Dokumentation des Leserzuschrift von Felizitas Küble in der FAZ vom 2.4.2012
Heute sind in der FAZ zwei Zuschriften erschienen, die sich gegen meinen Leserbrief wenden, den die Frankfurter Allgemeine am 2.4.2012 unter dem Titel „Gaucks linksliberale Wendungen“ veröffentlicht hatte.
Zu den Kritikern meiner Stellungnahme gehört der bekannte Regisseur und Schriftsteller Dr. Ralph Giordano sowie der kath. Publizist Dr. Andreas Püttmann.
Hier folgt zur Information und Dokumentation der volle Wortlaut meiner Einsendung an die FAZ, den diese zu ca. 90% abgedruckt hat:
Angepaßte Zeitgeistrede pro 68er
Der FAZ-Leitartikel „Gaucks Glück“ vom 24. März würdigt die Antrittsrede von Joachim Gauck meiner Ansicht nach in übertriebener Weise.
Manches in dieser Ansprache ist sicher zutreffend, doch Gaucks Antrittsrede zeigt zugleich erhebliche Schwachstellen und linksliberale Wendungen. Der neue Bundespräsident beklagt z.B. eine angeblich „defizitäre“ Vergangenheitsbewältigung vor der 68er Revolte:
„Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte allerdings blieb defizitär. Die Verdrängung eigener Schuld, die fehlende Empathie mit den Opfern des Nazi-Regimes prägte den damaligen Zeitgeist.
Erst die 68er-Generation hat das nachhaltig geändert. Damals war meine Generation konfrontiert mit dem tiefschwarzen Loch der deutschen Geschichte, als die Generation unserer Eltern sich mit Hybris, Mord und Krieg gegen unsere Nachbarn im Inneren und im Äußeren verging.
Es bleibt das Verdienst dieser Generation: Es war ein mühsam errungener Segen. Trotz aller Irrwege, die sich mit dem Aufbegehren der 68er verbanden, hat sie die historische Schuld ins kollektive Bewusstsein gerückt.“
Zunächst zeichnet der Bundespräsident ein Zerrbild jener Zeit v o r 1968, die insgesamt gesehen sehr wohl von einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der Last der NS-Vergangenheit geprägt war.
Man bedenke etwa, daß CDU-Kanzler Konrad Adenauer in den 50er Jahren eine – auch finanzielle – Wiedergutmachungspolitik mit Israel eingeleitet und insgesamt in der deutschen Politik ein israelfreundliches Fundament gelegt hat. Ist solch praktisches Vorgehen, ist dieser wirksamer Versuch einer „Wiedergutmachung“ nicht weitaus positiver, auch für die Opfer, als das revolutionäre Sprücheklopfen der 68er?
Zudem sollte nicht übersehen werden, daß diese ultralinke Bewegung sich damals als komplett blind erwies hinsichtlich der kommunistischen Bedrohung der freien Welt, daß sie z.B. dem nordvietnamesischen Diktator Ho Tschi Minh huldigte und dessen Porträt durch die Straßen trug, daß sie die Verbrechen hinter dem Eisernen Vorhang eiskalt ignorierte und zudem nicht bereit war, sich mit den massiven Menschenrechtsverletzungen, die an eigenen Landsleuten in der „DDR“ begangen wurden, ernsthaft auseinanderzusetzen.
Wo blieb überdies der Protest der sonst so demonstrationslustigen 68er gegen den Einmarsch der Sowjettruppen in die Tschechoslowakei 1968?
Es fällt auch unangenehm auf, daß der Bundespräsident tendenziell eine Kollektivschuld der „Erlebnisgeneration“ unterstellt, zumindest suggeriert, wenn er in seiner Rede etwa davon spricht, „die Generation unserer Eltern“ habe sich „mit Hybris, Mord und Krieg gegen unsere Nachbarn im Inneren und im Äußeren“ vergangen.
Warum redet er nicht korrekt von „nationalsozialistischen Tätern“ bzw von den „Verantwortlichen der nationalsozialistischen Diktatur“?
Wie kommt unser Staatsoberhaupt dazu, das ganze damalige Volk in eine Art „Schuldhaft“ zu stecken?! – Kann und will er nicht unterscheiden zwischen Tyrannei einerseits und dem unterdrückten Volk andererseits, das größtenteils selber unter dieser Gestapo-Diktatur zu leiden hatte?!
Felizitas Küble, 48167 Münster
7 Antworten
Was die Kommentatoren hier vor mir geäußert haben, entspricht voll der Wahrheit,
die auch ich so erlebt habe v o r den „68ern“…in der Adenauerzeit.
Die 68er mischten dann ganz Deutschland auf. An den Unis herrschte eine Professoren-
beschimpfung ohnegleichen, vor der ein Nichtkämpfer wie Prof. Ratzinger von
Tübingen nach Regensburg geflohen ist, soweit ich das in Erinnrung habe.
Eine Prof. Alma von Stockhaussen hielt sich tapfer im Diskussionskampf, desgleichen
Professor Beyerhaus in Tübingen. Die Magnifizenten und geachteten Hochschul-
lehrer wurden mit Sprechchören beschimpft: „Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren!“
Meinten diese „Werteveränderer“, die sich zum Teil als „nackte Affen“ ( Langhans-
Kommune etc) gerierten, um als Bürgerschreck „gefeiert“ zu werden…die christlichen
Werte der letzten 1000 Jahre ?
Ich erlebte die „68er“ in München als brutale Raudys, die für Randale und Krawall
zuständig waren. Viele Studenten machten aus der allabendlichen Demo eine Gaudi.
„Hohohotschimin!“ hallte durch die Straßen und alle etwaige Kritik wurde totgeschrien.
Am 13. Mai 1969 habe ich in einem Artikel in der WELT ein Erlebnis geschildert.
„Jubel im Audimax für den Pseudo-Messias Mao Tsetung“.
Unter dem Stichwort: „Studenten und Arbeiter“ waren vorwiegend Agitationsgruppen
von DKP, ADF und SDS erschieden. Eine Gewerkschafterin fragte: „Wenn ich richtig
verstanden habe, will man uns hier zum Teufel schicken.“ Alles brüllte: „Ja! Ja!“
etc.- Der Begriff „Demokratischer Staat“ wurde einmal mit Pfuirufen und „Nieder!“
bedacht. Es kam nicht darauf an, was einer redete, es kam nur auf die elektrisierenden
Schlagwörter an, die dann entsprechende Reaktionen auslösten.
Den ganzen Artikel bzw. den Erlebnisbericht stelle ich gerne zur Verfügung.
Auch ich hatte das Glück, in den Jahren vor 1968 einen qualifizierten Geschichtsunterricht am Gymnasium gelehrt zu bekommen, der sehr wohl die Nazidiktatur und die Judenverfolgung in extenso behandelte. In Deutsch hatten wir ferner als dringende „Vorschlagsliteratur“ innerhalb eines Vierteljahres das Tagebuch der Anne Frank (oder Primo Levi, „Ist das ein Mensch?“, Wahl frei gestellt) zu lesen, als häusliche Lektüre. Mit meinen 65 Jahren trau ich es mir heute mit jedem Gymnasten in der Zeitgeschichte aufzunehmen. Unser Herr Bundespräsident ist da wohl zu sehr von seinen „DDR“-Erfahrungen geprägt, wenn er hier in unserer (westdeutschen) Generation Defizite vermutet. — Eine ganze andere Praxis bekamen wird dann in den Jahren 1968 – 1975 an den Universitäten in Sachen „Demokratie“ geboten, wo unsere Seminare und Vorlesungen z.B. im Fachgebiet „Psychologie“ von kommunistischen Aktivisten gesprengt wurden, welche dies damit rechtfertigten, dass in diesen „revanchistische bourgoise Inhalte“ gelehrt wurden.
Ich stimme den Ausführungen von Frau Küble ohne jede Einschränkung zu. Das Kompliment von Joachim Gauck an die „68-er“ hat auch mich irritiert. Ich interpretiere das ausschließlich als eine versöhnlich gedachte Geste an die Adresse der Abgeordneten in der Bundesversammlung, die ihre Stimme für jene Dame abgegeben haben, deren wesentliche Lebensleistung aus einer Ohrfeige in das Gesicht eines deutschen Bundeskanzlers bestand.
Von den 68-ern hatte ich keinen Nachhilfeunterricht in Bezug auf Nationalsozialismus nötig. Dank eines qualifizierten Geschichtsunterrichtes an einem Gymnasium einer westdeutschen Großstadt in den Jahren 1960 bis 1968 wurden wir über alle Facetten der Geschichte des 20. Jahrhunderts bestens informiert. Sowohl der Auschwitz- als auch der Eichmann-Prozess in Jerusalem wurden von uns aufmerksam verfolgt und neben dem Geschichtsunterricht auch in den Deutsch- und Philosophiestunden ausgiebig thematisiert. Noch heute stelle ich fest, das späteren Abiturientenjahrgängen in der Regel nicht mehr das Faktenwissen und die Interpretationsfähigkeit vermittelt wurde, die noch uns zuteil wurde.
Die gehässige Replik von Ralph Giordano verstehe ich als den Zorn eines alten Mannes, der um sein Lebenswerk fürchtet. Ich hatte nicht den Eindruck, in einem, wie von ihm formuliert: „Dezennium der Verdrängung“ gelebt zu haben. Nach meiner persönlichen Überzeugung sind Schuld und Unschuld nicht einem Kollektiv, sondern dem Individuum zuzuschreiben. Aus gutem Grund lehnen wir heute den Gedanken einer Sippenhaft ab. Und was die angeblich mehrheitlich „führerbesoffenen Deutschen“ angeht: Das Tagebuch von Victor Klemperer spricht eine andere Sprache.
…ich denke es wird hier eine Glorifizierung und eine Mystifizierung einer Gruppe betrieben; dieses Phänomen erlebt man häufig in der Historik. Es erfolgt eine Legendenbildung, die dann zur historischen Wahrheit erhoben wird.
Frei nach dem Motto: „Die Sieger schreiben die Geschichte“…in diesem Fall, sind es die „Studierten“, die danach spießbürgerliche „Jobs“ angenommen haben und jetzt ihre Vergangenheit in ein rechtes Licht setzen wollen und das auch mit Unterstützung des Bundespräsidenten Gauck.
Ich prophezeie, wir werden uns noch öfter mit Gauck auseinandersetzen müssen…;-)
In der Tat zeichnet Bundespräsident Joachim Gauck ein Zerrbild der Zeit v o r 1968.
Ich bin Jahrgang 1943, und meine Schüler- und Studentenzeit lag in dieser Zeit. Schon in den 1950er Jahren war die Befassung mit der NS-Zeit und dem 2. Weltkrieg Gegenstand des Schulunterrichts. Und ich erlebte Lehrer, die vielfach noch selbst Soldaten waren und wußten, wovon sie redeten, des weiteren Lehrer, die in später üblich gewordener Manier unsere Elterngeneration beschuldigten, aber auch Lehrer, die – selbst ehemalige Emigranten – sich weigerten, über diese Zeit zu unterrichten, weil für eine objektive Betrachtung der zeitliche Abstand zu gering sei, usw. Wir sahen Filme wie „Die Mörder sind unter uns“ und andere, an deren Titel ich mich nicht mehr erinnere.
Die „Generation der 68er“ habe ich als Student in den letzten Semestern von Anfang an als einen Haufen von vielleicht 400 bezahlten Heuchlern und ihren Anhang von Karrieristen und Dummköpfen betrachtet. Dies aus den Gründen, die Frau Küble schon genannt hat. Ihnen möchte ich nur hinzufügen, daß dieser „Generation der 68er“, und zwar bis in kirchliche Kreise hinein, der zur gleichen Zeit stattfindende völkermörderische „Heim-ins-Reich-Krieg“ gegen Biafra oder der schon 10 Jahre andauernde ähnlich abscheuliche Krieg des muslimischen Sudans gegen den Süden herzlich gleichgültig war.
Heute will mir scheinen, daß die von Gauck – der ja in der DDR lebend diese Zeit nicht wirklich miterlebt hat – reichlich konformistisch übernommene Nachrede gegen diese Zeit vor 1968 tatsächlich einen Grund hatte: Der Erfolg der maßgeblich von der CDU bestimmten Bundesrepublik Deutschland und der Optimismus der Zeit vor 1968 (der sich ja auch in einer heute schmerzlich vermißten Geburtenfreudigkeit äußerte) waren einigen Deutschland nicht wohlgesonnenen Strippenziehern ein Dorn im Auge.