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Ein evangelischer Theologe über "Marias Mutterglück" in Christus

Prof. Dr. Adolf Schlatter über die Mutter unseres HERRN

Der Tübinger Neutestamentler Adolf Schlatter  – er starb 1938  –  stand als einer der wenigen protestantischen Theologen  in harter Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, aber auch mit Modernismus und Bibelkritik in den eigenen Reihen.
Was er in seinem Beitrag „Marias Mutterglück“ über die Madonna zu sagen weiß, könnte von katholischen Theologen kaum vortrefflicher geschrieben werden.
Der Samstag ist bekanntlich besonders der Gottesmutter geweiht.  Das nehmen wir gerne zum Anlaß, um Prof. Schlatters Artikel zu veröffentlichen, den wir in dem früheren evangelisch-lutherischen Sammelband „Geboren von der Jungfrau Maria“  (Stiftungsverlag Potsdam) entdeckt haben:

„Als Jesus einst mit seinem mächtigen Wort eine ihm zuhörende Schar  in der Tiefe ihrer Seele erfasst hatte, unterbrach eine Frau  die andächtige Stille  durch  den Ruf:
„Selig ist der Leib, der dich getragen und die Brust, an der Du gesogen hast“ (Luk 11,27).
Sie pries Marias Mutterglück. Ist nicht die Größe des Sohnes das Glück der Mutter, und was ist groß neben der Herrlichkeit des Christus, und was ist Glück neben dem Glück seiner Mutter?
Diese Frau (aus dem Volke) empfand nicht kindisch; sie sprach vielmehr so, wie jede Mutter denkt.
Jedem treuen Sohn bringt es eine tiefe Freude, daß sein Erfolg seine Mutter  beglückt und seine Ehre auch seiner Mutter ehrt.
Darum beschreibt uns auch die Einleitung zur Weihnachtsgeschichte Marias Mutterglück; denn sie stellt uns jene selige Stunde dar, in der zum ersten Male ein menschlicher Mund Marias Geheimnis aussprach.
Dies geschah, als Elisabeth sie sah und mit dem Zuruf empfing: „Die Mutter meines HERRN kommt zu mir, und das Kind in meinem Schoß jubelt dir entgegen“ (Luk 1,43).
Das war eine selige Stunde, die in Maria die Gott lobenden Psalmen aufgeweckt hat. Ihr Mutterglück lacht uns an und entzückt uns, wenn wir ihrer in der Weihnachtszeit gedenken.
Der Jubel Marias erneuert sich, als Jesus mit dem Zeugnis des Täufers zurückkam und mit seiner Sippe in Kana die Hochzeit feierte.
Als eine selige Mutter wies Maria die Dienenden an: „Was ER euch sagt, das tut“ (Joh 2,5). 
Wunderbares wird ER euch sagen und Unglaubliches wird ER gebieten, widersprecht IHM nicht,  wagt kein Einreden, laßt jeden Zweifel fahren, so wird daraus die alle beglückende Hochzeitsfeier!
Die Mutter war geborgen in der Herrlichkeit ihres Sohnes und selig im Vertrauen  zu seiner Heilandsmacht.
Wie  nahm Jesus den Jubelruf jener Frau auf, die seine Mutter selig pries? 
ER eignete sich ihren Jubel an; auch er jubelte: O Ja! Selige gibt es; wer sind sie?
„Selig sind die, die Gottes Wort hören und bewahren“. 
Wenn jene Frau nur an Marias unvergleichliche Freude dachte, so sah sie die Größe der göttlichen Gnade noch nicht. War denn nur das der Sinn dessen, was in der Weihnacht am Maria geschah, daß sie das mütterliche Glück empfange? 
Ihr mütterliches Werk war, daß sie den gebar, durch den Gott zu uns spricht.
Gottes Wort, das  ist die Verherrlichung Gottes; Gottes Wort, das ist der Aufgang des Lebens für alle, die es hören und bewahren. Gottes Wort wird vernommen, das ist das, was Jesus jubeln macht, weshalb er von Menschen  spricht, die jubeln dürfen  und selig sind.
Das hebt Maria über ihr mütterliches Glück empor.
Das war kein Widerruf der ihr gewährten Seligkeit, keine Verkürzung und Trübung ihres Glücks. Wie kam sie denn zur Mutterschaft? 
„Siehe!  Ich bin des HERRN Magd“ (Luk 1,38)
Die Magd des HERRN begehrt nicht eigenes Glück. Sie ist nicht mehr bei sich allein und lebt nicht mehr für sich. Sie ist Gottes Eigentum, Gottes Werkzeug  zur Vollendung seines Willens  –  und was sie erlebt, empfängt sie durch Gottes Wirksamkeit.
Das macht sie frei von dem, was ihr eigenes Herz erfüllt. Die Lust unserer Seele überwältigt uns leicht und nimmt unseren ganzen Willen gefangen; dagegen ist aber die Magd Gottes geschützt.
Maria horcht auf das Wort des HERRN, dem sie gehört  –  und wartet auf sein Werk. Denn sie weiß: Gottes Wort hören und bewahren, das ist der Grund meiner Seligkeit.
Das hat auch Elisabeth zu Maria gesagt, als sie sie in ihr Haus aufnahm: „Selig bist du, die du geglaubt hast“ (Luk 1,45).
Das Glauben kommt da zustande, wo ein Wort zu uns kommt, das uns als Gottes Wort erkennbar ist. Daß Gottes Wort in mich eingeht, mich faßt und formt, das ist  Glauben.
Darin besteht die Gerechtigkeit und Macht des Glaubens, daß durch ihn Gottes Wort zu meinem Eigentum geworden ist.
„Selig bist du, die du geglaubt hast“, das heißt: „Selig bist du, weil du Gottes Wort hörtest und es bewahrtest“.
Mit der Antwort Jesu an jene Frau, die Marias Größe pries, hat er seiner Mutter bestätigt, was ihr von Elisabeth gesagt worden ist
Gottes Wort ist in uns eingegangen; das hebt uns empor über alles, was unser Herz erfüllt, und gibt uns den festen Standort oberhalb von unserer Lust und von unserem Leid.  Lust und Leid sind untrennbar miteinander verbunden und wachsen beide aus derselben Wurzel hervor. Nur unsere Eigensucht malt uns ein Glück vor, das kein Leid bei sich hätte.
Weil aber Marias Mutterglück ihr wirklich durch Gottes Werk beschert war, empfing sie mit ihrem mütterlichen Glück zugleich ihr mütterliches Leid  –  und dies gleich in der Weihnachtszeit.
Auch jene Stunde, da Maria das Kind in den Tempel brachte, war mit Seligkeit gefüllt. Sie empfing von Simeon die Segnung, und die Größe dieses Segens wurde ihr durch den Lobpreis  sichtbar gemacht, mit dem Simeon die Zeit, da er auf  Christus gewartet hatte, beschloß.
Auch Maria wird den Dienst, in den sie berufen ist, im Frieden beschließen, weil auch sie den Heiland sah.
Aber Simeon sprach nicht nur vom Frieden und vom Licht, das den Völkern leuchtet, und vom Ruhm,  durch den die Sendung Israels bestätigt wird, sondern auch vom Streit, der an dem entsteht, der Gottes Zeichen ist  –  und dieser Angriff trifft Maria nicht nur von außen, sondern Simeon verkündet ihr, daß das Schwert durch ihre eigene Seele fahre.
Wenn ihr Simeon weissagt, daß ihre Seele von einem Schwertstoß getroffen werde, so ist ihr gesagt, sie werde ähnlich wie die mit Jesus verbundenen Jünger und doch in besonderer Weise seinen Kelch trinken und mit seiner Taufe getauft werden.
Es war keine Übertreibung, wenn dieses Leid mit einer todbringenden Verwundung verglichen wurde.
Aus dem Gang Jesu zum Kreuz entstand für die Seinen ein Sterben, das alle ihre Pläne zerstörte und sie in eine Ohnmacht versetzte, die für sie unerträglich war, unter der sie sich wehrlos und hilflos wanden.
Es hat festen Grund, wenn die Kunst der Kirche Maria nicht nur als die unvergleichlich beseligte Mutter, sondern zugleich als die vor allen Frauen am tiefsten im Leid versenkte, schmerzensreiche Mutter dargestellt hat.
Wenn uns aber die Mutter Jesu so beschrieben wird, daß sie von ihrem Schmerz überwältigt wird und völlig in ihrem Leid versinkt, so ist dies nicht mehr die echte Maria, nicht mehr die, welche die große Seligkeit in ihrer Seele trug, weil  sie geglaubt hat, nicht mehr die, die das Wort Jesu gehört und in ihrem Herzen bewahrt hat: „Selig sind die, die Gottes Wort hören und bewahren“.
Geht Gottes Wort in uns ein, so haben wir einen Besitz, der herrlicher und mächtiger ist als Lust und Leid.
Wie kann eine Seele für größtes Glück  und tiefstes Leid miteinander offen sein, ohne daß sie hin und her schwankt, auseinander bricht und mit dem einen Erlebnis das andere erstickt?
Wie kann Maria, wenn das Wort des Engels sie bewegt, mit jubelndem Psalm den HERRN erheben und sich Gottes, ihres Heilandes freuen, und wiederum, wenn sich Gottes Heiligkeit und Gerechtigkeit am Kreuze Jesu offenbart, von einem Schwertstoß getroffen werden, durch den ihre Seele verwundet wird?
Beides wird ihr von derselben Hand zugeteilt; in beidem wird Gottes Wort in ihr wirksam.  Gottes Wort ist von dem, was wir denken und wollen, verschieden. Es widerspricht unserer Eigensucht.
Darum beginnt da, wo Gottes Wort hörbar wird, immer ein Streit; für uns Menschen ist es ein leidvoller Streit, da er unsere Eigensucht sterben läßt. Aber Gottes Wort macht, weil  Christus es uns sagt, Gottes Gnade offenbar  –  und deshalb, weil in seinem Willen seine Gnade leuchtet, brachte es Maria durch ihr großes Leid zugleich die gr0ße Seligkeit.
Wenn wir nun wieder die Weihnacht feiern, kehrt mit dem leuchtenden Christbaum in manches Haus ein stilles, aber großes Glück ein, Mutterglück, Kinderglück; wo Kinderglück ist, da ist auch Mutterglück. 
Wird es erlöschen, wenn die Zweige des Christbaums einer nach  dem anderen wieder dunkel werden? 
Es gibt eine Macht, die es fertig bringt, daß unsere Feier das sichtbar macht, womit wir beständig und für immer begnadet sind, diese Macht ist Gottes Wort.
Von ihm erhielt Maria ihre mütterliche Seligkeit und Josef seinen hohen väterlichen Beruf, und von ihm erhielt unser Volk seine Weihnachtsfeier – und von ihm erhält der Christbaum für jeden, der  ihm leuchtet, seinen ihn frohmachenden Glanz.
„Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren“.
Darum ist der Christbaum auch nicht nur da am rechten Ort, wo Vaterstolz und Mutterglück die Festfeier rüsten. Es gibt auf der deutschen Erde ungezählte Häuser, in denen tiefes Mutterleid heimisch ist  –  und erst noch viele solche, in denen weder Leid noch Lust mehr gedeiht, sondern Stumpfheit und Verhärtung die Gesichter formen.
Geht die Einladung, die uns zur Feier des Christus beruft, an ihnen vorbei?
Durch den, von dem Maria ihr Glück und ihr Leid empfing, hat Gott gesprochen  –  und sein Wort ist allen gesagt. Es spricht auch zu den Leidenden und hebt sie über ihr Leid empor, und so öffnet sich auch das Ohr der Harten und überwindet ihren Trotz.
Wo es aber eingekehrt ist, da tritt die Zusage Jesu in Kraft: „Selig, die Gottes Wort hören und es bewahren“.
Fotos: Dr. Bernd F. Pelz

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