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Neue Studien belegen die große Bedeutung der ersten Lebensjahre des Kindes

Von Christa Meves

In den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts ging es durch die westliche Öffentlichkeit, dass die von dem gestürzten kommunistischen Diktator Ceauşescu in rumänischen Heimen untergebrachten neugeborenen Kinder nun von liebevollen Eltern im Ausland adoptiert werden dürften.

Für mehr als hundert Kleinkinder, die sich in einem erbärmlichen Zustand befanden, kam man diesem Angebot vornehmlich in den USA, in der Schweiz, in Deutschland und in England nach. Jetzt sind diese in unterschiedlichem Alter erwachsen – und in ihrem Verhalten immer noch für die Forschung ein bedeutsames Objekt mit scheinbar ungelösten Fragen:

Sind z. B. erste Lebensjahre im Kollektiv ein fest eingeprägter Entfaltungsbehinderer und damit eine zu meidende Erziehungsform oder lässt sich der regelmäßig festgestellte Entwicklungsrückstand des einzelnen Kindes mithilfe späterer liebevoller Mühewaltung aufholen – sowie viele andere Fragen mehr.

Meine Praxisarbeit – vor allem in den letzten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts – ließ mich vermuten, dass in der Erziehungsberatung immer öfter solche Fragen dringend geklärt werden müssten: Denn nicht nur im Osten, auch im Westen drängte die Wirtschaft grundsätzlich zur Erwerbstätigkeit der jungen Mütter mit der Begründung, professionelle Pflegerinnen könnten bessere Ergebnisse erzielen als Laienmütter von Kleinkindern.

Ursula von der Leyen betonte dazu als niedersächsische Familienministerin (2005 – 2009), dass in Zukunft alle Frauen erwerbstätig sein würden!

Meine Erfahrung lehrte mich aber: Um Himmels willen, bitte nicht in den ersten drei Kinderjahren! Glück oder Unglück, leichte Lenkbarkeit und gutes Fortkommen in der Schule haben eine Hauptbedingung: viel, viel Nähe zwischen Mama und ihrem Schatz in dessen ersten Lebensjahren, am besten in einer harmonischen Familie weiter noch in den Jahren darüber hinaus!

Diese lange geltende, ab den siebziger Jahren aber immer mehr schwindende Grundregel für ein Aufwachsen in seelischer Gesundheit in der bürgerlichen Pädagogik westlicher Staaten nötigte mich, schon Erfahrenes in der Praxis – besonders die Wichtigkeit früher Bindungen – in einem wissenschaftlichen Buch zusammenzufassen; denn international ließ sich hier schon einiges wissen (z.B. Bowlby und Spitz).

Ich veröffentlichte dort z. B. farbige Hirnbilder (internationale Forschungsarbeit hatte die Behinderung kollektivierter Kinder sichtbar gemacht), erwähnte dort die Forschungsarbeit der Langzeit-NICHD-Studie in den USA, ich lauschte hinein in die Berichte aus der abgestürzten Sowjetunion und ihren staatlich verordneten Kinderkrippen und in die tschechischen Erfahrungen mit heranwachsenden Krippenkindern.

„Geheimnis Gehirn“ heißt das Buch, 2006 erschienen im Verlag Ingo Resch.

Was bereits vorher und besonders per Neurologie international hinzukam, lässt sich heute ergoogeln. Zu meiner Freude erschien kürzlich z. B. in England eine Studie mit der psychologischen Forscherin Nuria Mackes: https://www.deutschlandfunk.de/studie-ueber-rumaenische-heimkinder-psychologin-gehirne-100.html

Sie hat sogar eine geringere Größe der Gehirne der einst kollektivierten und dann erst adoptierten Kinder, die jetzt erwachsen sind, festgestellt. Fettgedruckt heißt ein Resümee: „…bestimmte Erfahrungen und bestimmte Einflüsse im frühen Leben lassen sich halt so nicht mehr aufholen.“

Und weiter kommt Nuria Mackes in einem Interview zu ihrer Studie zu dem Schluss, dass „gerade die ersten paar Lebensmonate und -jahre entscheidend sind für die Gehirnentwicklung. Das heißt, was wir jetzt z. B. hier mit unseren rumänischen Adoptierten haben, ist, dass sie, sobald sie adoptiert waren, sie in sehr positiven und fürsorglichen Familien untergebracht waren, die sich sehr um sie gekümmert haben. Und obwohl wir eine sehr starke Erholung gesehen haben in der physischen und der kognitiven Entwicklung, bei manchen Adoptierten war diese Erholung nicht komplett. Und auch immer noch geht es mit Veränderungen in der Hirnstruktur einher. Das heißt, das spricht wirklich für einen wichtigen Einfluss der ersten paar Lebensmonate und -jahre.“

Aber leider hat diese wissenschaftliche Erkenntnis keine Auswirkung auf die allgemeine Fahrtrichtung in der westlichen Welt gehabt.

Ja, hier halten es immer mehr Eltern ohne Not für angebracht, ihre Kinder spätestens ab dem ersten Geburtstag in Kinderkrippen zu geben, weil man fälschlicherweise gesagt bekommt, die vorhandenen Fachkräfte würden eine bessere Intelligenzentwicklung der Kinder bewirken können. Aber die Forschung hatte das doch widerlegt, ja sogar das Gegenteil bewiesen!

Trotz dieser traurigen Akzente ist aber das Verantwortungsbewusstsein erfahrener Fachleute nie verstummt.

Sehr negative Berichte erhielt ich schon vor Jahren von Schweizer Familien. Sie gaben an, dass die adoptierten, nun pubertierenden ehemaligen Waisenkinder, besonders die Jungen, außer Rand und Band geraten waren. Aggressionen und schlimme Rechtsbrüche produzierten sie geradezu wie am Fließband. Eine Familie wurde dadurch genötigt umzuziehen, weil die Dorfgemeinschaft die immer neuen Verstöße nicht mehr ertragen konnte. 
 
Als eine Bestätigung und zugleich eine Ausnahme bekam ich in jüngster Zeit hierzulande die Anamnese eines rumänischen Waisenkindes zu hören, das im Alter von zwei Jahren von einem kinderlosen Paar adoptiert worden war.

Das Mädchen war zunächst in Bezug auf seine Motorik und sein Sprachvolumen total unzureichend entfaltet gewesen, berichtete man jetzt. Mit der ambulanten Zusatzhilfe einer kompetenten Logopädin und eines Physiotherapeuten erreichte man bis zum Alter von zehn Jahren in engem Verbund mit der Ersatzmutter den Stand eines üblichen Grundschulalters. Vor allem aber hatte diese Mutter bald schon die offensichtlich hohe kreative Begabung des Kindes entdeckt und in der Beschäftigung mit ihm reichlich gefördert.

Auf dieser Basis machte das Kind erstaunliche Fortschrittssprünge, so dass dem Mädchen jenseits der Jugendzeit jetzt sogar eine Ausbildung in einer Design-Fachschule genehmigt wurde! Gehalten wird das ganze Gefüge offenbar von einer noch immer sehr engen Mutterbindung. Der übliche pubertäre Befreiungsschlag wartet also noch verspätet der Ausreifung entgegen …

Sogar Psychotherapeuten, die bei Patienten mit einem ähnlichen Schicksal noch manche partielle Rückstände feststellen, brauchen also trotz der bestätigten Erkenntnis der frühen hinderlichen Prägung nicht den Mut zu verlieren. Mit viel Geduld und rasanter Opferbereitschaft ist dennoch im  besten Fall Selbstständigkeit und Selbsterhaltung von den einst gequälten Babys im Erwachsenenalter möglich.

Das also ist der Schluss auf dem Boden von erhärteter Erfahrung und Forschung: Mutter und Kind gehören in dessen ersten drei Lebensjahren zusammen.

Deshalb ließe sich durch eine angemessene, familienfreundliche Politik viel mehr seelisch gesundes Erwachsensein zum Sprießen bringen; denn von unserem Schöpfer ist Mutternähe in den ersten Lebensjahren – offenbar zum Segen aller – als erznatürlich für eine gesunde, leistungsfähige Zukunft – von höchster Stelle aus – dringlichst gewollt.

Unsere Autorin Christa Meves ist Psychotherapeutin für Kinder/Jugendliche, bekannte Publizistin und Bestsellerautorin seit Jahrzehnten
 

Kommentare

3 Antworten

  1. Es ist interessant, in welchem Zusammenhang GOTTES WORT darauf hinweist, dass Kinder eine „Gabe des HERRN sind“:
    Psalm 127 – von Salomo
    Wenn der HERR nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen.
    Wenn der HERR nicht die Stadt behütet, so wacht der Wächter umsonst.
    Es ist umsonst, dass ihr früh aufsteht und hernach lange sitzet
    Und esst euer Brot mit Sorgen;
    Denn Seinen Freunden gibt ER es im Schlaf.
    Siehe, Kinder sind eine Gabe des HERRN, und Leibesfrucht ist ein Geschenk.
    Wie Pfeile in der Hand eines Starken,
    so sind die Söhne der Jugendzeit.
    Wohl dem, der seinen Köcher mit ihnen gefüllt hat! Sie werden nicht zuschanden, wenn sie mit ihren Feinden verhandeln im Tor.

  2. Danke, Frau Meves, für Ihre unermüdliche Arbeit. Vergelt’s Gott.
    Ein jahrtausendealtes Sprichwort zu Ihrer wunderbaren Lebensleistung kommt mir in den Sinn: gútta cavát lapidém non ví sed sémper cadéndo (Steter Tropfen höhlt den Stein).

  3. Ich war gerade Mutter geworden, als mich die Bilder aus den rumänischen Kinderheimen erreichten. Mir standen jedesmal die Tränen in den Augen. Auch die Reportagen von den erbärmlichen Zuständen dort liessen mich innerlich sehr unruhig werden.

    In meinem Familienkreis war die Karriere der Frau an oberster Stelle. Schnell sollte ich wieder dem Arbeitsmarkt und der persönlichen Karriere zur Verfügung stehen.
    Innerlich war ich unzufrieden damit. Ich schaffte es durch die Geburt meiner behinderten Tochter, mich von dieser falschen Art der Emanzipation zu befreien.
    Ich kann nur jeder Mutter anraten, ihrem Kind auch über das dritte Lebensjahr hinaus eng verbunden zu sein.
    Es ist eine wichtige Zeit und man kann Christa Meves nur unterstützen in der Ausführung in ihrem Bericht.
    Zeiten, die unwiederbringlich sind.

    Ich hoffe sehr, dass die jetzigen Mütter erkennen , wie wichtig sie als Bezugsperson für die Kinder sind.
    Die Arbeitgeber werden es den Müttern nicht danken. Die Kinder schon

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