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„Sozialkitschniveau“: Bischof Wilmers Hirtenbrief zum Martinstag enttäuscht

Von Dr. Axel Bernd Kunze

Unser Land ist gespalten, der öffentliche Diskurs polarisiert. Man muss lange nach Parallelen für eine ähnliche Situation suchen – vielleicht die Debatte um den NATO-Doppelbeschluss, die das Ende der sozialliberalen Koalition besiegelte?

Ziellos, planlos, hektisch, affektgeleitet, ressentimentgeladen hat sich der coronapolitische Diskurs von einer rationalen Gesundheits- und Krisenpolitik längst verabschiedet. Sozialethisch wäre in einer solchen Situation viel zu sagen.

Doch aus den Kirchen herrscht dröhnendes Schweigen.

Da lässt es aufhorchen, wenn sich der neue Sozialethik-Bischof innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz, Heiner Wilmer, jetzt mit einem Hirtenwort an seine Gemeinden im Bistum Hildesheim wendet. Anlass ist das Fest des heiligen Martin in der kommenden Woche. Eines vorweg: Der Hirtenbrief enttäuscht.

Früher gab es Bischofskapläne, die ihren Vorgesetzten theologisch substantielle Vorlagen zu liefern in der Lage waren. Doch in Zeiten des Priestermangels scheint diese Institution geistlicher „Ghostwriter“ durch die kirchliche Phrasenstanzmaschine ersetzt worden zu sein.

Der Hirtenbrief zum Martinstag will anrührend wirken. Afghanistan, Haiti, Ahrtal, Pandemie – der Bischof zählt eingangs auf, was ihn berührt. „Die Pandemie geht weiter und verunsichert viele Menschen“, erklärt Wilmer. Diese Feststellung wäre Gelegenheit, sozialethisch Orientierung zu geben. Doch es folgt eine emotionslose Aneinanderreihung von Null-Acht-Fünfzehn-Beispielen. Die Sprache wirkt nicht „berührt“ und engagiert, sondern distanziert und uninspiriert.

Einmal mehr muss die sozialethisch unreflektierte „Willkommenskultur“ von 2015 als Beispiel für christliches Engagement herhalten. Wo bleibt der Blick auf bedrohte Teilhaberechte, ganz aktuell, mitten in einem Land, das täglich weiter gespalten wird? Fehlanzeige.

Gravierende Wertkonflikte werden bis auf Sozialkitschniveau runtergebrochen. Telefonanrufe im Lockdown stehen neben Coronateststationen. Aber kein sozialethischer Gedanke daran, dass die Politik eine leistungsfähige Teststrategie Anfang Oktober abgebrochen hat, um Ungeimpfte an den Pranger zu stellen.

Hier hätte man von einem Oberhirten, der künftig die sozialethische Linie der katholischen Kirche in Deutschland bestimmen soll, mehr Reflexion und sozialethisches Problembewusstsein erwartet.

Als Quelle wird in den Fußnoten ein „Relibuch“ für die siebte/achte Jahrgangsstufe zitiert. Mehr theologisches Niveau hat der Bischofsbrief am Ende nicht. Es ist bitter, dies feststellen zu müssen.

Das Anliegen des Hirtenwortes mag ehrenwert sein. Kirche an der Seite der Armen – gut. Eine solche Kirche bedarf allerdings der sozialethischen Reflexion, wenn sie nicht bei moralisierenden Appellen stehenbleiben will: „Bleiben Sie alle begeistert und leidenschaftlich an der Seite der Armen“, ruft Wilmer seine Diözesanen auf. Ja, aber das gute Gefühl reicht nicht.

Es war gerade die Stärke Katholischer Soziallehre, dass sie soziale Verwerfungen in ihren politischen und institutionellen Bezügen wahrgenommen hat. Denn das moralisch Gute und das sachlich Gebotene müssen zueinander in Beziehung gesetzt werden.

Was bedeutet das für eine verantwortliche, effiziente Migrationspolitik in Zeiten, da zynische Machthaber Migration als Mittel hybrider Kriegsführung einsetzen? Welche Migrationspolitik ist sachlich geboten, wenn die Mehrzahl der Migranten, wie eine neue UN-Studie belegt, nicht vor Armut flieht, sondern aus sicheren Berufen mit durchschnittlichen Verdienstmöglichkeiten?

Immer wieder wird das Mantra von der Bekämpfung von Fluchtursachen wiederholt. Doch fehlende politische Mitspracherechte lassen sich nicht mit einer Entwicklungspolitik à la Scheckbuch bekämpfen.

Wie positioniert sich die Kirche zu den gravierenden Wertkonflikten einer autoritär gewordenen Corona- und Impfpolitik? Wie sollen die Verwerfungen dieser Krise wieder geheilt werden?

Bischof Wilmer schließt mit dem Gedicht eines Göttinger Diakons – „nun will ich zu dir kommen den Käfig öffnen / deinen Durst stillen dich trösten in deiner Angst / will bei dir bleiben“. Man wüsste schon gern, was dies in Zeiten von 3G, 2G, vierter Welle und so weiter bedeutet.

Sicher, nicht alles passt in einen Hirtenbrief. Dieser ist keine sozialethische Abhandlung. Dennoch sollte ein solches Wort in bedrängenden Zeiten Orientierung bieten. Doch der Bischof bleibt schwammig.

Er wolle, so erklärt er im Hirtenbrief, mit den Menschen im Bistum „engagiert unterwegs sein“. Neuerdings soll es sympathisch rüberkommen, wenn Verantwortliche in ihrer Aufgabe erst einmal lernen, Dingen kennenlernen, irgendwie im Gespräch sind. Als Sozialethikbischof wird Bischof Wilmer aber zeigen müssen, ob er nicht einfach ziellos unterwegs ist, sondern ob er auch einen brauchbaren sozialethischen Kompass besitzt.

Das Hirtenwort zum Martinstag ignoriert die komplexen ethischen Fragen, vor denen unser Land nicht erst seit kurzem steht, und wirkt an den Herausforderungen unserer Tage „vorbeigeschrieben“.

Wir haben es mit gravierenden Wertkonflikten zu tun, keine Frage. Entscheidungen sind unter hoher Unsicherheit zu treffen. Dies verlangt Führungsstärke, Reflexionsfähigkeit, Klugheit und Maß. Und so ist gerade in solchen Zeiten von Amtsträgern ein bestimmtes Maß an Verantwortung und gedanklicher Anstrengung zu erwarten, gern im Gespräch mit sozialethisch engagierten Christen, die ihre berufliche und fachliche Expertise einbringen können.

Unser Autor Dr. Kunze ist Sozialethiker und betreibt eine eigene Internetpräsenz: https://bildung-und-ethik.com/

Kommentare

Eine Antwort

  1. Die Kirche mit ihren Gläubigen muss jederzeit „an der Seite der Armen“ stehen.
    Nur sind Bischof Hilmer und die Amtskirche insbesondere in Deutschland bis in ihre synodal verirrten Pfarrgemeinden hinein blind dafür geworden, wahrzunehmen, wer heute bei uns die nächsten „Armen“ sind: die an den Rand gedrängten, die ausgegrenzten, die entrechteten, der Teilhabe beraubten, die diffamierten geringsten ungeimpften Brüder und Schwestern.
    Hier ist die Kirche, hier sind Kleriker und Weltchristen drauf und dran, den zentralen Auftrag Jesu, das Evangelium schlechthin zu verraten.
    Statt ihnen Fürsorge, Stärkung, Schutz und die Liebe Gottes zuteil werden zu lassen, werden sie pastoral links liegengelassen oder verworfen und ihnen teilweise sogar der Zugang zum Tisch des Herrn verweigert.
    Vielmehr nimmt jetzt „die Injektion … sakramentalen Charakter an. Die Impfung, so wird suggeriert, schützt nicht nur das eigene Leben, sondern stellt die Integrität der Gemeinschaft auf höherer Ebene wieder her. Zugleich aber wird in deren Namen die Spaltung zementiert“ (Michael Esders, Das Hygieneregime als Sprachregime, in: Tumult, Herbst 2021, S. 22).
    Welche Verblendung.
    Was für ein Abgrund.

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