Von Inge M. Thürkauf
„Wohl jedem, dessen Heimat in der Sonne stand!“ – Wir finden diese Worte am Anfang der Jugenderinnerungen einer Persönlichkeit, die sich dieser Sonne zeit ihres Lebens geöffnet und selbst in schweren Prüfungen an diesem Licht und seiner Wärme festgehalten hat: Benedicta von Spiegel.
Als Ordensfrau, als langjährige Äbtissin der Benediktinerinnen-Abtei St. Walburg in Eichstätt, prägte sie nicht nur die Diözese des heiligen Willibald, sondern hat durch ihre hohen menschlichen Fähigkeiten, vielseitige Talenten und Geistesgaben – sie las die Kirchenväter im Original, griechisch und Latein und beherrschte fliessend die modernen Sprachen – sowie durch ihre breitgefächerten internationalen Verbindungen Impulse gegeben und Spuren hinterlassen, die es wert sind, in Erinnerung gerufen zu werden:
Benedicta Freiin von Spiegel von und zu Peckelsheim (siehe Jugendfoto), geboren am 21. Januar 1874, entstammt einem alten ostwestfälischen Stiftsadel (siehe die sehr lesenswerte Biographie von Gerlinde von Westphalen „Lady Abbess – Benedicta von Spiegel – politische Ordensfrau in der NS-Zeit“).
Die Epoche um 1930 war geprägt von politischen Veränderungen. Der unaufhaltsame Aufstieg des Nationalsozialismus machte auch an den Mauern der Abtei nicht halt, vor allem nicht vor der in der Verantwortung des wachsenden Konvents stehenden weltoffenen St. Warburger Äbtissin.
Sie wird sich in Zukunft mit den ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auch politisch betätigen. Nicht öffentlich, doch äußerst wirksam in Hintergrund.
Konnersreuther Kreis gegen NS-Ideologie
Schon vor Hitlers Machtergreifung bildete sich in Eichstätt ein fester Freundeskreis. Dem engen Zirkel gehörten neben der Äbtissin der NS-kritische Journalist Fritz Gerlich an, ebenso der Kapuzinerpater Ingbert Naab, bekannt geworden durch seinen offenen Brief „Wer hat Sie gewählt, Herr Hitler?“, sowie die als visionär bekannte Therese Neumann von Konnersreuth. Mit ihr verband Frau Benedicta eine enge Freundschaft.
Ein exponiertes Mitglied des Konnersreuther Freundeskreises war der erwähnte Chefredakteur der Münchner Nachrichten, Fritz Gerlich.
Er konvertierte unter dem Einfluß von Therese Neumann zum katholische Glauben. Seine Zeitschrift „Der Gerade Weg“ wurde schon vor der Machtergreifung Hitlers zu einem kritischen Medium der neuen Ideologie, dessen Autoren sich aus den gebildeten Mitgliedern des Freundeskreis zusammensetzte.
Die von der Äbtissin verfassten Artikel erschienen unter Berücksichtigung auf die Ordensregel unter einem Pseudonym.
Die Publikationen im „Geraden Weg“ konzentrierten sich immer mehr auf Attacken gegen Hitler und die NSDAP. Der Preis dafür war die Verhaftung Gerlichs (siehe Foto) und seine Ermordung durch NS-Schergen.
Pater Ingbert Naab konnte sich retten. Ein Nazifunktionär hatte ihn gewarnt. Andere Mitglieder erfuhren Hausdurchsuchungen und Verhöre durch die Gestapo.
Schützende Hand eines Ex-Nationalsozialisten
Wer verbarg sich hinter dieser warnenden Stimme? Wie es sich herausstellte, handelte es sich um einen Kriegskameraden von Rudolf Hess im 1. Weltkrieg, dem späteren Reichsminister unter Hitler.
Unter dem Einfluss von Hess trat sein Kamerad im Rang eines SA-Obersturmbannführers in die Partei ein, entfernte sich jedoch mit der Zeit immer mehr von den Ideen des Nationalsozialismus und arbeitete in der Folge jahrelang im Geheimen gegen das Regime. Er wurde zur schützenden Hand über den Freundeskreis der Äbtissin und tarnte dessen oft riskante Aktionen.
Unter dem Druck der Bedrohung durch das Regime faßte Benedicta von Spiegel den Entschluß, im Falle einer Vertreibung durch die Nationalsozialisten eine sichere Heimat für den Konvent zu finden. Es mußte ein Ort außerhalb Deutschlands, ja außerhalb Europas sein.
Aus der Geschichte kannte sie die zerstörerischen Mächte der Revolution. Sie trafen stets als erstes die kirchlichen und klösterlichen Einrichtungen. Falls es zur Ausweisung, Beschlagnahmung oder Enteignung kommen sollte, müssten ihre Nonnen zuvor in Sicherheit gebracht werden.
Ordensfrauen zogen in die „Neue Welt“
Seit 100 Jahren gab es eine Verbindung von St. Walburg mit Amerika. 1852 entstanden dort Gründungen mit den ersten Benediktinerinnen aus der Eichstätter Abtei. In weiser Voraussicht hatte v. Spiegel gleich nach ihrem Amtsantritt 1926 ein amerikanisches Noviziat eingerichtet.
Kandidatinnen mit der Verpflichtung, in Amerika ihr Klosterleben zu beginnen, wurden dort eingeschult. Bereits 1931 sandte Frau Benedicta zehn Nonnen in die Neue Welt.
Einige Jahre später 1934 machten sich weitere 10 Schwestern auf den Weg in die USA. Diese Entscheidung hat sich als grundrichtig erwiesen, zeigte es sich doch nach einigen Jahren, daß mehr als 300 kirchliche und klösterliche Einrichtungen dem Klostersturm der SS und der Gestapo zum Opfer gefallen sind.
Es lag nun auf der Hand, daß die Äbtissin selbst die Fahrt über das große Wasser auf sich nehmen würde. Begleitet von ihren beiden Nichten und ihrer Sekretärin schiffte sie sich am 13. April 1934 auf dem deutschen Schnelldampfer „Bremen“ ein. Als die „Bremen“ nach sechs Tagen in New York einlief, wurde Frau Benedicta bereits von Fotografen und Reportern erwartet und als Medienereignis begrüßt.
„The first Abbess ever to come to Amercia“ – „Die erste Äbtissin, die je nach Amerika kam“, titelten die Zeitungsblätter.
Lady Abbess als „Sensation“ in den USA
Aufmerksamkeit erregte ihr diamantenbesetztes Äbtissinnenkreuz. „The Lady Abbess has a special pectoral cross of historical interest – die Äbtissin besitzt ein spezielles Brustkreuz von historischem Interesse“, hieß es weiter in der Berichterstattung. Sie selbst schreibt: „Ich profitiere sehr davon, daß es in Amerika keine Äbtissin gibt, so bin ich momentan die Sensation.“
Mit ihrer Sekretärin besuchte sie in den kommenden zweieinhalb Monaten jene Klöster, deren Gründung auf St. Walburg zurückgehen. Das Mutterkloster in Eichstätt wird, nicht zuletzt aufgrund der Begegnung mit der Äbtissin, nach dem 2. Weltkrieg zur Linderung der größten Not einige tausend sog. „Care-Pakete“ von den amerikanischen Niederlassungen erhalten.
Auf ihren Reisen, die sie zum Teil im Auto, teils mit der Eisenbahn zurücklegte, begegnete sie einer Vielzahl von Menschen.
Der Gouverneur von North Carolina, ein besonderer Freund von US-Präsident Roosevelt, wollte sie unbedingt mit diesem bekannt machen. Doch dies mußte sie aus Zeitmangel absagen. Es wird wohl das erste Mal in seiner Amtszeit als Präsident vorgekommen sein, daß jemand aus Zeitgründen eine Begegnung mit ihm annulliert hat.
Nach der Rückkehr von dieser erlebnisreichen Reise erfuhr sie von den traurigen Ereignissen in Deutschland. Seit der Ermordung Fritz Gerlichs hat sich die Bayrische Politische Polizei vermehrt für den Konnersreuther Kreis interessiert, der daraufhin seinen Widerstand nicht mehr öffentlichkeitswirksam, sondern mehr im Geheimen weiterführte.
NS-Attacken gegen die Äbtissin
Bei den kommenden Auseinandersetzungen, vor allem auch im Kampf gegen die Schließung der kirchlichen Schulen, zeigte Frau Benedicta eine bewundernswerte Standfestigkeit, auch nachdem die Lage bedrohlich wurde.
Als durch das NS-Regime der Kindergarten geschlossen werden sollte, vernichtete sie das entsprechende Schreiben, ohne den Behörden zu antworten, und ließ den Kindergarten einfach weiterführen. Soweit bekannt, gab es keine Konsequenzen.
Ein direkter Angriff auf die Person der Äbtissin wegen eines angeblichen Devisenvergehens konnte durch den schon genannten (Ex-)Nazifunktionär abgewendet werden. Diesem Duzfreund von Rudolf Hess ist es wahrscheinlich auch zu verdanken, daß bis zum Ende des Hitlerregimes der Konnersreuther Kreis unentdeckt blieb.
Doch die Kämpfe gegen die Maßnahmen der Nazis, die Existenzgrundlagen der Abtei zu zerschlagen, gingen weiter. Manches konnte sie verhindern, anderes hingegen mußte sie geschehen lassen.
Verfolgte wurden in der Abtei versteckt
Zur Rettung des Kloster war sie gezwungen, Kompromisse einzugehen, so erlaubte sie der Wehrmacht die Nutzung von Klostergebäuden, entsandte Nonnen in Krankenhäuser und Lazarette. Daneben aber unterstützte sie Häftlinge im KZ Dachau, versteckte politisch Verfolgte in der Abtei und öffnete das Kloster als Zufluchtsstätte für die Opfer der Bombardements.
Ein Zentrum der Begegnung war das geräumige, mit hohen Decken, Holzvertäfelungen, alten Gemälden ausgestattete Sprechzimmer der Oberin, wo sie ihre Gäste, Freunde und Bekannte empfing und sie mit benediktinischer Gastfreundschaft auch oft bewirtete.
Vor allem aber waren es Hilfe- und Ratsuchende, die in der Hoffnung auf Unterstützung bei ihr vorsprachen.
Eine Zeitzeugin berichtet: „Es ist fast unglaublich, mit welchen Anliegen man ins Sprechzimmer zur Äbtissin kam… Wievielen Menschen hat sie hier geholfen und sie beraten! Wieviele Herzen durch ihre Liebenswürdigkeit gewonnen! Wieviel Kraft kostete ihr das Sprechzimmer…“.
Während des Krieges waren es die nationalsozialistischen Machthaber, denen sie mit Furchtlosigkeit gegenübersaß. Nach der Kapitulation kamen die Vertreter der Siegermächte, darunter ein Captain der US-Armee und Militärgouverneur von Eichstätt.
Er sprach ein passables Deutsch, galt als ein machtbewusster Jesuitenschüler und bezeichnete sich selbst als „wettergegerbten bayrischen Bauer“. Frau Benedicta fand schnell ein für die gegenwärtige Lage notwendiges Vertrauensverhältnis zu ihm.
Eichstätt wurde gewaltlos übergeben
Gegen Ende des Krieges waren im Kriegsgefangenenlager in Eichstätt mehr als 1100 britische Offiziere interniert. Einige von ihnen besuchten mit Erlaubnisschein öfters die Abtei, wo sie nach der Regel des hl. Benedikt gastlich aufgenommen wurden.
Nicht zuletzt haben diese höchst gefährlichen freundschaftlichen Kontakte mit dem offiziellen Feind dazu geführt, daß die altehrwürdige Bischofsstadt Eichstätt den Amerikanern gewaltfrei übergeben werden konnte, die bis in den kleinsten Winkel überbelegt war mit Vertriebenen und durch Bombardierung ihrer Heimat beraubten Flüchtlingen.
Bedeutsam dürfte es gewesen sein, daß die englischen kriegsgefangenen Offiziere sich dezidiert für die Schonung der Stadt eingesetzt haben.
Hintergrund war zweifellos die offene unerschrockene Gastfreundschaft von Frau Bendicta gegenüber den Kriegsgefangenen. Die Stadt hat es ihr gedankt: Lady Abbess wurde Ehrenbürgerin von Eichstätt.
Charme – Würde – Anmut und Mut
Die damals bekannte britische Schriftstellerin Ethel Mannin, die sie 1948 im damals amerikanisch besetzten Eichstädt besuchte, schreibt über die Äbtissin:
„Sie besitzt Charme, Würde und Anmut. Sie hat die gewandten Umgangsformen einer Weltdame, wenigstens in dem Sinn, daß sie eine vielgereiste Frau ist, die mit hervorragenden Persönlichkeiten aller Nationen zusammenkam. Aber alles dies ist das wenigst bedeutende an ihr. Das Wichtigste tritt im Gespräch mit ihr zu Tage: daß sie eine völlig furchtlose Frau ist.“
Die folgenden Jahre waren umschattet mit Gesundheitsproblemen. Die Nöte und Schrecken der Kriegszeit haben ihre Kräfte aufgezehrt. Immer mehr war sie auf Hilfe angewiesen.
Der seit 1948 amtierende Bischof Dr. Joseph Schröffer wies in seiner Traueransprache auf ihre innere Bereitschaft hin, ihr Leiden und ihren Tod ohne Furcht anzunehmen. Ihr Leben war dem Lobe Gottes geweiht, sie wollte, daß es im Sterben ausklinge in einen Lobpreis des HERRN.
Sie wollte leiden und sterben mit der Bitte an Gott, daß er ihre Gemeinschaft segne, das ganze Bistum und auch die Stadt. „Mein Leben war so schön und reich“, äußerte sie sich in den letzten Tagen bei einem Gespräch mit dem Eichstätter Bischof, „daß ich auch etwas leiden muß … Ich wurde zur Ehrenbürgerin der Stadt ernannt. Noblesse oblige (Adel verpflichtet). Jetzt will ich auch für die Stadt leiden.“
Am Freitag, den 17. Februar 1950, gab die Ordensfrau und Äbtissin Maria Anna Benedicta von Spiegel ihr reich begnadetes Leben, für das sie Gott auch immer wieder dankte, in Seine Hände zurück.
Auch ihr Gedichtband „Mein geistliches Jahr“ gibt Zeugnis von einer Frau, die Gottes Ruf folgte, aus Liebe zu Christus und seiner Kirche. Gott ruft, ER erwählt uns, nicht wir ihn, und ER wünscht, daß wir Frucht tragen und diese Frucht bleibe (Joh 15,16).
Unsere Autorin Inge Thürkauf ist gelernte Theaterschauspielerin und Schriftstellerin. – Näheres dazu hier: https://christlichesforum.info/die-schauspielerin-und-schriftstellerin-inge-thuerkauf-katholisch-kritisch-konsequent/
3 Antworten
Vielen Dank für diese prägnante Darstellung der Äbtissin- heute fehlen uns in der Kirche die guten Vorbilder. Unsere Heiligen kommen bei uns in der Diaspora kaum vor. Die Möglichkeit, sich auch in einem durchschnittlichen Leben mit diesen Menschen auf eine höhere christliche Ebene zu begeben , wird durch schlechte Katechesen in der Predigt einfach verhindert. Die Ausbildung unserer Seelsorger scheint insoweit stark verlacht zu sein .
Im Geschichtsunterricht hörte ich viel von den bösen Nazis, nichts aber von guten Menschen wie die Beschriebenen.
Großartiges Vorbild!