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Anfragen an die Hagiotherapie: Verdrängt die "Heilung" das Heil?

Von Felizitas Küble

Die von dem kroatischen Theologen Prof. Tomislav Ivančić gegründete „Hagiotherapie“ (wörtlich: Heilige Heilung  – oder: Heilung durch die Heiligen) unterscheidet sich zwar in einigen Punkten durchaus von der Schwärmerszene und ist insgesamt gemäßigter ausgerichtet.

Kirchenlehre und Sakramente spielen in ihr eine größere Rolle als in der Charismatik, eine Hinführung der Menschen zur Beichte wird angestrebt, extreme Ausformungen und Entgleisungen im Erscheinungsbild und öffentlichen Wirken wird man in der HT kaum vorfinden.
Zudem betont die HT das geistliche Elements für die Gesundung des Menschen – und sie lehnt eine atheistische Psychotherapie ab.
Gleichwohl erinnern einige theologische und „spirituelle“ Anwandlungen an bekannte Tendenzen aus charismatischen Kreisen.
Das beginnt schon bei der starken Betonung einer sog. „Heilung“, wobei die psychologische Ebene einerseits und die geistlich-geistige Ebene andererseits mitunter kaum noch unterschieden werden. 131223-stern-von-bethlehem_b87bfae72c
Dies ist auch bei anderen, ähnlich psychologisch ausgerichteten Seelsorgs-Konzepten der Fall, wobei solche deutlichen Überschneidungen zur Vorsicht mahnen.
Der bekannte Begründer der „Logotherapie“, Dr. Viktor Frankl, hat die beiden Bereiche (religiöses Heil / seelische Heilung) beide in ihrer Eigenständigkeit respektiert und klar unterschieden, also  nicht miteinander vermengt.

Daß es Zusammenhänge zwischen beidenen Ebenen gibt, ist unbestritten, das wußte auch der jüdische Psychologe Dr. Frankl durchaus.  Es geht aber darum, jeweils die Grenzen  – etwa der psychologischen „Heilwirkung“  –  zu erkennen und der Versuchung zu widerstehen, Theologie und Psychologie zu vermischen.

Zurück zur Hagiotherapie. Es stellen sich aus meiner Sicht z.B. folgende 10 Fragen und Kritikpunkte an die HT:
1. Einerseits will sich die HT von der Charismatik abgrenzen, andererseits gibt es fließende Übergänge. So wird zB vom HT-„Therapeuten“ erwartet, daß er sog. „Geistesgaben“ pflegt; diese seien sogar  „besonders wichtig“, zumal Zungengebet, Gabe der Prophetie, Wort der Erkenntnis, Heilung und Befreiung (alles bekannte Zauberworte aus dem Schwärmerlager).
2. Die HT-Ansicht, wonach die schwierigsten geistig-geistlichen Krankheiten bzw Störungen bis zum 3. Lebensjahr entstehen,befindet sich jenseits der Realität.  Aus Sicht der Kirche beginnt das „Vernunftalter“ deutlich später  –  die Kirche hat jedenfalls noch nie einen Dreijährigen zur Beichte geschickt!  –  Da die HT gerade den GEIST des Menschen zum Ausgangspunkt ihrer Therapie machen will, sind solche Altersangaben erst recht unlogisch.
3. Die HT kooperierte bei Seminaren bzw Veröffentlichungen mit Theologen wie Wunibald Müller, Paul Zulehner, P. Michael Marsch und  P. Jörg Müller, die entweder dem liberalen (W. Müller, Zulehner) oder dem charismatischen Lager (Marsch, J. Müller) zuzurechnen sind.
4. Das sog. „Kampagne-Gebet“, das in der HT propagiert wird, enthält charismatische Tendenzen in seiner typisch drängenden Art. Der Himmel läßt sich nicht bestürmen durch kräftig wirkende Worte in beschwörender Form, in denen der wahre Geist des HERRN („Dein Wille geschehe!“) zu wenig zum Tragen kommt.
5. Das Gebet im „Schoß des Vaters“ (oder der „Muttergottes“) ist   r e g r e s s i v , sowohl psychologisch wie geistlich: Man will quasi zurück in den Mutterleib, total geborgen sein, geschützt vor den Herausforderungen des Lebens, bloß keinen kalten Wind um die Ohren, „Milch statt Brot“ (vgl. Paulus an die Korinther)  –  die Kuschel-Religion läßt grüßen.
6. Es ist in der HT (allzu) viel die Rede von der Selbstbejahung des Menschen durch Gott, ER ist auf Deiner Seite usw.  – Wird auch mal gefragt, ob der Mensch auf Gottes Seite ist?  – Von den Zehn Geboten liest man wenig in der HT, anscheinend sind schöne Gefühle wichtiger als feste Gebote – also jedenfalls angenehmer!  Passenderweise kommen  „garstige“ Inhalte wie Hölle, Fegefeuer, Jüngstes Gericht kaum vor, sie passen wohl nicht so recht in die Piep-Gott-hat-uns-lieb-Therapie?
7. Seltsam erscheint auch das sog. „Wundengebet“:  Jesus soll also die Hand auf jene Wunden legen, die bei der Empfängnis (!), während der Schwangerschaft, bei der Geburt und danach etc. entstanden sind und diese durch Handauflegung „heilen“. Die Erbsünde fehlt in diesem Konzept, sonst würde es nicht heißen, Jesus solle hier und heute die „Wunde“ der „Empfängnis“ heilen, als ob diese Heilung (nämlich Befreiung von der Erbsünde) nicht bereits durch die Taufe geschehen sei.
8. Es geht ohnehin in der HT offenbar in erster Linie um „Heilung“,  weniger um das „Heil“  – das ist letztlich typisch für die Charismatik, wenngleich per HT auf leiseren Sohlen als sonst üblich bei der Schwärmerschar.
9. Die Bücher und Lehren von Prof. Ivancic sind fast wie das fünfte Evangelium eine ständige Pflichtlektüre in HT-Kreisen, erst recht in der Ausbildung zum HT-Therapeuten. Damit wird der Gründer aber fast zum Guru hochstilisiert, was allerdings in vielen „geistlichen Gemeinschaften“ der Fall ist, aber auch kritisch gesehen werden sollte. Unser Lehrmeister ist vor allem Christus und die Kirche als der „fortlebende Christus“!
10. Mitunter spielt auch der  –  in Schwärmerkreisen bekannte  – Mythos von den angeblichen „Belastungen“, Verstrickungen und „Bindungen“ der Vorfahren mit hinein.  – Wir sollen uns aber an unsere Ahnen weder „binden“ noch müssen wir uns von ihnen „lösen“, wir sollen sie insoweit schlicht in Ruhe lassen, aber natürlich für sie beten und soo auf einer übernatürlichen Ebene an sie denken,  aber keineswegs mit psychologischen Verstrickungen agieren und re-agieren.
Felizitas Küble, Leiterin des Christoferuswerks in Münster

Kommentare

6 Antworten

  1. Gratuliere für Küble, gute Analyse.

    Zu 9. „Die Bücher und Lehren von Prof. Ivancic sind fast wie das fünfte Evangelium“: Im Internet (abzurufen z.B. auf https://www.hagio.at/regel-der-ggw/) kursiert eine Schrift die sich als „Regel der Gemeinschaft Gebet und Wort“ ausgibt, mit der Erläuterung „Dieses Dokument tritt am 1. Adventsonntag, 27. November 2016, in Kraft. Der Gründer Prof. Dr. Tomislav Ivančić“. Darin heißt es: „Begründer sowohl der Gemeinschaft als auch der Seminare für die Evangelisierung der Kirche und der Hagiotherapie ist der Priester Prof. Dr. sc. Tomislav Ivančić. Alle Mitglieder der Gemeinschaft sind sich der göttlichen Führung bewusst, die sich in der Person des Gründers zeigt, und nehmen diese Führung an, indem sie dem Gründer in allem nacheifern. Auf diese Weise wird der wahre Geist der Gemeinschaft umgesetzt, wie es das Zweite Vatikanische Konzil sagte. Gehorsam nehmen sie alles an, was der Gründer geschrieben und in Seminaren, Predigt, Rundfunk, Fernsehen oder anderswo gesagt hat.“
    Wenn besagtes Dokument keine Fälschung ist, dann hat sich Herr Tomislav Ivančić selbst zum Guru hochstilisiert. Das kann ich dann doch ich nicht recht glauben Frau Küble, denn das würde doch von der Amtskirche sicher geahndet werden, oder nicht?

    zu 2.: „Die HT-Ansicht, wonach die schwierigsten geistig-geistlichen Krankheiten bzw Störungen bis zum 3. Lebensjahr entstehen,befindet sich jenseits der Realität. Aus Sicht der Kirche beginnt das „Vernunftalter“ deutlich später“. Ein logischer Punkt für Sie Frau Küble, und auch ein geistlicher, denn Gott selbst hat uns die Vernunft geschenkt.

    zu 6. „Passenderweise kommen „garstige“ Inhalte wie Hölle, Fegefeuer, Jüngstes Gericht kaum vor“: In einer Art „auf Teufel komm raus“ (Harald Baer) Theologie sucht man lieber die Dämonen aus ihren vielen irdischen Privathöllen zu vertreiben.

    zu 10. „Wir sollen uns aber an unsere Ahnen weder „binden“ noch müssen wir uns von ihnen „lösen“, wir sollen sie insoweit schlicht in Ruhe lassen, aber natürlich für sie beten und soo auf einer übernatürlichen Ebene an sie denken, aber keineswegs mit psychologischen Verstrickungen agieren und re-agieren“: Zu Ahnenschuld und Stammbaumheilung: Karl Leisner Jugend „Ahnenschuld-und-Stammbaumheilung-ist-das-noch-katholisch?“

    Empfehlenswert: Harald Baer: „Ziel ist die geistliche Gesundheit“ Die Hagiotherapie des katholischen Theologen Tomislav Ivancic“

  2. Mir wird echt schlecht von meisten Kolumnen hier. Ich spüre nur noch Bitternis beim Lesen. Auch wenn eine Seite „charismatismus“ heisst, sei es sarkastisch gemeint oder nicht, erwarte ich mehr Liebe, Mitgefühl, Menschlichkeit und Nächstenliebe. Hier wird jeder, der etwas mehr vom Gott braucht, als nur im intellektuellen Sinne, gekreuzigt.

  3. nirgendwo habe ich gelesen, dass Freud abgelehnt wird…es ist eher so wie in der Psychologie von Alice Miller, die entschieden ablehnt, dass Neurosen nur durch sexuelle Verdrängung entstehen, wie Freud meinte, sondern ebenso durch Missachtung der Würde des Kindes, indem man es z.B. schlägt, der Ansicht bin ich auch. Die Hagiotherapie liefert entscheidende Ansätze zur Heilung von posttraumatischen Erkrankungen, wie z.B. der PTED, die mit Weisheitstherapie zu heilen sei laut Prof. Linden, womit praktisch gemeint ist: Rückkehr zu den christlichen Ressourcen, die in der therapeutischen Praxis nicht attraktiv waren. Aber echte Schuld und Gewissenqualen nimmt einem kein Psychiater, sehr wohl aber die Umkehr, Beichte und erfahrene Vergebung Gottes. Kain ist nicht verflucht worden, weil er gemordet hat, sondern weil er es nicht bereute…so agiert die HT

  4. Nur kurz zu Punkt 7 der Kritik: Hier ist keineswegs die Erbsünde gemeint, sondern mögliche Umstände, die schon bei der Empfängnis das werdende Leben beinträchtigt haben könnten (z.B. Vergewaltigung, Alkoholisierung, etc…..). Es wird davon ausgegangen, daß es einen Unterschied für das neu entstehende Menschenkind macht, ob es in einer Atmosphäre der Liebe und Annahme oder der Gewalt, des Rausches etc. empfangen wurde. Es ist nun mal erwiesen, daß ein Kind auch schon im Mutterleib davon beeinträchtigt wird, wenn die Mutter z.b. unter Angst, Streß od. ähnlichem leidet, oder sogar, wenn eine Abtreibung in Erwägung gezogen wird.
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  5. Ich befasse mich mit der Hagiotherapie seit 3 Jahren und habe eine ganz andere Einstellung kennengelernt. Da ist nichts „Schwärmeriches“ zu finden. es geht um die Gesetze des Schöpfers von Allem, deren Einhaltung oder Übertretung für uns entscheident ist für unser Heil. Das gilt selbst für Atheisten und hat nicht zwingend mit Kirche zu tun. Hagiotherapie ist Teil der anthropologischen Wissenschaft und keine Sekte.

    1. danke, harryfass, das erlebe ich auch so. Seit meiner Ausbildung und Prüfung 2006 in Hagiotherapie habe ich nie gehört, dass mit anzustrebenden Geistesgaben Zungenrede gemeint war, sondern die 12 Gaben des Hl. Geistes / im Katechismus, auf anderes hätte ich mich gar nicht eingelassen. Auch dass die größten Traumata in den ersten drei Jahren entstehen können, ist ein Ergebnis psycholog. Forschung und keine Erfindung der Hagiotherapie. Gerade unseren Nachkriegsjahrgängen – ich bin im Hungerjahr 1946 auf der Flucht geboren und kam gleich ins Säuglingsheim- wird jetzt erst erklärt, dass Hunger in der Schwangerschaft der Mutter z.B. kognitive Schäden verursacht, die bei späteren Belastungen sehr wohl eine Rolle spielen können.Die Sterbebegleitung meiner Eltern habe ich mit hagiotherapeutischen Elementen gestaltet, z.B. die Loslösung vom Hitlereid, den sie als blutjunge Menschen noch leisten mussten und bin sehr dankbar dafür, alleine ihre Freude darüber zu erleben, dass ihre Kinder sich ihrer Belastungen kurz vor dem Tode noch annehmen, hat einen tiefen Frieden zwischen uns ermöglicht.

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