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Wie gelingt politische Verständigung zwischen einst verfeindeten Völkern?

FOTO v. l. n. r.:´Prof. Dr. Rainer Bendel, Dr. Martin Sprungala, Dr. Otfried Pustejovsky, Dr. P. Deogratias Maruhukiro

Von Stefan T. Teppert

Auf ihrer traditionellen Diözesantagung beschäftigte sich die sudetendeutsche Ackermann-Gemeinde am 15. Oktober 2022 in Schwäbisch Gmünd mit Versöhnungsgesten als zentrale Zeichen und Impulse zur Verständigung.

Die drei eingeladenen Referenten sprachen über die Predigt von P. Paulus Sladek in Haidmühle 1955, den Kniefall von Willy Brandt in Warschau 1970 und die Bedeutung von Gesten beim Versöhnungsprozess im Afrika der Großen Seen.

Prof. Dr. Rainer Bendel, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft katholischer Vertriebenenorganisationen (AKVO) in Stuttgart, hatte die Tagung organisiert und leitete sie.

Dr. phil. Otfried Pustejovsky, ein „Urgestein“ der Ackermann-Gemeinde, Osteuropa-Historiker und katholischer Theologe, der 1946 als deutscher Vertriebener nach Bayern kam und sich seit 1960 intensiv mit der Geschichte der Böhmischen Länder und der Zeitgeschichte der Tschechoslowakei,  befasst hat, sprach über die Versöhnungspredigt, die Pater Paulus Sladek am 5. August 1955 in Haidmühle nur zehn Meter vom Zaun zwischen den Blöcken an der tschechoslowakischen Grenze entfernt hielt. 50 Busse hatten gegen 700 versöhnungsbereite Landsleute dorthin gebracht.

Pustejovsky klärte zunächst die Verständnisvoraussetzungen. Die Wurzel des Wortes Versöhnung liege in „Sühne leisten“, was durch Worte und Taten, in gegenseitigem Geben und Nehmen dialogisch geschehen müsse.

Es sei schwer, nach einem Vergehen oder Verbrechen die eigenen individuellen und kollektiven Erkenntnisgrenzen zu überschreiten und fähig zu werden, eigene Schuld anzuerkennen.

In einem Streifzug durch die Geschichte nannte der Referent Beispiele für friedliche Annäherungen. Immer davor das Eingeständnis eigener Schuld, der Verzicht auf Rache und Vergeltung, immer auch die Erkenntnis, dass man den ersten Schritt tun müsse, ohne zu fragen, ob die andere Seite gleichziehen werde, denn es gehe um künftigen Frieden, nicht um Vergeltung.

So habe auch Sladek nach Vorstößen von Přemysl Pitter und General Lev Prchala radikale Gewissenserforschung bis in die lange Vorgeschichte beider Völker betrieben. Wenn auch beide Seiten schuldig geworden seien und das Herz sich hüben und drüben wandeln müsse, hätten nunmehr die böhmischen Vertriebenen auch eigene Schuld zu bekennen. Nur über Christus gehe der Weg zurück in die Heimat, eine Aufgabe für Alte und Junge bis heute, so Pustejovsk.

Dr. phil. Martin Sprungala, dessen Forschungsarbeit den Fokus auf die lokale und regionale Geschichte westpolnischer Grenzbereiche richtet, hat in vielen Publikationen das Zusammenleben von Deutschen und Polen, Katholiken und Protestanten thematisiert.  Faktisch unterschrieben Bundeskanzler Brandt und Ministerpräsident Józef Cyrankiewicz am 7. Dezember 1970 den Warschauer Vertrag, der das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der Volksrepublik Polen regeln sollte.

Teil des Staatsbesuchs waren zuvor zwei Kranzniederlegungen: am Grabmal des unbekannten Soldaten und am Ehrenmal für die Helden des Warschauer Ghettos. Dort sank Brandt unerwartet auf die Knie, eine spontane, nicht vom Protokoll diktierte Geste, die als Bitte um Vergebung im Namen Deutschlands für die Verbrechen gegen das jüdische Volk verstanden wurde. 

Die Polen reagierten sehr zurückhaltend, so Sprungala, die Medien berichteten verfälschend mit einem Foto, auf dem es aussah, als kniete Brandt vor einem polnischen Soldaten. Hintergründe dafür seien die von der Propaganda forcierte antideutsche Stimmung in der Bevölkerung, die Folgen der antisemitischen Kampagne um 1968 sowie die Entmachtung Gomulkas gewesen.

Der neue Machthaber Edward Gierek habe in der Folgezeit zwar eine wirtschaftliche Öffnung nach Westen betrieben, aber kein Interesse an einer Aussöhnung mit Deutschland gehabt. Zum 30. Jahrestag gedachte Deutschland des Kniefalls mit einem Denkmal für Brandt an der Stelle in Warschau (Polen wollte der EU beitreten, Höhepunkt der guten Beziehungen), zum 50. Jahrestag mit einer Briefmarke und Gedenkmünze. In Polen unter der PIS-Regierung sei Brandts Kniefall heute dagegen eine unerwünschte Erinnerung.

Dr. theol. P. Deogratias Maruhukiro, Forschungsassistent am Lehrstuhl für Caritaswissenschaft an der der Universität Freiburg und Mitinitiator der Freiburger Friedensgespräche, bei denen im Exil lebende Politiker aus verfeindeten afrikanischen Ländern versuchen, miteinander in einen Dialog zu kommen, hat selbst zum Thema Frieden in Burundi geforscht und publiziert.

In seinem Heimatland, das kleiner als Baden-Württemberg ist und 11,5 Millionen vor allem junge Einwohner hat, gab es nach seiner Unabhängigkeit im Jahr 1962 eine Reihe von Bürgerkriegen, die Verletzungen und Traumata hinterließen. Eine Friedenskultur kann man aufbauen, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind, ist der Pater überzeugt:

„Ohne gute Regierungsführung, ohne Armutsbekämpfung und ohne Einsatz von Gerechtigkeit durch eine gut funktionierende Justiz sind alle Bemühungen um Frieden und Versöhnung zum Scheitern verurteilt.“

Versöhnung sei in einer Diktatur, wie sie derzeit mit fortwährenden Verletzungen der Menschenrechte in Burundi herrsche, nicht möglich. Denn zum Versöhnungsprozess gehören nicht allein die Kontakte der Menschen untereinander, sondern auch die politische Dimension.

Die Therapie der Gesellschaft als Ganzes sei wichtig, sie fange mit der Begegnung zwischen den Menschen an und setze sich über die Trauma-Bearbeitung, die Erziehung und Bildung für die junge Generation fort. Zukunft lasse sich nicht aufbauen, ohne des Vergangenen zu gedenken.

Nach seiner Priesterweihe richtete Maruhukiro mit seinen Mitstreitern 2007 in der burundischen Hauptstadt Bujumbura ein Friedens- und Wallfahrtszentrum mit der Gottesmutter als Königin der Versöhnung ein. Die bis dahin getrennte Kirchen besuchenden Hutu und Tutsi konnten so an einem Ort vereint und die Besucherzahlen in den sonntäglichen Gottesdiensten gewaltig gesteigert werden.

Der Verein Sangwe (Willkommen) betreibt dort bis heute eine kirchlich initiierte Begegnungskultur mit dem Ziel, Spannungen und Konflikte zu vermeiden und abzubauen. Dem dienen gemeinsame Sportveranstaltungen, Friedenscamps mit Tanz und Trommeln, Versöhnungsarbeit durch Theateraufführungen (beispielsweise zwischen zurückkehrenden Flüchtlingen und daheimgebliebenen Dorfbewohnern) sowie interregionale Friedensfestivals.

Foto: Stefan P. Teppert

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