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Bistum Essen: Was dem „Zukunftsforum“ zum Thema Schuld und Beichte einfällt

Von Felizitas Küble

Im Bistum Essen – bekanntlich umfaßt es das dicht bevölkerte Ruhrgebiet  – wurde von Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck ein „Zukunftsforum“ einberufen, wozu mehrere Veranstaltungen gehörten und auch für das nächste Jahr weiter geplant sind.  
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Die bisherigen Ergebnisse dieses „Dialogprozesses“ wurden in einer offiziellen kirchlichen Broschüre zusammengefaßt: https://zukunftsbild.bistum-essen.de/fileadmin/medien/bistumsfest/Bistum_Essen_Zukunftsforum_2015_klein.pdf
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Wie heutzutage nicht anders zu erwarten, findet der Leser neben sinnvollen Vorschlägen eine Reihe fraglicher oder problematischer Ideen. Das Sakrament der Buße  –  also die Beichte  –  wird dort im Grunde gleich „entsorgt“.
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Auf S. 86 heißt es unter der Rubrik „Rituale zu Schuld, Vergebung und Versöhnung“ kurzerhand:
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„Dennoch werden wir als Kirche hier kaum noch wahrgenommen, weil unsere überkommenen Rituale (Beichte, Bußgottesdienste …) selbst unter geübten Katholiken nur noch wenige Menschen ansprechen.“
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Die „Projektidee“  lautet also: „Im Bistum werden Rituale, Symbole, liturgische Feiern entwickelt, die sich mit den Fragen von Schuld, Vergebung und Versöhnung befassen….Eine Arbeitsgruppe entwickelt neue Angebote, die Menschen helfen, Schuld und Scheitern anzunehmen und zu verarbeiten – und diesen Prozess auch in eine liturgische Feier münden zu lassen.“
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Merke: Nicht einmal die bisherige kirchliche Bußandacht (die ohnehin im Falle schwerer Sünden keine Einzelbeiche ersetzt, sondern darauf vorbereiten soll) findet Gnade in den Augen dieses „Zukunftsforums“.
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Was freilich an die Stelle von Beichte und Bußandacht treten soll, bleibt letztlich offen. Schuld wird nicht mehr im Bekenntnis bereut und von Christus durch den Priester vergeben, sondern „angenommen und verarbeitet“ – was immer das heißen mag.
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Wie wäre es mit dem Gang zur Couch des Psychologen?  – Aber für diesen „heißen“ Tip benötigt kein Mensch eine katholische Dokumentation!

Kommentare

9 Antworten

  1. @ Thomas May:

    Herzlichen Dank für diese Antwort! Sie hat drei Theman:

    1. Verteidigung der Erklärung der Sünde als „Beziehungsstörung“ für „Beicht—Einsteiger“
    2. persönliche Erfahrungen vor und nach dem Konzil mit der Beichte
    3. Allgemeine Gedanken zur Beichte

    Ad 1.

    Das ist ein pädagogisches und werbepsychologisches Argument. In den letzten Jahrzehnten ist es Mode, überall „Türöffner“, „Appetizer“ oder auch einfach didaktische Reduktionen vorzunehmen, um Leuten etwas schmackhaft zu machen oder für etwas zu werben.

    Sie ahnen schon: Ich finde das nicht redlich und auch im Glauben nicht zielführend. Am Ende bleiben nämlich doch die meisten in der Zone des Appetizers hängen und kommen nicht weiter.

    Die Sünde stört nicht meine Beziehung zu Gott, sondern sie trennt mich von Gott. Das ist etwas wesentlich anderes. Und das muss in dieser Härte auch gesagt werden.

    Die Seele weiß das im übrigen auch ganz genau. Jede. Egal wo sie steht. Das Argument, das vielleicht hinter Ihrer Auffassung steht, ist diese Ansicht, man müsse „die Leute da abholen, wo sie stehen“.

    Von dem Argument halte ich nichts, was den Glauben betrifft.

    Die Pforte, sagte Jesus ist eng und der Weg ist schmal. Von Anfang an muss die Seele darauf eingestellt sein. Mit Volkspädagogik, wie sie einst ja auch die Jesuiten kultivierten, kommt nichts weiter zustande als Formalismus und Oberflächlichkeit, Bigotterie und unzählige neue Missverständnisse, die nicht hätten sein müssen.

    Ad 2.

    Sie berichten über Ihre subjektive Erlebnisweise. Das ist zunächst nicht hinterfragbar als subjektives Erlebnis. Die Frage ist aber, in welcher Beziehung dieses Erleben zur Objektivität steht. Ob Sie das als quälend empfunden haben oder nicht, ist nicht wirklich ein Argument in der Sache. Es behaupten auch Frauen, die von ihren Männern geschlagen werden, es gehe ihnen gut mit ihm. Und Frauen, die unterdrückt werden, sehen das nicht so. Mag sein — die Psychologie kennt das „Stockholm—Syndrom“, bei dem sich eine Geisel mit dem Geiselnehmer in einer quasi—erotischen Weise identifiziert. Mit dem Argument „Ich habe es aber nicht so empfunden“ (mit Betonung auf „empfunden“ bin ich also sehr zurückhaltend. Die Frage ist vielmehr, was auf der objektiven Ebene stattfand.

    Und da fällt mir eines auf: Sie haben immer das gemacht, was man Ihnen sagte: Vor dem Konzil gingen Sie oft zur Beichte, weil die Kirche sagte „Mach das“. Nach dem Konzil gingen Sie nicht mehr zur Beichte, weil die Kirche sagte: „Mach es nicht mehr so oft“.
    Da stellt sich mir aber spontan die Frage, was Ihnen die Beichte dann vor dem Konzil wirklich gegeben hat. Offenbar ja nicht viel, wenn sie so leicht aufgebbar war. Das soll keine Polemik sein, sondern eine ernsthafte Überlegung.

    Ad 3.

    Ihr Kommentar neigt sehr zu dem Narrativ der Konservativen und Traditionalisten, dass vor dem Konzil doch alles viel besser und geordneter war. Das ist sicher angesichts der Verwüstungen seither einerseits wahr.

    Andererseits glaube ich nicht, dass das Konzil „alles kaputtgemacht hat“ (wie viele sagen). Das Vaticanum II hat nur offenbart, wie kaputt bereits alles war.
    Und dass das kaputt war, liegt nicht an den Modernisten und Freimaurern, sondern an den Wegen, die die Hierarchie real beschritten hatte. Mit Gewalt, Druck, Zwang und Hetzjagden verweigerten die Machthaber in der Kirche eine seriöse Auseinandersetzung mit der Moderne und erzeugten so einen Überdruck, der irgendwann explodieren musste. Das habe übrigens viele im 19. Jh vorausgesehen. Aber man wollte sie nicht hören und schnürte die Gläubigen immer enger ein.
    Seinen Vorlauf hatte dieser „reaktionäre“ Stil seit dem Hochmittelalter über das Konstanzer Konzil, das eigentlich einen sorgsamen Konziliarismus vorgesehen hatte und ging über immer machtversessenere und rücksichtslosere Vorgänge in Rom über Reformation, ein verschlepptes Konzil (das dann viel zu spät kam, um noch den Bruch aufzuhalten!), den Hexenwahn, der ganz Europa erfasste wie eine Geisteskrankheit, und gerade durch den Jesuitenorden eine gnadenlose Unterwerfung der Gläubigen, in denen man „Scham“, Reue und Bekenntnis „erzeugen“ wollte, und dies mithilfe immer haarsträubenderer Beichtspiegel und Vereinzelungen ins Hundertste und Tausendste, wovon zahlreiche Quellen zeugen.
    Wenn man sich klarmacht, dass Leute wie der heilige Alfons von Liguori den Eheleuten noch Stress machte, wenn der Mann nicht in der rechten Winkelgröße seine Frau begattete, um nur ja das Hauptziel der Ehe, nämlich Kinder zu zeugen, zu einer Mega—Gewissenslast aufzubauschen. All diese Auswüchse gab es und es gibt sie noch heute in gewissen Kreisen. Und wenn man Pech hat, gerät man an einen solchen Hardliner. Ich spreche aus Erfahrung. Und das, was solche Herren da treiben, ist tatsächlich aufgrund der älteren Handbücher und Anleitungen auch „kirchlich“. Wenn einer soviel Verstand und Sensibilität hat, dass er das nicht tut, ist das kein Beweis dagegen, dass solche Praktiken virulent waren und sind.

    Wir haben drauf vergessen, wie sehr viele Katholiken vor dem Konzil unter dieser „antimodernen“, in Wahrheit aber vor allem formalistisch—erstickenden Erstarrung litten. Ich weiß es von Reinhold Schneider, aber auch von Ida Friederike Görres, die mit Ratzinger befreundet war, der sie auch begrub. Wir sind alle zu jung, um noch zu wissen, wie das war.
    Natürlich war nicht jeder Priester so — zum Glück, aber die große Linie in der Kirche war doch die. Wenn man sich klarmacht, dass die Kirche in der ersten Hälfte des 20. Jh massiv verstrickt war in den Aufstieg des Faschismus und bis heute zu feige war, das Thema aufzuarbeiten oder endlich mal ihre Archive zu öffnen (und damit meine ich nicht den Nationalsozialismus — das ist noch mal was anderes).
    Insgesamt ein kranker Hierarchismus, Führerkult, Papolatrie, Entmündigung der Laien bis zum Überdruss und Bevormundung eben auch beim Sündenbekenntnis.

    Beichte ergibt ohne Scham, Reue und Sehnsucht der Seele, sich zu läutern, sich reinigen zu lassen, gar keinen Sinn.

    Wenn die Kirche das mit Tricks und Kniffen im Gläubigene erst „erzeugen“ will bzw. ihm Methoden an die Hand gibt, um das selbst zu erzeugen, dann ist das absurd und eine Schande.

    Für solche Kinkerlitzchen ist doch Christus nicht gestorben, sondern für das echte, wahre Seufzen der Seele, und dieser Seufzer kommt nicht durch kirchliche Nachhilfe und Nötigung (und komme sie pädagogisch—zeitgeistig psychomäßig daher), sondern durch das Wirken des Hl. Geistes in der Seele und deren Öffnung der Herzenstür.
    Der Mensch muss mit den Geboten vertraut gemacht werden, aber auch das hat der Herr selbst den Heiden, sagt Paulus, ins Herz geschrieben. Sie wissen alle im Großen und Ganzen, was recht ist und was nicht!

    Die Beichte ist nicht dazu da, dass man seelsorgerliche Gespräche führt, das geht außerhalb auch und muss nicht durch einen Priester geschehen. Die Beichte ist dazu da, eine konkrete Sünde oder auch eine Unsicherheit über eine Sünde knapp zu benennen. Und das wars. Denn der Beichtende soll weder sich noch den Beichthörenden beschämen durch Details der Sünde oder Belastendes. Ich finde das an der alten Praxis nämlich richtig: kurz, zusammengefasst und ohne peinliche Situationen zu erzeugen. Nüchternheit — „ich habe mich verfehlt, ich war nicht keusch, ich habe gelogen etc.“

    Die Verwirrung zwischen Beichte und seelsorgerlichem Gespräch, wie das heute auch bei den Progressiven angestrebt wird (und auch Sie argumentieren ein bisschen so), finde ich nicht richtig. Fragen, Unsicherheiten, Glaubenszweifel — das ist ja alles keine Sünde und gehört auch nicht langatmig in eine Beichte, sondern in eine Außen.

    Alles andere ist sinnloses und missbräuchliches, die Sache verfremdendes Ritual, das Bigotterie und Oberflächlichkeit, eine Verflachung, aber auch eine Dramatisierung kleinster Verfehlungen anregt.

    1. Es ist schön für Sie, dass Sie über alles so phänomenal gut Bescheid wissen und Ihre Klischees intakt sind.
      Offensichtlich geht es Ihnen nicht um eine auf gegenseitiger Wertschätzung beruhende Auseinandersetzung, sondern um eine fast schon zwanghafte Demonstration Ihrer vermeintlichen Überlegenheit.
      Gratulation! Das können Sie wirklich gut.
      Es entbehrt nicht der Lächerlichkeit, wie Sie versuchen, anhand von „Stockholm-Syndrom“ und Unterscheidungsebenen (Subjektivität, Objektivität) meine persönlichen Beichterfahrungen vor und nach dem Konzil zu durchleuchten. Gleichwohl weise ich Ihre Anmaßung zurück.
      Wenn ich in meinem Leben zur Beichte gegangen bin, tat ich es immer mit innerer Zustimmung und nicht nur deswegen, weil andere es mir angeschafft haben.

    2. Jeder Ihrer Sätze enthält eine persönliche Schmähung und kein Sachargument. Bedauerlich, Ich wüsste nicht, wo ich Sie persönlich nicht wertschätzend angesehen hätte. Oder sehen Sie Kritik, Zweifel, Gegenargumente als persönliche Beleidigung an?

      Falls Sie mich missverstanden haben sollten oder ich mich missverständlich ausgedrückt haben sollte:

      Mein Verweis auf das Stockholm-Syndrom bezog sich darauf, dass subjektive „Zeugnisse“ sehr fragwürdig sein können und immer eine Rückbindung an das Objektive brauchen. In dem Sinne, in dem die Mode der „Oral history“ auch in der Wissenschaft methodisch hochproblematisch ist, weil sie keine objektiven Quellen zu Ereignissen und Situationen liefert, sondern u.U. nachträgliche Glorifizierungen, Verkennungen etc. Die Psychologie hat längst in Langzeitstudien gezeigt, dass jeder Mensch rückwirkend auch das Belastende „schönt“ oder „glättet“ oder förmlich transformiert und neu zusammenbaut. Darauf ist kein Verlass, wenn man eine Annäherung an die Wahrheit über historische Situationen sucht.
      Jeder Historiker weiß, dass die Erzählung der „Geschichte“ Rekonstruktion einer nicht mehr hervorrufbaren Situation ist und auch ein Tradierungsprogramm beinhatet, das u.U extrem einseitig sein kann („Die Sieger schrieben die Geschichte“) und besetzt von Deutungen, Wertungen und Urteilen, die nicht zwingend sind.
      Wenn ich damit also vorsichtig bin, ist das eine systematische Vorsicht, deren Grund ich Ihnen angedeutet habe – mehr nicht. Ich sagte ja: als subjektives Erlebnis ist das, was Sie erzählen unhinterfragbar.

      Ich verwies bei der Praxis der Nötigung zur Beichte ja auch nicht darauf, dass ich das bei Ihnen voraussetze oder aus Ihren Worten zwingend herauslese, sondern auf die Literatur und die Quellen. Dass ich mich wunderte, wieso Sie so leicht abzubringen waren vom häufigen Beichten, ergibt sich als spontane Frage aus Ihrer Erzählung selbst. Immer noch würde mich interessieren, wie das möglich war.

      Ebenso gestand ich zu, dass nicht jeder Priester sich soweit hinreißen ließ, wie es ihm möglich gewesen wäre.

      Sie sagten selbst „Der Fisch stinkt vom Kopf her“. Der Satz muss aber dann auch für die Zeit des 19. und frühen 20. Jh gelten. Das ist doch nicht erst seit dem Vaticanum II so!
      Es sind nicht die anderen schuld, dass die Kirche zusammenbrach, sondern sie selbst bzw. ihr „Kopf“, auch damals schon. Das wäre doch auch die logische Schlussfolgerung aus Ihrem Satz.

      Aber hier stoßen wir auf einen Gegensatz der Geschichtstradierung, wie ich es meinte: ich habe ein Narrativ in Frage gestellt, dem Sie zu folgen scheinen.
      Nicht in Frage habe ich deswegen Ihre Person gestellt,.

      Bitte denken Sie darüber in Ruhe nach, wenn der Zorn verraucht ist.

  2. Dieser Bischof Overbeck wird offenbar im Jahresrhythmus geistig geliftet. Vielleicht ruft er demnächst einen kirchlichen Partyservice („Brot und Wein“) ins Leben, wenn er dann auch mit der Eucharistie nicht mehr viel anfangen kann. Warum auch nicht. Wenn man bedenkt, dass der Bursche vor ein paar Jährchen noch bei Anne Will saß und dem Herrn Praunheim sagte, Homosexualität sei Sünde… Uiuiuihhhhh.

    Nachdem man nun Jahrhunderte lang die Gläubigen in Angst und Schrecken versetzt hat wegen jeder Kleinigkeit,und Kinkerlitzchen, spiegelt man diese Exzesse nun negativ zurück… und entdeckt die Leere und Hohlheit, das blanke Nichts.

    Und die Mitte dazwischen ist es auch nicht, sondern ein wirklicher Christus-Glaube der vielen einzelnen..

    Auf den wäre es immer angekommen, aber genau den wollte man immer nicht.

  3. Ob das Bistum Essen noch eine Zukunft hat, darf man angesichts der den Glauben verdunstenden „Projekte“ dahingestellt sein lassen.
    Dabei ist der Umgang mit Sünde und Schuld für das Heil des einzelnen Gläubigen wie für das Gedeihen der Kirche insgesamt elementar.
    Symptomatisch für das Versagen der kirchlichen Pastoral in Deutschland ist, dass gleich zu Beginn der Eucharistiefeier das gemeinschaftliche „Sündenbekenntnis“ sehr häufig unterschlagen wird. Offenbar will man im Zeitalter der „Zufriedenheitsstudien“ auch vonseiten der Kirche dem „Kunden“ in seiner umhegten „Wellnesszone“ möglichst jeden Anflug des Unbehagens ersparen. Das Wort „Sünde“ wird manchmal ganz gestrichen, stattdessen schwammig vom „Misslungenen“ oder „Trennenden“ (o. Ä.) gesprochen, vielleicht noch von „Fehlern“ (beschwichtigend erklärt man dann Gott für „fehlerfreundlich“). Oder die Bitte um Erlösung wird von der „Schuld“ abgekoppelt und den „Sorgen“ zugeordnet. In diesem Nebel verlieren Gläubige die Orientierung und wissen irgendwann nicht mehr, was „Sünde“ eigentlich ist.
    Dann darf man sich natürlich auch nicht wundern, wenn „unsere überkommenen Rituale (Beichte, Bußgottesdienste …) … nur noch wenige Menschen ansprechen.“
    Statt diesem Missstand mit einer beherzten Buß- und Beichtpastoral entgegenzuwirken, wozu das „Jahr der Barmherzigkeit“ eigentlich eine vorzügliche Gelegenheit bot, hat man in den meisten „Seelsorgeteams“ längst kapituliert und flüchtet sich, wie im Bistum Essen, in verwaschene zeitgeistige Psychologisierungen der „Annahme“ und „Verarbeitung“.
    Wie Buße und Beichte auch heute noch „gehen“ kann und „ankommt“ (nicht zuletzt bei jungen Menschen), zeigt Pastor Peter van Briel in seinem Beichtbuch „Weg der Liebe“. Und in seinem Handbuch „Grundkurs zum Glauben“ eröffnet er ein erstaunlich modernes Verständnis der Sünde für Katholiken von heute: Neben anderem „ist Sünde (vor allem) eine Beziehungsstörung. Durch das, was ich tue, störe oder zerstöre ich mein Verhältnis zu einem anderen. Gleichzeitig verändert die Sünde auch mich – und macht mich mit jeder Sünde etwas beziehungsunfähiger“, sie führt letztlich zur „Selbstverstümmelung“. Deshalb geht es „bei der Beichte nicht in erster Linie um ein moralisches Verhalten… Du gehst in der Beichte zu Gott, um deine Beziehung zu ihm zu erneuern, auszuräumen, was im Wege steht, und deine Liebe zu ihm zu festigen“.
    Kann man eine solche Chance auslassen?
    Die Fastenzeit mit ihrem liturgischen „Tiefpunkt“ am Karfreitag stößt uns mitten hinein in unsere Sündenverfallenheit, in Scham, Reue und Bitte um Vergebung, verbunden mit dem Geschenk, neu anfangen zu dürfen – wenn wir es zulassen.
    Wie können wir auch nur annähernd begreifen, dass Jesus Christus für unsere Sünden gestorben ist und uns dadurch erlöst hat, wenn wir überhaupt nicht mehr wissen, was ganz konkret, ungeschminkt und in ihrem Ausmaß unsere Sünden sind?
    Hängt dann nicht unser gesamter Glaube in der Luft?
    Welchen Sinn hat dann Ostern noch?

    1. Neulich sagte ein mir befreundeter Russlanddeutscher, der in einem dieser typischen evangelikalen Umfelder unter Russlanddeutschen in Kasachstan aufgewachsen ist, aber Agnostiker geworden ist, das Problem bei den Evangelischen sei, dass die eigene Schuld, also die, die einen beschämt und erröten lässt, die man nicht durch Bewusstseinstrübungen weggradieren kann, nicht wirklich bereinigt werden könne. Klar könne man seine Schuld vor Gott bekennen, Aber es fehle ihm da die Rückmeldung seitens Gottes. Irgendwie bleibe man da doch alleine. Die alten Kirchen würden Vergebung handgreiflich machen durch die Lossprechung der Sünden beim Bußsakrament. Ich sagte, dass aber doch die Protestanten ihre Gewissheiten auf die Verheißungen des Schriftwortes gründen und sich insofern doch tatsächlich und objektiv schon eine Gewissheit geschaffen haben – das Schriftwort sagt ihnen gewiss zu, dass der, der seine Sünden bekennt mit der Treue und Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes rechnen darf. Außerdem weiß ich, dass auch unter Evangelikalen so etwas wie Beichtpraxis lebendig ist, Auch wenn die „Beichtväter“ informell sind. Ein Gläubiger spricht u.U. dem anderen die Vergebung zu und hört sich auch dessen Sündenbekenntnis an. Ich denke, dass aus das im Notfall vor Gott gültiges Beichten sein kann, wenn der Betroffene wirklich Reue empfand und keine andere Möglichkeit und keinen anderen Horizont sah, seine Sünde zu bekennen. Soweit ich weiß, sieht das auch die katholische Kirche im Notfall so.

      Ob die Sünde nur eine „Beziehungsstörung“ ist, bezweifle ich. Diese bohrende Scham, die einen erröten macht, weist ja nicht auf eine zerbrochene, vorher intakte Beziehung zurück, sondern sie offenbart uns, dass Gott heilig ist und wir in seiner Nähe vergehen in unserem Zustand. Es ist geradezu atemberaubend, dass Gott uns in Christus entgegenkommt, weil er sich nach unserer Gemeinschaft sehnt.
      Die daraus folgende Ansprache Gottes an den Menschen in dessen Herzen löst diese tiefe Scham aus und die brennende Sehnsucht, zu diesem Jesus Christus zu passen, ihm tatsächlich ebenbürtig zu werden, wie eine Braut es dem Bräutigam ist. Das ist geradezu tollkühn, aber das ist es allein, was zur Reue, zum Sündenbekenntnis und zur Beichte führen kann.

      Die völlige Auflösung dieses Zusammenhangs ist allerdigs nicht erst heute so. Die „Strategie“ (vermutlich) nach dem Konstanzer Konzil und dann extrem nach der Reformation, Menschen durch überwachte Gewissensprüfungen, ein geradezu pharisäisches Verbotssystem, angeheizte Höllen- und Fegfeuerängste, Dominanz durch die Hierarchie, geistliche Entmündigung der Laien und des niederen Klerus, eine totalitäre Gehorsamsforderung gegenüber der Hierarchie, gleich welche Misere die lebte, und schließlich unter Pius X. die Einführung einer verfrühten Erstkommunion, Druck auf kleine Kinder, bereits schwere Sünden zu beichten, bevor die überhaupt erfassten, was das ist, die Aufforderung, möglich oft zu kommunizieren und daher auch wirklich ständig zur Beichte zu rennen, rituell, hohl und unter Druck geriet.

      Ganze Generationen litten unter diesem Missbrauch des Beichtsakramentes durch die Hierarchie. Tausende und Abertausende wurden traumatisiert im frühen Kindesalter, weil sie vor der Erstkommunion zur Beichte gedrängt wurde und nicht wussten, was sie dort vorbringen sollten und sich teilweise sogar etwas ausdachten, weil sie andernfalls, wenn sie nicht ständig zur Beichte gegangen wären, nicht zur Kommunion hätten gehen dürfen – alleine schon prinzipiell, egal, ob sie nun gesündigt haben oder nicht. Ich habe selbst bei einem traditionalistischen Priester noch diese Erfahrung gemacht, der mein Kind ausschließen wollte, weil es nach vier Wochen immer noch nicht bei der Beichte war.

      Dieser Missbrauch also, den die Kirche jahrhundertelang aufgebaut hat, hat das Sakrament ausgehöhlt. Man ging rituell dahin, nicht weil man etwas bereute und belastet war und etwas bereinigen wollte. Die Kirche machte so die Gläubigen seelisch abhängig. Im Grunde das Verhalten einer Sekte.

      Der Hinweis auf Franziskus und das Jahr der Barmherzigkeit offenbart auch beim Papst diesen Zwiespalt. Einerseits sagte er doch deutlich, der Beichtstuhl dürfe keine Folterkammer sein (und das war er und ist er bis heute, wenn auch nicht mehr so flächendeckend wie früher), Andererseits will er den eigentlichen Sinn der Beichte wieder erwecken.

      Das ist prinzipiell so ja gut, aber man hat den Eindruck, er wirft da ein Torso in die Runde, hat aber keine Kraft, das auch zu einer geistlich fassbaren Sache zu machen. Es ist einfach zuviel kaputtgemacht worden. Unser Reformsationsgedenken sollte uns vor Augen führen, dass die Kirche sich seit dem 16. Jh, aber im Grunde schon seit dem 14. Jh spätestens in eine so tragische Vereinseitigung geritten hat, dass es fast unmöglich ist, mit administrativen Möglichkeiten Ordnung zu schaffen. Vor einer charismatischen Papst-Gestalt, die das vermögen könnte, muss man andererseits Angst haben. Im Grunde wäre eine Laienbewegung die einzige Möglichkeit, die vielleicht noch einen Neuaufbruch anregen könnte. Aber auch das kann ganz daneben gehen.

      1. Dass Sünde „nur“ eine Beziehungsstörung sei, sagt ja auch Pastor van Briel nicht. Aber „Beziehungsstörung“ ist ein schlüssiger Türöffner für den „modernen“ Menschen. Hat er erst einmal auf diesem Weg Zugang zur Beichte gefunden, wird er sicher auch auf weitere Aspekte der Sünde stoßen, wie Sie sie ansprechen.
        Übrigens lässt sich alles, was Sie über den unendlichen Abstand zwischen Gottes Heiligkeit und unserer Nichtigkeit, über Bräutigam und Braut sagen, sehr gut auf der Ebene von „Beziehung“ ansiedeln.
        Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen kann ich Ihrer überwiegend negativ geprägten Sicht des „Beichtsakraments“ in früherer Zeit nicht zustimmen. Ich hatte meine Erstbeichte 1960, also noch in vorkonziliarer Zeit. Stolz war ich und voller Freude, schon ein Jahr früherer als meine Altersgenossen zur Kommuniongehen zu dürfen. Über viele Jahre bis zu meinem Abitur bin ich dann regelmäßig (etwa alle vier bis sechs Wochen) zum Beichten gegangen. Obwohl von meinen Eltern dazu angehalten, kann ich mich nicht daran erinnern, unter „Druck“ gelitten zu haben.
        Über meine Beichtväter kann ich nichts gravierend Nachteiliges vorbringen. Manches war im Ablauf der Beichte stark formalisiert, ich empfand es nicht als einengend. Manchmal hätte ich mir gewünscht, dass mein Beichtvater sich mehr Zeit für mich nimmt und stärker auf mich eingeht. Unangemessene Fragen bezüglich gewisser „delikater“ Sünden habe ich nicht erlebt, hier wurde die Schamgrenze gewahrt.
        Auf meinem Wunsch, aus dem Beichtstuhl herauszukommen und mal bei einem Spaziergang in der freien Natur zu beichten, ging mein damaliger Beichtvater, ein Franziskanerpater, bereitwillig ein. Unlängst fand ich unter alter Post eine Grußkarte zu Weihnachten von ihm.
        Problematisch wurde das Beichten für mich erst während meines Studiums, das war in den ersten Jahren nach dem Konzil. Plötzlich erklärten mir die Jugendpfarrer, ich müsse gar nicht beichten, es gehe auch „ohne“. Ich war irritiert, gab mich aber irgendwann damit zufrieden. So kam mir schließlich das Beichten über Jahrzehnte abhanden.
        An dieser Stelle möchte ich die Perspektive weiten und eine Bilanzierung versuchen. Die heute oft geschmähte oder lächerlich gemachte vorkonziliare Zeit war gerade in puncto Beichte um ein Vielfaches besser als die Nachkonzilszeit mit ihren Irrungen und Verwirrungen. In den 70er und 80er Jahren ist nicht wenigen katholischen Gläubigen das Beichten von ihren Priestern regelrecht ausgetrieben worden. Wenn heute über das „verlorene“ oder „vergessene“ Sakrament geklagt wird, dann trägt in erster Linie die vom „Konzilsgeist“ bewegte Klerusgeneration dieser Jahre die Verantwortung dafür. Das aber wird bis in unsere Tage weitgehend verdrängt.
        Den heute üblichen stereotypen Verweis auf den „Missbrauch des Beichtsakraments“ in früheren „dunklen“ Zeiten als Hauptgrund für die gegenwärtige Beichtmüdigkeit und -unwilligkeit halte ich für eine Fehlwahrnehmung, ein Ablenkungsmanöver, manchmal sogar für eine bequeme Ausrede.
        Nicht zuletzt den neuen geistlichen Gemeinschaften ist in den letzten Jahren eine Wiederbelebung der Beichte, vor allem bei den unbelasteten Jungen, zu verdanken, wenn auch in begrenztem Rahmen und von den örtlichen Pfarrgemeinden weiterhin wenig oder gar nicht unterstützt. Hier hat vor allem die Gemeinschaft Emmanuel mit ihren Priestern wertvolle Aufbauarbeit geleistet. Es ist ein großes Geschenk, an den „Nightfever“-Abenden, das „Angebot“ von mehreren für Beichte oder persönliches Gespräch zur Verfügung stehenden Priestern annehmen zu können. Ein wichtiger Vorteil dabei ist für manche, dass sie „anonym“ beichten können. Unabhängig vom Beichtgeheimnis möchte nicht jeder einem Priester seine Sünden anvertrauen, mit dem er beruflich, privat oder sonstwie näher zu tun hat.
        Zum Schluss möchte ich mit Blick auf das eben genannte Beispiel Ihre Anregung eines von einer Laienbewegung initiierten „Neuaufbruchs“ aufgreifen. Da gebe ich Ihnen vollkommen recht. In der Tat haben in der Vergangenheit in erster Linie Bischöfe und Priester versagt, die ihrem Auftrag untreu wurden. Und doch sind sie als „Geweihte“ für uns unersetzlich.
        Der Fisch stinkt vom Kopf. Gerade heute in der Kirche.

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