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Von Stalin bis heute: Repressionen gegen die Krimtataren

Von Michael Leh

Die überwältigende Mehrheit der Krimtataren war gegen den Anschluss an Russland und hat das Pseudo-Plebiszit auf der Krim boykottiert. Der international angesehene Alt-Präsident der Krimtataren, Mustafa Dschemilew, hat ein Einreiseverbot erhalten.

Am 18. Mai wollen die Krimtataren in Simferopol ihrer Deportation durch Stalin vor 70 Jahren gedenken. Leh - Foto 3  podium 1 DHM

Krimtatarenführer Mustafa Dschemilew (71 J.) hatte am 29. April in Berlin auf einer Podiumsdiskussion (siehe Foto) im Deutschen Historischen Museum (DHM) die Annexion der Krim durch Russland scharf verurteilt. Kurz zuvor war ihm die Wiedereinreise auf die Krim für fünf Jahre verboten worden.

Drei Tage nach der Berliner Veranstaltung  –  Mitveranstalter war auch die „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“  –  hatten über 2000 Krimtataren an einem russischen Kontrollposten im äußersten Norden der Krim ein Treffen mit Dschemilew erzwungen.

Sie hatten trotz Warnschüssen der russischen Sicherheitskräfte die Absperrungen an der Demarkationslinie durchbrochen und Dschemilew mit ukrainischen Flaggen begrüßt.

Wie ein Sprecher des „Solidaritäts- und Kulturzentrums der Krimtataren in Westeuropa“ in Gießen gegenüber der „Preußischen Allgemeinen Zeitung“ (PAZ) mitteilte, war Dschemilew dann nach Kiew zurückgereist.

Dschemilew (siehe Foto) ist auch Abgeordneter in Kiew und war bis 2013 Präsident des Medschlis, der Vertretung der Krimtataren. Die von den Russen auf der Krim als Oberstaatsanwältin eingesetzte Natalya Polonskaya hat gedroht, Strafverfahren gegen die Krimtataren einzuleiten, die sich an der Grenze bei Armjansk mit Dschemilew trafen. 

Die Führung der rund 300.000 Krimtataren  –  sie stellen zwölf Prozent der Bevölkerung auf der Krim  –  hatte zum Boykott des Schein-Plebiszits aufgerufen. Wie Dschemilew in Berlin sagte, hatten sich nur etwa 1000 Krimtataren an der illegalen Abstimmung am 16. März beteiligt.

Dass es bei dieser zu massiven Wahlfälschungen kam, hat inzwischen sogar ein Menschenrechtsrat des russischen Präsidenten Wladimir Putin eingeräumt.

Erika Steinbach gegen Einreiseverbot für Dschemilew

Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach (siehe Foto), hat Russland und die Krim-Regierung aufgefordert, die Rechte der krimtatarischen Minderheit zu achten und das Einreiseverbot für Dschemilew sofort aufzuheben. 

E. Steinbach

„Dieses Vorgehen gegen einen der profiliertesten Kritiker der prorussischen Regierung einen Tag nach der Unterzeichnung des Dekretes zur Rehabilitierung der von Stalin verfolgten Krimtataren durch Putin zeigt, welche politischen Ziele der russische Präsident wirklich verfolgt“, erklärte die CDU-Bundestagsabgeordnete.

Die BdV-Präsidentin kennt Dschemilew seit langem. 2005 hatte sie die Laudatio auf ihn bei der Verleihung des Viktor-Gollancz-Preises der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) gehalten.

Wie die GfbV erklärt, wächst die Unsicherheit unter den Angehörigen der Minderheiten auf der Krim. „Krimtataren sehen bedrohliche Signale gegen ihre Volksgruppe“, sagte GfbV-Expertin Sarah Reinke.

Am 7. März  –  vor dem sogenannten Referendum  –  seien Häuser von Krimtataren mit Kreuzen markiert worden   –   genauso wie vor ihrer kollektiven Deportation 1944.

Am 9. April sei die Gedenkstätte für den bekannten krimtatarischen Ballettmeister Akim Djemilew in Maloretschenskoje geschändet worden. Am 22. April habe der neue Gouverneur der Krim, Sergej Aksenov, die lokalen Medien angewiesen, nicht über krimtatarischer Politiker zu berichten. Im März wurde auch ein krimtatarischer Aktivist von paramilitärischen Kräften entführt und zwei Wochen später tot aufgefunden.

Aksenov hat die Krimtataren auch beschuldigt, interethnische Konflikte zu schüren  –  was die Dinge auf den Kopf stellt  –  und erklärt, sie sollten doch die Krim verlassen, wenn sie nicht mit den 97 Prozent der Krimbewohner übereinstimmten, die angeblich für den Anschluss an Russland gestimmt hätten. Leh - Foto 6 Dschemilew min Cop Kopie

Die Führer der Krimtataren fordern jedoch dazu auf, in der Heimat zu bleiben. Erst seit den der 90-er Jahren hatten sie auf die Krim zurückkehren können, oft jedoch nicht in ihre alten Siedlungen, sie haben bis heute meist kein gesichertes Grundeigentum. Nach dem Anschluss der Krim an Russland schwanken viele zwischen Kooperation und Widerstand.

1944 wurden binnen dreier Tage über 190.000 Krimtataren in Viehwagen deportiert, knapp die Hälfte von ihnen kam dabei ums Leben, rund 150.000 wurden in Usbekistan angesiedelt.

Dschemilew wurde als kaum ein halbes Jahr altes Kind ebenfalls mit seinen Eltern deportiert. Als 19-Jähriger engagierte er sich in der „Union der jungen Krimtataren“ für deren Rechte. 1969 gründete er mit Andrej Sacharow die „Initiativgruppe für die Verteidigung der Menschenrechte in der UdSSR.“

Krimtatarenführer über 15 Jahre in GULAG-Lagern

wischen 1966 und 1986 verbrachte er über fünfzehn Jahre in sowjetischen Arbeitslagern und Gefängnissen, was ihn aber nie brechen konnte. Bis heute hat er einen trockenen Humor behalten. „Wir Dissidenten waren die freiesten Leute der Sowjetunion. Wir sagten, was wir wollten“, erklärt er.

Als eines der größten aktuellen Probleme für die Krimtataren sieht er die Frage der Staatsangehörigkeit. Wer nicht bereit war, die russische anzunehmen, muss sich jetzt alle 90 Tage an der Grenze eine neue Einreiseerlaubnis für die eigene Heimat besorgen.

Etwa 1000 Krimtataren sollen inzwischen die Halbinsel verlassen haben, dazu eine unbekannte Zahl ethnischer Ukrainer. Die Kiewer Behörden sind weder auf die Binnenflüchtlinge von der Krim noch aus der Ostukraine vorbereitet.

Die polnische Regierung hat Dschemilew  –  der 1998 schon mit der Nansen-Medaille des UN-Flüchtlingskommissars geehrt wurde  –  jetzt mit einem neuen hochdotierten Solidarnosc-Preis bedacht, der ihm am 3. Juni in Warschau vom polnischen Präsidenten Bronislaw Komorowski überreicht werden soll.

Am 18. Mai wollen die Krimtataren in der Krimhauptstadt Simferopol ihrer Deportation vor 70 Jahren gedenken. Dschemilew will dann erneut versuchen, auf die Halbinsel einzureisen.

Unser Autor Michael Leh (von ihm stammen auch die Fotos Nr. 1 und 3) ist politischer Journalist und lebt in Berlin

Erstveröffentlichung in der Preußischen Allgemeinen Zeitung (PAZ) vom 17. Mai 2014.

 

 

Kommentare

2 Antworten

  1. Bei einem Treffen mit Vertretern der Krimtataren sagte Putin am Freitag in Sotschi, dass die Truppen des NKWD (Volkskommissariat des Innern der UdSSR) vom 18. bis 24. Mai 1944 eine unmenschliche Aktion zur Aussiedlung der Krimtataren von der Halbinsel Krim durchgeführt hatten. Das krimtatarische Volk sei am stärksten betroffen gewesen, weil es später als die anderen repressierten Völker in sein angestammtes Gebiet zurückgekehrt sei, so Putin.

    „1991 wurde in der Russischen Föderation das Gesetz über die Rehabilitierung repressierter Völker angenommen. Dieses Dokument betraf das krimtatarische Volk nicht – aus einem erklärlichen Grund: Die Krim gehörte damals zur Ukraine“, so der Präsident. Er habe am 21. April den Erlass über die Rehabilitierung der Krimtateren unterzeichnet und rechne nun damit, dass dieses Dokument die Grundlage für systematische Maßnahmen zur kulturellen und politischen Rehabilitierung dieses Volkes schaffen werde, so Putin.

    Das gelte auch für die Übertragung von Eigentumsrechten, darunter auf Grundstücke, sagte Putin. Ihm zufolge muss diese Arbeit in Gemeinschaft mit den Behörden der Republik Krim geleistet werden. „Diese Tätigkeit zur wirtschaftlichen Rehabilitierung… soll im Rahmen des von der Regierung der Russischen Föderation konzipierten Zielprogramms zur Entwicklung der Krim erfolgen“, sagte der Präsident.

    RIA Novosti / STIMME RUSSLANDS
    Weiterlesen: http://german.ruvr.ru/news/2014_05_16/Putin-Rehabilitierung-der-Krimtataren-erfolgt-laut-Zielprogramm-der-Krim-Entwicklung-7674/

  2. Die Krimtataren sind das schwächste Glied der Kette, und Russland täte gut daran, jetzt ihre Rechte großzügig zu schützen, wenn es nicht als Usurpatorin und Unterdrückerin in die Geschichte eingehen will.

    Allerdings muss bedacht werden, dass die neue ukrainische Regierung („Regierung“?) einen stark nationalistisch-ukrainischen Kurs fährt, was die Spannungen zumindest befördert hat.

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