Heb die Augen
Heb die Augen, dein Gemüte,
Sünder, zu dem Berge hin,
schau die Qualen, schau die Güte,
sieh, ob ich dein Heiland bin.
Also ruft vom Kreuzesstamme
dir dein Jesus sterbend zu.
Drum die Sünde nun verdamme,
suche bei ihm Heil und Ruh.
Sieh, ER strecket aus die Arme,
neigt zu dir sein Angesicht,
daß ER huldvoll dich umarme,
rührt dich diese Liebe nicht?
Sieh, wie ER für unsere Sünden
liebend sich zum Opfer bringt,
wie ER – daß wir Gnade finden –
schmerzhaft mit dem Tode ringt.
Schließ an meinem letzten Ende
mich in deine Wunden ein.
Laß, o HERR, in deine Hände
meinen Geist empfohlen sein.
Laß mich selig dann verscheiden
und zu deinem Vater gehn,
laß nach überstandnem Leiden
mich zu deiner Rechten stehn.
Heinrich Lindenborn (1741)
3 Antworten
Ein zutiefst ergreifendes Lied!
Christus nimmt unfassbar grausame Qualen auf sich, um für unsere Sünden am Kreuz zu sterben! Der von Jesus Angesprochene ist in seinem Innersten bewegt und erfleht für sein eigenes irdisches Ende die selige Vereinigung mit dem sterbenden Heiland.
Wo findet man heute in unseren Breiten noch eine Gesinnung, wie sie in diesem Lied zum Ausdruck kommt (oder auch in „O Haupt voll Blut und Wunden“ oder „Christi Mutter stand mit Schmerzen“ und in noch einigen ähnlichen Liedern)?
Diese Ergriffenheit, dieser fromme Schauder ist uns heute weithin abhanden gekommen, ja, zu viel Gemüt oder Empfindsamkeit oder Mitgefühl wird sogar lächerlich gemacht oder zumindest
argwöhnisch betrachtet (man ist ja heute „cool“ – was im Grunde nichts anderes bedeutet als gefühllos oder mitleidlos).
Welcher Pfarrer/Bischof/Kardinal bis hin zum Papst predigt heute noch über Sünden im Zusammenhang mit den zehn Geboten? Sogar „Sodom& Gomorrha“ wird nicht einmal mehr als schwerste Sünde ver-
dammt!
Am Ende des hier angedeuteten Weges wird Christus den Menschen nur noch als Narr erscheinen (oder bestenfalls als irgendein Sozialapostel).
Arme moderne Zeit, die nach Gottes Strafgericht schreit!
Wo sind die Bussprediger (wie – zu Jesu Zeiten – Johannes der Täufer oder, später, Girolamo Savonarola oder – in unserer Zeit, allerdings vor bereits Jahrzehnten! – Pater Johannes(!) Leppich)?!?
Ich stimme Ihnen in vielem zu. Paulus schrieb an die Korinther (um Ihren Gedanken aufzugreifen, wie Jesus vom ‚modernen‘ und gottlosen Menschen letztendlich wahrgenommen wird): „Denn das Wort vom Kreuz (an dem Jesus litt und starb) ist eine Torheit [ist Unsinn] für diejenigen, die verloren werden, uns aber. die wie errettet werden, ist es eine Gotteskraft. … zumal die Juden ein Zeichen fordern [damit sie erkennen können, dass Jesus der Messias ist] und die Griechen nach Weisheit fragen [und sich die Frage stellen, was ist weise an jemandem, der am Kreuze hängt], wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis [Skandalon] und den Griechen eine Torheit [etwas Unsinniges]; denen aber, die berufen sind, sowohl (aus den) Juden als auch (aus den) Griechen, predigen wir Christum, (die) göttliche Kraft und (die) göttliche Weisheit. Denn die (in den Augen der Ungläubigen im Kreuzestod Jesu scheinbar vorhandene) göttliche Torheit ist weiser, als die (ungläubigen und nichts wissenden) Menschen sind; und die (in den Augen der Ungläubigen scheinbar vorhandene) göttliche Schwachheit ist stärker als die Menschen sind“
(1. Korinther 1, 18 – 25).
Es ist das Versäumnis der sogenannten Hirten, dass das Wissen um Jesus Christus, als dem Sohn Gottes und als dem Retter der Menschheit aus dem Wissensschatz der Gesellschaft weitgehend verschwunden ist, und das sogar in weiten Teilen der christlichen Kirchen. Sie haben sich vom Geist dieser gegenwärtigen Welt überwinden lassen und sich sich ihm untergeordnet. Daher, und auch das sehe ich wie Sie, wird es letztendlich ein unangenehmes Erwachen für alle geben.
Ich begrüße Ihre Ausführungen, die eine interessante Parallele zum Zeitgeist im Urchristentum aufzeigen!
Die von Ihnen erwähnten „Versäumnisse der Hirten“ hatte ich natürlich auch im Sinn, auch wenn ich sie nicht geäußert habe (die Verantwortung dieser „Hirten“ wiegt sicher schwer – ich möchte nicht in der Haut dieser „Würdenträger“ stecken, wenn sie vor Gott treten!).