Vor langer Zeit lebte in einem Kloster ein Mönch, der mit großem Fleiß Theologie studierte. Als er alle Werke der frommen Kirchenlehrer und die ganze Bibel durchforscht hatte, begann er weiter, in alten Schriften zu lesen und sein Wissen zu erweitern.
Eines Tages fand er in einem Buch die Stelle, die er schon lange gesucht hatte. Er las nämlich, daß es irgendwo auf der Welt einen Ort gibt, wo Himmel und Erde sich berühren. Dort könne man eine Tür entdecken, die sich beim Anklopfen von selber öffnet – und dann befinde man sich mitten im Himmel bei Gott, dem Herrn.
Sogleich erbat sich der Mönch von seinem Abt die Erlaubnis, diese Stelle zu suchen. Vergeblich wollte der alte Abt dem jungen Mönch dies Vorhaben ausreden. Gott sei überall, erklärte er ihm – und er könne dem Ewigen daher auch überall auf Erden dienen. Der Weg zum Himmel sei für alle Menschen und auch für jeden Mönch weit und beschwerlich.
Aber der Klosterbruder blieb bei seinem Plan und bat den Abt um seinen Reisesegen – und so ließ der Klostervorsteher seinen begabtesten und klügsten Mönch schweren Herzens ziehen. Dieser dankte dem Abt für alle Hilfe und versprach ihm, sobald wie möglich von seiner Fahrt zu berichten.
Der Mönch machte sich auf die Reise und besuchte alle Klöster und Bibliotheken, um nach seinem Ziel zu forschen. Es wurde Herbst und Winter – und die Reise immer beschwerlicher. Oft sah er sich von wilden Tieren oder bösen Menschen bedroht, aber sein Wanderbeutel enthielt keine Dukaten – und so ließ man ihn laufen.
Oft wollte der Ordensbruder schon in sein Kloster zurückkehren, aber er glaubte weiterhin an den himmlischen Ort mit der geheimnisvollen Tür. Wieder wurde es Frühling und Sommer, er litt Hunger und Durst bei seinen Wegen über hohe Berge und durch tiefe Wälder.
Als der Mönch eines Tages wieder ganz verzweifelt war, folgte er erschöpft der Spur von Waldtieren: sie führte ihn immer tiefer in den Wald und endete auf einer großen Lichtung. Dieser Ort war so herrlich inmitten der rauhen Bäume, daß ihn ein erhabenes Gefühl erfüllte.
Ob hier das Ziel seiner Reise sein könnte? Schöner hat er nie ein Stück Erde gesehen! Himmlische Stille und Harmonie lagen auf diesem von der Sonne so warm beschienen Ort. Zitternd vor Erwartung umschritt der Mönch diese Stätte des Friedens. Da hörte er das Plätschern eines Baches. Er entdeckte den Bach und ging an seinem Ufer entlang.
Das Wasser sprang von den Felsen herab, die glatt und warm in der Sonne lagen. Der Mönch kniete nieder und dankte Gott für die Schönheit der Schöpfung und den Trunk des frischen und klaren Wassers. – Als er aufschaute, fanden seine Augen nicht weit über dem Platz, wo er kniete, eine dunkle Stelle zwischen blühendem Gebüsch.
Geheimnisvoll faszinierteilte der Pilger, der den Himmel suchte, die kurze Strecke bergauf.
Was er ahnte, wurde Gewißheit: die dunkle Stelle war eine Türe aus schwarzem, festem Holz. Der Mönch kniete freudig erschrocken nieder und bat Gott um Nachsicht für seine Neugier.
Dann nahm er allen Mut zusammen und klopfte dreimal feierlich an. Langsam öffnete sich die Tür. Zitternd tastete sich der Mönch aus der gleißenden Helle des Tages in dunklen Raum. Er betete und dankte Gott für die Erfüllung seiner Sehnsucht.
Wie lange er da gestanden und gebetet hatte, wußte er später nicht mehr zu sagen. Als seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten und er sich genauer umschaute, erkannte der Mönch zu seinem fassungslosen Erstaunen den Ort: er stand inmitten seiner alten Klosterzelle!
Er drehte sich um, aber er fand keine Tür, geschweige die Felsen, den Bach, die Waldlichtung. Alles war so wie in seiner kleinen Behausung, als habe er sie nie verlassen: dort das Bett, der frisch gefüllte Wasserkrug und die Schüssel, das Stehpult mit der aufgeschlagenen Bibel; hier seine Kniebank mit dem geliebten Kreuz, das er damals beim Eintritt aus seiner Heimat mitgebracht hatte.
Er kniete sich auf seine Gebetsbank und bat Gott um Vergebung für seine dumme und unnütze Reise. Der Mönch erkannte jetzt, daß unser ganzes irdisches Leben eine Wanderung zu Gott ist, ein Pilgerweg in die Ewigkeit.
Der Ort, an dem Himmel und Erde sich berühren, ist immer dort, wo Gott uns hingestellt hat; dort, wo wir dem Höchsten am besten dienen können, ist diese geheimnisvolle Stätte.
FOTOs: Dr. Bernd F. Pelz
Eine Antwort
Interessant!
Sehr weise – und lehrreich!
So, wie dieser Mönch die Wahrheit nicht in der Bibel, nicht im Kloster, gefunden hat, sondern im wahren Leben, habe ich Gott – auch – außerhalb der Kirche gefunden – bzw. hat er mich gefunden.
WORTE – auch wenn sie noch so gut gemeint sind – sind eben nicht alles. Ohne praktische ERFAHRUNG, ohne eigenes ERLEBEN von Tiefen und Höhen ist das WAHRE LEBEN nicht zu haben.
„Das Reich Gottes ist kein Reich der WORTE, sondern ein Reich der KRAFT“
Herzlichen Gruß!