Mathias von Gersdorff
Um die liberale Abtreibungspraxis zu verteidigen, verwenden Abtreibungsaktivisten in der Regel ein einziges Argument: Die Schwangere hätte ein „Recht auf Selbstbestimmung“.
Was sie damit sagen wollen: Dass die Frau völlig autonom in der Entscheidung sein soll, ob sie das Kind in ihrem Leib austrägt oder nicht. Um diese Position zu rechtfertigen, abstrahieren sie völlig die Existenz des Kindes. Das gezeugte Kind führt in den apologetischen Texten der Abtreibungsaktivisten fast immer eine Nicht-Existenz.
Diese Strategie führt offensichtlich dazu, dass sie die Realität des Problems nicht nur reduzieren, sondern auch verzerren, wodurch ihre Glaubwürdigkeit erheblich geschwächt wird: Jede Frau, die nicht völlig ideologisch verblendet ist, versteht, dass es sehr wohl (auch) um das Leben eines Menschen geht. Ansonsten wäre gar nicht zu verstehen, wieso seit Jahrzehnten in dramatischer Art und Weise über Abtreibung diskutiert wird, selbst in Ländern, in denen die Tötung im Mutterleib legal und staatlich subventioniert ist.
Aber inzwischen sind auf linker Seite andere Bedenken hinzugekommen: Durch die Fixierung auf das Selbstbestimmungsargument schließt sich der radikale Feminismus von neu hinzu gekommenen Debatten völlig aus, die durchaus ideologische Positionen betreffen, die ihn eigentlich was angeht.
Wer dies verstanden hat, ist Kirsten Achtelik, die in ultra-linken Verlagen wie „Verbrecher“ publiziert; sie befürwortet rabiat die Abtreibung, scheint aber die Einfalt der Argumentation ihres Milieus zu erkennen, die zu fanatischen und nicht mehr zu rechtfertigenden Positionen führen.
So schreibt Achtelik im „Für Föten und Werte. Die ‚Lebensschutz‘-Bewegung in Deutschland“ (erschienen in „Juliane Lang, Ulrich Peters (Hrsg.): Antifeminismus in Bewegung. Aktuelle Debatten um Geschlecht und sexuelle Vielfalt“) folgendes:
Aufgrund des Erstarkens der Pro-Life-Bewegung, ist „die Versuchung groß, alle linken, feministischen und emanzipatorischen Kräfte unter dem Label der Selbstbestimmung sammeln zu wollen. Dadurch besteht aber die Gefahr, die ambivalenten, problematischen und antiemanzipatorischen Konnotationen dieses Konzeptes für die gemeinsamen Sache und das größtmögliche Bündnis auszublenden. »Selbstbestimmung« jedoch ist kein eindeutig emanzipatorischer, positiver Begriff, sondern ein ambivalenter, der in Richtung optimierter Selbstverwertung und konsumistischer Wunscherfüllung offen ist. Diese individualistischen und neoliberalen Implikationen des Begriffs beeinträchtigen sein Potential, zur radikalen Veränderung gesellschaftlicher, sozialer und ökonomischer Machtverhältnisse beizutragen.“
In den Debatten um das Thema Abtreibung seit den späten 1960ern wird dies deutlich in der seltsamen Allianz zwischen dem feministischen Flügel in der SPD (und später bei den Grünen und bei den Linken) und der FDP.
Obwohl sie eigentlich völlig unterschiedliche Weltanschauungen vertreten, scheinen sie sich beim Thema Abtreibung einig zu sein, so auch in der gerade laufenden Debatte um das Werbeverbot (§ 219a StGB). Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Marco Buschmann, schlug der SPD vor: „Wenn die SPD die Streichung von § 219a StGB auf die Tagesordnung setzt, wird eine Mehrheit dafür nicht an der FDP scheitern.“
Kirsten Achtelik erkennt die Gefahr, dass der Begriff „Selbstbestimmung“ eine Normativität zulässt, die ganz von Individualismus und Selbstverwirklichung durch Perfektion und Leistung mitgeprägt ist.
Diese Sicht des Themas würde problemlos erlauben, Kinder, die bestimmte Gesundheitsnormen nicht erfüllen, zu töten (vor oder nach der Geburt).
In den letzten Jahren war eines der wichtigsten Tätigkeitsfelder der linken Bewegungen der Kampf gegen (angeblich) willkürliche Normativitäten. Dieser Kampf bekommt erheblichen Gegenwind durch das Streben nach „Selbstbestimmung“.
Nirgends ist dies deutlicher zu sehen als in den neu hinzugekommenen Themen des Lebensschutzes, etwa der Pränataldiagnostik (vorgeburtliche Untersuchungen). Diese führt bekanntlich zu einer fast vollständigen Tötung aller Kinder mit Behinderungen, wie etwa das Down-Syndrom.
Wenn perfekte Gesundheit zur absoluten Norm erhoben wird, so kann das nur bedeuten, dass Kinder mit Behinderungen keinen Anspruch auf Leben haben dürfen. Zwar drücken das wenige direkt aus, doch das ist die Praxis.
Diese utilitaristische Sicht des menschlichen Lebens hat der australische Philosoph und Tierrechtler Peter Singer philosophisch formuliert. Er plädiert sogar dafür, Kinder nach der Geburt zu töten, sollten sie behindert sein.
Dass es aufgrund technologischer Fortschritte in der Pränataldiagnostik zu Konflikten zwischen dem Ziel „Selbstverwirklichung“ und anderen Zielen linker Bewegungen kommen muss, ist offensichtlich. Achtelik schreibt dazu in ihrem Buch „Selbstbestimmte Norm“ (2015): „Die Forderung nach Selbstbestimmung will dann nur noch individuelle Bedürfnisbefriedigung innerhalb der gesellschaftlichen Normen. Und diese sind – allem Reden von Inklusion und einigen Erfolgen der Behindertenbewegung zum Trotz – allzu oft weiterhin behindertenfeindlich.“
Achtelik erkennt die Gefahr, dass ihre Feinde, die „Lebensrechtler“, den Diskurs in diesen bioethischen Themen dominieren und appelliert an ihr eigenes Milieu, den Feminismus:
„>Lebensschützer< werden wieder lauter und sichtbarer, ihre Gegner*innen halten ihnen die alte feministische Parole des Rechts auf Selbstbestimmung entgegen. In diesem Bild fehlt die feministische Fraktion, die seit den 1980er-Jahren kritisch über die Bedeutung von Selbstbestimmung diskutiert, die Pränataldiagnostik und selektive Schwangerschaftsabbrüche nicht als Erweiterung der Entscheidungsmöglichkeiten für Frauen begreift, sondern als Ausweitung des Normalitätsgebotes.“
Unser Autor Mathias von Gersdorff aus Frankfurt leitet die Aktion „Kinder in Gefahr“ und schreibt seine Artikel regelmäßig auf diesem Blog: http://mathias-von-gersdorff.blogspot.de/
Fotos: Gersdorff (1,3) – BVL: 4
8 Antworten
Noch eine Nachricht an Herrn Horst
Sehr geehrter Herr Horst,
Sie schreiben, meine Ausführungen erinnerten Sie an Ihre Schulzeit im „III. Reich“, in welcher von „Judenbangert“ gesprochen wurde.-
Sie blenden die Tatsache aus, dass die als „Judenbangert“ verunglimpften MENSCHEN die GEBURT vollzogen hatten und allein schon deshalb NICHT mit einem Embryo verglichen werden können und dürfen.
Mit andern Worten,
Sie vergleichen nicht nur Äpfel mit Birnen,
viel schlimmer, Sie vergleichen unvergleichliches.
Ebenso könnten Sie sagen, ein Rotkehlchen kann fliegen, ein Düsenflugzeug kann auch fliegen, also ist ein Düsenflugzeug und ein Rotkehlchen ein- und dasselbe.
Sehr geehrter Herr Horst,
das mag ja alles sein, was Sie schreiben.
Aber Sie blenden eine eminent wichtige TATSACHE völlig aus, nämlich die, dass der Embryo ausserhalb des Uterus NICHT (über)lebensfähig ist.
Und das ist ein entscheidendes Kriterium, um festzustellen, dass ein Embryo KEIN Mensch ist und deshalb jede Frau das alleinige Recht hat, diesen Embryo kurzerhand aus ihrem Bauch entfernen zu lassen.
Guten Tag,
es gibt auch andere Menschen, die ohne die Hilfe von außen „nicht überlebensfähig“ sind, z.B. bestimmte Schwerkranke oder suizidgefährdete Personen.
Ihre Definition überzeugt nicht.
Zudem sind Frühgeburten – selbst wenn sie drei Monate zu früh auf die Welt kommen – sehr wohl außerhalb des Mutterleibs lebensfähig (ich gehöre dazu).
Freundlichen Gruß!
Felizitas Küble
Helft bitte mit, dass diese unschuldigen kleinen Wesen zur Welt kommen dürfen!
Wie, das habe ich im anderen Beitrag zur Abstimmung in Irland geschrieben.
Reden und Empörung helfen nicht weiter.
Ich würde sofort Geld spenden, das jedes Kind braucht. Wer selber Kinder hat, weiß es.
Viele Spenden sollte es geben!
Die Eltern können arbeitslos sein, oder junge Frauen noch in der Ausbildung.
Die Geldspenden müssten an die Kirche gehen, die es mit eigener Mithilfe solchen Eltern zukommen ließe. Auch ein Aufruf für Pflegeeltern wäre wichtig.
Eine Frau, die in der Ausbildung ist, kann ihr Kind tagsüber nicht versorgen, ihre Mutter auch nicht, wenn sie noch arbeitet. Christliche Pflegeeltern sollten sich melden.
Außerdem ist es nicht nur Sache der Frau. Ihr Partner muss auch Unterhalt bezahlen und drängt oftmals die junge Freundin zu einer Abtreibung, weil er nicht 18 Jahre lang bezahlen will.
Wer all diese Probleme außer acht lässt, aber andererseits für Volksabstimmungen ist …
Hier sieht man, wie weit es kommt, wenn man dem Volk wichtige Entscheidungen überlässt.
Vieles sollte das Volk nicht bestimmen dürfen! Dafür sind Politiker mit Verantwortung in der Pflicht.
Würde die vorsätzliche und abscheuliche Tötung vorgeburtlicher Kinder im Mutterleib endlich als das bezeichnet, was es ist, nämlich einzig und allein Mord, käme es nicht zu dieser anhaltend perfiden Einstellung in unserer Gesellschaft.
Sehr geehrter Herr Horst,
eine Abtreibung kann KEIN „Mord“ sein.
„Mord“ im Sinne des § 211 StGB bedeutet, einen Menschen aus niederen Beweggründen zu töten.
Kurz und knapp müssen bei Mord 3 Kriterien erfüllt sein:
1. Mensch
2. Tötung
3. Niedere Beweggründe
Erstens ist der Embryo kein Mensch, sondern nur Körpergewebe der Frau und des Mannes.
Zweitens kann man einen Embryo nicht „töten“, weil er gar nicht „lebt“.
Drittens: Worin liegen die „niederen Beweggründe“ einer Schwangerschaftsunterbrechung?
Wenn die Frau wichtigeres zu tun hat, angenommen, die Frau möchte Frauschaftskapitänin beim Damenfussball werden und eine Schwangerschaft verunmöglicht dieses Vorhaben, wieso erfolgt dann die Unterbrechung der Schwangerschaft aus „niederen Beweggründen“?
Guten Tag,
es geht nicht um die rein juristische Definition von Mord (die übrigens in dieser relativierenden Form in der Nazi-Zeit eingeführt wurde, um die Euthanasie zu ermöglichen, die ja angeblich auch nicht aus „niederen“ Motiven erfolgte!), sondern um die moralische Sicht.
Die Zehn Gebote müssen sich keinem staatlichen Gesetz anpassen (sondern besser umgekehrt).
Ihr Beispiel mit dem Damenfussball zeigt ja, welch oberflächliche – um nicht zu sagen: zynische – Gesinnung in manchen Pro-Abtreibungs-Köpfen vorherrscht.
Freundlichen Gruß!
Felizitas Küble
Eigentlich ist es ganz einfach. Kein Mensch hat das Recht einen anderen Menschen zu töten. Weder ein einzelner einen anderen (Mord, Abtreibung, Totschlag) noch eine ganze Gruppe (Staat, Todesstrafe)