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Kleine Judenchristin Gabriele Schwarz: Im Allgäu aufgewachsen, in Auschwitz ermordet

Von Elmar Lübbers-Paal

Auch wenn das Mädchen, über das ich hier berichte, keine sechs Jahre alt wurde, so reichen wenige Zeilen aus, um ihr Schicksal zu verdeutlichen. Gabi ist katholisch getauft und wird katholisch erzogen, dennoch muss sie sterben, weil sie den NS-Machthabern als Jüdin galt.

Um ihren Leidensweg mitfühlen zu können, müssen wir deshalb zunächst ihre Herkunft betrachten.

Das jüdische Ehepaar Karl und Anna Schwarz führt in Augsburg ein Eisenwarengeschäft. Aus der Ehe gehen drei Töchter hervor. Lotte (Charlotte Margarete Eckart geb. Schwarz, * 26.4.1904) ist die jüngste. 1933 heiratet sie den Hauptmann a. D. Wilhelm Eckart. Dieser stirbt jedoch nach nur einem Ehejahr an einer Atemwegserkrankung. 

Als junge Witwe bildet Lotte sich zur Atemlehrerin fort und arbeitet im Kneipp-Kurort Bad Wörishofen. 1936 geht sie als Atemlehrerin nach Liechtenstein. Dort verhandelt sie mit Pfarrer Frommelt über die Einführung von „Atemlehre“ als Unterrichtsfach. Dann wird Lotte schwanger. Sie muss Liechtenstein verlassen und nach Deutschland zurückkehren.

Dort gelten inzwischen die Nürnberger Rassengesetze, die Verbindungen zwischen Juden und „Deutschblütigen“ unter Strafe stellen. Deswegen behält sie den Namen des Kindsvaters wohl zeitlebens für sich.

In Marktoberdorf im Allgäu bringt Lotte ein kerngesundes Mädchen zur Welt: Gabi (Gabriele Schwarz * 24.5.1937). Seit Jahren steht Lotte in persönlichem Kontakt zu Kardinal Michael von Faulhaber, der ihren verstorbenen Mann noch aus dem Ersten Weltkrieg kannte. Der Münchner Oberhirte dokumentiert 15 Besuche von Lotte in seinem Tagebuch.

Am 12.5.1937 wird Lotte auf seine Empfehlung  getauft, ein Tag nach ihrer Geburt   –  am 25.5.  –  auch Gabi.  Der Erzbischof firmt Lotte und stellt ihr am gleichen Tag eine Empfehlung für ein katholisches Komitee in Amerika aus. Lotte will zusammen mit Gabi so schnell wie möglich raus aus NS-Deutschland.

Gabi kommt auf den Bauernhof

Während sie sich um die Auswanderung bemüht, vertraut sie ihre kleine Gabi der Bauernfamilie Aichele in Stiefenhofen (Westallgäu) an. Die Schwester der Bäuerin, Rosalia Häringer, die in Marktoberdorf verheiratet ist, vermittelt das Kind ihrer Schwester Therese auf den Aichele-Hof.

Früher war Rosalia bei Lottes Familie in Augsburg Haushälterin. So kennt sie Lotte von Kindesbeinen an und weiß ihre Tochter bei Aicheles in guten Händen und besucht sie, so oft sie kann. Sie bringt ihr schmucke Kleider und Spielzeug mit. Lotte hinterlässt auch einen Fotoapparat auf dem Hof. So entstehen viele Fotos von Gabi, die ihre glückliche Kindheit belegen.  

Trotz der Empfehlung Kardinal Faulhabers scheitern alle Pläne zur Auswanderung. 1941 wird Lotte verhaftet, vermutlich weil sie als Katholikin den Judenstern nicht tragen will. Sie wird ins Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück gebracht und am 8.5.1942 in der NS-Tötungsanstalt Bernburg mit Kohlenmonoxid ermordet.

Gabi ist für die Aicheles wie ein eigenes Kind. Gern spielt das Mädchen mit dem lockigen Haar mit den Nachbarskindern und den Tieren des Hofes. Ganz besonders haben es ihr Hofhund Frischle und die Hühner angetan, die sie gerne füttert. 1942 wird ein Mädchen aus Augsburg, das mit der Kinderlandverschickung auf den Aichele-Hof kommt, ihre erste Freundin. Gabis schönster Sommer.

Die Todesmühlen der Bürokratie

Obwohl Gabi katholisch getauft ist, gilt sie nach dem NS-Gesetz aufgrund ihrer Abstammung als „Volljüdin“. 1939 erhält sie deshalb wie alle Jüdinnen den zusätzlichen Vornamen „Sara“. Auf dem Bauernhof ist Gabis jüdische Abstammung kein Thema: sie ist wie ihre Mutter getauft und wird katholisch erzogen. Jeden Tag betet man mit dem kleinen Kind, erzählt ihr von der Heiligen Schrift und feiert Weihnachten, Ostern und Namenstag mit ihr.

Nach Lottes Tod kommt die Gestapo auf ihre Spur: Überweisungen des Pflegegelds an Aicheles werden Gabi zum Verhängnis. Der Ortsgruppenleiter und Bürgermeister überbringt den Befehl: Gabi muss fort.

Als Gabi ihrer Pflegemutter, der Bäuerin Therese Aichele, für immer Lebewohl sagen muss, sagt sie: „Gell, Mama, Du betest für mich und ich bete für Euch!“

Gabis Todesweg nach Auschwitz

Schweren Herzens geben Aicheles ihre Pflegetochter ab. Sie kommt zunächst in das „Jüdische Sammellager Berg am Laim“ nach München. Dorflehrer Johann Pletzer setzt alle Hebel in Bewegung. Er spricht mit Vater Aichele in München sogar persönlich bei der Gestapo vor. Vergeblich!

Ein letztes Mal sieht er Gabi in Berg am Laim durchs Schlüsselloch beim Spielen. Kurz darauf wird das Sammellager geräumt. Sämtliche Insassen werden in Viehwaggons nach Auschwitz transportiert. Vier Tage und drei Nächte dauert die Fahrt, eingepfercht ohne Verpflegung und hygienische Einrichtungen einem unbarmherzigen Schicksal entgegen.

In Auschwitz angekommen, werden die Nicht-arbeitsfähigen, Alten, Kranken und kleinen Kinder sofort zum Krematorium II gekarrt – auch Gabi. Die Unglücklichen werden an Ort und Stelle vergast und ihre Leichen verbrannt. Es ist der 16. März 1943.

Die kleine Gabi ist den Märtyrertod gestorben. Deshalb bat der Autor dieses Beitrag den Bischof von Augsburg, Dr. Bertram Meier, für Gabi Schwarz ein Seligsprechungsverfahren zu eröffnen..

Wer mehr über Gabi erfahren möchte, dem sei das Buch „Gabi (1937-1943) – Geboren im Allgäu, ermordet in Auschwitz“ von Leo Hiemer, sein Film „Leni…muss fort“ sowie die Ausstellung „Geliebte Gabi“ empfohlen: www.geliebtegabi.de

Das Titelbild oben zeigt den Ausstellungskatalog – Näheres dazu hier: https://metropol-verlag.de/produkt/geliebte-gabi-ein-maedchen-aus-dem-allgaeu-ermordet-in-auschwitz-katalog-zur-ausstellung/

 

 

Kommentare

3 Antworten

  1. Vielen Dank für Ihren Bericht. Solange man sich an Menschen erinnert, solange diese in den Herzen der Lebenden wohnen, solange sind sie auch nicht tot und vergessen.

  2. Danke an das Gedenken an Gabi. Ich denke da an unsere Freundin, die auch 1937 geboren ist und ein Buch geschrieben hat . Trauer ,Trümmer ,Traumata , ihre Kindheit im Bombenhagel in Hannover. Gabi wäre jetzt auch so alt.
    Wenn ich überlege, was unsere Freundin alles in der Zeit erlebt hat, allein in der Zeit, seit ich sie kenne und was Gabi genommen wurde . Wenn ich es aus irischer Perspektive betrachte. Ich hoffe, die Perspektive aus Sicht der geistigen Welt ist wesentlich besser .

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