leben wollten.  In dieser bunten Mischung und mit einem neuen Konzept begann im sog. „gottlosen“ Berlin eine Kirche zu boomen! 

Die St. Clemens-Kirche  ist ein „Haus der Ewigen Anbetung“. Sie versteht sich als „Ort der Gnade“ in der Großstadt. Sie ist rund um die Uhr geöffnet. Warum? In einer Stadt, in der sogar Fitness-Center dazu übergehen, ihren Mitgliedern die Räume 24 Stunden lang offen zu halten und man in der Öffentlichkeit ebenfalls 24 Stunden lang seinen körperlichen Hunger und Durst stillen kann, wäre es absurd, das Angebot für die seelische Fitness geringer zu bewerten.

In St. Clemens stehen 3 Priester den Menschen auf Abruf per Glocke in ihren Sorgen und zu Gesprächen zur Verfügung. Man kann ganztägig beichten. An jedem Wochenende sind Exerzitien. Dazu gibt es spezielle Angebote wie Nachtvigil, Jugendprogramme, Familientage, Bibeltagungen, Barmherzigkeits-Sonntage u.a.m. Meine Freundin Margot, die regelmäßig dorthin fährt, kommt meistens erst nachts zurück.

Wer früh aufsteht, kann morgens um 8 Uhr mit der Laudes beginnen. Täglich werden zwei Heilige Messen gefeiert, abends mit Musikprogramm. Nachmittags ist eine Barmherzigkeitsstunde, dann Rosenkranz in mehreren Sprachen, danach sind an Wochenenden regelmäßige Vorträge.

Man betet und singt zusammen. Man kann sich dort bei einem Kaffee kennenlernen. Man begegnet sich. Die Veranstaltungen der 24-Stunden-Kirche sind  immer gut besucht. Sie ist jederzeit für Jeden offen. Die Menschen kommen aus verschiedensten  Milieus. Manche besuchen mehrere religiöse Gemeinschaften und holen sich aus dem Berliner Angebot heraus, was sie brauchen oder was ihnen in ihrer  Kirchengemeinde fehlt. Obwohl die in einem Hinterhof versteckte St. Clemens-Kirche schwer zu finden ist, knieen dort mitten in der Nacht Menschen zur Anbetung. An Werktagen hat sie durchschnittlich 200 Besucher täglich, an Wochenenden wesentlich mehr.

Die St. Clemens-Kirche ist eine Insel der Seligen in Berlin. Sie will Signale aussenden. Sie will Mut machen: Gebt Euch nicht auf! Hier sieht man doch, dass die Menschen kommen und die Heiligen Messen wieder voll sind! Hier wird sogar mitten in der Nacht öffentlich gebetet! Hier erlebt man, wie Menschen eben doch noch spüren, dass es etwas gibt, was uns von unserer Fixierung auf das materielle Dasein und der daraus entstehenden Plünderung unseres Erdballs erlöst.  

In diesem Jahr feiert die neu eröffnete St. Clemens-Kirche ihr 10-jähriges Jubiläum. Obwohl sie einschließlich der Miete und laufenden Kosten von Spenden finanziert wird, hat sie es zu diesem Anlass geschafft, ihre Räumlichkeiten in gut erreichbarer Nähe um ein Exerzitienhauses zu erweitern.

Hier können Veranstaltungen stattfinden und Besucher und Besucherinnen sogar übernachten. Wer hätte vor 10 Jahren an so etwas zu denken gewagt? Das hätte man als Utopie, als „Wunder“, auf das es sich nicht zu warten lohnt, bezeichnet. Aber der Glaube gegen den Niedergang war größer als die Macht des Zusammenbruchs (Mt 22,9-10).

Vielleicht gibt es ja doch so etwas wie den Geist eines Hauses. Ich glaube an so etwas. Ich glaube sogar, dass der kraftvolle Geist, der dieses Haus vor einem Jahrhundert gegründet hat, immer noch derselbe ist.

Hier geht es zur Internetpräsenz unserer Autorin Lucia Tentrop aus Berlin: www.Lucia-Tentrop.de

Kommentare

2 Antworten

  1. Interessant sicher auch der Link auf die Website der Gemeinde: http://www.st-clemens-berlin.de/kirche/geschichte.

    Allerdings stört mich, dass diese Kirche sich als Zentrum des doch recht fragwürdigen und noch bis weit in die 2. Hälfte des 20. Jh hinein – aus triftigen theologischen Gründen – verbotenen Kultes vom Barmehrzigen Jesus, verschrieben hat.
    Ebenso finde ich den historischen Bezug zu den Jesuiten (auch durch den „Ausweich“-Heiligen Clemens Maria Hofbauer) problematisch. Leider verschweigt die Website völlig, dass der Jesuiten-Orden nicht nur von bösen Protestanten, sondern sogar von der Kirche selbst (1774-1814) einst verboten wurde, wobei hier gerade das protestantische Preußen (und das orthodoxe Russland) ihnen Asyl gewährte… das hätte man um der Redlichkeit willen schon erwähnen müssen, um nicht ein ganz verzerrtes Bild zu zeichnen…
    Der Orden war nicht nur wegen „Verschwörungstheorien“ durch Papst Clemens XIV. aufgelöst worden, wie kirchliche Apologeten es oft behaupten, sondern viel mehr wegen seiner realen politischen Machenschaften, die ja im Raum standen! Die vielen Verdächtigungen des Ordens an Massakern und anderen schwerwiegenden kirchlichen Vergehen, kann man nicht einfach nur als gegenstandslos abschmettern. Diese päpstliche „Sturmabteilung“ war nicht einfach ein Haufen lieber Männer, die immer nur von allen missverstanden wurden. Das ist angesichts der realen Auseinandersetzungen kaum denkbar.
    Und seine Wiederzulassung durch Pius VII. bescherte uns den fanatischen Ultramontanismus und Papalismus, DAS jesuitische Projekt des 19. Jh, an dem die Kirche danach dann zugrunde ging, während die Jesuiten alsbald flugs das sinkende Schiff, dem sie so viele Lecks geschlagen hatten, verließen und seither „einen auf progressiv“ machen und von hier aus weitere Lecks schlagen. Hätten die Nazis sie nicht gehasst wie die Pest, hätten sie wahrscheinlich auch mit ihnen gekungelt, soweit es geht – in Italien jedenfalls waren sie nicht so wählerisch im politischen Kungeln mit dem Faschismus…

    Mich würde auch interessieren, ob das 24 hours-Anbetungskonzept in irgendeiner Weise kompatibel ist mit charismatischen Konzepten ähnlicher Art. Die Website begründet es rein theologisch und gemäß vatikanischer Dekrete und einiger Sätze von Kirchenvätern. Das klingt gut. Wie aber gestaltet man das? Wenn ich das hier lese, schwant mir, dass das eine charismatische Neigung hat: http://www.st-clemens-berlin.de/angebote/nachtvigil

    Aber ich habe leider erlebt, wie oft gerade Fans des Barmherzigkeitskultes auch immer stärker Charismatiker wurden.

  2. Ein ausgezeichneter und sehr informativer und auch sehr persönlicher Artikel (auch das ist heute Mangelware – alles ist neutralisiert und „standardisiert durchgestylt“ und gesichtslos).

    Die Beziehung zu von Galen ist ein sehr überraschender Aspekt für alle jene, die eben von ihm nur das mit der T4-Aktion wissen. Man hat allgemein eigentlich kein vollständiges Bild von diesem Bischof. So kann man ihn nun leicht „einordnen“ in die Tradition des Kettelerschen sozialen Priestertums, das allerdings in Rom ja nicht unbedingt auf Gegenliebe stieß, mit großem Misstrauen beobachtet wurde und später auch in sich selbst „entartete“ und in Rom dann erbitterte Gegenwehr erfuhr. Es ist ein schwieriges Kapitel.
    Man darf ja nicht ausblenden, dass auch die genannte Unterdrückung im Kulturkampf letztendlich auf das Konto Roms ging. Preußen war stets tolerant gewesen und alle wissen, dass dort niemand unterdrückt wurde, sondern „jeder nach seiner Facon selig werden“ durfte. Der Kultukampf wurde durch das unselige Konzil 1870 ausgelöst und seine absolutistische Dogmatisierung des Papsttums. Da der Kathoik absolut dem Willen des Papstes ALS WELTLICHEM HERRSCHER UNTERWORFEN WURDE in dem Dogma vom Universalprimat, der dem Gläubigen selbst dann, wenn er innerlich nicht zustimmen konnte zu einer jursdiktionellen oder alltäglichen päpstlichen (keiner, die unbedingt den Kern des Glaubens berührte!) Verlautbarung dennoch absolute innere Zustimmung abverlangte und ihn damit auch in Zwiespalt zu seiner Regierung brachte bzw. bringen konnte, auch da, wo es unnötig und nur destruktiv werden würde – aus diesem Grunde reagierte die Reichsregierung so harsch! Weil die damaligen Jesuiten Hauptträger des Papalismus waren, wurden auch sie ausgewiesen. Auch hier ist zu bedenken, dass selbst maximalistische Bischöfe wie Kardinal Manning aus England, obwohl sie es selbst waren, die die beiden problematischen Dogmen vorangetrieben hatten, gegen Ende des 19. Jh selbst den Jesuitenorden aus ihrer Diözese warfen – eben wegen dieser glaubensverfremdeten Umtriebe, die, wie Manning damals schrieb, Jesus als Herrn der Kirche vergessen machten und einem bloßen Menschen, der wie ein Gott verehrt wurde, unterwarfen. Hier steckt also sehr viel kirchenpolitischer Zündstoff, und man muss sagen: Es waren auch damals Priester, Ordenschwestern und Laien, die das gesunde Maß des Glaubens aufrechthielten und nicht Rom. Auch das ähnelt unserer heutigen Lage.
    Es ist letztendlich den Gegnern des Unfehlbarkeitsdogmas und auch des absolutistischen Universalprimatsdogmas von 1870 wie eben Ketteler, dem Onkel von Galens, zu verdanken, dass sie in ihrem Umkreis sofort die verheerende Aussage der beiden Papstdogmen wie in einem Wunder an „sensus fidei fidelium“ relativierten und „gesundschrumpften“.

    Das Mosaik vom „Guten Hirten“ im Altarraum, das Sie erwähnen, würde ich gerne sehen. Ich habe es hier gefunden: http://www.erzbistumberlin.de/medien/tag-des-herrn/aktuelle-beitraege/reingelesen/datum/2015/03/28/die-osterfreude-staerkender-sonntag-der-goettlichen-barmherzigkeit-in-st-clemens-mit-weihbischo/

    Was Sie zur Musik sagen, interessiert mich als Musikerin ebenfalls sehr.
    In den meisten Anmerkungen, die Sie machen, stimme ich zu.
    Allerdings sehe ich ein großes Problem darin, dass diese unsere musikalische Hochkultur zwar rein technisch gesehen (also instrumental-technisch) immer übersteigerter perfekt aufgeführt wird.
    Alleine – es fehlt der Bezug zu ihren geistigen Wurzeln, und ich frage mich daher, ob diese Aufführungspraxis überhaupt noch Sinn ergibt. Meist spielt man alles in immer schnelleren Tempi oder immer „fehlerloser“ und nach standardisierten Vorgaben, deren Perfektion man dem heranzubildenden Musiker immer rabiater abverlangt. Einen förmlichen Niedergang in diese Richtung erlitten wir durch den Zuzug vieler asiatischer und aus den kommunistischen Ländern zugereister, militärisch“-handwerklich gedrillter Musiker, die den geistigen Hintergrund entweder gar nicht verstanden oder aber sogar ablehnten, und die Musi,m vergewaltigten, aber den Einheimischen in ihrer Glaubens- und Kulturkorrsion ein X für ein U vormachen konnten…
    Musikalisch ist da fast nichts mehr da – viele können „perfekt“ spielen, superschnell, selbst der emotionale Ausdruck ist standardisiert.
    Eine Auseinandersetzung mit der Inspirationsquelle der Musik geschieht nicht. Diese Inspirationsquelle ist bis vor wenigen Jahrzehnten und selbst heute noch fast ausschließlich das Christentum, das Judentum bzw. einige antike Mythen.
    Aufgrund der medialen „Perfektion“ der Aufnahmen auch im Bereich der Klassik, finden Menschen, die ein Instrument beginnen zu lernen immer weniger einen „eigenen Ton“ oder eine eigene Vorstellung dessen, was sie da spielen. Man fürchtet sich, nicht so zu spielen wie…
    Der Bezug zur eigenen Kultur ist verklemmt worden. Entweder man fühlt sich „nicht perfekt genug“ oder man schämt sich, seinen „eigenen Ton“ zu spielen, der gerade im Klassiksektor gnadenlos abgeschmettert und niedergemacht werden kann. Man braucht echt Nerven, um sich dort zu behaupten. Dabei sind diese Haifische dort meist … im Grunde … maschinell sehr perfekt spielende … reine und perfekte Banausen. Bei technischer Perfektion hat man ein perfektes Kulturbanausentum geschaffen, das an Hochschulen vermittelt wird und in den letzten Winkel privater Musikerzieherräume eindringt. In den Kirche wurden sehr oft die normalen Kirchchorsänger verdrängt und ehrgeizige „Profi“-Projekte installiert, mittels derer sich irgendwelche kirchenmusikalischen Profibanausen nun profilieren wollten. das Kirchenvolk ist immer weiter außen vor.
    Viele dieser Ehrgeizlinge bleiben dann hängen – machen ständig Wettbewerbe mit und träumen von irgendetwas Irrealem, das sie erreichen wollen, fachsimpeln, machen andere Musiker nieder und sind selsbt doch nur Loser. Am Ende schulen sie um oder werden verbitterte Klavierlehrer, die nicht selten auch noch ihre Schüler frusten. Ein eigenes Musikprojekt haben sie weder je gehabt noch je gewagt. Die, die es „schaffen“, sind bei der überzogenen Anforderung oft schnell zerschlissen und nicht selten mit 40 körperlich am Ende, besonders in den großen Orchestern. Orthopädische Schäden, psychische Verformungen, lange Krankheitsausfälle und ständige Spritzen und Psychopharmaka begleiten das „Profi“-Leben…

    Hört man sehr alte Aufnahmen an, wundert man sich oft: kleine Fehler, oft auch eine nicht sehr gute Intonation, durchaus schwankende Tempi, alles viel langsamer als heute gespielt … und dennoch: Herz, Vernunft und eine Geistigkeit, von der heutige hochgetunte Musiker nur träumen können…

    Diese „Brücke“ der Volksmusikkultur zur Hochkultur, auch die fließenden Grenzen dazwischen, die Sie bemerken, wird aber von den angeblichen Profis in deren Neid und Unzufriedenheit und Machtgier abgebrochen. Sie können selbst musikalisch wenig und halten jeden aus ihrem Terrain. Ein gnadenloser Kampf tobt dort.
    Die Popmusik würde ich nicht in jedem Puntk so negativ beurteilen wie Sie, denn sie hat sich von diesem großschnäuzigen Profidruck bereits nach 1945 schon entseelter Musiker irgendwie auch emanzipiert, im übrigen auch die Tonalität und das emotional freie Spiel zurückgeholt, das einzufrieren drohte durch den Klassikbetrieb. Das ist jedenfalls eine vielschichtige Problematik.
    Wenn Sie die Autobiografie von „Sting“ lesen, werden Sie einen jungen Mann kennenlernen, der sich autodidaktisch, aber mit eiserner Disziplin nicht nur das Gitarrenspiel beibringt, sondern auch ein Projekt entwickelt und durchzieht. Hätte man diesen Menschen verschult und „professionell“ ausgebildet, wäre er kaputt gewesen.

    Es bleibt stehen, dass die Kunst letzten Endes nie ein „Studienfach“ sein kann, Motto „Gelernt ist gelernt“, und dass es in der Kunst auch keine „Profis“ geben kann, weil sie frei ist und allen Menschen gehört. Man mag gewisse handwerkliche Dinge lernen, woher immer, aber alles andere ist frei. Erst das „Kunststück“ ist Beweis der Meisterschaft, nicht irgendeine verschulte „Ausbildung“.
    Unsere großen Komponisten waren meist Autodidakten oder hatten nur wenige Orgel- oder Tonsatzstunden gehabt. Seit der Musikhochschule Mendelssohns ist die Hochzeit der großen Musiker vorbei. Auch das sollte man einmal so herum denken.
    Frei ist die Kunst: aber nur dann, wenn man den Zugang zu der geistigen Welt findet, aus der heraus ein Werk geschrieben ist oder selbst in dieser Geisteswelt lebt wie in einem Zuhause..
    Womit wir wieder am Anfang der Argumentation wären.
    Mit dem Verlust des Glaubens verlieren wir unsere ganze Kultur.
    Noch wird sie äußerlich, perfekt konditioniert, heruntergeorgelt.
    Aber es ist eine Frage der Zeit, wann der ganze Klassiksektor (inkl. Kirchenmusik) zusammenbricht – deswegen.

    Auch hier sehe ich übrigens den Cäcilianismus und Pius X. mit seinen rabiaten Konzepten als verheerend an. Gerade er wollte den Volksgesang in der Kirche drosseln, alle Sänger-Frauen rauswerfen (!), dabei sind sie die Träger jeder musikalischen Volkskultur etc.

    Die Kirche hat sich also selbst in ihrer damaligen reaktionären Verengung zum Handlanger des Verlustes gemacht, nicht nur von links wie heute, sondern auch von rechts…

    Dass es heute wieder eine lebendige Gemeinde in St. Clemens gibt, ist wieder Werk kleiner Priester und Laien. Nur der islamische Eigentümer stört mich daran. Kann man die Kirche nicht zurückerwerben?!
    Unsere Krise ist ein schallende Ohrfeige – erneut – für die Hierarchie, die sich 1870 selbst erhöht hatte. Sollten wir je aus ihr genesen, wird das Vaticanum I revidiert werden müssen und ein Neuansatz gemacht werden müssen. Dabei wird das Vaticanum II eher bestehen bleiben als das Vaticanum I und mancher heute vergessene theologische Ansatz des frühen 20. Jh wird hervorgeholt werden.
    Hoffen wir, dass das noch mal kommt.
    Ich rechne auch mit vielen Konvertiten aus dem Islam – sie werden die Herausforderung der Zukunft sein.
    In Berlin gibt es schon diese evangelische Kirche, deren Hunderte von Gliedern, wie ich gehört habe, alle ex-Muslime sind.

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