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Der „Löwe von Münster“: Der selige Kardinal von Galen und die Juden

Der 22. März ist der Todestag und zugleich katholischer Gedenktag des seliggesprochenen Kardinals Clemens August Graf von Galen, weltbekannter und mutiger Bischof von Münster während der NS-Herrschaft.

Der nachfolgende Artikel von Felizitas Küble erschien vorigen Sommer in der Zeitschrift „Theologisches“:

Am 22. März 1946 starb der „Löwe von Münster“, wie er schon zu Lebzeiten bewundernd genannt wurde, in einem katholischen Krankenhaus: Kardinal Clemens August Graf von Galen, Oberhirte des Bistums Münster in schwerer Zeit.

Durch seinen heldenhaften Einsatz für Gottesgebote und Menschenrechte angesichts der brutalen Diktatur des Nationalsozialismus wurde der westfälische Bischof weltberühmt als Leitbild des „besseren Deutschlands“ und als wirkmächtiger Zeuge für den kirchlichen Widerstand gegen das NS-Regime, insbesondere gegen den Euthanasie-Massenmord an Behinderten und psychisch Kranken.

Der am 28. Oktober 1933 zum Bischof geweihte, vorher als Pfarrer der Innenstadt-Kirche St. Lamberti in Münster tätige Galen übte bereits in seinem Osterhirtenbrief 1934 deutliche Kritik am „Neuheidentum“ des NS-Staates.

Er betonte, die Zehn Gebote seien ein sittliches Naturgesetz, „das alle Menschen ohne Unterschied der Rassen und Klassen“ verpflichtet. Seine Entlarvung der gottlosen NS-Ideologie wurde in allen Kirchen des Bistums verlesen. Bischof von Galen las diese Kampfansage persönlich am Osterfest im Dom zu Münster vor, was die Bedeutung unterstreicht, die er dieser grundsätzlichen Klarstellung beimaß.

1936 kam es zum „Oldenburger Kreuzkampf“, bei dem mutige katholische Bürger, darunter viele couragierte und bodenständige Bauern, energisch gegen das Verbot von Kreuzen in den Schulen protestierten. Galen erreichte mit diesem breiten Rückhalt seiner Diözesanen, dass die NS-Obrigkeit ihr Dekret wieder zurücknahm. Außerdem war der Münsteraner Oberhirte im folgenden Jahr am Entstehen der aufrüttelnden Enzyklika „Mit brennender Sorge“ von Papst Pius XI. beteiligt.

Freilich wird bei aller Würdigung dieses glaubensstarken Bischofs in der öffentlichen Debatte immer wieder – und zwar nicht allein von linker Seite – der Vorwurf erhoben, der ansonsten so mutige Kardinal, der 2005 von Papst Benedikt XVI. seliggesprochen wurde, habe sich nicht öffentlich gegen die Judenverfolgung geäußert.

So schreibt z.B. der katholische Priester und Historiker Dr. Hubert Wolf in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 26.2.2005 in seinem Lebensbild über Galen hinsichtlich des Einsatzes gegen die NS-Euthanasie: „Natürlich hätte man sich gewünscht, Galen wäre noch einen Schritt weiter gegangen und hätte sich in der Frage der systematischen Ermordung von Millionen Juden zu einem ähnlich eindeutigen Protest durchgerungen“.

Hierzu erwähnt der Historiker Rudolf Morsey in der von der „Landeszentrale für politische Bildung“ in Nordrhein-Westfalen herausgebrachten Broschüre „Clemens August Kardinal von Galen“ folgenden Sachverhalt:

„Wiederholt war der Bischof bereit, zugunsten der bedrängten Juden auf die Kanzel zu gehen. Er hat davon jedoch auf Bitten von Vertretern der Münsterischen Judenschaft abgesehen, um deren Lage – nach ihrer eigenen Einschätzung – nicht zu verschlechtern.  Bereits in seinem Osterhirtenbrief von 1934 hatte Galen die Zehn Gebote als sittliches Naturgesetz bezeichnet, ‚das alle Menschen ohne Unterschied der Rassen und Klassen‘ verpflichtet“[1].

BILD: Die neue Synagoge von Münster

Eine weitere Studie berichtet nähere Einzelheiten:

„Nach einem Bericht des damaligen Caritasdirekters im Bistum Münster ‚erschienen bei ihm bald nach der Zerstörung der jüdischen Synagoge in Münster einige jüdische Mitbürger mit der Bitte, er möge Bischof von Galen dazu bewegen, in der Öffentlichkeit zum Schutze der Juden aufzutreten.
Als der Domkapitular dem Bischof diese Bitte vorgetragen hatte, habe ihm Clemens August geantwortet, er sei dazu bereit und wolle es sofort am nächsten Sonntag auf der Kanzel tun, aber vorher müsste ihm von jüdischer Seite die schriftliche Erklärung gegeben werden, dass die Juden ihm, dem Bischof, nicht die Schuld dafür zuschreiben würden, wenn infolge seines Eintretens für die verfolgten Mitbürger die Nazis von neuem und noch schärfer gegen sie vorgehen würden, was nach seiner Ansicht sicher zu erwarten sei.
Diese bischöfliche Antwort in der Form einer bedingten Bereitschaft zur Hilfe teilte der Vermittler der jüdischen Abordnung, die ihn in der Angelegenheit wieder aufsuchte, mit, die dann nach sorgfältiger Überlegung zu der Überzeugung kam, es sei doch wohl besser, wenn der Bischof nichts in der Öffentlichkeit unternehmen würde‘“[2].

Die Publizistin Judith Rosen schreibt in einem durchaus kritisch gehaltenen Online-Artikel im Bonner Generalanzeiger vom 22. März 2021 über Galen u.a.:

„In der Pogromnacht 1938 kümmerte er sich um den Münsteraner Rabbiner und seine Familie, protestierte aber dann doch nicht öffentlich, weil er wohl in Absprache mit Rabbiner Steinthal den Nazi-Mob nicht weiter reizen wollte. Am Sonntag nach der Pogromnacht wurde in allen Kirchen des Bistums für die jüdischen Bürger gebetet. Im Stillen hat der 2005 Seliggesprochene vielen jüdischen Mitbürgern finanziell geholfen. Dem befreundeten Leo Jonas aus Borken riet er: ‚Leo, verlass so schnell wie möglich Deutschland! Die politischen Verhältnisse spitzen sich zu. Heute bist du, morgen bin ich dran‘“[3].

In der Dokumentation „Kardinal von Galen als Schützer der Menschenrechte“ (sowohl als Print-Publikation wie online erschienen) heißt es in einer Festansprache von Bischof Dr. Reinhard Lettmann zu diesem Themenkreis: 

„Anlässlich der Verfolgungen der jüdischen Mitbürger in der Reichspogromnacht 1938 wurde auch der mit ihm [Galen] befreundete Rabbiner Dr. Steintal in Münster aus seinem Haus vertrieben und in Haft genommen. Bischof Clemens August war damals zu einer Firmungsreise im Ruhrgebiet.
Als er davon erfuhr, ließ er sofort durch Kontaktpersonen fragen, ob er helfen könne und öffentlich protestieren solle. Vertreter der jüdischen Gemeinde rieten davon ab, um keinen Anlass zu bieten, die Verfolgung noch anzureizen. Der Sohn des Rabbiners Dr. Steintal schrieb nach dem Krieg an einen Domkapitular in Münster einen Brief, in dem er sich für das Hilfsangebot des Bischofs bedankte und darauf hinwies, dass ihre Familie vor weiteren Verfolgungen noch nach Argentinien auswandern konnte“[4].

Weitere Beispiele aus weltlichen Presse- und Medienerzeugnissen stützen diese Sichtweise. So heißt es dazu in einer WDR-Sendung über den Oberhirten aus Münster:

„Nach der Pogromnacht 1938 bietet von Galen der jüdischen Gemeinde an, öffentlich für sie einzutreten. Dazu kommt es allerdings nicht, weil die jüdische Seite aufgrund einer solchen Stellungnahme weitere Repressalien befürchtet“[5].

Im Webportal „Münster in alten Bildern und Dokumenten“ wird über die Reichsprogromnacht in Münster u.a. berichtet:

„Bischof von Galen, der sich in diesen Tagen nicht in Münster aufhält, erkundigt sich besorgt nach dem Befinden des Rabbiners Dr. Steinthal und bietet ihm seine Hilfe an“[6].

In einem Tagungsbericht zum Thema „Streitfall Galen“ aus einem geschichtswissenschaftlichen Forum heißt es dazu:

„Joachim Kuropka (Vechta) stellte sich dem heiß umstrittenen Thema ‚Bischof von Galen und die Juden‘. So verwies er etwa auf Wilhelm Dambergs bislang zu wenig beachtete Entdeckung, dass die Bistumsleitung in Münster im Juni 1938 alle Pfarrer angewiesen hat, eine den Antisemitismus kritisch beurteilende Broschüre mit dem Titel ‚Die Nathanaelfrage unserer Tage‘ den Gläubigen zur Lektüre zu empfehlen. Kuropka betonte ferner das gute persönliche Verhältnis Galens zum Münsteraner Rabbiner Fritz Steinthal. In seinem Resümee betonte er die Einmaligkeit der Broschürenverbreitung und der Gebetsaktion“[7].

Zum Tod des Kardinals von Galen am 22. März 1946 kondolierte der Landesverband der jüdischen Gemeinde der Nord-Rheinprovinz, unterzeichnet von ihrem Vorsitzenden Dr. Philipp Auerbach, am 27. März brieflich u.a. mit folgenden Worten an das Bistum Münster:

„Die deutschen Juden empfinden mit Ihnen die Schwere des Verlustes, der Sie getroffen, denn der Hingeschiedene war einer der wenigen pflichtbewussten Männer, der den Kampf gegen den Rassenwahn in schwerster Zeit geführt hat. Wir werden dem Toten ein ehrendes Angedenken bewahren“[8].

 

Anmerkungen:

[1] Rudolf Morsey, Clemens August Kardinal von Galen: bischöfliches Wirken in der Zeit der Hitler-Herrschaft, Landeszentrale für politische Bildung, Düsseldorf 1987, 17.

[2] Marie-Corentine Sandstede-Auzelle – Gerd Sandstede, Clemens August Graf von Galen – Bischof von Münster im Dritten Reich, Münster 1986, 55f.

[3] https://ga.de/news/panorama/vor-75-jahren-starb-clemens-august-kardinal-von-galen_aid-56943129?output=amp

[4] https://www.bistum-hildesheim.de/fileadmin/dateien/migrated/10/pdf/l/lettmann_vGalen_29554753750156656333.pdf

[5] https://www1.wdr.de/stichtag/stichtag-bischof-von-galen-euthanasie-100.html

[6] https://www.sto-ms.de/gastautoren/lesen-h%C3%B6ren/reichspogromnacht/

[7] https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-1099

[8] Eine Kopie des Briefes liegt der Verfasserin vor.

Kommentare

4 Antworten

  1. Eine wahrlich gelungene, höchst informative Stellungnahme zur Ehrenrettung des Münsteraner Bischofs von Galen! Vielen Dank!

  2. Wie oberflächlich, ungerecht und dumm die Kritik des Historikers Dr. Hubert Wolf an Kardinal Galen wegen dessen unzureichendem öffentlichen Protest gegen die Ermordung der Juden ist, belegt der Parallelfall des niederländischen Erzbischofs De Jong, der mit der öffentlichen Verlesung eines Protest-Telegramms gegen die Deportation der Juden genau die gegenteilige Wirkung erzielte.

    Opfer waren unter anderem Edith Stein und ihre Schwester Rosa.

    „Im Juli 1942 protestierten die katholische und evangelische Kirche in den Niederlanden gegen die Deportation der Juden. Zusammen kamen sie zu dem Entschluss, sich im Namen der Christenheit bei Seyß-Inquart – dem »Reichskommissar« für die Niederlande – für eine bessere Behandlung der Juden einzusetzen. Folge dieser Entscheidung war ein Telegramm vom 11. Juli 1942, in dem zehn christliche Glaubensgemeinschaften erklärten, dass sie zutiefst erschüttert seien über die neuen Maßnahmen, jüdische Familien aus den Niederlanden nach Deutschland zu deportieren.
    Das Telegramm hatte zur Folge, dass am 14. Juli im Namen des Reichskommissars die Zusage kam, dass christliche Juden, die vor dem 1. Januar 1941 zu einer christlichen Gemeinde gehörten, nicht abtransportiert werden sollten. In einer gemeinsamen Beratung der Kirchen wurde beschlossen, am Sonntag, dem 26. Juli, dieses Protest-Telegramm in allen Gottesdiensten zu verlesen und dazu aufzurufen, für die Juden zu beten. Seyß-Inquart verbot, das Telegramm zu verlesen. Bischof De Jong war aber der Meinung, dass die weltliche Macht sich nicht einzumischen habe, und hat es doch verlesen lassen. Als Gegenmaßnahme wurden am 2. August 1942 alle 245 katholisch getauften Juden während einer Razzia gefangen genommen – darunter auch Edith Stein und ihre Schwester Rosa – und nach Amersfoort gebracht.
    Edith und Rosa Stein wurden tatsächlich als Jüdinnen in Auschwitz ermordet, aber in einer Vergeltungsaktion gegen die katholische Kirche. Nach dem 2. August 1942 war Erzbischof De Jong ein gebrochener Mann“
    (ILSE KERREMANS: »Wo immer meines Lebens Straße geht, /Bist Du bei mir, / Nichts kann von Deiner Liebe je mich scheiden«. Edith Stein und ihre Schwester Rosa in Echt, in: Edith Stein Jahrbuch 2017, S. 99).

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