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Junge Deutsch-Türkin über Weihnachten: Heimat und Teil meiner Kultur

Von Cigdem Toprak2015_03_29_bildung_475x100

Plätzchen backen, die Wohnung weihnachtlich dekorieren, mit Freunden auf dem Weihnachtsmarkt Popcorn und französische Crêpes naschen und Glühwein trinken, Wichteln mit Kollegen, Geschenke für Familie und Freunde kaufen, Weihnachtsmusik von Mariah Carey und Wham! hören und den Weihnachtsstress in den Einkaufsläden spüren – all den üblich alljährlichen Weihnachtskitsch vermisste ich, als ich fern von Deutschland, in Istanbul studierte und arbeitete.

Heimweh im Ausland verspürte ich am stärksten während der Weihnachtszeit.

Zum Ende des Jahres bemerkte ich, wie sehr mich das Christfest kulturell geprägt hatte.  Ich gehöre nicht dem christlichen Glauben an, aber das christliche Fest gehört zu meiner kulturellen Identität als Deutsch-Türkin.

Ob im Kindergarten, in der Schule, an der Universität oder im Arbeitsleben – Weihnachtsfeiern am Ende jedes Jahres brachten mich mit meinen Freunden, Mitschülern und Kommilitonen stärker zusammen.

Als eine muslimische Kommilitonin von einer Weihnachtsfeier fernblieb, und unsere Dozentin uns erklärte, dass sie aufgrund ihrer religiösen Pflichten nicht daran teilnehmen würde, war ich etwas betrübt. Sie und ich hatten die Chance verpasst, uns näher kennenzulernen, so dachte ich „Schade“, denn sie isolierte sich selbst von der Gemeinschaft – auch wenn ich ihre Entscheidung respektierte.

Deutschlands religiöse Traditionen achten

Wenn ich in Deutschland durch die Straßen laufe und mir den Weihnachtsschmuck anschaue, Tannenbäume und Lichterketten – dann sehe ich Jahr für Jahr, dass dieses Land seine eigenen religiösen Traditionen hat. Und es ist schön, daran erinnert zu werden.  3068

Das Leben in Deutschland  –  in einer vielfältigen Gesellschaft, in denen so unterschiedliche Religionen, Kulturen und Sprachen unter dem Dach unseres Grundgesetzes ein Zuhause finden  –  ist deshalb so von Bedeutung, weil man sich in verschiedenen Lebenswelten bewegen kann. Das bedeutet für mich, dass ich nicht nur die Kultur, sondern zunächst den Menschen selbst kennenlerne, weil jeder ein anderes Verständnis seiner Kultur mitbringt. So lernt man vielfältige Lebensweisen kennen.

Keine Kultur oder Religion kann aber über dem Menschen stehen. An der Idee des Multikulturalismus störe ich mich deshalb, weil ihre Verfechter in Deutschland zu lange glaubten, dass sie ihren Döner in einer Berliner Imbissbude nur essen können, wenn man auch ein Auge zudrückt, weil Hasan, vielleicht patriarchalisch und autoritär geprägt oder auch einfach überfordert in einer modernen Gesellschaft, seiner Tochter nicht die Freiheiten zulässt, die ihr nach unserem Grundgesetz zustehen.

Und auch wenn man erschreckt morgens die Zeitung aufschlägt und lesen muss, dass Hasan seine Tochter umgebracht hat – beruhigte man sich wieder, indem man sich einredete, dass es solche Spinner überall gebe. Dass aber unzählige junge Frauen in diesem Land psychischer und physischer Gewalt ausgesetzt sind –  aus vermeintlich „kulturellen“ oder „religiösen“ Gründen  –  darüber haben wir lange Zeit hinweggeschaut. Dabei gelten unsere durch unser Grundgesetz garantierten Freiheiten und Rechte für jeden, unabhängig von seiner Herkunft.

Überzogene Toleranz: gut gemeint, aber nicht gut gemacht

Falsch verstandene Toleranz führt auch dazu, dass man glaubt zu wissen, was Andersgläubige verletzen könne  –  ohne sie vorher selbst zu fragen und so ihre Vormundschaft zu übernehmen. Ich erinnere mich zu gut daran, als meine Schwester im Kindergarten weinte, weil ihre Erzieherin ihr kurz vor Weihnachten erklärte  –  keineswegs mit bösen Absichten –  dass das Christkind zu allen anderen, aber nicht zu ihr kommen werde.

Dass wir Zuhause auch einen Tannenbaum hatten, und dass meine Mutter sich sehr viel Mühe gab, dass wir auch beschenkt wurden  –  an Weihnachten und Ostern  –  das wurde zunächst nicht wahrgenommen. Gerade für Kinder und junge Menschen kann es nachteilig sein, wenn man sie  –  aufgrund von religiösen Gefühlen, denen sie sich vielleicht noch gar nicht bewusst sind  –  von religiösen Ritualen anderer fernhalten möchte. cropped-dsc_0400-2-3.jpg

In meiner Jugend begann ich, während des Ramadan zu fasten, weil meine engsten Freunde sunnitisch-muslimisch waren – obwohl in meiner alevitischen Konfession dies nicht praktiziert wird. Dieses religiöse Gebot half mir, ein Teil von ihnen zu werden, so wie viele Jugendliche danach streben, einfach „dazuzugehören“.

In solchen Momenten möchte ich nicht hören: „Ihr (Aleviten) fastet ja nicht. Oder ihr (Muslime) feiert ja kein Weihnachten.“

Heute mag ich dieses Bedürfnis nicht mehr verspüren, aber bei Einladungen zum Fastenbrechen, dem Iftar, sage ich dennoch sehr gerne zu. Und meine Freunde und Kollegen stören sich nicht daran, ob ich faste oder nicht. Auch das Fastenbrechen erinnert mich an einen weiteren Teil meiner kulturellen Identität, das von der muslimischen Subkultur in Deutschlands geprägt wurde. So habe ich auch während meiner Zeit in Istanbul gerne an Iftar teilgenommen – es brachte mich mit meinen Freunden und Kollegen näher zusammen.

Weihnachtsstimmung in Istanbul

Wie alljährlich an Weihnachten. Während meines Erasmus-Semester an einer türkischen Universität in Istanbul gingen wir an Heiligabend mit meinen türkisch-kurdisch-dänischen Freunden gemeinsam Abendessen und feierten Weihnachten noch stärker, als wir es vielleicht Zuhause in Europa gemacht hätten. Auch meine deutsch-türkischen Freunde in Istanbul, die aus Deutschland ausgewandert sind, um ihr Glück und ihr Erfolg in Istanbul zu finden, die sogenannten „Rückkehrer“ – wollen den 24. Dezember nicht einfach wie irgendeinen Tag verbringen.

So schlenderte ich in Istanbul im Dezember durch die Straßen der modernen und schicken Stadtvierteln, in denen weihnachtliche Deko und Musik die Konsumenten von Boutiquen, Einkaufszentren und Cafés zum Einkaufen anregen sollte. In der modernen türkischen Kultur wird Silvester als eine Art „Ersatzweihnachten“ zelebriert; so stellt man sich einen Tannenbaum zuhause auf und beschenkt sich zum Neujahr.

Seit einigen Jahren regt sich Widerstand bei reaktionären Türken, die gegen die „weihnachtliche Stimmung“ öffentlich ihren Unmut ausdrücken. Aber dass sich von Jahr zu Jahr die Begeisterung gerade bei jungen Türken für Glühwein, Tannenbäume und Norwegerpullover steigert, zeigt doch, dass Weihnachten mehr Menschen als nur seine christlichen Gläubige anzieht.

Weihnachten ist nicht nur Religion, es wird auch zur Kultur all jener Nicht- und Andersgläubiger, die daran teilhaben wollen und können. Weihnachten bedeutet für mich Heimat.

Die Autorin ist eine junge Journalistin. Hier die Quelle dieses Beitrags: http://www.deutscherarbeitgeberverband.de/aktuelles/2015_12_21_dav_aktuelles_weihnachten.html

Kommentare

Eine Antwort

  1. Weihnachten ist der „Einstieg“ in den christlichen Glauben! Mit der Geburt Christi wurde das Heil der Welt inkarniert.

    Ich kann das, was die Autorin schreibt, ganz gut verstehen – von einer ganz anderen Seite aus. Ich bin aus verwandschaftlichen Gründen an Weihnachten schon fern der Heimat in Bangkok gewesen. Bei für unsere Begriffe brüllender Hitze, einem wahnsinnigen Moloch mit Smog, Megastaus, mehrstöckigen Stadtautobahnen, vermummten Arbeiterinnen mit Kleinstkindern auf Großbaustellen (da kann man sehen, wie es Frauen anderswo geht: furchtbar!)… und Weihnachtsdeko, Santa Claus, Jingle Bells und Rentieren und Schlitten im subtropischen Abendhimmel.

    Natürlich war das für mich noch nicht das „echte“ Weihnachten, aber ich vermisste all das, was zeitgleich in Deutschland sein würde. das echte Weihnachten ist das mit Maria und Josef, dem Stall, den Hirten, den Weisen aus dem Morgenland und vor allem mit dem liebsten Jesuskind, dem Gegenstand unserer Hoffung und dem König unserer Herzen.
    Davon wissen die Leute dort eigentlich nichts – sie fangen eher die Stimmung ein und das Brauchtum, v.a. das der USA. Aber auch das ist ja nicht schlecht!

    In einem deutschen Restaurant aßen wir zum Fest Rotkraut und Semmelknödl bei einem echten bayerischen Wirt. In dem Restaurant lief eine CD mit echter traditioneller Weihnachtsmusik. Lieder wie „Lieb Nachtigall wach auf“, „Auf dem berge da wehet der Wind“ und so im Stil bayerisch-österreichischer Stubenmusik. Sogar meine asiatische, buddhistische Schwägerin fand das unendlich schön und gut. Auch für sie war Weihnachten ein Fest, das sie feiern musste – nicht nur, weil sie einen deutschen Mann hatte, sondern überhaupt.

    Natürlich gibt es religiöse Feste, die mag man nicht mit andern feiern, weil ihre Aussage dem eigenen Glauben widerspricht. Man will Gott, den man liebt, nicht beleidigen.
    Aber man muss sich auch gegen die unverfänglichen Dinge nicht verbissen abgrenzen und die Spielräume der Verständigung, die möglich sind, ohne dass man heuchelt oder seinen Glauben verleugnet, um der Menschen willen ausfüllen.

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