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Stellungnahme des deutschen Botschafters in Israel, Andreas Michaelis, zum Kölner Beschneidungsurteil

Michaelis Brief an Knessetpräsident Rivlin (Präsident des israelischen Parlaments) vom 9. Juli 2012

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrter Herr Rivlin,

ich freue mich sehr, dass Sie im Juni der Einladung von Bundestagspräsident Norbert Lammert zu einem Besuch nach Deutschland gefolgt sind. Ihr Besuch war ein wichtiger Schritt hin zu einer noch engeren und vertrauensvolleren Zusammenarbeit unserer Parlamente.
In Berlin haben Sie auch einen Einblick bekommen, wie sich die Bundesregierung für die Entwicklung und die Lebendigkeit des jüdischen Lebens in Deutschland einsetzt.
In den letzten 20 Jahren hat sich die Zahl der jüdischen Bürger in Deutschland verdreifacht. Mittlerweile gibt es in unserem Land über 100 jüdische Gemeinden. In Deutschland ausgebildete Rabbiner werden bei uns ordiniert, junge Menschen lernen gemeinsam in jüdischen Schulen, und dutzende Museen widmen sich der jüdischen Geschichte.
Das jüdische Leben zu fördern ist nicht nur ein klares Bekenntnis der deutschen Politik. Die Ausübung der Religionsfreiheit ist in der Bundesrepublik ein verfassungsrechtlicher Grundsatz. Dieser gilt für das Judentum, den Islam und andere Reglionsgemeinschaften gleichermaßen.
In diesem gesellschaftlichen und politischen Kontext ist auch die intensive Debatte zu verstehen, die das Urteil des Landgerichts Köln vom  7. Mai aktuell in Deutschland ausgelöst hat.
Es ist selbstverständlich, dass die Bundesregierung die Unabhängigkeit der Justiz achtet.
Das Urteil ist eine Einzelfallentscheidung, die keine bindende Wirkung für andere Gerichte entfaltet. Im Ergebnis wendet sich das Urteil von der in Deutschland herrschenden Rechtsauffassung zur Beschneidung ab. In der Bundesrepublik ist die Zirkumzision seit sechzig Jahren gesellschaftlich und juristisch als einwilligungsfähiger ärztlicher Heileingriff akzeptiert.
Diese Entscheidung bedeutet nicht, dass andere Gerichte genauso entscheiden würden. Es ist mir auch wichtig darauf hinzuweisen, dass der beschuldigte Arzt letztlich in beiden Instanzen freigesprochen wurde.
Bundesaußenminister Dr. Guido Westerwelle hat sich in öffentlichen Äußerungen klar zu diesem Thema positioniert. Eine juristische Debatte dürfe nicht dazu führen, dass an der religiösen Toleranz in Deutschland international Zweifel entstünde, betonte der deutsche Außenminister. So seien religiöse Traditionen wie die Beschneidung als Ausdruck religiöser Vielfalt in Deutschland geschützt.
Diese Positionierung zeigt, welche Bedeutung die Bundesregierung der Frage der Religionsfreiheit und der religiösen Toleranz in Deutschland beimisst.
Das Urteil und die darin getroffene Abwägung zwischen der Religionsfreiheit, dem Erziehungsrecht der Eltern und dem Recht des Kindes wird aktuell in Deutschland von Politikern, Kirchenvertretern, Vertretern des jüdischen und muslimischen Glaubens, Juristen, Philosophen und anderen in der deutschen Presse und Öffentlichkeit lebhaft debattiert.
Die Bundesregierung wird das Urteil sorgfältig analysieren und mögliche Konsequenzen dieser Einzelfallentscheidung in Ruhe prüfen.
Ich freue mich auf die Fortführung der offenen und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit Ihnen, mit dem Ziel, die engen Verbindungen zwischen unseren Ländern weiter zu stärken.
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Michaelis
Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Israel

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