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Die Psycho-Gemeinschaft „Go and Change“ und das Problem der Gruppendynamik

Von Felizitas Küble

Die stark psychodynamisch orientierte Gemeinschaft Go & Change (Geh und ändere dich) aus der Region Würzburg ist in den letzten Jahren stark ins Gerede gekommen, nachdem sich etliche Ehemalige kritisch über ihre Erfahrungen dort geäußert haben.
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Da sich bei uns aber keine Aussteiger aus dieser Szene in Lülsfeld meldeten, werden wir diesen Gesichtspunkt übergehen und uns rein grundsätzlich mit dem geistigen Konzept befassen, das die Gemeinschaft auf ihrer Internetseite selbst präsentiert.
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Diese weltanschauliche Basis weist starke Bezüge zur sog. „humanistischen Psychologie“ auf, inbesondere zu gruppendynamischen Prozessen und der damit angeblich verbundenen Therapie.
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Auf der Homepage von „Go & Change“ heißt es auf der Startseite etwas pathetisch:
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„Unser höchstes Anliegen ist es, Menschen auf ihrem Weg der Heilung und des Wachstums zu unterstützen und zu begleiten. Diesem Anliegen haben wir unser Leben verschrieben und können und wollen auch nicht wieder dahinter zurück.
Daher stellen wir uns mit unserem ganzen Sein diesem Vorhaben zur Verfügung, als Einzelne und als Gemeinschaft – als Go & Change.
Verwirklichung findet unser Anliegen in den konkreten Angeboten von Go & Change und unserem gelebten Leben.
Als intentionale, entwicklungs- und heilungsorientierte Gemeinschaft laden wir Dich herzlich dazu ein, eine/r unserer Wegbegleiter zu werden und gemeinsam mit uns immer wacher zu werden!“
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Hier ergeben sich bei kritischer Sichtweise folgende Punkte:
1. Wenn es das „höchste“ (!) Anliegen ist, Menschen u.a. auf ihrem Weg der „Heilung“ (eine Lieblingsformel in der Psychoszene) zu unterstützen, warum wird dieser Weg mit keinem Wort näher beschrieben? Allgemeine Floskeln über „Liebe“ sind kein Ersatz für klare Auskünfte.
2. Die „entwicklungs- und heilungsorientierte Gemeinschaft“  – so das Selbstbild  – sucht also „Wegbegleiter“. Das ist unbenommen, um damit „immer wacher zu werden“, was auch immer das heißen mag. Aber auch hier fehlt jeder Ansatz eines transparenten Konzeptes, geschweige wird Klartext in eigener Sache gesprochen.
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Liest man den Abschnitt „Über uns“ , dann verdichten sich die wolkigen Andeutungen – und es stellen sich weitere Fragen:

Es wird in eigener Sache von 20 Menschen berichtet, die „zusammen in Gemeinschaft“ leben und deren „höchstes Anliegen“ die Schaffung einer auf „Liebe“ ausgerichteten Kultur sei.

Das sind gewiß sehr feierliche Töne, doch dann klingt es etwas merkwürdig:

„Das beinhaltet eine Arbeit an unseren Gedanken, Gefühlen und Handlungen, unserer Kultur und unseren individuellen und kollektiven Schatten.“

Sind die Gedanken noch frei…?

Es wird demnach in der Gruppe und im Alltag an den „Gedanken, Gefühlen und Handlungen“ des Einzelnen „gearbeitet“ –  wobei auch der „individuelle und kollektive Schatten“ nicht übersehen wird.

Hier werden Anklänge an die „Individuation“ (Selbstwerdung) nach  C.G. Jung deutlich, in dessen Zentrum die Zusammenhänge von persönlichen und kollektivem „Schatten“ standen, die sich angeblich in der Auseinandersetzung mit den „Archetypen“ (Urbildern) ergeben.
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Nun wollen wir die C.G. Jungsche Psychologie hier nicht vertiefen, halten es aber für fragwürdig, wenn eine Gemeinschaft sich gleichsam selbst ermächtigt, sogar an den „Gedanken“ der Gruppenmitglieder zu „arbeiten“.
Hier werden erkennbar gruppendynamische Akzente gesetzt, die in der Praxis nicht selten zu geistigen und psychischen Übergriffen führen. Soll sich der Einzelne gleichsam dem „Gruppengeist“ einfügen – genauer gesagt: unterwerfen?
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Man kann diese Zielsetzung natürlich auch freundlicher umschreiben:
„Durch diese Arbeit haben wir in den letzten Jahren eine Kultur der gegenseitigen Förderung und Kooperation etabliert, in der wir uns gegenseitig darin unterstützen, uns selbstverantwortlich in unsere Kraft und Größe zu entwickeln.“
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Doch bereits der nächste Abschnitt läßt trotz der bewußt verschwommenen Formulierungen tief blicken:
Ein essentieller Bestandteil unserer Kultur ist eine Form der transparenten Kommunikation. Wir teilen unsere tiefsten Ängste und unser höchstes Glück, sowie die Wahrnehmungen, die wir voneinander haben.“

Das kann konkret wohl auch Folgendes bedeuten:

Es wird von den Mitgliedern der Gemeinschaft erwartet, daß sie zu einem dauerhaften Seelenstriptease bereit sind, sich also gleichsam psychisch „ausziehen“, preisgeben, der Gruppe eine uneingeschränkte Offenheit gewähren.

Es liegt auf der Hand, welches Missbrauchspotential bei solch einem Vorgehen auf Dauer verknüpft ist.

Anscheinend haben nur jene in der Gruppe eine Chance auf Ansehen bzw. auf mitleitende Funktionen, wenn sie sich voll auf diese sehr speziellen Erwartungen einlassen:

„Wir suchen immer weiter nach noch höheren und liebevolleren Perspektiven, um unser Handeln danach auszurichten. Je mehr jemand dazu fähig ist, Perspektiven zu leben, die dem Wohle aller dienen, desto mehr ist der demnach auch an der Leitung und Ausrichtung der Gemeinschaft beteiligt.“

Dies nährt erneut die Vermutung: Je mehr sich jemand seelisch „auszieht“, umso stärker wird seine Stellung in der Gruppe.

Genau dies ist ein typisches Modell, das aus der Gruppendynamik allgemein längst bekannt ist, das in seiner Wirkung höchst problematisch sein kann, was ich nicht nur persönlich von Teilnehmern solcher „Therapiesitzungen“ weiß, sondern was sich schon vom Ansatz her als Irrweg zeigt, weil es den „Gruppengeist“ letztlich verabsolutiert.

Unsere Autorin Felizitas Küble leitet den KOMM-MIT-Verlag und das Christoferuswerk in Münster, das dieses CHRISTLICHE FORUM betreibt

Kommentare

5 Antworten

  1. Einverstanden im Großen und Ganzen mit der Zusammenfassung, und trotzdem möchte ich es etwas weniger absolut und negativ setzen.
    Ich habe solches mitgemacht .. nicht in der Form, leider gibt es da wie überall, auch kirchlich, Auswüchse. Ich habe solches mitgemacht, in meiner Weltzeit, weil da ein echtes Bedürfnis nach Veränderung da war und durchaus, wie bei vielen, das Wissen um die eigenen Schwächen und Fehler, die man gerne ablegen möchte. Auch um mangelhafte Kommunikation, und um das Suchen nach einer besseren, liebevolleren Kommunikation.
    Siehe zB auch: Gewaltfreie Kommunikation von M Rosenberg.

    Als ich dann Christ wurde, habe ich auch vieles in Bausch und Bogen verurteilt, aber als katholische Christin kann ich wieder so manches einfach anerkennen, als Suche, ernstgemeint, wahrhaftig und manchen Christen würde das ganz gut tun, wenn sie ein wenig barmherziger wären.

    Und man kann ja auch anknüpfen, und der Hl Paulus hat es uns ja vorgemacht, auf dem Areopag, Apostelgeschichte.
    Ich für meinen Teil bemerke an mir immer mehr, dass ich lernen muss und will, anzuknüpfen .. an dem was ist und nicht bedauern, was nicht ist.
    Das ist natürlich sehr anstrengend und man muss sehr wach sein und Bibel und Lehre gut kennen .. und da habe ich natürlich noch gaaaaaanz viel Luft nach oben.
    Aber viele haben auch Gewinn von diesen weltlichen Sachen, und ich manches Mal waren Esoteriker zugwandter und liebevoller und hilfsbereiter, als ich das dann von Christen erfahren habe.

    1. Guten Tag,
      es geht in diesem Artikel um die Fallstricke und Gefahren psychologischer Übergriffigkeit, die inbesondere bei verstiegenen Erwartungen mit der Gruppendynamik verbunden sein können. Wenn Ihnen gruppendynamische Erfahrungen nicht geschadet haben, ist es ja schön, anderen aber sehr wohl – übrigens geht es hier nicht um „gewaltfreie Kommunikation nach M. Rosenberg“, das ist eine andere Ebene.
      Wenn die Gruppendynamik ersatzreligiöse Züge annimmt, gleichsam als Heilungsweg angepriesen wird, begünstigt sie geistigen und geistlichen Missbrauch.
      Mir wurde das nach einem Vortrag über Gruppendynamik, den ich vor einigen Jahren hielt, von Teilnehmern berichtet, darunter einem Diakon – sodann auch von Lesern, die derartige Sitzungen in Klöstern erlebten und sehr verstört waren.
      Sodann wird die Gruppendynamik hier konkret im Kontext dieser Gemeinschaft angesprochen und nicht „in Bausch und Bogen verurteilt“, sondern Zitat für Zitat zitiert und analysiert – mit deren eigenen Aussagen und deren Selbstdarstellung.
      Das ist eine ausgesprochen faire Vorgangsweise.
      Natürlich suchen die Mitglieder solcher Gruppen nach Chancen einer liebevolleren Kommunikation (das geht doch aus dem Artikel hervor), natürlich ist dieses Bedürfnis an sich positiv (hat keiner bestritten, im Gegenteil) – umso bedenklicher, wenn solche Sehnsucht dann vereinnahmt und durch eine pseudopsychologische Machthierarchie in übergriffige Bahnen gelenkt wird.
      Freundlichen Gruß
      Felizitas Küble

      1. Man darf aber trotzden nie vergessen, dass vieles auch denen liegt, die zu hohe Anspürche haben und die echte anstrengende Arbeit an sich selbst scheuen, und nur auf der Suche nach der perfekten Methode sind. Und das betrifft den kirchlichen Bereich ja auch, egal jetzt ob evangelikal, pfingstlich, katholisch usw …

        Wichtigst wäre seelsorgerliche Arbeit mit aufzeigen der eigenen Schwächen: wo bin ich manipulierbar, wo bin ich zu beeinflussbar, wo erwarte ich schlichtweg einfach zu viel?

        Und: viele erkennen zwar, was schiefläuft, sagen aber trotzden nicht nein dazu .. so ging es mir oft, bis ich dann doch nein gesagt habe, auch wenn ich dann wieder allein dagestanden bin.
        Und ob es mir nicht geschadet hat .. ich denke, doch, es hat mir geschadet .. aber weil ich nie aufgehört habe, weiterzusuchen und notfalls alleine weiterzukämpfen, wie es heute ja auch noch der Fall ist .. auch wenn ich wie Papst Benedict der XVI. em. sagt, wer glaubt, ist nie allein .. eben nicht allein bin, aber ohne Menschen.
        Wer sich – so wage ich zu behaupten – wirklich an Jesus festjält, klammert … usw .. auch in unseren Zeiten, dem schaden die Dinge zwar durchaus, aber er wird durchgeführt und wer den HERRn ohne zu zweifeln bittet (siehe Jakobusbrief) wird Weisheit bekommen .. auch wenn das manchmal länger dauert, bis sie ankommt .. je nach länge der Leitung.
        Meine ist ein bisschen zu lang, für meinen Geschmack, aber je nun .. 🙂

  2. Nun, auch Christen müssen ihre Gedanken unter die Zucht Jesu Christi stellen, sprich an ihnen „arbeiten“.
    Und der „Seelenstriptease“ findet vor der Gruppe statt, und nicht wie im bei uns in der Beichte.
    Im Grunde – und das ist das Fatale – sind die Anliegen verständlich und in Ordnung, sollen aber ohne Gottes Hilfe erreicht werden .. und ohne Erkenntnis, dass ER unser Arzt ist.
    Allerdings – und auch das ist verständlich: wenn man mitbekommt, was für einen Mißbrauch jeglicher Art geschieht in den Kirchen und Gemeinden … wie soll man da durch sein Leben zeigen, dass GOTT wirklich der einzige Arzt ist, und wirklich heilt, am öftesten einfach unspektakulär.

    Das Heikelste für mich an solchen Gruppen und auch Therapien ist, dass Heilung bedeutet: funktionstüchtig zu werden und auf Erfolg getrimmt.
    Die eigenen Begabungen zu finden, den „richtigen“ Partner, das „richtige“ Glück, sich zu verändern um „richtig“ zu werden.
    Und genau das brauchen Christen nicht: wir wollen Gott gefallen und deshalb halten wir IHM unsere Gedanken und unsere Handlungen, unser Leben hin, um verändert zu WERDEN durch den Heiligen Geist. Und was das oft für Prüfungssituationen sind, das wissen wir alle.
    Den unschätzbaren Vorteil aber, den wir haben: auch als Gebrochene und Gescheiterte sind wir geliebt und haben unseren Wert … und müssen das nicht beweisen durch ein in allen Stücken erfolgreiches Leben.
    Und ganz ehrlich: ich finde das schwer … diese Barmherzigkeit auch anzunehmen .. das merke ich in letzter Zeit immer wieder selber .. wie sehr ich darauf aus bin Gott etwas beweisen zu wollen ..

    1. Guten Tag,
      Ihr Hinweis auf die Beichte ist sehr sinnvoll, denn genau hier werden die Unterschiede zwischen Gehirnwäsche und Psycho-Striptease“ auf der einen Seite und echter Seelsorge andererseits deutlich:
      1. Das „Ausziehen“ der Seele im Bußsakrament geschieht nicht vor einer Gruppe, sondern vor einer Einzelperson, die man sich zudem selber auswählen kann – aber in der Regel bestimmt man wohl kaum die personalle Zusammenstellung einer schon vorhandenen Gemeinschaft.
      2. Es gibt ein Beichtgeheimnis, aber kein Gruppengeheimnis.
      3. Die Gruppe kann zwar ihren Senf dazugeben, aber keine Absolution erteilen. Freilich wird bisweilen eine Art Pseudo-Absolution angestrebt, worin gerade das Problem liegt: Unterwirft man sich der Gruppe und ihrer de-facto-Gedankenzensur, darf man auf gnädige Akzeptanz hoffen – andernfalls fällt man halt unters Raster.
      Was die Erfolgsfixierung betrifft, so ist diese typisch sowohl für pseudo-psychologische wie für charismatische „Therapien“. Es gilt die Magie der großen Zahl, zumindest aber die ständige Selbstoptimierung mittels NLP und dergl. (mit NLP-„Experten“ arbeitet auch diese Go&Chance-Gemeinschaft zusammen).
      Christus hat nicht gesagt: Kommt alle zu mir, die ihr erfolgreich und hochbegabt seid – sondern: …..die ihr mühselig und beladen seid.
      Freundlichen Gruß
      Felizitas Küble

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