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Der Lebensweg des Kirchenrechtlers Georg May bewegt durch sein Glaubenszeugnis

Rezension von Thomas May

Buchdaten: Georg May: Breslau – München – Mainz. Mein Lebensweg. – Christiana-Verlag im Fe-Medienverlag, Kisslegg 2022, 254 Seiten, Paperback, ISBN: 978-3-7171-1352-2. – 10 €

Über den Zeitraum von fast einem Jahrhundert schildert der Priester und akademische Lehrer Georg May seinen Lebensweg von der schlesischen Heimat über Fulda, Neuzelle, Spremberg, Erfurt, München, Freising bis nach Mainz, wo er schließlich neue Wurzeln schlug. In seinem bewegenden, freimütigen Zeitzeugnis finden die Erschütterungen durch Weltkrieg und Vertreibung, die Veränderungen in Politik, Gesellschaft und Kirche, die Umwälzungen in Theologie und (katholischen) Universitätsfakultäten vielfältigen Widerhall.

Prägung durch Familie und Kirche

Am 14. September 1926 als Sohn eines Eisenbahners und einer Schneiderin im niederschlesischen Liegnitz geboren, wächst der aufgeweckte Junge mit zwei Geschwistern in einer behütenden Familie auf; der katholische Glaube bildet ihr religiöses und sittliches Fundament. Die Pflichten werden gewissenhaft beachtet, am Leben der Pfarrgemeinde, deren hochgeachtete Priester sich durch tatkräftige Seelsorge auszeichnen, beteiligt man sich rege. Auch im 80 Kilometer entfernten Reichenbach (Eulengebirge), wohin die Familie infolge der Versetzung des Vaters 1933 umziehen muss, ist sie in die kirchliche Gemeinde integriert.

Distanz zum nationalsozialistischen Regime 

Von Anfang an steht May dem herrschenden Regime in Abwehrhaltung gegenüber, geschuldet dem religions-, christen- und katholikenfeindlichen Kurs der Regierung und der NS-Organisationen; auch Informationsquellen wie ausländische Rundfunksender, in Bibliotheken „vergessene“ kritische Schriften und vor allem Gespräche mit Regimegegnern im Familien-, Bekanntenkreis und mit Geistlichen tragen dazu bei.

In seiner Ablehnung bestärkt wird der Heranwachsende durch die Großeltern mütterlicherseits: den „schwarzen“ Großvater“ – „Beschützer und Gefährte meiner frühen Jahre“ (S. 18) – und die ungewöhnlich fromme, rührige, judenfreundliche Großmutter, die dem Boykottaufruf der Nazis trotzt und am 1. April 1933 mit ihrem Enkel demonstrativ ein jüdisches Geschäft betritt, um ihm eine Jacke zu kaufen. Hier wird wohl auch der Nährboden für jene Widerständigkeit bereitet, die zum Gütesiegel des späteren Professors gedieh, wenn es gegen falsche Positionen in Theologie und Kirche furchtlos Stellung zu beziehen galt.

Skizzen der Schulzeit

May liefert ein differenziertes Bild seiner Volksschul- und Oberschulzeit in Liegnitz, Reichenbach und dem benachbarten Langenbielau. Die qualitativ unterschiedlichen, didaktisch eher schwach ausgebildeten Lehrkräfte, von denen Strenge, aber kaum Ermutigung und Anleitung zum methodischen Arbeiten ausgehen, skizziert er mit ihren Eigenheiten, wobei manche Anekdote mit einfließt; politischer Indoktrination befleißigen sie sich selten.

Auch auf die verschiedene Herkunft seiner Mitschüler, aus den ärmsten Schichten der Gesellschaft bis zu Akademikerkindern, geht May ein. Die Klassenkameraden, mit denen er gut auskommt und unter denen er einen Freund fürs Leben findet, „machten alles mit, was vom Regime verlangt wurde. Fanatismus konnte ich bei keinem Einzigen beobachten“ (S. 32). May ordnet sich als „eifrigen“ Schüler ein, kein „Streber“. Mit seiner Lernweise und seinen Leistungen ist er nicht immer zufrieden.

Entscheidung für das Priestertum

Die Berufswahl hatte May bis zum Abitur zurückstellen wollen. Doch da wurden die Schüler der 8. (letzten) Oberschulklasse im Herbst 1944 zum „Kriegseinsatz“ befohlen. Für ihn hieß das zunächst: „Mannschaftsführer“ im Kinderlandverschickungslager Wendelborn (Landkreis Trebnitz); in den letzten Kriegswochen ereilte den wegen eines Herzfehlers für „nicht tauglich“ Befundenen noch die Einberufung zu einer „schweren Flakersatzabteilung“ in Wittenberg. Nach deren rascher Auflösung hatte er sich als „Zivilist“ in beschwerlichen Fußmärschen unter vielerlei Gefahren über Görkau (Sudetenland) und Görlitz zurück ins inzwischen von der Roten Armee besetzte Reichenbach durchgeschlagen, wo er in den 20-er Tagen des Mai 1945 ankam.

Mays nun getroffener und nie bereuter Entschluss, Priester zu werden, liest sich unspektakulär. Kein Berufungs- oder spontanes Erweckungserlebnis, vielmehr gewachsen, gereift unter der Obhut seiner Familie, im Anziehungsfeld lebendiger, glaubensfroher kirchlicher Gemeinden: „Immer war ich im katholischen Glauben verwurzelt und erfüllte meine religiösen Pflichten gewissenhaft. Eine Glaubenskrise habe ich nicht erlebt. Die Wahrheit und die Alleinberechtigung des katholischen Glaubens standen mir allezeit fest“ (S. 50).

Wichtige Anstöße geben dem seit je auf Glaubensgewinnung anderer Ausgerichteten u. a. die apologetischen Schriften Franz Mefferts, das Vorbild heiligmäßiger Persönlichkeiten wie des Lepramissionars Damian de Veuster, des Arbeiterpriesters Joseph Cardijn, des Berliner „Großstadtapostels“ Carl Sonnenschein sowie die katholische Soziallehre. Nach einem ermutigenden Gespräch mit dem Ortspfarrer und Zustimmung der bischöflichen Behörde ist der Weg zur Aufnahme des Theologiestudiums in Breslau eröffnet.

Zäsur der Vertreibung

Das folgenschwerste Geschehnis für den jungen Studenten, das sein weiteres Leben überschattet, ist die Annexion der deutschen Ostgebiete durch Polen und die Zwangsausweisung der recht- und schutzlosen deutschen Bevölkerung. Als Schlesier trifft ihn der Termin im April 1946. Von Eltern und Schwester getrennt, wird er mit ca. 30 Personen in einen der am Bahnhof bereitstehenden Viehwagen verfrachtet; der geschlossene Transport mit unbekanntem Ziel endet nach mehreren Tagen in Werl (Westfalen), wo er bei einem älteren Ehepaar unterkommt. Jetzt ist er auf sich allein gestellt.

Im Herbst 1946 werden die Eltern ausgewiesen und in Riesa (Elbe) ausgeladen. May hält fest: „Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus Schlesien war ein ungeheuerliches Verbrechen, für das es keine Entschuldigung gibt. Die Untaten des nationalsozialistischen Regimes wurden durch neues Unrecht nicht gesühnt. Es ist unmöglich, Verbrechen durch Verbrechen zu vergelten. Persönlich habe ich den Verlust der Heimat nie verwunden …“ (S. 56f.).

Theologiestudium, Priesterseminar, Pastoraljahr

Sein Studium der Theologie absolviert der Priesterkandidat nach anerkanntem Breslauer Semester (WS 1945/46) und nachgeholtem Abitur in Fulda und München, wohin er sich nach dem WS 1947/48 und bestandenem Philosophikum für zwei Freisemester begibt; dort knüpft er mit Alumnen und Dozenten für sein späteres Leben bedeutsame Kontakte.

Im Frühjahr 1950 siedelt May in die DDR über und tritt im April zur Ableistung des Pastoraljahres ins Priesterseminar Neuzelle (Oder) im deutschgebliebenen Restteil der Erzdiözese Breslau (Gebiet Görlitz-Cottbus) ein. Dort wird er am 1. April 1951 zum Priester geweiht, die Primiz folgt eine Woche später unter Beisein mehrerer Mitbrüder in Riesa, dem Wohnort seiner Eltern. Während seiner gesamten Ausbildungszeit wohnt May im Priesterseminar; sein Zimmer teilte er regelmäßig mit einem anderen Anwärter.

Spurwechsel zur akademischen Laufbahn

Alles scheint in der vorgesehenen Bahn zu verlaufen: May war Priester geworden, weil er Seelsorge betreiben wollte, und das tut er jetzt auch, zuerst im südbrandenburgischen Doberlug-Kirchhain als kurzzeitige Vertretung, danach als Kaplan in Spremberg in der Niederlausitz für knapp zwei Jahre. Plastisch lässt der Autor den Leser teilhaben an der vielgestaltigen Tätigkeit des hochmotivierten Jungpriesters in der Diaspora, zu der neben Gottesdiensten, Predigt, Spendung des Bußsakraments, Erstkommunionvorbereitung, Krankenhausseelsorge auch Betreuung, Unterweisung und religiöse Bildung der Jugend unter den argwöhnischen Augen der DDR-Obrigkeit gehören.

Der Richtungswechsel zeichnet sich ab im April 1953, als Kapitelsvikar Ferdinand Piontek May als Assistenten an das Priesterseminar Erfurt versetzt; dort soll er hauptsächlich seine Dissertation im Fach Kirchenrecht erstellen, da zur Bekleidung der vakant gewordenen Stelle als Offizial (Richter für Eheprozesse) im Diözesanbezirk Görlitz-Cottbus, für die der Obere ihn ausersehen hat, ein weiteres kanonisches Studium erforderlich ist. Jetzt kann May auf seinen Münchener Lehrer Klaus Mörsdorf zurückgreifen, der ihn zur Promotion freudig annimmt. Diese schließt er, nach München umgezogen, im Februar 1955 an der Ludwig-Maximilians-Universität ab.

Erneut wird May überrascht: Inzwischen hat Mörsdorf insgeheim den Kapitelsvikar ersucht, seinen vielversprechenden Schüler zur Habilitation freizugeben. Und so geschieht es: Auf Drängen seines Doktorvaters, nicht frei von Unbehagen, entscheidet sich der in die Zwickmühle Geratene, dem Piontek die Wahl lässt, für die Universitätslaufbahn. Mörsdorf, der sich als der große Förderer und Protektor erweist, macht den Zögling zu seinem Assistenten.

Neben der Habilitation absolviert May nun noch das notwendige kanonistische Spezialstudium (Lizenziat), bevor er nach deren Abschluss im Sommer 1957 vom bayerischen Kultusminister zunächst zum Privatdozenten und dann zum Professor für Kirchenrecht an der Hochschule Freising ernannt wird.

34 Jahre Universität Mainz

Den Ruf an die Universität Mainz, die 1946 von der französischen Besatzung errichtet worden war, erhält May im Frühjahr 1960. Der Ordinarius für kanonisches Recht, Staatskirchenrecht und kirchliche Rechtsgeschichte bleibt bis zu seiner Emeritierung 1994 – den zwischenzeitlichen Ruf an die neugegründeten Universitäten in Bochum bzw. Regensburg lehnt er ab, die Berufungen nach München und Salzburg vereiteln seine Gegner im intriganten Zusammenspiel.

Es wird die fruchtbarste Zeit seines Lehrens, Forschens und Publizierens, des theologischen Widerstreits und des (öffentlichen) Ringens um unverfälschten Glauben und den Kurs der seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil erodierenden Kirche. Der Seelsorge entsagt der Professor keineswegs; nicht nur als Hirte einer kleinen Gemeinde Gleichgesinnter im benachbarten Budenheim, wo er ein Haus baut und seine Eltern, später auch seine Schwester aufnimmt, bleibt er in Diensten.

Den Abwärtstrend der theologischen Fakultät, ihren Zerfall als geistliche Einheit beschreibt May u. a. anhand der Stellenneubesetzungen. Die Ersetzung von Priesterprofessoren, die fraglos hinter  Glauben und Disziplin der Kirche stehen, durch (Laien-)Dozenten mit „bunten“ Ansichten mündet fast gänzlich in der „Entklerikalisierung“ der Fakultät; in der Folge wird sie mit weniger Alumnen beschickt. Früher übliche gegenseitige Besuche der Kollegen zum Namenstag schlafen ein.

Die negativen Vorgänge sind eingebettet in den größeren Kontext des Umbaus der Universität als Gelehrtenrepublik zur „linken“ Gruppenuniversität seit dem Hochschulrahmengesetz 1976, welche die Ordinarien zugunsten des akademischen Mittelbaus, der nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter und der Studierenden schwächt.

In dieser Umbruchzeit, in der May auch als Dekan und Vorsitzender des Fakultätentags fungiert, richtet der akademische Lehrer gemäß der vorrangigen Aufgabe theologischer Fakultäten (wie in den Verträgen mit dem Staat angelegt) sein Hauptaugenmerk auf die Priesterstudenten und die angehenden Ordensleute. Seine gut besuchten Lehrveranstaltungen ziehen auch Studierende für das höhere Lehramt an, mehrheitlich religiös fundierte und kirchlich gesinnte Kandidaten. Neben der Vermittlung gediegenen Fachwissens ist es Mays Bemühen, „den Studierenden aus Glaube und Recht Anleitung und Hilfe zur Bewältigung eines christlichen Lebens zu bieten“ (S. 135). Dabei ist es ihm unverzichtbar, die richtige und verbindliche Lehre zu vertreten.

Arbeiten, Forschung, Publikationen

Der Autor hat auf seinen Fachgebieten des geltenden Kirchenrechts, der Kirchenrechtsgeschichte und des Staatskirchenrechts umfängliche (archivalische) Forschungsarbeit geleistet, die sich auch nach seiner Emeritierung in zahlreichen Veröffentlichungen niederschlägt. Das Eherecht und die Mischehenfrage beschäftigen ihn wiederholt. Er scheut sich nicht, „heiße Eisen“ konträr zum Zeitgeist anzupacken, wie das Zölibat, die Liturgiereform oder die „Demokratisierung“ der Kirche.

Die Themen „Priestertum“ und „Eucharistie“ liegen ihm stets am Herzen. Mit dem Fachartikel „Anzeige und Anzeigepflicht bei Missbrauchsfällen“ liefert er einen Sachbeitrag in der einseitig emotional geführten Debatte. Einen Schwerpunkt bildet die Kontroverse mit Protestantismus und „katholischem Ökumenismus“ (etwa im Buch „Die Ökumenismusfalle“).

Aus der Fülle seiner Publikationen, die oft zu voluminösen Werken anwachsen, seien erwähnt: „Das Versöhnungswerk des päpstlichen Legaten Giovanni B. Caprara“ (Rekonziliation während der Französischen Revolution abgefallener Priester mit dem Heiligen Stuhl), die drei Bände über den Kanonisten und Zentrumspolitiker Ludwig Kaas, die Studie „Kirchenkampf oder Katholikenverfolgung?“ (unterschiedliche Haltung von Katholiken und Protestanten zum NS-Regime und umgekehrt) und als „Krönung“ das über 1100 Seiten starke Opus „300 Jahre gläubige und ungläubige Theologie“ (Verfall der Theologie als Wurzel des inneren Zusammenbruchs der heutigen Kirche).

Darlegungen religiöser, sittlicher und aszetischer Art ergänzen das Schrifttum des Autors. Eine Sammlung seiner knapp 2000 Sonntagspredigten ist auf der Internetseite www.glaubenswahrheit.org zugänglich. In Erscheinung getreten ist er zudem als Rezensent theologischer Bücher (in der Zeitschrift „Erasmus. Speculum Scientiarum“), als Mitarbeiter kirchengeschichtlicher Handbücher und mehrerer Lexika (u. a. LThK), als Herausgeber kanonistischer Studien und Texte sowie als gefragter Vortragsredner.

Der Bruch des Konzils und die Folgen

Das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) nennt May das „einschneidendste kirchliche Ereignis in meinem Leben“ (S. 162). Von ihm, seinen Ergebnissen und Folgen aus sind Sicht, Ringen, ja Kampf des Autors in Wort, Schrift und Tat maßgeblich bestimmt und zu verstehen. Seine anfängliche Zustimmung wandelt sich rasch in Besorgnis, die mit den Sitzungen der Konzilsväter wächst.

Am Ende steht die ernüchternde Bilanz:
„Das Konzil ist gescheitert und es musste scheitern. Entscheidend für den Erfolg eines Konzils sind das Vorhandensein und das Durchhalten einer echten Reformbewegung, also die Existenz einer ausreichenden Zahl von Männern und Frauen, die aus unerschütterlichem Glauben, tiefer Frömmigkeit, ausgestattet mit Tugenden, in selbstvergessener Weise die Ehre Gottes suchen und darin allen Widerständen zum Trotz beharren. Eine solche Reformbewegung war 1962 nicht einmal im Ansatz zu erkennen und entwickelte sich auch nicht im Laufe des Konzils“ (S. 163).

Symptomatisch erscheinen ihm die mit Ankündigung des Konzils einsetzenden Austritte aus Priester- und Ordensstand, die nach dessen Abschluss kulminieren. Die beschlossenen Auslassungen, Abschwächungen, Erleichterungen begünstigen die Auflösung: der Disziplin, des Glaubens, der Sitten. Als „äußerst gefährlich“ brandmarkt May das eingeleitete Rätesystem, das als „andere Hierarchie“ kirchenverfassungstreue Bischöfe unter Druck setzt und etliche zum Rücktritt bewegt. Die Würzburger Synode (1971–1975), dominiert von Neuerern und Systemveränderern, beschleunigt den Niedergang der deutschen Kirche, zumal durch glaubenswidrige „Rechtsetzungen“.

Offene Proteste von Theologieprofessoren („Kölner Erklärung“ 1989) und agitatorische Unterschriftenaktionen („Kirchenvolksbegehren“ 1995) gegen Lehre, Dogma und Ordnung zerstören die Gemeinschaft. Als Hauptbetroffene der Umwälzungen sieht May die Priester, denen der Boden entzogen wird, und empörte, betrübte, verwirrte Gläubige.

Liturgiereform und „alte“ Messe

May widersetzt sich dem Abbau und der Zersetzung des kirchlichen und religiösen Lebens in jedem Bereich. Ein Kernpunkt ist der Widerstand gegen die weit über die Vorgaben des Konzils getriebene Liturgiereform Pauls VI. mit enormen Veränderungen, dem Entfall bewährter Übungen, dem Verlust der lateinischen Sprache, dem Einzug des Unernstes in den Gottesdienst, dazu die eigenmächtigen Abwandlungen von „Liturgieausschüssen“ und Liturgen, was vielerorts zur Verstümmelung des Novus Ordo führt und Gottesdienstbesucher brüskiert.

Mays Schrift „Die alte und die neue Messe“ (1975) ruft Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) auf den Plan, weil er, von der Abschaffung der „alten“ Messe Schaden für die Gläubigen befürchtend, die Auflehnung gegen die für zu leicht befundene, dogmatisch und spirituell ausgedünnte neue Messe für legitim erklärt hat. Zur geforderten Beanstandung bei der Regierung durch den Mainzer Bischof Volk kommt es nicht.

May hält am Gebrauch der „alten“ Messe unbeirrt fest, wird zeitweise zur alleinigen Zelebration als Privatmesse in die Budenheimer Werktagskapelle verbannt, bis die Restriktionen sich nach einigen Jahren lockern, die Messe stärker frequentiert, die Predigt nicht behindert, die sonntägliche Feier ins Hauptschiff der Kirche verlegt wird. Die Rehabilitierung der „alten“ Messe durch Benedikt XVI. hat Papst Franziskus, der ihre Feier ganz unterbinden möchte, bekanntlich mit seinem Motuproprio „Traditionis Custodes“ revidiert; Mays Kommentar dazu ist auf seiner Internetseite hinterlegt.

Bischöfe und Päpste im Visier

„Die Krise der Kirche ist eine Krise der Bischöfe“ – dem Diktum Kardinal Šepers folgend geht May mit den von progressistischen Theologen gelenkten (deutschen) Oberhirten hart ins Gericht: Ihre Fehler, Schwächen und Versäumnisse (bei „nicht gänzlich fehlenden Verdiensten“) seien für den Verfall der Kirche primär verantwortlich, der Münchener Erzbischof Julius Döpfner, Vorsitzender der DBK seit 1965, Initiator der „Königsteiner Erklärung“, Vorkämpfer der Handkommunion, Steuermann der Würzburger Synode zuvorderst: „Döpfner war ein Unglück für die Kirche. Von Hause aus fest im Glauben der Kirche verwurzelt, war er nur allzu leicht zu Konzessionen in der Disziplin bereit; doch sie waren es, die dem Glauben tiefe Wunden schlugen“ (S. 206).

Sein  Nachfolger Erzbischof Joseph Höffner, „eine vorbildliche priesterliche Persönlichkeit“ (ebd.), ist, so May, den Anforderungen des Amtes nicht gewachsen; Franz Böckle, „den Zerstörer der katholischen Moraltheologie“ (ebd.), feiert der Kölner öffentlich. Der umtriebige Bischof Karl Lehmann schließlich verbraucht seine Zeit und Arbeitskraft großteils als Vorsitzender der DBK; seine eigene Diözese habe er sträflich vernachlässigt, besonders die Seelsorge und die Priester, kritisiert May. „Lehmann hat die Diözese zugrunde gerichtet“, meint gar ein prominenter Mainzer CDU-Politiker (zit. S. 199).

Dank guter Kontakte hat May Einblick in Gruppierungen und Spannungen der DBK, weiß aus erster Hand „von der Schwäche und der Feigheit der meisten Bischöfe“ (S. 205). Statt Flagge zu zeigen und auszuharren, „zogen sich frühzeitig nicht wenige von ihrem Hirtenamt zurück, um danach noch jahrzehntelang erkennbar munter und rüstig zu leben und Schriften zu verfassen, für die kein Bedürfnis bestand“ (S. 207).

Auch das Pontifikat der acht Päpste, die er bewusst erlebt hat, nimmt May in den Blick. Bei Johannes XXIII. vermisst er Kenntnis und Wahrnehmung gefährlicher Tendenzen in der Theologie: „Naivität und Einfalt prädestinieren nicht für Führungsaufgaben“ (S. 210). Dessen Ankündigung und Einberufung eines Allgemeinen Konzils hält May für unnötig, sogar kontraproduktiv. In der Tat: Meinte der Papst in seiner Eröffnungsrede am 11. Oktober 1962 noch, die „(Glaubens-)Irrtümer erheben sich oft wie ein Morgennebel, den bald die Sonne verscheucht“, so herrscht heute die Sonnenfinsternis des „Synodalen Weges“.

Die Amtszeit Pauls VI. beurteilt May zwiespältig: Auch Montini fehlt die Voraussicht der Sprengkraft der für wünschenswert oder erforderlich gehaltenen Änderungen; trotz klarer Erkenntnis der drohenden Selbstzerstörung findet er nicht die Kraft, das Ruder der Kirche herumzureißen. Am aktuellen Petrus-Nachfolger bemängelt May wiederholt theologisch verwirrende Äußerungen, „die von Gläubigen mit Recht als Verstoß gegen die Glaubens- und Sittenlehre der Kirche empfunden werden“ und dann „von römischen Institutionen  mühsam zurechtgebogen werden [müssen]“ (S. 215f.).

Verbündete und Freunde

Ein  echter „Glücksfall“ in Mays Leben ist Anna Egler. Die studentische Hilfskraft steigt nach ihrer Promotion bis zur Akademischen Direktorin auf und erweist sich als kenntnisreiche, gewissenhafte Mitarbeiterin bis zu seiner Emeritierung, die u. a. die beiden ihm gewidmeten Festschriften 1991 und 2006 bewerkstelligt und auch durch eigene Publikationen hervortritt. In fast 60 Jahren steht ihm die 2009 mit dem Gregoriusorden Geehrte zudem als umsichtige Helferin und Beraterin in den  verschiedensten Lebensbelangen zur Seite. Im Geisteskampf verbündet sind Pater Gerhard Hermes, Begründer der Zeitschrift „Der Fels“, an der May mitwirkt, die bis heute bestehende Vereinigung „Una Voce“ sowie der geistliche Schriftsteller Wilhelm Schamoni, Begründer von „Theologisches“, und dessen Nachfolger.

Zur Schar der Gleichgesinnten zählen Universitätskollegen vor allem der kanonischen Disziplin, Leo Scheffczyk (Dogmatik), Josef Scharbert (Altes Testament), Gustav Ermecke (Moraltheologie), Walter Hoeres (Philosophie), Karl Siegfried Bader (Rechtsgeschichte).

Sein Verhältnis zu Joseph Ratzinger, Fakultätskollege aus Freisinger Tagen, bleibt ungetrübt; der spätere Papst lässt May die Würde des Apostolischen Protonotars übertragen. Viele Freundschaften, z. T. bis in die schlesische Zeit zurückreichend, pflegt May mit Priestern über Jahrzehnte bis zu deren Tod; auch „einfachen“ Menschen ist er zeitlebens zugewandt. Mit dem Bauernsohn und  bayerischen Landwirtschaftsminister Hans Eisenmann (1969–1987) verbringt der bekennende CDU-Wähler mehrere Urlaube.

Kritik, Gegenkritik, Selbstkritik

Ohne Rücksicht auf seine Person, sein Ansehen und Vorankommen übt May freimütig Kritik. Im Kampf für die Erhaltung der Identität der Kirche mit sich selbst nennt er Ross und Reiter, versteckt sich nicht hinter vagen Andeutungen. Zutreffend versteht ihn sein Lehrer und Kollege Audomar Scheuermann als „einen unbequemen Mann, der von seinem Gewissen umgetrieben wird“ (zit. S. 244). Mays weltanschauliche Gegner, Progressisten oder Modernisten, die die Kirche nach ihrem Gusto „ummodeln“ wollen, überziehen ihn mit Beschimpfungen, Schmähungen, Verriss; Boykott, Totschweigen, wie Nichtbesprechung seiner Publikationen in Fachorganen, sind noch effektiver.

Man hält ihm „Rigorismus“ vor, „negativ konservativ“ sei er, „theologisch zu kurz geraten“ (Erzbischof Lorenz Jäger). Tatsächlich will man die störende Stimme des „Unheilspropheten“ (gegen die Roncalli polemisiert hatte) nicht hören und dulden, dessen Warnungen und Befürchtungen sich bestürzend bewahrheiten, der den Finger in die von Auflösern und Abtrünnigen geschlagenen Wunden legt, den Nagel auf den Kopf trifft.

Doch Mays Kritik macht vor seiner Person nicht Halt. Wie ein roter Faden zieht sich, von der Schulzeit an, das Eingeständnis eigener Fehler, Mängel, Schwächen, Versäumnisse, mitunter im Ton der Selbstanklage, durch das Buch (S. 28, 52, 69f., 88f., 114, 159, 242f.); „saloppe und überspitzte Äußerungen“ (S. 242) setzen ihm Jahre später noch zu. Kritik und Selbstkritik gehören folgerichtig zusammen.

Vom Glück des Priesters

Mehr als 70 Jahre hat May Seelsorge betrieben. Er weiß um deren hohe Kunst, die von persönlicher Befriedigung und Anerkennung absehen, die selbstlos und selbstvergessen ausgeübt werden muss, will man ihren Erfolg nicht verderben. „Der Priester ist weder einsam noch verlassen. Die Gemeinde, die er mit seiner hochherzigen Seelsorge trägt, trägt ihn mit ihrer Zuneigung und Fürsorge und ihren Gebeten“ (S. 219) – May hat dies in reichem Maße dankbar erfahren.

Der 96-Jährige nennt es das „Glück meiner alten Tage“, dass er noch in der Lage ist, regelmäßig die heilige Messe zu zelebrieren, das Bußsakrament zu spenden, den Herz-Jesu-Freitag zu halten. Dabei war seine Verbindung mit dem Priestersein anfangs noch stark vom Willen und Verstand geleitet, erst über die Jahrzehnte ist er gefühlsmäßig hineingewachsen und „erfasste mit dem Herzen das unbeschreibliche Glück, als Stellvertreter Christi das heilige Messopfer feiern und Sündern Befreiung von Schuld vermitteln zu dürfen“ (S. 225).

Vielleicht ist es ja das Geheimnis des Hochbetagten, der von früh an mit gesundheitlichen Beschwerden zu kämpfen hat, dass ihm aus dem täglichen Vollzug der heiligen Handlung innere Nahrung und äußere Kräftigung zufließen.

Georg May hat in seiner Biographie Rechenschaft über sein nicht leichtes Leben und ein standfestes Glaubenszeugnis abgelegt. Das gewaltige Pensum seiner Leistungen als Wissenschaftler, Lehrer, Schriftsteller und Seelsorger verdankt sich nicht zuletzt eiserner Selbstdisziplin, immensem Fleiß,  konzentrierter Nutzung der Zeit.

Nach rastlosem, beharrlichem Einsatz für Bestand und Gedeihen der Kirche, für das Heil der ihm anvertrauten Gläubigen, die Sorge für seine Angehörigen immer mit im Gepäck, nach einer reichen Aussaat in Wort und Schrift, die bei nicht wenigen auf fruchtbaren Boden fiel, ist dem Autor zu wünschen, dass er vor seinem Herrn und Meister Genügen finden wird, was er sich selbst lebenslang verwehrt hat.

Unser Autor Thomas May ist kath. Religionspädagoge und Publizist aus Münster

Die Erstveröffentlichung dieses Beitrags erschien in der Fachzeitschrift „Theologisches“ (Nr. 1-2/2023)

HIER geht es zur erwähnten Lebensbeschreibung von Prof. May: https://www.fe-medien.de/georg-may

Kommentare

3 Antworten

  1. Auch die Natur ist Teil des Logos. Siehe dazu auch die Logos-Theologie des Neuen Testamentes und der „Weisheitsliteratur“ des Alten Testamentes und Philo(n) von Alexandrien als jüdischen Theologen und Merkaba(h)-Mystiker und hermetischen Philosophen der Hermetik und Justin den Märtyrer als Kirchenlehrer und Kirchenvater und den Heiligen Irenaeus von Lyon und den 1. Clemensbrief und Clemens von Alexandrien und seinen Schüler Origenes und dessen Schüler Gregor Thaumaturgus. Und die Tatsache, dass noch Euebius und Ambrosius und der Mystiker Johannes Chrysostosmus Origenisten waren. Auch das ist Kirchentradition.

    Die ersten Christen kannten kein Sola Scriptura

    https://www.katholisch.com/die-ersten-christen-kannten-kein-sola-scriptura/

    Hat das Gesetz dem Christen nun gar nichts mehr zu sagen?

    https://www.soundwords.de/das-gesetz-a648.html#h-6

    10. Juli 2018 | Bibellehre und Auslegung, Klartext
    Sollen Christen den Sabbat halten?

    Rudolf Ebertshäuser

    Immer wieder erhalte ich Anfragen von Christen, die verunsichert sind, ob sie das Gebot des Sabbats halten sollen. An dieser Stelle möchte ich einmal kurz darlegen, weshalb ich glaube, daß es für uns Christusgläubige nicht nur unnötig, sondern geradezu falsch ist, den Sabbat zu halten.

    https://das-wort-der-wahrheit.de/2018/07/sollen-christen-den-sabbat-halten/

  2. Tridentinische Messe:
    Papst Pius V. erließ die Bulle „Quo primum“ am 14. Juli 1570.
    In dieser setzte er die heute so genannte Tridentinische Messe „für immer“ ein und untersagte, sie je zu modifizieren oder abzuschaffen: „… noch kann das vorliegende Schreiben [Quo primum] irgendwann je widerrufen oder modifiziert werden, sondern es bleibt für immer im vollen Umfang rechtskräftig bestehen.“
    Kraft seiner Apostolischen Vollmacht ordnete Papst Pius V. darin unter der Strafandrohung der Exkommunikation „latae sententiae“ an, dass in diesem Missale nichts hinzugefügt, entfernt oder verändert werden dürfe.

    —————————————————

    Anmerkung: Eben in der alten tridentinischen Messe als „Heiliger Messe aller Zeiten“ sind auch die universellen Prinzipien der Logos-Theologie und die heiligen Engel verarbeitet und rituell-kultisch symbolisch in eben dieser speziellen Liturgie der katholischen Kirche enthalten, ebenso auch in der alten byzantinischen Messe der russisch-orthodoxen Kirche Russlands. Siehe auch die Jakobus-Liturgie als liturgischen Schatz etwa auch der alten syrischen bzw. assyrischen Kirche von Antiochia in der Nachfolge der Apostel Petrus.

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