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Wyneken, Becker & Co.: Herkunft, Hintergrund und Schattenseiten der „Reformpädagogik“

PRESSEMELDUNG der Betroffenen-Initiative „NetzwerkB“:

In Berlin treffen sich Bildungshistoriker, um über die Reformpädagogik nach der Odenwaldschule zu räsonieren. Weder über Missbrauch noch über Wyneken noch über Nähe wird geredet. IMG_1061

Unter dem Titel „Reformpädagogik und Reformpädagogik-Rezeption in neuer Sicht“ findet eine Tagung der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung (BBF) in Berlin am Mittwoch/Donnerstag, 10./11. Dezember 2014, statt.

NetzwerkB hat bei der Leitung und Organisation der Tagung mit Schreiben vom 29. November 2014 wie folgt nachgefragt:

„Teilen Sie uns bitte mit, wer zum Thema „pädagogischer Eros und Reformpädagogik“ sowie zur „Geschichte der Odenwaldschule und Missbrauch“ sprechen wird. Gibt es dazu ein Forum?“ 

Eine Antwort hat NetzwerkB bis heute nicht erhalten.

„Die Tagung des Dr. Jekyll“

Von Christian Füller

Die Reformpädagogik ist von jeher eine Pädagogik der schönen Rede. Die wohl größte Tradition, welche die Zunft entwickelt hat, ist die der horriblen Beschreibung der herrschenden Schule – der Presse, Anstalt, Paukschule und welche Begriffe da immer erfunden wurden.

Dieser Karikatur der schwarzen Staats-Pädagogik stellen Reformpädagogen gerne die rosaroten Schilderungen ihrer achtsamen Schulen entgegen, die  –  angeblich  –  kein Kind beschämen.

Dabei ist es so, dass die Schönrederei vielleicht einen ganz anderen Zweck hat: Sie soll etwas Dunkles und Unheimliches verdecken.

G. Wyneken, Ahnherr der deutschen Reformpädagogik

Nehmen wir Gustav Wyneken, einen der wichtigen Ahnherrn der deutschen Reformpädagogik genau wie der demokratischen Schule. IMG_4228

Er gaukelte der reformpädagogischen Gemeinde viele Jahre lang vor, er sei ein Schulreformer und pädagogischer Demokrat. In Wahrheit verfolgte er wohl ganz andere Ziele  –  sexuellen Missbrauch von Kindern. Die Szene wusste davon, immerhin wurde Wyneken rechtskräftig verurteilt.

Aber die Bildungshistoriker erzählen beinahe seit 90 Jahren von Wyneken nur die Geschichte des guten Dr. Jekyll, der Schüler als Demokraten auf Augenhöhe sieht. Und sie verschweigen konsequent den Mr. Hyde in Wyneken, der rücksichtlos über Kinder hinwegtrampelte.

Fast mutet es an wie die Spezialität deutscher Bildungsreformer – sie sind großartige Schönredner. Die Indizien für Verherrlichung reichen von heute bis weit in die Vergangenheit.(…)

Gerold Becker, vielverehrter Leiter der Odenwaldschule

Der unumstrittene Held der schönen Rede auf die Reformpädagogik war Gerold Becker. In der Szene galt der (evangelische) Theologe, der viele Jahre die berühmte Odenwaldschule Oberhambach leitete, als ein kleiner Messias.

„Niemand konnte die Reformpädagogik so schön erklären wie Gerold Becker“, pflegten die Pädagogen zu schwärmen, die sich in den elitären Kreisen der AG Schulreform versammelten.  DSC00254

Dass Becker reformpädagogische Märchen erzählt hat, war freilich nicht das größte Verbrechen des Gerold Becker, wie heute jeder weiß. 2010 wurde bekannt, dass er in seiner Amtszeit an der Odenwaldschule ein gruseliges System sexuellen Missbrauchs eingerichtet hat.

Sechs pädosexuelle Lehrer suchten sich gezielt die hübschesten (und wehrlosesten) Jungen von 11 bis 14 Jahren, um sie in ihre Wohnungen zu lotsen. Ein Untersuchungsbericht nennt 125 Opfer, allein Gerold Becker, der Schulleiter, habe demnach 86 Jungen schwer missbraucht, auch durch Vergewaltigung. Auf dem Nachttisch Beckers soll stets griffbereit eine Dose Vaseline gestanden haben.

Die deutschen Edel-Reformpädagogen wussten zwar reihenweise, „dass der Gerold auf kleine Jungs stand“, aber sie kapierten angeblich nicht, was das bedeutet.

Die Odenwaldschule hat diese Verbrechen zugelassen. Erst jetzt, im Jahr 2014, wird eine offizielle Untersuchungskommission gebildet, die dem Verrat an den Schülern und den Verbindungen bis in die höchsten Kreise nachgehen will. Gerold Becker war von 1972 an Schulleiter, 1985 musste er die Schule verlassen.

Früher Sündenfall der Reformpädagogik

Dabei liegt der eigentliche Sündenfall der Reformpädagogik viel früher, nämlich im Jahr 1919. Da steht einer der wichtigsten deutschen Schulreformer vor Gericht. Die Episode erklärt beides, die Brutalität und die Verlogenheit einer Pädagogik, die die „Nähe zum Kind“ stets als Idee und Handlungsleitung begriffen hat.

Buchtitel der Aktion "Kinder in Gefahr"

Der Mann heißt Gustav Wyneken, er ist promovierter Theologe, Philosoph und Leiter der so genannten „Freien Schulgemeinde Wickersdorf“. Er wird beschuldigt, zwei Schüler sexuell missbraucht zu haben.

Bei einer Klassenfahrt bat er seine Lieblinge zu sich ins Hotelzimmer, befahl ihnen, sich auszuziehen und zu ihm ins Bett zu steigen. Dort hatte er vorsichtshalber schon ein Handtuch untergelegt.

BILD: Die extreme Fortsetzung der „Reformpädagogik“ erfolgte in der 68er-Sexwelle: siehe hierzu dieses Info-Buch unseres Autors Mathias von Gersdorff (ein Stück davon gibt es gratis bei uns)

Um es vorwegzunehmen, Wyneken wurde bestraft, das Urteil in einer zweiten Verhandlung bestätigt. Das Gericht verurteilte den Bürger Wyneken rechtskräftig zu eineinhalb Jahren Gefängnis wegen Unzucht mit Schutzbefohlenen.

Nicht Unzucht, sondern etwas „Weihevolles“ 

Die kriminelle Energie des rastlosen Schulreformers ist erstaunlich – aber mehr noch seine Chuzpe. Wyneken entschuldigte sich nicht, sondern er verfasste für den Prozess ein Pamphlet mit dem bezeichnenden Namen „Eros“.

Schulen seien erst dann wirklich gut, heißt es darin, wenn die Schüler dort nackt lernen und ihrer Körper erkunden könnten. In dem Fall mit den beiden Schülern, der zur Verhandlung stehe, sei es nicht „um irgendwelche Drüsensekrete“ gegangen, sondern um etwas Höheres, Weihevolles.

Wyneken schrieb: „Wir reden hier von einer Form der Liebe in jenem Sinn, den wir durch den griechischen Begriff des Eros vorläufig einmal kennzeichnen.“ 

Man muss kurz innehalten. Ein Schulleiter, der mit zwei Schülern Schenkelverkehr nach griechischem Vorbild betrieben hatte, rechtfertigt seine Handlung als pädagogische Glanztat. Mehr noch, er bastelt daraus eine neue Pädagogik für neue, am besten nackte Menschen.

Wynekens Ruf blieb dennoch ungebrochen

Das für die Reformpädagogik Bemerkenswerte ist nun dies: In die Geschichte ging Gustav Wyneken nicht etwa als Sexualverbrecher ein. Wynekens Ruf blieb ungetrübt, sein Verbrechen wurde von den Pädagogen einfach verschwiegen.

Stattdessen feiern ihn Bildungshistoriker, Betprofessoren der Reformpädagogik und die Gemeinde der Schulreformer – bis heute! – als einen der wichtigsten ihrer Zunft, als den eloquentesten und radikalsten.

Wyneken habe die demokratische Schule, bei der Schüler und Lehrer sich auf Augenhöhe begegneten, erst erfunden. Der Päderast als Heilsbringer des neuen Lernens.(…)

Der Ort des pädagogischen Eros Wyneken war zentral für die Reformpädagogik der Landerziehungsheime. Seine Idee der Kameradschaft, einer gemischten Lehrer-Schüler-WG, wird als „Internatsfamilie“ in die Odenwaldschule importiert, wo sie ab den 1960er Jahren zu der beschriebenen Missbrauchs-Katastrophe führt.

Weil pädokriminelle Lehrer die Familie genau als das begriffen, was Wyneken mit ihr bezweckt hatte: der ideale Ort des pädagogischen Eros, sprich des sexuellen Missbrauchs zu sein. Konsequenzen haben die Landerziehungsheime bisher daraus nicht gezogen.

Missbrauch konzeptionell in Reformpädagogik enthalten

Wenn man diese Vorgeschichte kennt, wundert man sich nicht mehr, mit welchem Nachdruck Reformpädagogen bis zum heutigen Tage sexuelle Gewalt als „pädagogischen Eros“ rechtfertigen. Nicht jeder Reformpädagoge ist deswegen ein Päderast. Aber die Zunft sollte nach mehreren schweren Unfällen ihrer „Nähe zum Kind“ langsam nachdenken, auf welch` fragwürdigen Fundamenten sie errichtet wurde.

Sie hat mit dem bewussten Einreißen der emotionalen Schranken zwischen Lehrer und Schüler dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Aber sie verleugnet seit 100 Jahren, dass zu ihren Besten fanatische Päderasten zählen.

Sexualisierte Gewalt ist konzeptionell in die reformpädagogische Ideologie eingebaut – u.a. deswegen, weil die Lernreformer asymetrische Machtverhältnisse zu Schülern als angeblich gleichberechtigte tarnen.

Eine solche Pädagogik kann nicht beanspruchen, die Alternative zu einem herrschenden Schulsystem zu formulieren.

Quelle und vollständiger Text hier: http://netzwerkb.org/2014/12/07/die-tagung-des-dr-jekyll/

Weiterführende Infos zur erwähnten Tagung: http://netzwerkb.org/wp-content/uploads/2014/12/ProgrammTagungReformpaedagogik20140712webx.pdf http://netzwerkb.org/wp-content/uploads/2014/12/Bibliothek-für-Bildungsgeschichtliche-Forschung_28.11.2014.pdf

HINWEIS: Unser eigener Artikel zur „Reformpädagogik“ und Odenwaldschule, vor über vier Jahren veröffentlicht: http://kultur-und-medien-online.blogspot.de/2010/07/gerold-becker-ist-tot-doch-die-linke.html

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