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Münster: Prof. Michael Wolffsohn über Deutschland und Israel in den 50er Jahren

Von Felizitas Küble

Der deutschjüdische, in Israel geborene Historiker Dr. Michael Wolffsohn  – er lehrte jahrzehntelang an der Münchner Bundeswehr-Universität – hielt am vergangenen Montag (3. Juli 2017) einen ebenso tiefschürfenden wie humorvollen Vortrag im Theater von Münster.

Er war prominenter Gast in der Reihe „Gelehrte im Theater“ (siehe Einladungsplakat).

Der  – auch durch Radio und Fernsehen bekannte  – Geschichtswissenschaftler und erfolgreiche Buch-Autor sitzt seit langem „zwischen allen Stühlen“:

Nicht nur, daß er als jüdischer Deutscher  –  so versteht er sich ausdrücklich selber  –  eine christliche Frau geheiratet hat, daß er lebensgeschichtlich sowohl mit unserem Staat wie auch mit Israel verbunden ist; er wird seit Jahrzehnten sowohl von ultrarechten wie von linksradikalen Gegnern attackiert, zumal er in kein Schema paßt.

Die Anti-Wolffsohn-Allergie von linker Seite dürfte damit zusammenhängen, daß dieser unabhängig denkende Historiker dem Zeitgeist durchaus nicht nach dem Munde redet:

Die Wiedervereinigung befürwortet er ebenso (vgl. sein Buch „Keine Angst vor Deutschland“) wie eine klassische Familienpolitik (diesbezüglich übte er in den 90er Jahren z.B. Kritik an Ministerin Rita Süssmuth).

Prof. Wolffsohn würdigt zudem die Friedensliebe der deutschen Heimatvertriebenen und deren „Charta“ des Gewaltverzichts von 1950 (das tat er ausdrücklich auch bei seinem Vortrag in Münster). Er bedauert, daß die palästinensische Seite nicht ebenso gewaltfrei denkt und handelt wie diese deutschen Landsmannschaften.

Er deckt gewisse linke Lebenslügen au und rückt auch geschichtspolitisch einige Stühlchen zurecht, so wenn er z.B. darüber informiert, daß die zahlreichen antisemitischen Aktionen (Friedhofsschändungen, judenfeindliche Drohbriefe etc), die in Westdeutschland Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre weltweites Aufsehen erregten, vom kommunistischen Ostblock (vor allem „DDR“ und Sowjetunion) gesteuert wurden. Darüber klärt er u.a. in seinem Buch „Die Deutschland-Akte“ mit eindeutiger Faktenlage auf  –  auch in Münster ging er auf diese Causa ausführlich ein.

Seine Rede, die neben ersten politischen Themen zugleich mit bewegenden persönlichen Lebenserinnerungen und originellen Anekdoten gespickt war, wurde von den Zuhörern im vollbesetzten Saal mit langanhaltendem Beifall quittiert.

Nach seinem Vortrag war der Autor, der zwischendurch aus seiner soeben veröffentlichten Familiengeschichte („Deutschjüdische Glückskinder“) vorgelesen hatte, gut damit beschäftigt, die vielen Signierwünsche jener Besucher zu erfüllen, die eines seiner Bücher kauften und um ein Autogramm baten  – oder gerne mit ihm persönlich sprechen wollten. Er hatte für alle interessierten Leute ein freundliches Wort und ein offenes Ohr.

Prof. Wolffsohn, der Mitte der 50er Jahre mit seinen Eltern nach Deutschland einwanderte, erlebte seine Kindheit im Heiligen Land, das sich damals als Staat Israel im Aufbau befand. Sein Großvater Karl Wolffsohn war während der NS-Diktatur als Jude verhaftet worden, konnte aber gottlob mit Frau Recha und den Kindern noch rechtzeitig flüchten.

Deutsche Juden, die nach Israel einwanderten und oft in deutschen „Ghettos“ lebten, wurden dort gerne etwas spöttisch als „Jeckes“ bezeichnet – angeblich wegen ihrer korrekt-bürgerlichen Kleidung samt Jacket (Jackentragen auch während der Arbeit in der Landwirtschaft, im Kibbuz etc.)

Wolffsohns Eltern und Großeltern wurden im Heiligen Land nicht so richtig heimisch; die wirtschaftlichen Probleme waren zudem immens, der junge Staat anfangs ziemlich sozialistisch orientiert, was ebenfalls nicht zur bürgerlichen Einstellung der Wolffsohn-Familie paßte.

Zudem gab es vor allem durch die deutsche Sprache noch erhebliche geistige Verknüpfungen mit der früheren Heimat.

Freilich saß auch die Enttäuschung tief in den Knochen und der Seele, zumal gerade die alteingesessenen Juden insgesamt besonders deutsch-patriotisch dachten und lebten; sie waren nicht etwa nur integriert, sondern assimiliert (angeglichen); sie teilten weitgehend das gleiche Lebensgefühl und Kulturempfinden wie die nichtjüdischen Deutschen  – einschließlich der „deutschen Tugenden“ etc.  Die meisten Juden wollten dies so beibehalten und sogar noch steigern.

Doch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft sorgte  – so Wolffsohn  –  für ein Ende dieses Wunschtraums, der zum Alptraum wurde – und damit zum Trauma von Generationen jüdischer Verfolgter und Überlebender.

Die Nachkriegszeit war geprägt vom „Kalten Krieg“ zwischen den Westmächten und der kommunistischen Sowjetunion. Die USA  – und allgemein die NATO, das westliche Verteidigungsbündnis  –  benötigte die Bundesrepublik Deutschland nicht nur als Handelspartner, sondern vor allem als Bollwerk gegen den Ostblock und besonders die „DDR“.

Daher folgte die Einführung der Bundeswehr und die sogenannte „Wiederbewaffnung“, die damals sehr umstritten war, aber von Kanzler Adenauer  – der sich als langfristig denkender Staatsmann erwies – befürwortet und durchgesetzt wurde.

FOTOS: Prof. Wolffsohn signiert seine Bücher und unterhält sich mit Zuhörern

Adenauer sorgte bei seinen Verhandlungen mit dem israelischen Ministerpräsidenten David Ben Gurion zugleich dafür, daß es zu Wiedergutmachungs-Vereinbarungen mit dem jüdischen Staat gekommen ist – dies hatte laut Wolffsohn sowohl „moral- wie realpolitische“ Gründe.

Diese Staatszahlungen wurden in Israel sehr kontrovers und heiß debattiert – besonders deutschlandkritische Politiker wie z.B. Begin sprachen damals von „Blutgeld“. Doch die dortige Staatsführung wußte, daß die Wiedergutmachungsleistungen Deutschlands für den weiteren Aufbau des eigenen Staates lebensnotwendig waren.

Positiv äußerte sich Wolffsohn auch über die freie und soziale Marktwirtschaft, die Ludwig Erhard bzw. CDU und FDP in den 50er Jahren – durchaus gegen Widerstand von linker Seite –  einführten. Diese Wirtschaftsform jenseits von staatsplanerischem Sozialismus und unbeschränktem Kapitalismus habe zum Erfolg geführt und das sogenannte „Wirtschaftswunder“ in Deutschland erheblich begünstigt.

Alte Nazis, das verdeutlichte Prof. Wolffsohn in seinem Vortrag, gelangten keineswegs nur in Westdeutschland in wichtige Stellungen, sondern auch in der „DDR“, wenngleich dies von der dortigen kommunistischen Führung bestritten wurde   – aber die Aktenlage ist eindeutig.

Der Historiker bezeichnete die Wiedereinsetzung von politisch belasteten Personen in ihr Amt grundsätzlich als „funktionale Notwendigkeit“. Naive Vorstellungen von einem kompletten personellen Neuanfang nach einer Diktatur seien illusionär, wie die Weltgeschichte sei jeher aufzeige. Im moralischen Ideal-Sinne sei eine wirklich „erfolgreiche“ Vergangenheitsbewältigung insofern gar nicht möglich.

Der Geschichtsprofessor erklärte abschließend, daß das deutsche Wort „Geschichte“ den Sachverhalt einzigartig gut bezeichne; es sei weltweit der beste Begriff hierfür:  Geschichte bestehe aus mehreren „Schichten“, die gleichsam aufeinander lagern bzw. übereinander liegen. Man könne die obere Schicht nur richtig verstehen, wenn man die darunterliegenden Schichten berücksichtige.

Unsere Autorin Felizitas Küble leitet den KOMM-MIT-Jugendverlag und das Christoferuswerk in Münster, das dieses CHRISTLICHE FORUM betreibt.

Kommentare

4 Antworten

  1. Ich kann mir diesen Abend mit Prof. Wolffsohn als sehr informativ vorstellen. In den von mir erlebten Talkshows und Gesprächskreisen im Fernsehen höre ich diesem Historiker Wolffsohn am liebsten zu. Er weiß viel über unsere Geschichte und die Zusammenhänge bis in die heutige Zeit.
    Vor allem gefällt mir seine ruhige Redeweise, die überhaupt nicht überheblich daherkommt.
    Machen Sie weiter so, Herr Professor!

  2. Leider hat Wolffsohn vor einigen Jahren die Ächtung der Folter relativiert. Dafür gibt es keine Entschuldigung. Es sei denn er hat seinen Standpunkt revidiert.

  3. Ich kenne andere Vorträge oder Diskussionsbeiträge Wolffsohns zu diesem Thema, etwa das hier https://www.youtube.com/watch?v=XaLVrHEY50k, bin aber mit ihm oft nicht ganz konform. Sehr irritiert war auch auch darüber, dass er im Herbst 2015 und noch lange danach vollkommen hinter Merkels Flüchtlingspolitik stand. Wie es aussah, schien er – für meine Begriffe – geradezu „ultranaiv“ angesichts der Ereignisse. das konnte ich nicht glauben und dachte damals irritiert, wem er eigentlich hier die Stange hält oder aus welchen Gründen er es tut. Mit den Rechtsbrüchen, die damals ein Gesprächspartner aus der Historikerzunft, Ulrich Herbert https://www.youtube.com/watch?v=5jly5EiH-PI&t=2726s benannte, hatte er keinerlei Probleme. Er schlingerte eher ständig zwischen den Argumenten hin und her. Auch das irritierte mich total.

    Die Hälfte der bundesdeutschen Bevölkerung lehnte jedenfalls zu Beginn der 50er Jahre nach einer damailigen Allensbach-Umfrage diese Entschädigungszahlungen an Israel ab, ebenso auch einige Kreise in Israel. Dass Wolffsohn dies alleine fast ein bisschen suggestiv den Radikalen an den Rändern zuweist, finde ich zu oberflächlich gesehen. Menachem Begins Rede vom „Blutgeld“ ist sachlich nicht ganz falsch, auch ist die Abwehr linker und rechter Kreise, damals übrigens auch der FDP, nicht bloß Ergebnis eines antisemitischen oder antizionistischen Ressentiments. Ich hätte mir gewünscht, dass das ein bisschen tiefschürfender durchleuchtet wird.

    Eines aber finde ich wichtig: Israel ist genauso wie alle anderen westlichen Regierungen verstrickt in einen undurchsichtigen politisch-okkultistischen Sumpf. Was sich abspielt, hat mehrere Böden, es ist nicht bloß eitel Sonnenschein. Ein Aufblitzen dieser übelsten Machenschaften erlebten wir, als Yitzchak Rabin ermordet wurde. Wenn man alleine den Wiki-Artikel leist, der natürlich nicht neutral ist, erkennt man dennoch, dass Israel im Grunde der Schauplatz der machtkämpfe konkurrierender und teilweise wieder einiger globaler Eliten ist. Immerhin ist die Hälfte des Untersuchungsberichtes zum Mord seitens der israelischen Regierung geheimgehalten worden – alleine das sagt uns alles. Wenn eine solche Quellen-Zurückhaltung vorliegt, muss man stets davon ausgehen, dass die sachlage völlig anders ist, als sie narrativ ans Volk weitergegeben wird.

    Wer hängt also hier mit wem zusammen?
    Man wundert sich über vieles. Auch wissen wir, dass die EU bzw. Außenministerien von EU-Staaten aktiv in die israelische Politik einwirken, etwa durch finanzielle Unterstützung israelkritischer Vereine (deswegen wurde wohl Gabriel neulich ausgeladen).

    Bei Michael Wolffsohn kommen diese undurchsichtigen Dinge aber nicht zur Sprache. Ich kann fast nicht glauben, dass er die Dinge wirklich so unbefangen sieht.

    Noch was Kurioses, hinter dem auch wieder irgendwelche machenschaften stecken, die man so schwer durchschaut:

    https://www.welt.de/welt_print/article2129475/In-Weimar-soll-ein-juedischer-Staat-entstehen.html

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