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Renate Greinert: "Hirntote" sind Sterbende – und damit Lebende!

Offener Brief von Renate Greinert an Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, Gesundheitsminister Daniel Bahr,  Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sowie an alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages und alle Mitglieder des Bundesrates.

Seit den Anfängen der Transplantationsmedizin wird die Gesellschaft nur einseitig werbend im Sinne der Transplantationsmedizin aufgeklärt, um die Organgewinnung zu maximieren.
Der Bevölkerung wird darin vermittelt, Organspende sei ein Akt der christlichen Nächstenliebe. Auch wird fälschlicherweise ein Kausalzusammenhang zwischen dem Tod schwer kranker Menschen und einem Mangel an Organen hergestellt: Täglich würden in Deutschland drei Menschen sterben, weil zu wenig Menschen Organe spendeten.
Die Aufklärung beinhaltet hingegen keine Informationen über die Konsequenzen einer Organentnahme für den Geber und dessen Angehörige.
Hans Lilie, Lehrstuhlinhaber für Strafrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, hat in seiner Festschrift zum 10-jährigen Bestehen des Transplantationsgesetzes erklärt: „Anders als bei herkömmlichen Heileingriffen erfordert die freiwillige Erklärung zur Organspende keinerlei ärztliche Aufklärung.“  – Es bliebe „den Einzelnen überlassen, sich selber die notwendigen Informationen zu besorgen“.
Wir, eine Gruppe von Menschen, die uninformiert der Organentnahme bei ihren Angehörigen zugestimmt haben und Wissenschaftler, Ärzte, Juristen, Theologen, Journalisten, mit denen wir zusammenarbeiten, sehen das anders.
Die Einwilligung setzt voraus, dass sie unbeeinflusst von Zwang und Täuschung sowie mit der Vermittlung ihrer ganzen Tragweite erteilt wird und dass der Einwilligende einwilligungs-, d.h. geschäftsfähig ist.
Es ist verfassungswidrig, dass die im Transplantationsgesetz (TPG) verankerte Definition des Todes von der Bundesärztekammer vorgenommen wurde.
Schließlich obliegt die Gesetzgebung des Bundes nach Artikel 77GG dem Deutschen Bundestag und nach Maßgabe des Artikels 50GG in den dafür vorgesehenen Fällen auch dem Bundesrat.
Die Bundesärztekammer hingegen ist ihrer Rechtsform nach ein nicht rechtsfähiger Verein, auf den gemäß §54 Satz 1 BGB die Vorschriften über die Gesellschaft bürgerlichen Rechts Anwendung finden.
Laut TPG § 3, 2 ist die Entnahme von Organen oder Geweben, soweit in § 4 oder § 4a nichts Abweichendes bestimmt ist, nur zulässig, wenn „der Tod des Organ- oder Gewebespenders nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist“.
Die Grundannahme, der „Hirntod“ sei der Tod des Menschen und die betroffenen Patienten seien Leichen bzw. Verstorbene, entspricht aufgrund jahrzehntelanger medizinischer Erfahrungen nicht mehr dem Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft.
In der international geführten Fachdiskussion werden mittlerweile selbst von renommierten Transplantationsmedizinern und Medizinethikern „hirntote“ Patienten als Sterbende definiert.
Damit ist die ethische und rechtliche Frage nach der gesellschaftlichen Rechtfertigung bzw. Verurteilung von der medizinischen Tötung der Spender durch die Organentnahme aufgeworfen (der Tod tritt z. B. infolge der Explantation des Herzens oder wenn das Herz nicht entnommen wird, durch Ausbluten des Spenders ein).
Bevor diese Frage nicht umfassend von der Politik erörtert, reflektiert und geklärt ist, werden die Einführung der vom Gesetzgeber geplanten Erklärungspflicht oder Entscheidungslösung und alle weiteren Änderungen des augenblicklichen Transplantationsgesetzes hinfällig.
Sollte aber dennoch über den aktuellen Wissensstand der Hirntodforschung hinweggegangen werden, ist festzuhalten:
Eine Entscheidung für oder gegen eine Organspende zu fällen, setzt eine umfassende Aufklärung der potentiellen Spender voraus. Es muss der Bevölkerung verständlich erklärt werden, dass ein Organspender während der Organentnahme noch lebendig ist, denn die Verpflanzung von Organen, die aus einem toten Körper stammen, wäre für die Empfänger tödlich.
Dieses Phänomen verweist nochmals auf die Tatsache, dass ein Organspender auf dem Operationstisch durch medizinisches Handeln als Folge der Organentnahme stirbt.
Auch hier muss unter dem Gesichtspunkt, dass der Spender sich noch im Sterben befindet, die Frage gestellt werden, ob es gesetzeskonform ist, selbst- oder fremdbestimmt über das mit medizinischen Methoden und ärztlicher Hilfe herbeigeführte Ende des eigenen Lebens bestimmen zu können.
„Euthanasie“ und Sterbehilfe sind in Deutschland verboten.
Das Prozedere der Organgewinnung beinhaltet außerdem einen Verstoß gegen die Würde eines sterbenden Menschen, denn er wird, wie es in der transplantationsmedizinischen Sprache heißt, zum „human vegetable“, „menschlichen Herz-Lungenpräparat“, „lebenden Restkörper“, „Herz-Lungen-Paket“ oder „Organangebot“ und damit zu einem Objekt degradiert.
Auch die Hirntoddiagnostik ist, sofern sie im Rahmen einer anschließenden Organentnahme durchgeführt wird, fremdnützig.
Zudem birgt sie, wie jede andere Diagnostik auch, die Gefahr von Fehlurteilen in sich, und beinhaltet auch Vorgänge, die zum Teil aggressiv und medizinethisch fragwürdig sind (z.B. Eiswasserspülungen der Ohren, Apnoetest, Angiographie).
Auch über diese gravierenden medizinischen Eingriffe vorab der eigentlichen Organgewinnung ist jeder einzelne Organspender detailliert zu informieren, denn wie bei jeder invasiven Diagnostik kann erst nach einer Aufklärung die schriftliche Einwilligung erfolgen.
Die Hirntoddiagnostik wird an einem Menschen durchgeführt, der den Patientenstatus beansprucht und dem somit alle Rechte eines Patienten zustehen.
Hans Jonas, einer der großen Philosophen des 20. Jahrhunderts, hat 1986 anlässlich einer Fernsehaufzeichnung in der Katholischen Akademie Hamburg erklärt: Der Anspruch der Gesellschaft an mich endet an meiner Haut, im Sterben sollte ich meine eigenen Bedürfnisse bedenken.
Renate Greinert, Vorstandsmitglied der KAO (Verein: Kritische Aufkärung über Organtransplantation)
Webseite: http://www.initiative-kao.de/

Kommentare

8 Antworten

  1. Ja, wie so schön gesagt wurde, jeder kann über seinen Körper selber entscheiden. Und warum werden die Menschen hier, die nicht Spenden wollen, weil sie in Ruhe und unversehrt sterben wollen, so verurteilt?
    Wenn es das Schicksal es zulässt, möchte ich in der letzten Stunde meiner Liebsten (Mann und drei Kinder) ihre Hand halten. Und sie nicht alleine im OP sterben lassen. Denn „Hirntote“ sind für mich Sterbende.
    Also akzeptiert doch bitte auch diese Meinungen und Einstellungen.

  2. Mich würde interessieren was die gute Frau gesagt hätte, wenn sie auf der anderen Seite gestanden wäre. Wenn ihr Sohn durch ein Transplantat hätte gerettet werden können, hätte sie es abgeleht? Wohl nicht! Ob mein Körper von Medizinern ausgeweidet wird oder von Würmer macht für mich keinen Unterschied. Ihr Sohn wäre so oder so nicht mehr da.

    1. Guten Tag,
      ob Ihr Körper noch lebt oder nicht, wenn er „von Medizinern ausgeweidet“ wird, macht aber schon einen Unterschied – im Grab jedenfalls sind Sie keine Sterbende, sondern eine wirklich Verstorbene. Ihr Vergleich hinkt also gewaltig.
      Freundlichen Gruß!
      Felizitas Küble

      1. Warum macht das einen Unterschied? In dem moment vor der Organentnahme „lebt“ der Körper nur noch durch Maschinen. Wie gesagt, wie wäre es anders herum abgelaufen? Wer würde ein Organ ablehnen, das mein Leben oder das eines geliebten Angehörigen? Hätte Frau Greinert ihren Sohn sterben lassen nur damit ein toter Körper unversehrt bleibt? Außerdem gibt es für jeden selbst die möglichkeit über seinen Körper nach seinem ableben zu bestimmen.

        1. Guten Tag,
          seitdem ich weiß, wie problematisch die Hirntod-Diagnose ist und daß es sich bei der Organentnahme um Sterbende handelt, würde ich niemals mit einem auf diese Art gespendeten Organ (weiter)leben wollen. Anders ist es bei Lebendspenden – zB. wenn Angehörige eine Niere spenden: dann leben beide Personen weiter, das ist gut so.
          Freundlichen Gruß!
          Felizitas Küble

  3. In diesem Artikel wird nicht erwähnt, dass der Sterbende ohne den Einsatz von Herz- / Lungenmaschine nicht mehr in der Lage wäre, zu überleben. Nach Abschalten der Maschinen stirbt der Patient unweigerlich, so wie es bei allen Nicht- Spendern täglich geschieht.
    Es bleibt nun jedem selber überlassen, zu entscheiden, ob er bereit ist, durch das Abschalten der Maschinen zu sterben oder nach der Entnahme der Organe.

    1. Sterben ist sowohl ein soziales Geschehen als auch die medizinische Folge einer Krankheit. Ob es in einem Beziehungsnetz von Familie und Freunden oder ob es sich auf dem Operationstisch durch die Tötung und Zerlegung von Patienten durch die Gewinnung von Organen und Gewebe abspielt, scheint hier fälschlicherweise völlig identisch bzw. egal zu sein. Aber allein die technische Sprache „Abschalten der Maschinen“ oder Sterben „nach der Entnahme der Organe“, was ja korrekt heißen muss „durch die Prozedur der Organgewinnung“ verweist auf die Mentalität des Kommentators und auf seine gewalttätige Bereitschaft zur Abstraktion des Menschlichen. Noch im 20. Jahrhundert genossen die Sterbenden in ihrer hilflosen und besonderen Situation einen hohen sozialen Status. Die Entmenschlichung von hirntoten Patienten dagegen ist eine Voraussetzung für das von dem Kommentator an den Tag gelegte zweckrationale Denken. Es setzt eine hohe Gewaltbereitschaft gegenüber sterbenden Patienten und auch Entrechtung der Angehörigen voraus.

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