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SYRIEN: Metropolit Ibrahim über den Bürgerkrieg, die Lage der christlichen Minderheit und Chancen des Friedens

INTERVIEW von Edgar Auth mit Mar Gregorios Y. Ibrahim, Metropolit der Syrisch-orthodoxen Kirche von Aleppo

Was halten Sie von dem jüngsten Angebot der Regierung Assads zu Verhandlungen?

Metropolit Ibrahim: Das ist gut. Man sollte verhandeln. Es gibt drei wichtige Themen. Erstens: jede Übereinkunft sollte bald kommen  – und eine Feuerpause einschließen. Sie können nicht zu einem neuen Level übergehen ohne Waffenruhe.

Danach sollte der zweite Schritt humanitäre Hilfe nach Syrien bringen. Viele Länder sind bereit, zu kommen und zu helfen. Das wäre gut für die Bürger, für Christen und Moslems.

Aber die dritte Frage ist, wie man einen wirklichen Verhandlungstisch etablieren könnte. Das Regime sollte wissen, dass die Opposition durch verschiedene Länder unterstützt wird. Es sind einerseits die Amerikaner, die Russen, die Iraner, dann die Länder der Region, Saudi Arabien, Katar und die Türkei.

Foto: Petrusbruderschaft
Foto: Petrusbruderschaft

Man kann das Problem nicht ohne sie lösen. Also sollten sie zusammenkommen und verhandeln. Aber am Ende sollte man Syrien den Syrern überlassen. Die Syrer sind bereit zusammenzuleben. Denn für viele Jahrhunderte präsentierte sich Syrien als Modell der Koexistenz in verschiedener Hinsicht, religiös, ethnisch etc.

Ich denke, das ist die Hoffnung, auf die wir für die Zukunft bauen. Das Regime sagt, dass es Verhandlungen ohne Vorbedingungen will. Aber die Opposition fordert, dass zuerst die Gefangenen freigelassen werden. Sie sollten zusammenkommen, reden und dann über die Zukunft Syriens entscheiden. Das könnte sehr schnell gehen. Wenn sie über diese beiden Themen einig sind, könnten sie einige Wochen verhandeln und zu einer Übereinkunft kommen, und Syrien wäre gerettet.

Doch derzeit versinkt Syrien in Chaos und Gewalt. Ihre Heimatstadt Aleppo ist in großen Teilen zerstört, viele Einwohner sind geflohen. Gibt es Hoffnung, dass das Leiden der Syrer beendet werden kann?

Metropolit G.: Ja, als Vertreter der Religion sollten wir immer mit Hoffnung leben und an Lösungen glauben. Das ist nicht leicht, aber teilweise und in bestimmten Situationen können wir ein wenig Licht am Ende des Tunnels sehen. Anders könnten wir nicht leben.

Es richtig, zwei Drittel der Stadt Aleppo sind zerstört. Viele Einwohner haben ihren Glauben und ihre Hoffnung verloren. Aber ich glaube, dass schließlich etwas kommen wird, das denen, die noch da sind, Hoffnung bringt. Dann können diejenigen, die geflohen sind, zurückkommen, so dass irgendwann nicht nur Aleppo, sondern der ganze Distrikt, das ganze Land Hoffnung schöpft.

Glauben Sie, es könnte eine Lösung mit Bashar al Assad geben?

Metropolit G.: Es könnte drei Schritte zur Beendigung dieses Kriegs in Syrien geben:

Erstens: zurück zur Verfassung von 1953. Denn dort ist eine Begrenzung der Macht des Präsidenten enthalten.

Zweitens: Man sollte eine neue Regierung haben, die alle Seiten und Parteien in Syrien und außerhalb repräsentiert. Diese Regierung sollte alle Bereiche innnerhalb Syriens kontrollieren.

Drittens wäre es gut, auf die Wahlen des Jahres 2014 zu warten. Wenn die Verfassung von 1953 anerkannt würde und auf der anderen Seite eine Regierung, die alle Bereiche und Parteien repräsentiert, könnten wir bis dahin warten. Wenn Präsident Bashar al Assad erwartet, dass er gewählt werden könnte, warum nicht.

Es ist die Entscheidung des Volkes, wir brauchen keine Einmischung von außen. Wenn es eine syrische Entscheidung wäre, dass Präsident Bashar al Assad zurückkommen soll, warum nicht?

Befürworten Sie ein militärisches Eingreifen von außen?

Metropolit G.: Es ist wichtig, drei Dinge nicht nach Syrien zu bringen: Erstens, eine militärische Intervention wäre eine Katastrophe. Jede militärische Intervention würde bedeuten, dass Syrien besetzt wird durch Truppen, die von außen kommen. Und dann wissen Sie nicht, wann diese Truppen Syrien wieder verlassen würden. Und wir wollen nicht, dass Syrien unter Kontrolle von außerhalb des Landes steht.

Zweitens sollten wir den Bürgerkrieg vermeiden. Es sollte nicht so kommen, dass die Länder von außerhalb diesen unterstützen. Das würde heißen, jeder nimmt ein Gewehr und die Menschen bringen sich gegenseitig um.

Drittens wollen wir keine Teilung des Landes. Denn das Land aufzuteilen wäre ein anderes Desaster. Wir haben von unserer Einheit profitiert. Eine Militärintervention könnte den Bürgerkrieg und dann die Teilung des Landes zur Folge haben. Ich bin also gegen jede Intervention von außen.

Was halten sie von dem Vorschlag, den der CDU-Politiker Volker Kauder in Ägypten gemacht hat, eine Flugverbotszone einzurichten und diese mit den Nato-Raketen in der Türkei zu kontrollieren?

Metropolit G.: Ich habe Herrn Kauder vor einem Jahr getroffen. Er war sehr für jeden Vorschlag, Frieden nach Syrien zu bringen. Ich weiß nicht, was jetzt in Ägypten passierte, aber ich denke, eine Flugverbotszone würde sich nicht negativ auf unsere Existenz auswirken. Es könnte ein wenig helfen, die Situation zu verbessern.

Wer sind die Kräfte, die in Syrien gegeneinander kämpfen?  Man hört von islamischen Extremisten und von Banden. Man hört vom Kampf von Volksgruppen, Alawiten, Sunniten und Kurden gegeneinander. Welches sind die Hauptkräfte?

Metrop0lit G.: Ich denke, es gibt nur zwei Hauptkräfte: Eine ist repräsentiert durch die Freie Syrische Armee. Und innerhalb dieser finden sich verschiedene Gruppen wie die islamischen und andere. Aber diese sind nicht sehr wirkungsvoll. Die FSA ist gut organisiert und einig und sie versucht, alles gegen das Regime zu kontrollieren.

Die zweite Kraft ist das Regime. Sie haben das Militär, sie haben alles und sie kämpfen. Gewiss sind die Kurden ein Teil des Problems. Ich weiß, dass die (kurdische) PKK jetzt das Regime unterstützt und gegen die anderen kämpft, die gegen das Regime sind. Vielleicht sind auch Teile der Kurden auf Seiten der FSA. Aber das heißt nicht, dass da eine ethnische Gruppe gegen eine andere vorgeht. Die islamischen Fundamentalisten, die da kämpfen, sind indirekt unter Kontrolle der FSA. Am Ende, wenn es eine Lösung geben wird, werden diese Kämpfer zusammenkommen unter einem Schirm.  

Den Christen Syriens sagt man nach, dass sie sich mit dem gewalttätigen Regime von Bashar al Assad verbündet hätten. Der Kirchenführung wird gar vorgeworfen, sie sei von Assad gekauft. Wie ist Ihre Haltung dazu?

Metropolit G.: Das ist nicht wahr. Es ist wichtig, zwei Daten zu unterscheiden. Eines ist der März 2011. Davor haben nicht nur Christen, sondern viele Syrer das Regime und den früheren Präsidenten Hafis al Assad und dann seinen Sohn Bashar gepriesen und unterstützt. Das war so etwas wie eine Tradition für alle ethnischen und für alle religiösen Gruppen, zusammenzukommen und sehr nette Worte zum Regime und dem Präsidenten zu sagen  – und darunter waren die Christen, denn bis dahin hatte dieses Regime die Christen in Syrien beschützt.

Aber nach 2011 wurde das Regime beschuldigt, am Töten von Menschen beteiligt zu sein. Beide Seiten beschuldigten sich, an den Problemen schuld zu sein. Die Christen bildeten sich ihre Meinung. 80 Prozent von ihnen blieben ruhig. Von den übrigen zwanzig Prozent war ein Teil für und ein Teil gegen das Regime.

Wenn Sie heute nach Syrien kommen, haben Sie auf beiden Seiten Christen. Das ist eine sehr kleine Zahl. Die Mehrheit ist nicht glücklich und nicht willens, an den Auseinandersetzungen teilzunehmen. Für sie ist das wichtigste, dass jeder Wandel in der Zukunft für sie den vollen Respekt bringen wird. Die Christen erwarten von jedem Wandel, dass er eine neue konstruktive und akzeptierte Verfassung bringen wird, in der ihre Rechte und ihre Würde garantiert werden.

Das Zusammenleben ist für die Christen wichtig. Man kann nicht in einem Getto leben. In einem Getto leben, heißt langsam zu sterben. Wir müssen dynamisch sein und unsere Beteiligung an der Gesellschaft muss wie bei allen anderen sein.

Quelle per Metropolit Mar Gregorios Y. Ibrahim

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