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ALLES für die GANS

Eine ebenso witzige wie wahre Geschichte anno 1949

Normalerweise pflege ich keine alten Erlebnisse aufzuwärmen, doch als ich jetzt in den Schaufenstern die Weihnachtsgänse liegen sah, fiel mir eine Geschichte ein, das zu erzählen sich lohnt, obgleich sie schon vor über 50 Jahren geschah.

In unserer Nachbarschaft leben zwei nette ältere Damen. Es war damals noch schwierig, sich zum Christfest einen echten Festbraten zu verschaffen. Nun schafften es die Beiden aber, sich gegen allerlei Textilien eine wohl noch recht magere, aber springlebendige Gans einzuhandeln.

In einem Korb verpackte brachte die Damen  – nennen wir sie Fräulein Martha  – das Tierchen nach Hause. Sofort begannen Martha und ihre Schwester Emma, die Gans zu füttern und zu pflegen.

Die Damen wohnten in einem Mietshaus im zweiten Stock  und niemand im Haus wußte, daß in einer der Wohnungen ein Federvieh hauste, das verwöhnt, gefüttert und groß bzw fett gezogen wurde.

Martha und Emma beschlossen feierlich, keinem etwas davon zu erzählen, denn erstens gab es Neider und zweitens wollten die Beiden die bis dahin vielleicht nudelfett gewordene Gans mit keinem nahen oder entfernten Verwandten teilen.

Deshalb empfingen sie auch sechs Wochen lang  – bis 24. Dezember – keinen einzigen Gast.

Es war ein strahlender Wintertag. Die ahnungslose Gans stolzierte vergnügt aus ihrem Körbchen von der Küche ins Schlafzimmer der beiden Schwestern und begrüßte sie schnatternd. Die Damen vermieden es, das Federvieh anzusehen, nicht weil sie böse auf die Gans waren, sondern weil keine von beiden sie schlachten wollte.

„Du mußt es tun“, sagte Martha, stieg aus dem Bett, zog sich rasch an, nahm ihre Einkaufstasche, überhörte den lauten Protest Emmas und verließ in rasender Eile die Wohnung.

Emma war ratlos, murrte vor sich hin und dachte nach. Ob sie vielleicht einen Nachbarn bitten sollte, das Tierchen zu schlachten?  Doch dann hätte man einen Teil der gebratenen Gans abgeben können.

Als Martha nach geraumer Zeit zurückkam, lag die Gans auf dem Küchentisch; ihr langer Hals hing wehmütig pendelnd herunter. Blut war keines zu sehen, aber alsbald zwei alte Damen, die sich schluchzend umschlungen hielten.

„Wie…wie…“, schluchzte Martha, „hast Du es denn gemacht?“ – „Mit…mit…“, weinte Emma, „ich habe ihr einige von Deinen Schlafpulvern gegeben und jetzt ist sie hin. Rupfen mußt Du sie.“

Nachdem sich die Beiden eng umschlungen auf dem Sofa ausgeweint hatten, raffte sich Martha auf und begann, den noch warmen Vogel systematisch zu rupfen. Federchen auf Federchen schwebte in eine Papiertüte, die von der unentwegt weinenden Emma bereitgehalten wurde. Zum Ausnehmen der Gans konnte sich allerdings keine der beiden Schwestern überwinden.

So kam man überein, zumal es mittlerweile spätabends geworden war, das Ausnehmen der Gans auf den nächsten Tag zu verschieben.

Doch auch diesmal wurden Emma und Martha wieder geweckt. Mit einem Ruck setzten sich die Beiden gleichzeitig im Bett auf und stierten mit aufgerissenen Augen und offenem Mund auf die offen gebliebene Küchentür.

Herein spazierte zärtlich schnatternd   – wenn auch zitternd und frierend  – die gerupfte Gans.

Als ich die beiden alten Damen am Weihnachtsabend besuchte, um ihnen zwei kleine Päckchen zu bringen, kam mir ein vergnügt schnatterndes Tierchen entgegen, das ich nur das Kopfes wegen als Gans ansehen konnte; denn das Federvieh oder Federn steckte in einem bunt gestrickten Pullover, den die beiden Damen in rascher Eile für ihren Liebling angefertigt hatten.

Die Gans lebte noch ganze sieben Jahre  – und dann starb sie eines natürlichen Todes, heftig betrauert von Martha und Emma, die von Gänsebraten nie wieder etwas wissen wollten.

Lilo Bothe

Kommentare

3 Antworten

  1. …sehr schöne Geschichte, aber ich muß sagen…die Realität ist brutaler…um den kleinen Bruder, das Hähnchen als Beispiel zu nehmen…wieviel kostet es? 6-7 Euro? Und jetzt für alle, die Mathematik beherrschen…Wieviel darf es in seinem Leben fressen? Mehr als für 6 Euro? Prost Mahlzeit…ich hoffe, ich habe niemanden den Gänsebraten verdorben…ach, es ist ja nach Weihnachten…;-)

    1. Ach ja…das Hähnchen-Hartz-IV, beträgt weniger als 3 Euro pro Leben…da ist der „menschliche“ Hartz-IV-Satz doch recht üppig, wie sagte da der Herr Westerwelle, so treffend: „Spätrömische Dekadenz“…Jawollja.

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