Top-Beiträge

Links

Zur Debatte um Inklusion: Warum wir die Förderschule erhalten sollten

Von Dennis Riehle (Leiter von „Beratung mit Handikap“)

Die Auseinandersetzung um die Frage, inwieweit die Inklusion im Bildungswesen tatsächlich funktionieren und im Sinne der Betroffenen sein kann, sollte auf sachlicher Ebene geführt werden.

Dass wir Menschen vielfältig geschaffen sind – und mit verschiedenen Eigenschaften, Handicaps und Stärken ausgestattet wurden –  ist eine Gegebenheit, die wir berücksichtigen sollten. Die Verschiedenheit in Lerntempo, Leistungsfähigkeit und Entwicklungsmöglichkeiten sagt überhaupt nichts über die Würde des Einzelnen aus – und muss daher vollkommen getrennt betrachtet werden.

Es ist weder schlimm noch ein Beinbruch, sondern viel eher ein Ausdruck von Pluralismus, Fairness und Solidarität, dass wir jedem Individuum die Förderung zukommen lassen, die es braucht. Rücksichtnahme ist kein Ausdruck von Mitleid oder Segregation.

Viel eher ist es die gesellschaftliche und elterliche Anspruchshaltung, eine Gleichheit herzustellen, die der Natürlichkeit unserer Spezies widerspricht. Der zwanghafte Versuch, krampfhaft einen Einheitsbrei zu erzielen, der die divergenten Potenziale der Kinder verleumdet, wird weder denen gerecht, die durch eine Behinderung oder Beeinträchtigung verständlicherweise und ohne einen Hauch von Bedauern einer Unterstützung bedürfen – noch all denjenigen, die schneller voranschreiten könnten.

Wir haben in Deutschland zu Recht ein mehrgliedriges System bewahrt, dass diesem Umstand der Durchlässigkeit Rechnung trägt. Nein, wir brauchen keine Sonderschulen mehr, gleichsam aber einen geschützten Rahmen in speziellen Klassen und Einrichtungen, welche als völlig normale Alternative zu den Haupt-, Realschulen und Gymnasien anerkannt, geschätzt und wertverstanden werden. Wertungen sind hierbei völlig fehlt am Platz.

Einer inhaltlichen Debatte über den Sinn einer pauschalen Inklusion im Bildungswesen gerade unter dem Aspekt der Individualität des Menschen steht nichts im Weg. Zwar darf gemäß des Grundgesetzes niemand mit einer Behinderung benachteiligt werden. Doch dies wäre nur dann überhaupt eine Diskussion wert, wenn man Menschen mit einem Handicap den Zugang zu einer Regelschule prinzipiell und grundlos verweigern würde.

Denn dass wir ein mehrgliederiges Schulsystem haben, welches sich vor allem auch durch die Variante der Förderschule als die die einzelnen Bedürfnisse jedes Schülers dahingehend bedienend auszeichnet, verkennt man bei aller Debatte und Empörung offensichtlich sehr schnell.

Mir geht es bei aller Rhetorik viel zu wenig um die Frage, ob wir mit dem Idealbild des Mitnehmens von allen Kindern gerecht werden, wenn wir sie nicht selten aus elterlichem Übereifer in Strukturen hineindrängen, welche sich ehrlicherweise schon allein aus personellen und diversitären Gründen nicht jedem Einzelnen entsprechen kann.

Wertschätzung und Anerkennung der Unterschiedlichkeit sind ein zentrales Merkmal des Inkludierens und Empfangens. Daher sollten wir auch mit Respekt zur Kenntnis nehmen, dass es um das Wohl der Kleinsten geht – und nicht um unseren Anspruch auf eine bloße obsessive Egalisierung.

Gerade Schultypen, die erstem Anspruch folgen, müssen gestärkt und vom schlechten Ruf der „Sonderschule“ befreit werden. Sie zu reformieren, wäre bei aller Aufgeregtheit am ehesten angezeigt.

Und das bei notwendigem Respekt vor der Würde: Nein, in einer Demokratie braucht es gerade keine Mindestausstattung an körperlicher oder kognitiver Fertigkeit, um über sich selbst bestimmen zu können. Stattdessen steht dieses Recht auf Souveränität und Integrität bedingungslos zu. Und das ist richtig und gut so, denn auch Anmaßung ist übergriffig.

Die Beratung mit Handicap ist bundesweit kostenlos für jeden unter www.beratung-riehle.de erreichbar.

Kommentare

4 Antworten

  1. Was heißt „abgestempelt“, wenn jemand auf der Sonderschule war? Als Lehrerin für
    Grund-, Haupt- und Realschulen war ich mal für 1 Jahr abgeordnet für eine Sonder-
    schule. Ich fand das HERVORRAGEND, wie klein dort die Klassenstärke war!! Jede
    Lehrerin konnte sich sehr gut um einzelne Schüler kümmern. „Inklusion“ ist ein
    linkes und undurchdachtes Konzept, DAS NICHT AUF DEUTSCHEM BODEN erdacht wurde, sondern das den Europäern aufgezwungen wurde. Kein Kind kann sich wohlfühlen, wenn es in einer „angesehenen“ Schulklasse lernt, aber merkt: „Ach,
    ich kann ja weniger als die anderen!“ Kindeswohl ist wichtiger als Elternvorstellungen!

  2. Meine volle Zustimmung.
    Auch ich bin froh, daß meine geistig behinderte Tochter damals den nötigen Schutzraum in einer Förderschule, Schwerpunkt geistige Entwicklung bekam.
    In allen anderen Schulformen wäre sie nicht klar gekommen.
    Durch die Förderung in der Bewältigung des Alltags ist sie weit gekommen und kann vieles selbstständig.
    Was nützt es , wenn diese Menschen einigermaßen lesen und schreiben und rechnen könnnen, aber im Alltag nicht klar kommen.

    Die Förderschulen sind enorm wichtig. Und wenn es gut klappt, kann der Weg zur normalen Schulform möglich sein. Das ist eigentlich schon seit Jahrzehnten möglich.
    Es gibt eine ganz neue gute Denkweise in der Behinderertenarbeit.
    Auch die Mitsprache in den Angelegenheiten dieser Menschen ist erwünscht.

    Früher, auch noch in den 70ern waren die Menschen mit Behinderung meist abgestempelt und der ganze berufliche Lebensweg war vorgegeben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Kategorien

Aktuelle Beiträge

Archiv

Archive

Artikel-Kalender

April 2024
M D M D F S S
1234567
891011121314
15161718192021
22232425262728
2930  

Blog Stats

686854
Total views : 8770961

Aktuelle Informationen und Beiträge abonnieren!

Bitte geben Sie Ihre E-Mail-Adresse an, wenn Sie kostenlos über neu erschienene Blog-Beiträge informiert werden möchten.