Top-Beiträge

Links

Annemarie Ackermann: „zupackende Löwin“ und donauschwäbische Politikerin

FOTO: Bundeskanzler Konrad Adenauer mit Annemarie Ackermann im Wahlkampf 1957

Von Stefan Teppert

Die erste und einzige donauschwäbische Bundestagsabgeordnete Annemarie Ackermann setzte bemerkenswerte Akzente.

Wenn Bundeskanzler Konrad Adenauer sie als „fleißige Biene“ oder „zupackende Löwin“ bezeichnete, lässt diese Anerkennung ahnen, welchen Respekt sie in der damals überwiegend von Männern geprägten politischen Gesellschaft erringen konnte (siehe Foto oben).

Da sie heute nur noch älteren donauschwäbischen Landsleuten und historisch Bewanderten ein Begriff sein mag, ist jetzt ein Filmporträt als DVD erschienen (siehe Foto), das ihr Leben und ihre politische Leistung zu würdigen und einen Eindruck davon zu vermitteln sucht, was es in den Gründerjahren der Bundesrepublik bedeutete, eine Parlamentarierin zu sein und Unterstützung im Bundestag zu erfahren.

Das Porträt geschieht mittels Interviews vor allem mit ihrer Tochter Ria Schneider, daneben auch eine Woche vor seinem Tod 2021 mit Ing. Rudolf Reimann, dem Bundesvorsitzenden der VLÖ (Verband der deutschen altösterreichischen Landsmannschaften in Österreich) sowie mit Familienmitgliedern und Weggefährten.

Von Ria Schneider bereitgestellte Fotos, Briefe und Dokumente illustrieren die Dokumentation.

Die Idee dafür hatten der 1936 in der Batschka geborene Historiker Dr. Ingomar Senz  – sein Forschungsgebiet ist die Geschichte der Deutschen in Südosteuropa –  und der Freisinger Dokumentarfilmer Sebastian Grießl, der sich u. a. mit der Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen nach 1945 beschäftigt.

Annemarie Ackermann wurde als Anna Eisenmann am 26. Mai 1913 in Parabutsch (Batschka/Königreich Jugoslawien, heute Woiwodina/Serbien) in ein katholisches Umfeld geboren. Früh verlor sie den Vater, der im Ersten Weltkrieg in Bosnien an Cholera starb. Nach dem Tod der Mutter 1920 wuchs sie bei den Großeltern auf.

Das aufgeschlossene und interessierte Madchen war seit frühester Jugend mit den praktischen Arbeiten in der Landwirtschaft vertraut, konnte Kühe melken, Schweine schlachten, Gänse stopfen und Rosen veredeln. Sie wuchs dreisprachig auf, war des Deutschen, Ungarischen und Serbischen mächtig. Sechsjährig kam sie als Klosterschülerin nach Batsch, wo sie die Volks- und Mittelschule besuchte und alle denkbaren Handarbeitstechniken erlernte, die später zum Lebensunterhalt ihrer Familie beitrugen.

1928/29 besuchte sie die Höhere Töchterschule in Graz. Als ihre Schwester bei der Geburt ihres ersten Kindes starb, übernahm sie dessen Pflege und heiratete nach einem Trauerjahr ihren Schwager, den Arzt Dr. Mathias Ackermann, mit dem sie nach Neusatz übersiedelte und fünf Kinder hatte. Anfangs half sie in der Zahnarztpraxis ihres Ehemanns.

Seit 1934 betätigte sie sich im „Schwäbisch-deutschen Kulturbund“ und in weiteren Kulturgruppen.

Mit dem Einmarsch der Roten Armee in die Batschka und der Machtübernahme durch Titos kommunistische Partisanen flüchtete die Familie über Ungarn und Österreich, ehe sie 1951 nach Landau in Rheinland-Pfalz kam.

Dort begann für Annemarie Ackermann eine neue Lebensphase voller Aktivität. Schon bald nach ihrer Ankunft engagierte sie sich im sozialen Bereich und im Flüchtlingswesen, gründete in Landau mit den dort gestrandeten Landsleuten die erste Jugend- und Trachtengruppe. Überall, wo sie auftrat, ging sie auf die Menschen zu und stellte so mühelos Kontakte her.

Dem Landratsamt bot sie im Dienste ihrer Landsleute ihre Dolmetscherdienste an. Überall machte sie sich nützlich und wurde gern in Anspruch genommen. Sie schloss sich der CDU und 1952 dem Katholischen Frauenbund an. Die Einladung zur Delegiertenversammlung der CDU brachte den Durchbruch aus ihrer bisherigen ehrenamtlichen Tätigkeit.

Sie wurde auf die Landesliste der Kandidaten für die Bundestagswahl gesetzt und, überraschend für alle, von 1953 bis 1961 erstmals Mitglied des Deutschen Bundestages. Am 16. Januar 1965 rückte sie für den ausgeschiedenen Abgeordneten Gerhard Fritz in den Bundestag nach, dem sie dann noch bis zum Ende der vierten Wahlperiode im Oktober 1965 angehörte, wobei sie stets über die CDU-Landesliste Rheinland-Pfalz in den Bundestag einzog.

Sie war Mitglied in drei parlamentarischen Ausschüssen: dem Lastenausgleichs-, Vertriebenen- und Verteidigungsausschuss. Ihr besonderes Interesse galt der Einbeziehung ihrer deutschen und österreichischen Landsleute in die Lastenausgleichszahlungen. Was sie anpackte, hatte stets Hand und Fuß, getragen von der Bereitschaft, den Menschen und besonders ihren Not leidenden Landsleuten zu helfen.

Mit ihrem guten Gedächtnis und gesunden Menschenverstand, ihrer reichen Lebenserfahrung und Belesenheit konnte die Vollblutpolitikerin ihrer Zuhörerschaft komplexe Zusammenhänge mit griffigen Formeln verständlich machen, bewies in zahlreichen, frei gehaltenen Reden vor allem außerhalb des Parlaments temperamentvoll ihre politische Kompetenz, ihr rhetorisches Talent und ihre landsmannschaftliche Verbundenheit.

Sie besaß das Fingerspitzengefühl, stets den richtigen Ton zu treffen: einmal akademisch, dann volkstümlich einfach oder gar in der Mundart. Ihren Worten ließ sie stets auch Taten folgen. Wie ihr Sekretär bestätigte, bekam sie von allen Abgeordneten die meiste Post.

Eine ihrer dringlichsten Aufgaben bestand darin, die deutsche Öffentlichkeit auf die 15 Millionen Heimatvertriebene in Deutschland aufmerksam zu machen und zu zeigen, dass sie infolge des Zweiten Weltkriegs nicht nur ihre Haus und Habe verloren, sondern oft ihre Männer und Söhne als gefallene Soldaten verloren hatten.

Mit Diplomatie und Hartnäckigkeit setzte sie sich auch für die Familienzusammenführung und Befreiung von deutschen Gefangenen aus rumänischen und ungarischen Gefängnissen ein und brachte damit zustande, was dem Vatikan zuvor nicht gelungen war. Weil die Wiener Regierung eine Verantwortung für die Auslandsdeutschen ablehnte, macht sie sich zum Sprachrohr ihrer in Österreich lebenden Landsleute.

Die Frauen ermutigte sie fortwährend, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken und politisch aktiv zu werden.

Nach ihrem Ausscheiden aus dem Parlament 1964 war Annemarie Ackermann im Presse- und Informationsamt in Bonn Referentin für Gastarbeiterfragen. Aufgrund ihrer Sprachkenntnisse betreute sie Gastarbeiter aus Jugoslawien sozial und war dabei sehr geschätzt.
Aus dem Amt schied sie bei Erreichen des Rentenalters 1978 aus. Im 81. Lebensjahr starb sie am 18. Februar 1994 in Königswinter

Die DVD zum Film hat eine Spieldauer von zwei Stunden. Benutzerfreundlich ist auf dem Cover der Inhalt thematisch mit den dazugehörigen Zeiten aufgelistet.

DVD-Daten: Annemarie Ackermann, mehr als eine Bundestagsabgeordnete. Ein Zeitdokument, gefördert durch die „Stiftung der deutschsprachigen Heimatvertriebenen in Österreich“, München, Februar 2022.

Die DVD kann gegen einen Unkostenbeitrag von 12 € plus Porto bei Sebastian Grießl erworben werden, E-Mail: sebastian.griessl@googlemail.com, Mobil: 0176 303 70 110

 

 

Kommentare

Eine Antwort

  1. Leider gerät die Leistung der Heimatvertriebenen immer mehr in Vergessenheit, früher gab es aktive Sektionen der Vertriebenen in allen politischen Parteien, heute werden die letzten Aktiven vor allem von rechten Parteien instrumentalisiert

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Kategorien

Aktuelle Beiträge

Archiv

Archive

Artikel-Kalender

April 2024
M D M D F S S
1234567
891011121314
15161718192021
22232425262728
2930  

Blog Stats

685762
Total views : 8768320

Aktuelle Informationen und Beiträge abonnieren!

Bitte geben Sie Ihre E-Mail-Adresse an, wenn Sie kostenlos über neu erschienene Blog-Beiträge informiert werden möchten.