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Psychiater Dr. Raphael Bonelli über Abwehr-Reaktionen anti-religiöser Atheisten

In einem Interview mit dem Schweizerischen „Tagesspiegel“ vom 1. Februar 2012 äußert sich der Wiener Psychiater und Neurologe Dr. Raphael Bonelli über jene Atheisten, die aggressiv auf Religion reagieren  (gemeint sind also nicht etwa  tolerante Nichtchristen bzw. Agnostiker).
Dabei weist Bonelli darauf hin, daß es sich bei angriffslustigen und verbissenen Formen des Atheismus nicht selten um unterdrückte Neidgefühle (auf die Gläubigen und ihren inneren Halt, ihre religiöse Geborgenheit) handelt und daß  – neben ideologischen Überzeugungen  –  auch seelische Abwehrmechanismen mitunter eine erhebliche Rolle spielen.
Auf die Frage „Wodurch fühlen sich Atheisten denn bedroht?“ antwortet Dr. Bonelli:
„Aus meiner Sicht erscheint es heute angebracht, drei narzisstische Kränkungen des modernen und postmodernen Menschen zu postulieren. Die erste besteht darin, dass Gott nach wie vor nicht tot ist, obwohl Friedrich Nietzsche vor 150 Jahren dessen Ableben diagnostizierte. Nietzsche zum Trotz blühen die Religionen weltweit. In die Abwehr der schmerzhaften Realität, dass jedem Menschen eine natürliche Religiosität innewohnt, die Victor Frankl in seinem Buch «Der unbewusste Gott» beschrieben hat, wird viel Kraft investiert. Diese Abwehrkräfte können als antireligiöse Affekte und Handlungen wahrgenommen werden.
Noch viel schmerzhafter, weil bedrohlicher, wird aber als zweite Kränkung die moralische Instanz erlebt, die den Glaubensgemeinschaften innewohnt. Die heute gehandelten alternativen Ethikangebote sind ebenso farblos wie inhaltsleer, und damit beliebig, verbiegbar und schmerzfrei. Dafür steht ein wahrhafter Gottesglaube nicht zur Verfügung.
Die monotheistischen Religionen degradieren den selbst zu Gott gewordenen modernen Menschen zum Geschöpf und nehmen ihn mit unmanipulierbaren Normen in die Pflicht. Damit decken sie seine verdrängte Schuld auf, weil sie mit Geboten den Finger in seine Wunde legen. Es kränkt ihn, nicht unfehlbar zu sein und sich verantworten zu müssen.
Für die dritten Kränkung des antireligiösen Menschen hilft ein Bild aus der innerfamiliären Psychodynamik: die eifersüchtige Aggression manches Pubertierenden auf jüngere Geschwister, die sich deswegen notgedrungen mit den Eltern verbündet haben. Denn der ambivalente Halbwüchsige sehnt sich nach der elterlichen Liebe, die er ausschlägt.
Dem analog empfindet der Antireligiöse Neid und Eifersucht darüber, dass der Gläubige bei Gott Liebe, Sicherheit und Geborgenheit findet, und er selbst sich einsam durch die graue und grausame Welt schlagen muss. Die Kränkung besteht darin, gottlos zu sein, obwohl man sich unbewusst nach Transzendenz sehnt. Kain hat aus diesem Grund Abel erschlagen.“

Kommentare

9 Antworten

  1. @Muriel: man muss sich ja vor Augen halten, dass der Mann aus seiner Praxis als Psychiater spricht und da bekommt die Klientel ja schon mal Dinge an den Kopf geschmissen, ähm.. diagnostiziert, die durchaus von der subjektiven Wahrnehmung abweichen können. 😉 Als Laie wird man vermutlich auch das Verhalten der Mitmenschen oft anders „interpretieren“ als ein Psycho-Doc. Es geht ja auch nicht um einen bewussten Standpunkt sondern um *verdrängte* Gefühle.

    1. Na gut. Was mit den Patienten von Herrn Dr. Bonelli los ist, kann ich natürlich nicht beurteilen. Ich wollte nur gesagt haben, dass ich diesen Standpunkt nicht kenne, den er da schildert.
      Sollte es Studien geben, die seine Position bestätigen, würden die mich natürlich sehr interessieren. Ich lerne ja immer gerne Neues darüber, wie Menschen so denken.

  2. Hallo zusammen,
    ich wollte noch paar Worte zu den Begrifflichkeiten schreiben, weil ich nicht selten das Gefühl habe, dass es da allgemein! durcheinander geworfen wird.
    Also ich denke Agnostiker sollte man da außen vor lassen, da ja diese weder an Gott glauben, noch daran, dass es ihn nicht gibt. Atheisten (im engeren Sinne) wiederum *glauben* an die Nicht-Existenz Gottes, ohne dies beweisen zu können. Und hier muss dann eben noch zwischen den toleranten und „kämpferischen“ Vertretern unterschieden werden, auf die sich Dr. Bonelli bezieht. („Tolerante Nichtchristen“ ist dann aber auch etwas unglücklich gewählt, da es sich sowohl um Angehörige anderer Religionen als auch Atheisten handeln kann.)
    Übrigens: ich selber kenne zwar auch nur tolerante Atheisten, aber man trifft ja auf die der anderen Sorte als Zuschauer diverser TV-Sendungen oder auf verschiedenen Websites. Und die Leidenschaft, mit der gegen die Religionen, allen voran die christliche, gewettert wird ist schon erstaunlich und beklemmend. Da ist nicht selten regelrechter Hass zu vernehmen und so fragt man sich, woher all dieses kommt. Wohlgemerkt: es geht nicht um Kritik gegen die Kirche sondern den Glauben an Gott/Christus selbst. Zuweilen habe ich den Eindruck, als ob unter den Atheisten der Glaube häufiger ein Thema ist als unter den Gläubigen selbst. 😉 WARUM?

  3. Och, ist das nett. Da sind so viele Ideen drin, ich könnte aus jedem Satz einen Blogpost machen.
    Zum Beispiel die Idee, dass monotheistische Religionen den Menschen „degradieren“.
    Hier der Glaube, dass der Mensch ein mehr oder weniger zufälliges Produkt eines gleichgültigen Universums ist und irgendwann genauso spurlos vergehen wird wie alles andere darin, und dass nach diesen paar Jahrzehnten, die wir eben haben, für jeden Einzelnen von uns sowieso alles für immer vorbei ist.
    Dort der Glaube, dass der Mensch der Zweck und Höhepunkt der Schöpfung eines liebenden allmächtigen Wesens ist, das für uns eine Ewigkeit in Glück und Frieden und seiner wärmenden Nähe vorgesehen hat, nachdem wir die kurze Zeit in dieser Welt hinter uns gebracht haben.
    Wo nimmt der Mann seine Ideen her?

    1. Guten Tag,
      Dr. Bonelli meint nicht selber, daß monotheistische Religionen den Menschen „degradieren“, sondern stellt damit lediglich den atheistischen Standpunkt dar, den er dann ja kritisch beleuchtet.
      Freundlichen Gruß!
      Felizitas Küble

      1. So habe ich es auch verstanden. Aber das ist ja aus meiner Sicht gerade die Albernheit.
        Es gibt erstens „den atheistischen Standpunkt“ schon gar nicht, oder genauer: Nur in Bezug auf eine einzige Frage, nämlich die, ob man an Götter glaubt, und zweitens habe ich bisher von keinem Atheisten gehört, der diesen Standpunkt vertritt, der angeblich „der atheistische“ wäre.
        Kennnst du einen?

        1. Guten Tag,
          ich kenne keinen religionsfeindlichen Atheisten persönlich (und um d i e geht es im Artikel), wohl einige Agnostiker – und ich habe schon in der Einleitung bewußt zwischen Kampf-Atheisten und Agnostikern unterschieden.
          Was Dr. Bonelli betrifft, so ist er der zuständige Adressat für seine Aussagen; ich hätte einiges auch anders formuliert, weshalb ich eine „differenzierende“ Einführung vor den Interviewausschnitt setzte. Gleichwohl finde ich seine Ausführungen insgesamt nachdenkenswert und größtenteils zutreffend.
          Freundlichen Gruß!
          Felizitas Küble

      2. Ich weiß natürlich nicht genau, wie repräsentativ meine Wahrnehmung ist, aber ich als religionsfeindlicher Atheist, der durchaus zahlreiche Gleichgesinnte kennt, würde behaupten, dass die Personen, von denen Bonelli da spricht, bestenfalls als sonderbare Nischengruppe existieren.
        Ich habe noch von keinem Atheisten gehört, auf den seine Ausführungen zuträfen.
        Aber du hast natürlich Recht, das müsste ich wohl mit ihm diskutieren.

  4. Das sind ja höchst interessante Aussagen.
    „Die Kränkung besteht darin, gottlos zu sein, obwohl man sich unbewusst nach Transzendenz sehnt. Kain hat aus diesem Grund Abel erschlagen.“
    Demnach müssten sich die Atheisten oder zumindest ein großer Teil von ihnen in einem Zustand starker Verzweiflung befinden, selbst wenn diese vielleicht nicht so bewusst wahrgenommen wird.

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