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Auf Leben und Tod: Neue vorgeburtliche Selektionsverfahren gefährden Menschsein und Rechtsstaatlichkeit

Mathias von Gersdorff

Weitgehend unbemerkt wurde von der „amedes-Gruppe“, einem Unternehmen für medizinisch-diagnostische Dienstleistungen, in Deutschland ein neuer Test für „nicht-invasive“ Pränataldiagnostik (NIPT-Test) mit dem Namen „Panorama“ eingeführt. 

M. von Gersdorff
M. von Gersdorff

Eine Pressemitteilung dazu (den vollständigen Text siehe hier) wurde am 13. Mai veröffentlicht. Diese wurde von „Russo Partners“, einem im Pharma- und Biotechnologiesektor tätigen PR-Unternehmen redigiert. Die Streuung der Pressemeldung übernahm „Business Wire“, das der Firma „Berkshire Hathaway“ des weltberühmten Investors Warren Buffet gehört.

Man blieb sozusagen „unter sich“: Die Meldung wurde ausschließlich in den wichtigsten Portalen für Wirtschafts- und Unternehmensnachrichten  –  wie Börsen Manager und ähnlichen  –  reproduziert.

Pränataldiagnostik wird aufgrund der ethischen Bedenken kontrovers diskutiert. Daß Hersteller und PR-Leute das wissen, erkennt man gut in der Pressemitteilung selbst und zwar nicht nur in dem, was geschrieben steht, sondern vor allem an dem, was nur suggeriert oder gar verschwiegen wird. Deshalb lohnt es sich, den Text genauer zu analysieren:

Das Verfahren wird in der Presseerklärung folgendermaßen dargestellt:

„Panorama™ ist ein Bluttest, der mit einem innovativen molekulargenetischen Verfahren eine Risikoabschätzung für Chromosomenstörungen des ungeborenen Kindes erlaubt.“

Damit ist gemeint, daß das Verfahren lediglich eine Wahrscheinlichkeit einer genetischen Erkrankung (anhand eines Algorithmus) ausrechnet. Es besteht also nach der Auswertung der Ergebnisse keine Sicherheit darüber, ob das ungeborene Kind tatsächlich krank ist oder nicht.

Aufgrund dieser Wahrscheinlichkeitsrechnung wird dann entschieden, ob das Kind abgetrieben wird oder nicht. Das liegt völlig im Ermessen der Beteiligten. Oft raten Ärzte im Zweifelsfall zu einer Abtreibung, um Haftungsklagen zu vermeiden. Generell gilt, daß statistisch etwa jedes 300. NIPT-Testergebnis (= 0,3 Prozent) nicht zutreffend ist (falsch-positiv oder falsch-negativ)  –  und immerhin 0,5 bis vier Prozent aller Untersuchungen liefern kein klinisch verwertbares Ergebnis.

Alle Verfahren sind nicht frei von Willkür

Es ist natürlich ein Skandal, daß ein Mensch getötet werden kann, nur weil er krank ist. Aber daß dies zudem aufgrund einer Wahrscheinlichkeitsrechnung geschieht, läßt einen das Blut in den Adern gefrieren.

Hier wird nicht allein eklatant die Rechtsstaatlichkeit verletzt, sondern auch elementarste Grundsätze der Menschlichkeit verraten.

Es gibt mehrere Verfahren zur Messung des Krankheitsrisikos. Alle besitzen ein gewisses Ausmaß an Willkür. Das liegt daran, daß man eine Matrix mit sog. „Markern“ erstellt, also „Auffälligkeiten“, die auf eine Erkrankung hinweisen könnten (!). Welche tatsächliche Bedeutung diese Auffälligkeiten haben, ist bis zu einem gewissen Grad Ermessenssache.

„Dazu gehören die Trisomien 13, 18 und 21 sowie Störungen der Geschlechtschromosomen, wie das Turner-Syndrom. Im Falle eines Turner-Syndroms erlaubt die höhere Sicherheit der Diagnosestellung eine optimale Vorbereitung der Geburt und der nachgeburtlichen Versorgung des Kindes.“

Der zweite Satz, der auf das Turner-Syndrom hinweist, versucht, das Verfahren ethisch zu rechtfertigen, nachdem zuvor auf die Trisomien 13, 18 und 21 (Down-Syndrom) eingegangen wurde, die unheilbar sind und heutzutage mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent zu einer Abtreibung führen  –  obwohl die Verfahren der Pränataldiagnostik nur eine Risikoabschätzung liefern.

Dieser Sachverhalt aber wird in der Presseerklärung von „amedes“ nicht offen vertreten. Stattdessen weist man auf die Therapiemöglichkeiten des Turner-Syndroms hin.

Die Mutter wird zum Patienten, das Kind zum Krüppel

„amedes und Natera sehen die nicht-invasive Pränataldiagnostik aus mütterlichem Blut als Ergänzung zur aktuell gängigen Nackentransparenz-Messung und der Messung biochemischer Marker (PAPP-A, freies βhCG).“

Auch die Nackentransparenz-Messung liefert nur eine Risikoberechnung. Dabei wird eine Flüssigkeitsansammlung zwischen dem Nacken und der Nackenmuskulatur gemessen. Je dicker die Flüssigkeitsschicht, desto eher kann eine Erkrankung vorliegen. kleber der katholischen kirche rettet menschenbaby christoferuswerk

Außerdem gibt es viele Fehlermöglichkeiten, da der Fötus lediglich fünf bis acht Zentimeter groß ist und sich für die Ultraschalluntersuchung in einer bestimmten Position befinden muß. Auch die biochemischen Marker geben bloß Hinweise auf eine mögliche Erkrankung.

Da man weiß, daß all diese Verfahren unsicher sind, erfindet man neue, um so die Treffsicherheit zu erhöhen. Eine Frau, die sich auf die Pränataldiagnostik einläßt, gerät auf diese Weise in eine Kette von Untersuchungen, die sie in ihrer hochsensiblen Lage psychisch überfordern und die eine Bindung zum heranwachsenden Kind verhindern.

Die Mutter wird so zum Patienten, das ungeborene Kind wird als potentieller „Krüppel“ behandelt.

„In klinischen Studien lag die Detektionsrate mit dem Panorama Test für die Trisomien 13, 18 und 21 bei 99 Prozent, für die Monosomie-X bei 92 Prozent. Bislang gab es keinen Fall einer Trisomie, der nicht durch den Test erkannt worden war.“

Dies bedeutet freilich nichts anderes, als daß eine noch strengere Selektion von behinderten Menschen erfolgen wird, denn man weiß, daß die Diagnose von Trisomien 13, 18 und 21 in etwa 90 Prozent der Fälle zu Abtreibungen führt.

„Der Test wurde international validiert, u. a. vom Begründer des modernen Pränatalscreening, Dr. Kypros Nicolaides aus England.“

Dr. Kypros Nicolaides ist ein Gynäkologe, der Mehrlingsreduktionen (also Tötung von Föten im Mutterleib bei Vorhandensein von Mehrlingen) im Falle von In-Vitro-Fertilisation vornimmt.

„Mit Anwendung des Tests werden unnötige Fruchtwasseruntersuchungen (Amniocentesen) oder Probenentnahmen des Mutterkuchens (Chorionzottenbiopsien) vermieden.“

Innerhalb dieses allgemeinen Schreckensszenarios hat dieses Verfahren tatsächlich den Vorteil, daß weniger Kinder aufgrund von invasiven Tests, bei denen Fruchtwasser mit einer Spritze aus der Plazenta entnommen wird, umkommen. Zwischen 1,5 und zwei Prozent der Fruchtwasseruntersuchungen führen zu erheblichen Komplikationen, in einem Prozent der Fälle gar zu Fehlgeburten. Man nimmt also den Tod des Kindes in Kauf, um seine Gesundheit zu untersuchen. So groß ist die Angst vor einem Kind, das nicht den gesellschaftlichen Normen entspricht.

Großer Wachstumsmarkt

„Der Panorama™ Test analysiert zellfreie DNA aus mütterlichem Blut und ist der einzige Test, der verläßlich zwischen mütterlichem und fetalem Genotyp differenzieren kann.“

Eine der vielen „Ungenauigkeiten“ der Bluttests wurde also angeblich behoben. Die älteren Tests können tatsächlich nicht genau zwischen dem mütterlichem und dem fetalem Genotyp unterscheiden. Wenn also die Mutter eine genetische Unregelmäßigkeit besaß  –  die nicht zwangsläufig zu einer Krankheit führen muß  – , konnte sie beim ungeborenen Kind diagnostiziert werden. Obwohl dieses gesund war, wurde es dann trotzdem getötet. Es gibt aber weitere Ursachen für ungenaue Laborergebnisse. Auch äußere Einflüsse, wie zum Beispiel Rauchen, können die Resultate beeinflussen.

Es bestehen große wirtschaftliche Anreize, das eigene Verfahren als das „sicherste und exakteste“ zu verkaufen, denn dieser Wirtschaftszweig ist stark im Wachsen.

Im Sommer 2012 wurde in Deutschland  –   trotz Protesten  –   durch die Firma LifeCodexx mit dem PraenaTest das erste kommerziell verfügbare, nichtinvasive Testverfahren auf den Markt gebracht. Das von „amedes“ ist das zweite, weitere sind in Vorbereitung.

Der europäische Markt ist für Pharmaunternehmen nach den USA der zweitgrößte der Welt. Allein in Deutschland belief sich laut Bundesverband der pharmazeutischen Industrie das Produktionsvolumen im Jahre 2010 auf 26,9 Milliarden Euro. Die Einführung des neuen Verfahrens „Panorama“ in Deutschland ist nur eine Zwischenstation hin zu der Etablierung eines neuen Gesundheitsmarkt-Segments der nichtinvasiven Pränataltests in Europa.

Auf Leben und Tod

„Für den Test ist eine Blutprobe der Mutter notwendig, für das ungeborene Kind besteht keinerlei Risiko.“

Das würde zutreffen, hätten die Verfahren der Pränataldiagnostik nicht die Selektion von kranken Menschen als primäres Ziel vor Augen. Da es in den wenigsten Fällen möglich ist, Krankheiten vor der Geburt zu verarzten, dient die Pränataldiagnostik vor allem zur Auffindung von Krankheiten, um das Kind ggf. abzutreiben. Eine Mutter, die ihr Kind auf jeden Fall behalten will, braucht sich diesen Prozeduren nicht zu unterziehen.

Die Einführung des neuen Verfahrens zur Feststellung von genetisch bedingten Krankheiten beim ungeborenen Kind macht deutlich, wie weit der Mensch in unserer Gesellschaft zum Objekt degradiert worden ist.

Das Bewußtsein, daß es sich hier um eine Person mit unveräußerlichen Rechten handelt, wird durch diese Verfahren demoliert. Ob man leben darf oder nicht, verdankt man am Ende einer Wahrscheinlichkeitsrechnung. Normabweichungen führen schnell zum Tod.

Allein diese Tatsache zeigt, wie tief wir gefallen sind. Der moderne Mensch huldigt einem Machbarkeitswahn und merkt offenbar nicht, wie er dabei das Menschsein selbst zerstört.

Erstveröffentlichung des Beitrags in der Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT

Unser roter ROBBEN-Aufkleber gegen Abtreibung (siehe oben) ist seit Jahrzehnten ein Renner

Kommentare

Eine Antwort

  1. Vor ca. 12 Jahren lag auf der Gynäkologie neben mir eine junge Mutter, die erzählte, dass man die ganze Schwangerschaft behauptet habe, dass das Kind zwergenwüchsig sei. Es wurde bei jeder Vorsorgeuntersuchung ein Ultraschall gemacht, ein oder zweimal ein Spezialultraschall, der Flow durch die Nabelschnur gemessen und lauter so Zeug. Und immer war die Diagnose „zu klein“.
    Als das Kind dann termingerecht auf die Welt kam war es 52cm groß, das ist exakt an der Grenze nach „zu groß“.
    Sie hat es dann in meinem Beisein ihrer Frauenärztin (Belegkrankenhaus) gesagt die sagte nur leichthin „Ach dann war es ja doch nicht zu klein“.
    Man macht mit dieser ganzen Pränataldiagnostik doch nur die Leut‘ verrückt.

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