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Die Kirche und das Lebensrecht des ungeborenen Kindes

Dr. Gero Weishaupt,  kath. Kirchenrechtler und Radio-Vatikan-Mitarbeiter, über die moraltheologische Beurteilung der Abtreibung:

Die Katholische Kirche geht, gestützt von den Wissenschaften der Humanembryologie und Humanbiologie, davon aus, daß vom Augenblick der Empfängnis an, also bei der Vereinigung der mütterlichen Chromosomen der Eizelle und der väterlichen Chromosomen der Samenzelle, ein Mensch, eine menschliche Person existiert.

Dabei ist es nicht so, daß sich im Mutterleib während der neunmonatigen Schwangerschaft der Mensch erst zum Menschen entwickelt, sondern er ist es schon vom Moment der Zeugung an, wenn er auch noch nicht ganz funktionsfähig ist. Im ersten Augenblick seiner Existenz verfügt er über die Anlagen, durch die er sich kontinuierlich entwickelt und lebens- und funktionsfähig wird.

So stellen etwa die Entwicklung des Gehirns, des Zentralnervensystems, das Ichbewußtsein oder die Fähigkeit zur Kommunikation spätere Abschnitte der Entwicklung der menschlichen Person dar.

Das Personsein, d.h. der Mensch als Einheit von Leib und Seele, ist dagegen bereits im Augenblick der Zeugung gegeben. Als Person ist der Mensch darum auch von Anfang an zugleich Rechtsperson, d.h. Träger der wesentlichen Menschenrechte, wozu auch das Recht auf Leben und der leiblichen Integrität gehört. (…)

Entsprechend sagt der Katechismus der Katholischen Kirche (KKK) in Nr. 2270, daß, ausgehend von der Tatsache, daß im Augenblick der Empfängnis der Mensch als Person existiert, dem menschlichen Wesen „im ersten Augenblick seines Daseins“ „die Rechte der Person zuzuerkennen“ sind, „darunter das unveränderliche Recht jedes unschuldigen Wesens auf das Leben“.

Daraus erklärt sich die moralische Verwerflichkeit der Abtreibung (KKK, Nr. 2271): „Eine direkte, das heißt als Ziel oder Mittel gewollte Abtreibung stellt ein schweres Vergehen gegen das sittliche Gesetz dar.“

Das Zweite Vatikanische Konzil (GS 51, 3) bezeichnet darum Abtreibung und Tötung des Kindes als “verabscheuenswürdige Verbrechen” (nefanda crimina).

Die Katholische Kirche glaubt, daß jeder einzelne Mensch von Gott erschaffen ist. Jeder Mensch ist Bild und Gleichnis Gottes, insofern er, von Anfang an mit Verstand und Wille ausgestattet, ein freies Wesen ist, fähig zur Gemeinschaft mit Gott und den Mitmenschen sowie zur Gotteskindschaft berufen. Jeder Mensch nimmt darum in den Plänen Gottes einen besonderen Platz ein. Wer das Kind im Mutteschoß abtreibt, nimmt ihm die Möglichkeit zur Verwirklichung dieses Planes.

Die direkte Tötung eines Kindes ist immer unerlaubt. Die Handlung ist in sich selbst schlecht (intrinsice malum: vgl. die deontologische Begründung des Sittlichen durch das Lehramt der Kirche auf der Grundlage des Naturrechts), also unabhängig von der jeweiligen Situation (vgl. Situationsethik) oder den abzusehenden Folgen (vgl. teleologische Begründung des Sittlichen).

Eine Güterabwägung ist bei intrinsisch schlechten Handlungen darum immer ausgeschlossen.

Direkt ist die Tötung, wenn die Abtreibung als Mittel und Ziel angewandt wird. Hierzu können Situationen, Umstände, tragische Verwicklungen, in denen die Mutter oder auch das Kind sich befinden, Anlaß geben. Man spricht in diesem Zusammenhang von Indikationen. Es können sich medizinische, humanitäre, ethische oder kriminologische Indikationen ergeben.

So ist z.B. die Zeugung eines Kindes aufgrund einer Vergewaltigung eine Indikation, da sie für die Mutter schwere seelische Konflikte mit sich bringt. Dabei ist jedoch zu beachten, daß das Unrecht gegenüber der Mutter nicht durch ein weiteres Unrecht, nämlich die Tötung eines unschuldigen Menschen, beseitigt wird. Im Gegenteil, man fügt dem einen Unrecht ein anderes hinzu.

Darüber hinaus gibt es die eugenische, genetische und embryopathische Indikation. Sie bezeichenen den Fall, daß das Kind im Mutterleib unheilbar gesundheitlich geschädigt oder behindert ist. Wenngleich dies für die Mutter und die Angehörigen sehr belastend sein kann, rechtfertigt eine solche Indikation niemals eine Abtreibung.

Schon die Unterscheidung zwischen lebenswertem und lebenunwertem Menschen ist moralisch verwerflich, geschweige denn einem gesundheitlich geschädigtem und behindertem Kind das Lebensrecht zu verweigern.

Auch die häufig angeführte soziale Indikation, etwa die finazielle Notlage der Mutter, die Verhinderung der beruflichen Ausbildung und Karriere der Mutter, das durch die Schwangerschaft gespannte Verhältnis der Eltern untereinander oder zum sozialen Umfeld rechtfertigt keine Abteibung.

Die einzige Ausnahme ist die sogenannten indirekte Tötung des Kindes. Diese Situation kann vorkommen, wenn eine derartige ernsthafte Komplikation während der Schwangerschaft aufgetreten ist, daß das Leben der Mutter oder von Mutter und Kind bedroht ist.

Dabei ist es medizinisch nur möglich, daß das Leben des einen der beiden durch einen Eingriff gerettet wird, wobei dieser Eingriff für den anderen den Tod zur Folge hat. Dank der medizinischen Fortschritte ist dies jedoch ein selten vorkommendes Problem.

Für die moralisch-ethische Bewertung des Handlung ist nun folgendes zu beachten: Bei dem Eingriff darf das Tun des Arztes nicht unmittelbar auf das Töten des Kindes gerichtet sein, sondern auf die Rettung der Mutter. Die Operation bezweckt nicht die Tötung, sondern die Rettung der Mutter. Jedoch hat dieser lebensrettende Eingriff zur Folge, daß das Kind getötet wird. Der Tod des Kindes ist nicht Mittel zur Rettung der Mutter, sondern eine Nebenfolge.

Man spricht in diesem Zusammenhang in der Moraltheologie von einem actus cum duplici effectu (= Handlung mit zweifacher Wirkung): eine und dieselbe Handlung hat zwei Wirkungen: die eine wird angestrebt [hier die Rettung des Lebens der Mutter], die andere [Tötung des Kindes] wird nicht angestrebt, sondern ist eine ungewünschte, aber notwendig mit eintretende weitere Folge aus der Handlung [hier dem operativen Eingriff]).

Was die Beihilfe zur Abtreibung betrifft, also der Mitwirkung an der Sünde der Abtreibung (etwa durch den Arzt, den Vater des Kinders, die Eltern der Mutter etc.) muß man moralttheologisch unterschieden zwischen der formalen und der materialen Mittäterschaft. Bei der formalen oder formellen Mitwirkung (cooperatio formalis) wird die Abtreibung gebilligt. Derjenige, der Beihilfe leistet, stimmt der sündigen Handlung zu und will ihr zum Erfolg verhelfen. Die formale Mittäterschaft setzt zudem Zurechnungsfähigkeit und innere wie äußere Freiheit voraus.

Bei der materialen oder materiellen Mithilfe (cooperatio materialis) ist entweder die Absicht des Tötens nicht vorhanden oder der Mittäter ist nicht zurechnungsfähig bzw. unfrei. Sowohl für die moralisch-ethische als auch für die strafrechtlich-kanonische Bewertung der Abtreibung ist die Unterscheidung zwischen formeller und materieller Mittäterschaft ausschlaggebend. Nur die formelle Mitwirkung ist moralisch und strafrechtlich relevant. (…)

Quelle: Radio Vatikan vom 24.2.2007

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