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Josef Joffe kritisiert die Jagd auf den "bösen kleinen Wulff"

Der ZEIT-Mitherausgeber über den „nationalen Auftrag, den Wulff zu jagen“

Der bekannte  jüdische Journalist Josef Joffe, Mitherausgeber der eher linksliberalen Wochenzeitung „Die Zeit“, veröffentlichte in der Freitagsausgabe der ZEIT (12.1.2012) eine ironische Glosse auf das derzeit immer noch anhaltende Kesseltreiben gegen den Bundespräsidenten, eine Kampagne, die weit aus über das hinausgeht, was man üblicherweise unter einer fairen „Sachkritik“ versteht.
Unter dem Titel „Der kleine böse Wulff“ schildert Joffe die merkwürdige „Familienzusammenführung“ im Blätterwald,  eine – so wörtlich  – „große Koalition unter Führung der Bild , die weder links noch rechts kennt, sondern nur noch den nationalen Auftrag, den Wulff zu jagen. “  
Fast alle sind sie mit dabei, Straßenblätter und seriöse Zeitungen  –  der Autor zählt einige auf:
„Süddeutsche Zeitung und FAZ , Spiegel und Focus , Frankfurter Rundschau und Welt , halb links und halb rechts. Wann hätten die je das politische Bett miteinander geteilt – die Qualitätszeitungen und der Boulevard?  –  »Die Zeit ist aus den Fugen«, murmelt Hamlet  –   und die alte Schlachtordnung mit dazu.“
Der Journalist Joffe staunt nicht schlecht über diese umfassende Pressefront vereint im Kampf gegen Wulff:
„Wann hätten sich die Elite-Blätter je von Bild mit Brandbeschleunigern aus der Mailbox füttern lassen, damit, wie Macbeths Hexen singen, das »Feuer sprühe«, der »Kessel glühe«?
Wie konnte diese merkwürdige Einheitsfront entstehen?   – Die Erklärung liefert Christian Wulff selber, der Präsident des bürgerlichen Lagers, der auch dem linken gefallen wollte.
Er hat mit der »bunten Republik«, mit »Der Islam gehört auch zu Deutschland« und mit milder Kapitalismuskritik (»verwilderte Märkte«) »nach links geblinkt«, wie ein aufmerksamer Leser schreibt, aber die Bürgerlichen verstört. Dann  –  als die Affäre ruchbar wurde – die kleinen Vorteile, die Winkelzüge, das Bitten und Drohen –, hat er seine Konservativen verschreckt. Denn deren Ethos heischt Wohlanständigkeit, Selbstdisziplin, Redlichkeit, kurz: »Das tut man nicht.«
So geriet der Bundespräsident noch stärker zwischen die Fronten, als dies durch seine mitunter merkwürdig anmutenden Wortmeldungen ohnehin schon der Fall war.
Der Verfasser weiß, daß  man Wulff zum Rücktritt veranlassen will, auch wenn es nicht immer direkt gesagt wird:
„Verdruckst vermeiden alle zwar das R-Wort, lassen ihn aber zappeln, während sie Hohn und Moralin über ihn ausgießen. Nur die Parteiräson der Kanzlerin und eine dahinschmelzende Mehrheit des Volkes stehen noch zwischen Bellevue und Frühverrentung.“
Sodann beschreibt Joffe zutreffend die zunehmende politische Langeweile, die dadurch entsteht, daß die parteipolitischen Lager sich immer mehr angleichen, so daß der Wunsch nach dem „Drama“ entsteht  – und sei es durch Skandale:
„Doch widerspiegelt die mediale Großkoalition einen bedeutsameren Wandel, nämlich in der Politik. Was früher links oder respektabel-rechts war, ist in der Ära Merkel zum neuen rot-schwarz-grünen Konsens verschmolzen. In der großen Brache rechts von der Union siecht denn auch die FDP mit zwei Prozent ihrem Ende entgegen. Die Widersprüche haben sich Hegel-gemäß aufgehoben  –  ein denkwürdiges Novum in der Demokratie.
Es bleibt der Streit über ein bisschen mehr oder weniger, was zwar theoretisch ein Idealzustand, aber in der Praxis langweilig ist. Deshalb die Suche nach dem verlorenen Drama. Die einen finden es in DSDS, die anderen im politischen Skandal.“
Abschließend schreibt der Mitherausgeber der ZEIT, daß man dem Bundespräsidenten im Grunde nicht verzeiht, keine perfekte Lichtgestalt zu sein:
„Können wir Wulff keinen Gesetzesbruch nachweisen, müssen wir seine Moral, Wahrhaftigkeit oder Amtseignung anzweifeln. Seine Entschuldigungen nehmen wir nicht an. Denn wir können ihm nicht verzeihen, dass er so ist wie wir.“

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