Top-Beiträge

Links

Mehr Ehrfurcht vor der Würde des Todes

Von Lucia Tentrop

Das öffentliche Verlangen nach Sterbehilfe ist mir unerträglich geworden. In dem Reden vom „menschenwürdigen“ Sterben spüre ich weder eine Demut vor dem, was uns übersteigt, noch eine Ehrfurcht vor der Würde des Todes. tentrop1

Eher kommt es mir vor wie der neueste „Hit“ im Geschäft mit der unreflektierten Angst.

In den letzten vier Jahren starben meine Mutter und drei meiner Freundinnen, letztere an Krebs. Dank medizinischer Hilfen hatten alle einen sanften Tod.

Während der häuslichen Pflege meiner Mutter im Münsterland hatte ich oft Angst, dass es soweit war. Aber als sie in den letzten zwei Jahren im Sendenhorster St. Elisabeth-Stift betreut wurde, konnte ich mit den dortigen Pflegerinnen  immer wieder offen über den Tod sprechen, hatte Einblick in den täglichen Ablauf ihrer Arbeit und durfte an fast allen Gegebenheiten der Station aktiv teilnehmen. Wenn ich in Sendenhorst mittags vor dem Pflegeheim aus dem Bus stieg, verwandelte sich meine bedrückte Stimmung in eine Liebe, die tiefer war als meine Angst, und an die ich mich heute wieder spürbar erinnere.

Als in unserem Berliner Mehrgenerationenhaus „Haus Helene Weber“ unsere Freundin Christel starb, haben wir im Freundeskreis um sie herum gesessen und gesungen. Ihr Bruder aus Wien hatte die Liederbücher der Familie mitgebracht.  Christel lag an Schläuchen. Sie konnte weder essen noch trinken. Aber sie konnte noch die 2. Stimme der ihr bekannten Volkslieder singen!

Als unsere Freundin und Journalistin Roswitha in ihrer Wohnung starb, war ihre Wohnung stets offen. Wir haben zu 5 – 7 Leuten an ihrem Bett gesessen und immer wieder gemeinsam den Rosenkranz gebetet –  und der Fotograf der Vatican-Redaktion ließ uns telefonisch mitteilen:  „Wir beten  hier in Rom mit!“

„Der Tod: ständiger Schatten unseres Lebens“

Als nachts der Geistliche aus dem St.Gertrauden-Krankenhaus mit den Sterbesakramenten ins Haus kam, war rief er betroffen aus:  „Wo gibt es denn das noch, dass ein Mensch so selbstverständlich im Kreis seiner Freunde sterben kann!“weisselberg_memoriam

Kürzlich starb unsere Freundin Ingrid. Sie war Krankenschwester. Als sie nach den Bestrahlungen wieder in ihre Wohnung zurückkam, kam ihre beste Freundin Resi aus Rosenheim nach Berlin, quartierte sich in Ingrids Wohnung ein und hat nachts bei ihr  geschlafen. Heute Nachmittag saßen wir mit bis zu 7 Mieterinnen gemeinsam an Ingrids Totenbett.

Was weiß die öffentliche Meinung von der Gemeinschaft stiftenden Kraft eines offenen Umgangs mit dem Tod?

Angesichts unserer medizinischen Möglichkeiten empfinde ich das Begehren nach erlaubter Tötung und seine Begründung mit „menschenwürdigem“ Sterben als Tarnung einer Angst, der man ausweicht. Hat denn der Tod nicht auch seine Würde? Warum geben wir einer Macht, die uns übersteigt, nicht die Anerkennung unseres Bewusstseins?

Ich finde es menschenunwürdig, das Sterben aus unserem gesellschaftlichen Leben zu verdrängen bzw. auf dem Niveau von Talk- und Boulevard-Politik zu diskutieren.

Der Tod ist der ständige Schatten unseres Lebens, sein notwendiger Gegenpol. Nicht erst aus der Psychologie wissen wir, dass die Annahme und Reflexion eines unliebsamen Schattens ein unschätzbarer Gewinn und das eigentliche Ja zum Leben ist.

Unsere Autorin ist Musikwissenschaftlerin und Religionspädagogin, geboren im Münsterland, heute in Berlin lebend
 
Kontakt-Daten: Wundtstraße 40-44, Haus Helene Weber, 14057 Berlin, Tel.: 030-325.46.11

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Kategorien

Aktuelle Beiträge

Archiv

Archive

Artikel-Kalender

April 2024
M D M D F S S
1234567
891011121314
15161718192021
22232425262728
2930  

Blog Stats

685761
Total views : 8768316

Aktuelle Informationen und Beiträge abonnieren!

Bitte geben Sie Ihre E-Mail-Adresse an, wenn Sie kostenlos über neu erschienene Blog-Beiträge informiert werden möchten.